Von Helmut Gollwitzer
1. Geschichtlich
a) Alte Kirche bis Konstantin: Die eschatologische Naherwartung, die Einflußlosigkeit der Christen auf das politische und soziale Leben, das Fehlen von Wehrpflicht und damit die Möglichkeit praktischer Distanzierung ersparten der Kirche in den ersten Jahrhunderten eine eingehende Reflexion über Krieg und Kriegsdienst. Die Erwähnungen des Problems sind spärlich, die Reaktionen uneinheitlich, die Begründungen mannigfaltig. Die Vorstellung vom frühen Christentum als einer klassischen Zeit der Kirche, in der diese jede Beteiligung an Töten, Krieg und Militär geschlossen abgelehnt habe und die durch die konstantinische Wendung abgeschlossen worden sei, ist eine Legende. Diese Wendung war vielmehr dadurch ermöglicht, daß schon bisher kein Consensus bestanden hatte und die theologische Besinnung ungenügend gewesen war. Die Fremdlingschaft des Christen und seine soldatische Unterstellung unter den Befehl Christi (militia Christi, Sakrament als Fahneneid) wurden noch in ganzer ursprünglicher Schärfe empfunden. Von daher, nicht so sehr vom Problem der Gewalt und des Tötens her entstand die Zurückhaltung gegen das Militär, die es zunächst als undenkbar erscheinen ließ, daß ein Christ freiwillig Soldat würde (Can. Hippolyt 14, 74), und als problematisch, wenn er es nach der Taufe blieb. Von Anfang an hat es, wie die neutestamentlichen Soldatengestalten zeigen, Christen im Heere gegeben. Seit dem 3. Jahrhundert nahmen sie so stark zu, daß schließlich das Christentum mit der ausgesprochenen Soldatenreligion des Mithras-Kultes in Konkurrenz trat und die letzte Christenverfolgung unter Diokletian als Säuberung im Heer begann.
Der Mordcharakter des Krieges wurde ausgesprochen (Tatian, Or. ad Graecos 19; Justin, Dial. 110, 3; Cyprian, Ad Donat. 6), ebenso die Unangemessenheit des Tötens für den Christen (bes. Can. Hipp. 13, 14: Exkommunikation für jedes Blutvergießen; so auch noch Basilius d. Gr., Brief Nr. 188). Aber kriegerische Aktionen richteten sich vor allem gegen die äußeren, barbarischen Feinde des Reiches, und ein Weltbestand ohne Krieg ebenso wie ein Recht ohne Todesstrafe lag außerhalb aller Vorstellung. So ist verständlich, daß die den Kriegsdienst der Christen am schroffsten verneinenden Schriftsteller dies nicht mit einer grundsätzlichen Verwerfung des Krieges, sondern mit einer Art Arbeitsteilung begründen: Tertullian lehnt rigoristisch den Soldatendienst ab, erkennt aber die Schutz- und Ordnungsaufgabe des Reiches an, weshalb die Gemeinde für das kaiserliche Heer betet. Origenes betont in seiner Argumentation gegen Celsus noch mehr die Sonderaufgabe der Christen als »Priester und Diener Gottes« (C. Cels. VIII, 73 ff.) in der Gesellschaft; da für ihn nur der Asket der wahre Christ ist, bahnt sich hier die spätere ständische Lösung der Spannung zwischen Christsein und Kriegsdienst an: Kleriker und Mönche bleiben von diesem besonderen welthaften Tun getrennt. Nur als utopische Vision tritt die Möglichkeit ins Blickfeld, durch Ausbreitung des christlichen Glaubens könnten Krieg und Militär überhaupt hinfallen (ebd. 69 f.).
