Von Claus Westermann
Segen (hebräisch berākā, griechisch eulogía) ist in der Bibel ein Begriff von erheblicher Bedeutungsweite und -tiefe.
1. Im Alten Testament ist die ursprüngliche Bedeutung des Verbs segnen »mit heilvoller Kraft begaben« (Köhler). Gegenüber dem Gebrauch in den Religionen der Umwelt hebt sich ein spezifisch bibl. Segensbegriff ab.
a) Die Herkunft von einem magisch-dynamistischen Segensbegriff zeigt sich allerdings noch deutlich; z.B. im Isaak-Segen, wo mit dem Segensritus (die stärkende Speise!) sich die Übertragung der Segenskraft unwiderruflich vollzieht (Gen 27,1–41). Der Segensbegriff wird aber entscheidend gewandelt 1. dadurch, daß Gott das alleinige Subjekt des Segnens und damit alle Segenskraft Gott unterstellt wird (die Bileam-Geschichte Num 22–24), 2. dadurch, daß durch den Jahwisten der ganze ungeschichtliche Segensbegriff mit der Geschichte verbunden wird in der Segensverheißung (Gen 12,1–3). Mit dieser Zuordnung des Segens zu Jahwe und zur Geschichte Jahwes mit seinem Volk hat der Segensbegriff seinen magischen Charakter verloren. Diese Wandlung des Segensbegriffes ist darin begründet, daß nach der Landnahme der Retter- und Führergott auch zum segnenden Gott wird.
b) Die Geschichte des Segens im Alten Testament zeigt drei Hauptstadien:
1. In den Vätergeschichten (Gen 12–50) ist die Familie der Bereich des Segens und des Segenswirkens. Der Segen ist die vom Vater an den Sohn weitergegebene Lebenskraft. Die Weitergabe vollzieht sich in einem vorkultischen Ritus (Gen 27,25–30), zu dem Handlung und Wort gehören; das Segenswort ist geschichtsmächtig und hat Rechtskraft. Besonders im Kreis der Jakob-Esau-Erzählungen hat der Segensbegriff eine die Erzählungen wesentlich bestimmende Bedeutung.
2. Im Deuteronomium ist das Volk der Bereich des Segenswirkens. Er ist die Kraft der Fruchtbarkeit und des Gedeihens für den Menschen, für das Vieh und für den Acker (Deut 28,3–6). Der Segen ist hier dem Wirken Gottes an seinem Volk in der Weise zugeordnet, daß er als von den Vätern her verheißener Segen in seiner Auswirkung an den Gehorsam des Volkes gebunden wird. Er ist ständig bedroht von der Gegenkraft des Fluches, und die bedingte Verheißung ist im Deuteronomium seine deutlichste und häufigste sprachliche Ausdrucksform.
3. Allmählich wird das Reden vom Segen immer mehr auf den Gottesdienst eingeengt und auf die priesterliche Segenshandlung bezogen, wie es die Einsetzung des aaronitischen Segens (Num 6,22–26) und die vielen Psalmstellen zeigen, die vom Segen reden. Daneben geht aber das vortheologische Reden vom Segen und das theologische von der Segenshandlung unabhängige Reden von Gottes Segen bis in die späteste Zeit weiter.
c) Zum Segen gehört ursprünglich und dann wieder im gottesdienstlichen Segen Wort und Handlung (bzw. Geste). Der sprachliche Ausdruck ist ursprünglich das wirkende Wort: »gesegnet seist du« (hebr. bārūk ‚attā), später die des Wunsches oder der Bitte (z.B. Num 6,24–26). Der Segensspruch war einmal eine feste, offenbar reich entwickelte Redeform (z.B. Gen 9,26f und die Sammlungen Gen 49 und Deut 33). Häufig, besonders in kultischer Sprache, sind Segen und Fluch kombiniert. Der Segen gehört ursprünglich in die Situation des Abschieds, daher wird er im Gottesdienst bei der Entlassung erteilt. Zu jedem Zusammenkommen des Volkes bzw. der Gemeinde gehört der Segen; in früher Zeit vom Führer (Mose, Josua) oder König (2Sam 6,18; 1Kön 8,14.55) erteilt, später nur noch vom Priester (Ps 118,26). Das Ziel der Prozession ist der Segen vom Heiligtum her (Ps 134,3); er gehört zum Opfermahl wie zur Darbringung der Erstlinge. Immer aber ragt der Segen, wie in der ganz frühen Zeit, über den Bereich des Kultes hinaus: es bleibt das Segnen der Eltern (Tobit), der Segen bei Geburt, Abschied, Hochzeit, vor dem Sterben, das tägliche Brot wird gesegnet. Darüber hinaus hat der Segen seinen wichtigsten Ort im Gruß; Gruß und Segen gehören zusammen. Seine häufigste Form ist der Friedenswunsch; Friede (= Heilsein der Gemeinschaft) ist nur da, wo der Segen wirkt.
2. Im Judentum sprechen Vertreter einer optimistischen Frömmigkeit gerne vom Segen (Tob. 5,24–13,16; Sir 1,19–50,23).
3. Das Neue Testament dagegen ist vom Gefühl der erfüllten Heilswirklichkeit getragen. Es erwähnt daher ganz emphatisch Gottes Segen im Rahmen des Bundes und der Verheißung (Gal 3,14; Eph 1,3; 1Petr 3,9; Hebr 6,7; 12,17). Jesus segnet mit Vollmacht (Mt 5,3–11 p; 14,19 p; 26,26 p; Mk 10,16; Lk 24,50), und seine Worte und Werke stehen überhaupt im Zusammenhang des Segenswirkens (Mt 7,24 p; 8,3 usw.). Er sendet seine Jünger nicht nur mit einer Botschaft, sondern auch mit einem Segen aus (Mt 5,44 p; 10,13). In den Briefen hat das Segnen und Segenswirken seinen Ort in den die Briefe rahmenden Segens- und Friedensgrüßen (Röm 1,7; 16,20 usw.) und in den Mahnungen zur Friedfertigkeit (Röm 12,14; 1Petr 3,9). Wird Gott gesegnet, geht es um Dank und Lob (Lk 16,4; 2,28; 24,53; 1Kor 10,16; Jak 3,9).
Lit.: S. Mowinckel: Psalmen-Studien V (’24) – J. Hempel, ZDMG 79 (’25) 20–110 – J. Pedersen: Israel (’26) 182–212. 437–52 – L. Brun: Segen u. Fluch im Urchristentum (’32) – ThW I, 356 f. 449 ff; II, 759 ff – F. Horst, EvTheol 7 (’47/’48) 23–37 – O. Michel, In memoriam E. Lohmeyer (’51) 94–100 – G. Bornkamm: Das Ende des Gesetzes (’582) 123–32 – J. Scharbert: Solidarität in Segen. und Fluch im Alten Testament und in seiner Umwelt, BBB 14 (’58) – A. Murtonen, VT 9 (’59) 158–77 – H. Junker, Bibliotheca Ephemeridum Theologicarum Lovaniensium 12/13 (’59) 548–58 – RGG3 VI, 1648–52 – LThK IX, 589–92.
BHH, Bd. 3 (1966), Sp. 1757f.