b) Mittelalter: Seit Konstantin fühlt sich die Kirche für die staatliche Macht, deren göttlichen Auftrag zur Erhaltung der pax terrena sie gemäß Römer 13 immer anerkannt hatte, im gesteigerten Maße verantwortlich wie auch an ihr interessiert. In bedenklicher Eile bewegt man sich aufeinander zu: Konstantin läßt die ausgestoßenen Christen mit Rangerhöhung ins Heer zurückkehren, die Kirche belegt auf dem Konzil zu Arles (314) jeden Deserteur (also auch den aus Gewissensgründen) mit dem Bann, Athanasius (Ep. ad Amunem) und Ambrosius (De off. I, 129) loben den Kampf für das Vaterland, und 416 bestimmt ein Erlaß Theodosius II., daß nur noch Christen in die Armee aufgenommen werden dürfen. Im byzantinischen Bereich erhielt sich stärker das Bewußtsein der Unverträglichkeit von Christsein und Kriegertum, im abendländischen Bereich aber setzten sich römisches Staatsdenken und germanische Kampfesfreude so in der Kirche durch, daß auch die beiden Restbestände der Antithese in Gefahr gerieten: Die Nichtbeteiligung der Kleriker am Krieg mußte durch kirchliche Verfügungen immer neu sichergestellt werden, und die Erkenntnis, daß für das Evangelium nur geistliche Waffen eingesetzt werden dürfen (Mt 26, 52 f.; Joh 19, 11), die das Christentum wesentlich vom Judentum und Islam unterscheidet, wurde durchkreuzt von der Aufforderung an den Staat, mit seinen Waffen die Kirche zu schützen und Heidentum und Ketzerei zu bekämpfen (zuerst Firmicus Maternus).
Bei Augustin findet sich das Bewußtsein der Spannung ebenso wie das Bestreben, den Kriegsdienst christlich zu legitimieren und die staatlichen Waffen für die Kirche nutzbar zu machen. Er hielt darum auch normierende Bestimmungen für dringlich. Dazu griff er die vom römischen Staatsdenken (Cicero, De offic. 1, 11, 34 ff.; De re publ. 3, 23, 35) dargebotene, von Origenes (C. Cels. IV, 82; VIII, 73) schon flüchtig berührte Unterscheidung von gerechtem und ungerechtem Kriege auf (De civ. 19, 7). Ihrer Ausarbeitung galt die Arbeit der Kriegsethik des Mittelalters. Innerhalb der Zwei-Schwerter-Theorie konnte es sich nicht mehr darum handeln, christliche Kriegsbeteiligung grundsätzlich in Frage zu stellen, sondern nur darum, diese pädagogisch, seelsorgerlich und rechtlich zu regulieren. Dem dienten die mittelalterlichen Friedensbewegungen (Gottesfrieden, Landfrieden) ebenso wie die Bildung eines ritterlichen Ethos und die theologisch-rechtlichen Festlegungen: Der Krieg muß eine Handlung der legitimen Regierung sein, sein Grund Verletzung oder Bedrohung der Rechtsordnung, sein Ziel deren Wiederherstellung, also der Friede des Rechtes (legitima potestas, causa iusta, pax). Daß zur causa iusta auch Heiden- und Ketzerbekämpfung (Kreuzzüge) gehören können, zeigt, daß auch ein Angriffs-, erst recht natürlich ein Präventiv-Krieg gerechter Krieg sein kann. Daß aber der Kampf Frieden zum Ziel haben muß, war von Augustin eingeschärft worden (De civ. 15, 4; 19, 12 ff.): Der Krieg muß ein durch die Rechtspflicht gebotenes, nicht von Rache, Haß und Ehrgeiz gewünschtes Werk sein und darf nicht die Vernichtung des Gegners, sondern nur dessen Einbeziehung in die Rechtsordnung beabsichtigen (recta intentio). Die Spätscholastiker des 16. Jahrhunderts (Franz von Vitoria, Suarez, Molina) ergänzten das unter dem Bedürfnis der Praxis durch die Forderung des debitus modus und der Übel- Abwägung wie durch den Gesichtspunkt des Genügens der subjektiven Probabilität. Innerhalb dieses Rahmens konnte Kriegsdienst zur Untertanenpflicht gemacht, den Gefallenen Sündenablaß, ja Märtyrerkronen verheißen und Kriegspflicht im kirchlichen Interesse eingeschärft, zugleich aber auch an der Eindämmung der Kriegslust gearbeitet werden. In dieser Bahn hält sich die offizielle kath. Moraltheologie bis heute.
c) Reformation und Täufertum: Die Reformatoren haben im wesentlichen die Tradition übernommen, ihre kasuistischen Subtilitäten auf die Verteidigungsfrage reduziert und eine neue Begründung in der Zwei-Reiche-Lehre geschaffen. Luther konnte mit der Unterscheidung von Amt und Person den Ruf Jesu zu gewaltloser Liebe für das individuelle Leben verpflichtend machen, zugleich aber für die Teilnahme am öffentlichen Leben mit dessen unvermeidlichem Gewaltgebrauch ein getröstetes Gewissen geben, da der Christ mit beiderlei Handeln an der doppelten Weltregierung Gottes des Erlösers und des Erhalters mitarbeitet. Nach 1527 urteilt er auch hinsichtlich der Inanspruchnahme legitimer Gewalt für das eigene Interesse positiver als früher. Daß der Gewaltgebrauch im obrigkeitlichen Amte zum göttlichen Auftrage gehöre und darum, wie der Titel seiner Schrift von 1526 sagt, »Kriegsleute auch in seligem Stande sein können«, hat er durchgehend vertreten, besonders scharf gegen die pazifistischen Täufer-Gruppen, darum die Fürsten zu energischem Vorgehen im Bauernkrieg ebenso aufgefordert wie zum Kampf gegen die Türken. Dabei fehlt ebensowenig die Mahnung, das Gelingen Gott anheimzustellen, wie die Warnung vor Gewaltanwendung im Dienste des Evangeliums, also die Verwerfung des Kreuzzugsgedankens. Die neue waffentechnische Entwicklung schien Luther vom Teufel zu stammen. Vor Teilnahme an offensichtlich unrechtem Kriege warnte er, für Zweifelsfälle empfahl er, dem Gehorsam gegen die Obrigkeit den Vorzug zu geben; für Waffengebrauch gegen die Obrigkeit sah er keine Rechtfertigungsmöglichkeit. Die CA kommt als einzige lutherische Bekenntnisschrift darauf zu sprechen (XVI: liceat… iure bellare; entspr. AC XVI, übers. von J. Jonas: »Krieg um gemeines Friedens willen«). Calvin (Inst. IV, 20, 10 ff.) stimmt damit überein (ausführlich diskutiert bei Amesius in seiner Ethik »De conscientia«). Dies haben täuferische Gruppen in Nachfolge mittelalterlicher Sekten (bes. Waldenser) als unzulässigen Kompromiß empfunden und einen christlichen Pazifismus entwickelt, der im Zeugnis der Überwindung des Bösen durch Liebe den eigentlichen Beitrag der Christen zum öffentlichen Leben erblickt und das obrigkeitliche Schwertamt nur den Nicht-Gläubigen zuweist: so H. Denk, P. Marbeck, Menno Simons, J. Huter und die von ihnen beeinflußten Gemeinschaften der Mennoniten und Hutteriten (positiver B. Hubmaier und M. Hoffmann), ebenso S. Franck (»Kriegsbüchlein des Friedens«, 1539), Mystiker wie V. Weigel und Chr. Hoburg, schließlich die Quäker und später entstandene Gruppen, die heute als »historische Friedenskirchen« zusammengefaßt werden. Die von ihnen wie von den beiden Welt-Kriegen ausgehende Beunruhigung ließen die Ökumenische Bewegung 1948 in Amsterdam feststellen: »Der Krieg ist wider Gottes Willen« und in Evanston 1954 christlichen Pazifismus und christliche Teilnahme an militärischer Rüstung als zwei Wege mit der gleichen Aufgabe, dem Frieden zu dienen, nebeneinander sehen.
2. Grundsätzlich
a) Die Sendung der Kirche in die Welt: Christliches Denken wird an die Kriegsfrage nur von der Reich-Gottes-Botschaft her recht herangehen. Werden dabei die neutestamentlichen Weisungen (Bergpredigt) als Buchstabengesetz mißverstanden, dann wird ihre Durchführbarkeit nicht nur von der unablässigen geschichtlichen Veränderung der Wirklichkeit her in Frage gestellt, sondern ebenso die lebenserhaltende Funktion von Recht und Gewalt und Vorsorge, der der Wortlaut der Weisungen Jesu nicht Rechnung zu tragen scheint. Die Aufspaltung des Willens Gottes in ein naturrechtliches Interessengebot und ein dieses überhöhendes Liebesgebot (katholisch) oder in ein Gebot des Erhalters und ein Gebot des Erlösers (lutherisch) und der Widerstreit zwischen diesen beiden, der vom Jünger Jesu den unmöglichen Dienst unter zwei verschiedenen Herrn verlangt, ist dann unvermeidlich. Es kommt deshalb darauf an, die neutestamentlichen Weisungen als verheißende Anzeigen der neuen Möglichkeiten und der mit ihnen gegebenen Freiheit vom Zwange der alten Regeln und Forderungen der alten Welt zu verstehen. Der Jünger, der das Neue in das Alte hineintragen soll, untersteht nicht zwei verschiedenen Geboten, wohl aber der Spannung zwischen dem Neuen, das er zu bezeugen hat, und den Lebensbedingungen der noch bestehenden alten Welt, in der er sein Zeugnis leben soll. Das Zeugnis hat also nicht chiliastischen, sondern bekenntnishaft-demonstrativen Sinn.
b) Die Entscheidung des christlichen Pazifismus: Im Unterschied zu den Großkirchen beschränken die »historischen Friedenskirchen« im Interesse der Reinheit des Zeugnisses vom Neuen das gesellschaftliche Mitleben der Christen auf diejenigen Bereiche und Berufe, die von der Gewaltanwendung möglichst distanziert sind. Die besondere Aufgabe der Christen macht die Teilnahme an der Verwaltung der Gewaltmittel im Dienste des Rechtes gegen das Böse unmöglich; diese wird, ohne verworfen zu werden, denen überlassen, die nicht durch den Glauben unter den neuen Auftrag geraten sind. Die frühchristliche Arbeitsteilung, in der unvorstellbar war, daß der Kaiser Christ sein könnte (Tertullian, Apol. 21. 30 ff.), wird zu einer prinzipiellen erhoben. Diese Entscheidung erinnert nachdrücklich an den besonderen Auftrag der Christen und warnt vor der Angleichung an das Gewaltwesen der Welt. Ihr ernster Mangel ist der Verzicht darauf, in alle Lebensgebiete hineinzugehen und sie dadurch der Herrschaft Christi zu unterstellen. Außerdem läßt sie vergessen, daß die Gewalt als allenthalben präsente ultima ratio des Rechts das Zusammenleben der Menschen erhält, und daß damit jedes Glied der Gesellschaft an ihr indirekt, in Genuß und Ausübung, beteiligt ist.
c) Die Entscheidung für die Teilnahme an der Verwaltung der Macht: Die andere Entscheidung für die Teilnahme an den Staatsämtern einschließlich Politik und Recht setzt voraus, daß Gewalt und Liebe nicht unvereinbar sind: Liebe gehört zum Subjekt, Gewalt zur Methode des Tuns, weshalb Gewaltlosigkeit noch keineswegs mit Liebe identisch ist. Sie macht ernst mit der Notwendigkeit, das Recht auch mit physischer Gewalt durchzusetzen, und bekennt sich zu der daraus resultierenden Verantwortung. Damit sind aber äußerst weitgehende Konsequenzen impliziert: Zwangsgewalt zerstört Unmittelbarkeit, bricht anderen Willen, stellt Eigensucht in Rechnung statt sie zu überwinden; mit ihr nimmt also Liebe eine paradoxe Gestalt an, bedient sich einer Methode, die bestenfalls ihr opus alienum sein kann. Das Zeugnis des Christen droht hier, indem es die Bedingungen des alten Äon verantwortlich übernimmt, mehr von dessen Unüberwundenheit als von seinem Überwundensein zu zeugen. Außerdem scheint es auf diesem Wege keine mögliche Grenze der Beteiligung zu geben: Ohne Beachtung der Eigengesetzlichkeit, d. h. der Sachlogik und des Eigengewichtes der politischen Faktoren kann hier nicht verantwortlich mitgespielt und Gutes zuwege gebracht werden; das Recht muß an physischer Gewalt wie an Klugheit stärker sein als das Unrecht. – Die Konsequenzen dieser Entscheidung zeigt eben der Testfall des Krieges. Er charakterisiert am deutlichsten die Welt, in die hinein die Sendung erfolgt. Theologische Ethik muß deshalb jeder Beschönigung der grauenvollen Wirklichkeit des Krieges, in der alle Gebote Gottes verraten werden, absagen und kann weder seine Unentbehrlichkeit noch seine Unvermeidbarkeit behaupten.
d) Die Frage des »Gerechten Krieges«: Da wir die Welt nur als eine immer wieder mit Krieg beschäftigte kennen und ebenso die Wurzel des Krieges im Kriege des Menschen gegen Gott, darum kann Beteiligung an der staatlichen Verwaltung der Gewalt nicht anders geschehen als in der Bereitschaft, notfalls den Staat auch gegen Angriff von außen zu behaupten, also in der Bereitschaft zum Kriege. Die Argumentation mit der Berufung auf die Notwendigkeit der Polizei zeigt an, daß der Krieg christlich eine Berechtigung nur vom Dienst am Recht her bekommen kann. Insofern ist der Begriff des »gerechten Krieges« ein integrierender Bestandteil der christlichen Kriegsethik. Ihr unverzichtbarer Kern besagt subjektiv, daß jeder seine Teilnahme am Waffengang in jedem Falle vor seinem göttlichen Herrn verantworten muß. Objektiv besagt jener Begriff, daß Krieg und Kriegsdienst christlich nur als Handlung im Dienste der Erhaltung oder Wiederherstellung der lebensnotwendigen Rechtsordnung vertreten werden kann (was übrigens das Vorhandensein zweier gegensätzlicher Rechtsinteressen nicht ausschließt).
Faktisch blieben aber die mit dem Begriff des gerechten Krieges entwickelten Anforderungen historisch unwirksam, sofern man sich nicht auf die nichtgeführten Kriege berufen will; sehr wenige der seit Konstantin geführten Kriege haben ihnen auch nur entfernt entsprochen, sie waren mehr ein Stimulans heuchlerischer Propaganda als ernster Selbstprüfung. Der Krieg erwies sich immer wieder als von Natur total und kaum zu bändigen. Schon daran zeigt sich: Mit der Bejahung der Polizei ist die des Krieges nicht ohne weiteres schon gegeben, sondern kann von da aus gerade in Frage gestellt werden. Die hier vorliegende Zäsur ist oft übersehen worden. Wie sehr auch der Polizeidienst pervertieren kann, so sehr steht bei ihm erst am Ende, was beim Kriege am Anfang steht: Töten nicht als ultima, sondern als prima ratio, nur geringe Möglichkeit der Unterscheidung von Schuldigen und Unschuldigen bzw. von Kombattanten und Nonkombattanten, Ermanglung eines allseitig anerkannten Rechtes und Gerichts, darum eigenmächtiger Griff nach der nur dem Recht zustehenden Waffe, letztlich also nicht Appell an das Recht, sondern an die nun allein entscheidende Gewalt. Verzichtet man aber auf die Analogie mit der Polizeiaktion, so nimmt man den Krieg als historische Notwendigkeit, als sinnvolles Kampfgesetz der Geschichte, das nicht geflohen, sondern bestanden werden muß (so P. Althaus, E. Hirsch, aber schon Adam Müller und Hegel). Damit ist aber die Ethik durch Geschichtsphilosophie ersetzt, für den einzelnen kann sich daraus nur bedenkenloses Mitmachen der Kriege seines Staates ergeben, da die Rechtskriterien prinzipiell nicht mehr in Frage kommen. Gerade die christliche Frage, wieweit es zum innerweltlichen Dienst und Zeugnis der Friedensboten Christi gehören könnte, bleibt unbeantwortet oder ist eigentlich schon negativ beantwortet.
Hat man sich dafür entschieden, daß die Teilnahme an der Machtverwaltung christlicher Gehorsam sein kann, so muß man sich klarmachen, daß die Konsequenzen daraus nicht automatisch abrollen dürfen, wohl aber, daß in der Grundentscheidung für das opus alienum der staatlichen Gewaltandrohung und -anwendung (5. Barmer These) auch die Wendung nach außen mitenthalten ist und bei aller Erkenntnis der bedenklichen Unterschiede zwischen Polizei und Krieg nicht mehr grundsätzlich verweigert werden kann. Die Kriterien der causa iusta, des debitus modus, der recta intentio und der Güterabwägung werden dabei für die Selbstprüfung größtes Gewicht erhalten; der Gedanke des Rechtes wird zur Unterstützung aller Humanisierungsbestrebungen, zur Förderung internationaler Übereinkünfte und Souveränitätseinschränkungen zugunsten überstaatlicher Instanzen (Schiedsgericht, kollektive Friedenssicherung) entgegen der internationalen Anarchie antreiben. Luthers Unterscheidung von Amt und Person meint in dieser Hinsicht die nötige Freiheit von Angst um das eigene Leben im Vollzuge der Verantwortung, die Notwendigkeit innerster Absage an die Gewalt im eigenen Interesse wie an den Glauben an Gewalt überhaupt: Gewalt, erst recht kriegerische Gewalt kann dem Zeugen Christi nie im Dienste der eigenen Person stehen, sondern höchstens im Dienste des ihm anvertrauten Lebens. Hierbei ist der Gewaltanwendung der Platz der ultima ratio angewiesen, wodurch z. B. der Präventiv-Krieg noch besonders fragwürdig wird.
e) Das Kriegsproblem im Atomzeitalter: Das Bisherige hatte nur das traditionelle Kriegsproblem im Auge. Die Veränderungen des Krieges im 20. Jahrhundert, bes. die neuen (und künftigen) atomaren, bakteriologischen und chemischen Kriegsmittel (»ABC-Waffen«, Atomwaffen), die von ihnen erzwungene Kriegsführung und die durch sie gegebene Verewigung der Kriegsfolgen (Mutationen) sind so groß, daß mit »ihnen antiquiert ist, was 6000 Jahre lang ›Krieg‹ geheißen hat« (C. F. v. Weizsäcker). Eine genaue und schonungslose Analyse ergibt, daß – und dies ist die entscheidendste Folge für die Ethik – der Atom-Krieg nicht mehr unter den Krieg, der mögliches Mittel der Rechtswahrung war, subsumiert werden kann. Er hat keine Chancen mehr, bellum iustum zu sein, sondern nur mehr entfesselte Vernichtungsaktion, die die gegnerische, aber schließlich auch die eigene Bevölkerung als Liquidationsmaterial behandelt, mit dem kollektiven Mord auch den kollektiven Selbstmord einkalkuliert und auch unbeteiligte Völker in die Verwüstung einbezieht. Der Atom-Krieg ist nicht mehr wie der frühere Krieg die mögliche Handlung eines identischen Rechtssubjekts als Mittel für einen erstrebten Effekt, sondern wird vom ersten Tag an selber das Subjekt sein, das die bisherigen Subjekte zu Objekten macht und gänzlich verändert. Die gegenwärtige Situation verhüllt diesen Tatbestand, weil in ihr die Rüstung noch in traditioneller Weise zur Abschreckung gebraucht wird, wobei freilich die Neuheit schon in der lähmenden Wirkung des gegenseitigen sog. »Atompatt« präsent ist. Die in der Ost-West-Spannung umstrittenen Rechtsgüter (westliche Demokratie und östlicher Sozialismus) können durch die neuen Kriegsmittel nur so lange noch einigermaßen geschützt werden, als diese nicht im Ernstfall angewendet werden. Dieser Schutz ist aber selbst außerordentlich fragwürdig, weil sich durch die nur schwer mehr zu verhindernde »Atomanarchie« (d. h. Ausrüstung zahlreicher Staaten mit den neuen Vernichtungsmitteln) der Zustand ins gänzlich Unberechenbare verschiebt und weil die Drohung selbst rechtzerstörerische Rückwirkungen auf Gefüge und Geist der mit diesen Vernichtungsmethoden sich schützenden Staaten hat. Man wird nicht sagen können, daß damit der ganze bisherige Weg als falsch enthüllt ist, wohl aber ist die latent immer vorhandene, bisher nur mühsam gebändigte Totalität und damit innere Rechtlosigkeit des Krieges manifest geworden. Die heutige Perfektion der Waffe hat das Recht der ihm gemäßen, für seine Durchsetzung tauglichen Waffe beraubt; es hat nur noch eine Waffe, deren Anwendung es selbst nicht überlebt und mit der zu drohen es selbst zersetzt.
Die Kirche hat in dieser Situation folgende Aufgabe: 1. Klare Sicht der Lage gewinnen und verbreiten; jede Verharmlosung, wie sie schon in der unveränderten Verwendung der äquivoken Begriffe »Waffe«, »Krieg«, »Gewaltmittel«, »Abschreckung« geschieht, muß bekämpft werden. – 2. Klare Kennzeichnung der neuen Vernichtungsmittel und -methoden als nicht unter die sittlich legitimen Mittel staatlicher Gewaltandrohung und -anwendung fallend. – 3. Verbreitung der Vernunfterkenntnis, daß im Zeitalter der neuen »Waffen« der Krieg kein Mittel zum Überleben mehr ist und der Friede nicht nur erstrebenswert, sondern schlechthin nötig ist; denn die Präsenz der Formel macht auch im Falle einer Abschaffung und Ächtung der ABC-Waffen den Rückgriff auf den sog. konventionellen Krieg unmöglich. – 4. Forderung an die Staatsmänner, die Suche nach dem Ausweg aus dem gegenwärtigen Zustand der Ohnmacht des Rechts als die primäre Aufgabe vor allen anderen anzugreifen. – 5. Durchkreuzen und Nicht-Respektieren der Verabsolutierung der ideologischen Gegensätze, die Krieg und Frieden im 20. Jahrhundert zu Phasen eines Bürger-Kriegs zwischen politischen Religionen verwandeln (»kalter Krieg«). – 6. Absage an die überkommene Hochschätzung der Gewalt und Beschönigung des Krieges, Unterstützung jeder Bereitschaft zum Verzicht auf die Vernichtungsmittel. – 7. Neue Besinnung auf Strenge und Verheißung des christlichen Sendungsauftrags, Erkenntnis seiner Unvereinbarkeit mit dem entfesselten Krieg, damit neues Verständnis für die Verheißung, die der gewaltlosen Macht der Liebe und des Opfers gegeben ist, auch für die Erhaltung und Neugewinnung des Rechtes. In der neuen Lage konvergieren die bisher divergierenden Wege der beiden christlichen Grundentscheidungen, und die Erfahrungen der Gruppen des christlichen Pazifismus werden auch für die Großkirchen fruchtbar.
Lit.: Vgl. die Lit. zu Atomwaffen u. Friedensbewegung. Ferner zu 1a: A. HARNACK, Militia Christi, 1905 – H. WINDISCH, Der messianische Krieg u. das Urchristentum, 1909 – C. H. CADOUX, The Early Christian Attitude to War, (1919) 19252 – R. H. BAINTON, The Early Church and War (HThR 39, 1946, 189-212) – H. V. CAMPENHAUSEN, Der Kriegsdienst des Christen in der Kirche des Altertums (Offener Horizont, Festschr. f. Krieg Jaspers, 1953, 255-264) – H. KARPP, Die Stellung der Alten Kirche zu Kriegsdienst u. Krieg (EvTh 17, 1957, 496-515) – B. SCHÖPF, Das Tötungsrecht bei den frühchristl. Schriftstellern, 1958. – Zu 1b: A. VANDERPOL, La doctrine scolastique du droit de guerre, 1919 – J. BOURGEOT, Augustins Philosophie des Friedens u. des Krieges, 1926 – H. FUCHS, Augustin u. der antike Friedensgedanke, 1926 – H. GMÜT, Thomas v. Aquino u. der Krieg, 1933 – C. ERDMANN, Die Entstehung des Kreuzzugsgedankens, 1935 – H. KIPP, Moderne Probleme des Kriegsrechtes in der Spätscholastik, 1935. – Zu 1c: M. HIRST, The Quakers in Peace and War, 1923 – I. HORSCH, The Principle of Non-Resistance as held by the Mennonite Church, 1927 – HOLL III, 147 ff. 302 ff. – ELERT, ML II, 366 ff. – H. LAMPARTER, Luthers Stellung zum Türken-Krieg (FGLP 9, 4), 1940 – DERS., Krieg u. Frieden im Urteil Luthers (Christl. Stimmen zur Wehrdienstfrage, hg. v. W. JENTSCH, 1952, 85-103) – H. STEGEMANN, Der Krieg, sein Wesen u. seine Wandlung, 1940 – F. C. SELL, Der Krieg u. das amerik. Denken (ThR NF 16, 1949, 118-200) – H. WEHBERG, Krieg u. Eroberung im Wandel des Völkerrechts, 1953. – Zu 2 vgl. außer den Lehrbüchern der Ethik von P. ALTHAUS, E. BRUNNER, K.g HEIM, N. H. SØE, H. THIELICKE sowie BARTH, KD III/4 u. IV/3: O. DIBELIUS, Friede auf Erden?, (1929) 19303 – I. G. HEERING, Der Sündenfall des Christentums, 1930 – P. ALTHAUS, Staatsgedanke u. Reich Gottes, 1931 – R. SCHLUNK, Ein Pfarrer im Kriege, 1932 – H. FRICK, Die Kirchen u. der Krieg, 1933 – H. LILJE, Der Krieg als geistige Leistung, 1941 – Der Krieg ist gegen Gottes Willen. Erklärungen der Hist. Friedenskirchen u. des Internat. Versöhnungsbundes, 1952 – W. KÜNNETH, Politik zwischen Dämon u. Gott, 1954 – G. GLOEGE, Das Friedensreich Christi (LR 4, 1954, 210-224) – G. H. C. MACGREGOR, Friede auf Erden?, 1955 – J. LASSERRE, Der Krieg u. das Evangelium, 1956 (Lit.) – G. ANDERS, Die Antiquiertheit des Menschen, 1957 – G. STRATENWERTH, Kann der moderne Krieg seine bisherige polit. Funktion noch ausüben? (ZEE 1, 1957, 193-208) – H. GOLLWITZER, Die Christen u. die Atomwaffen (ThEx NF 61), 1957 – G. HARBSMEIER, Krieg u. Frieden im Lichte der Königsherrschaft Christi (EvTh 18, 1958, 491-521) – K. G. STECK, Iustum bellum heute? (ebd. 521-530) – Atomzeitalter, Krieg u. Frieden, hg. v. G. HOWE, 1959.
RGG3, Bd. 4 (1960), Sp. 66-73.