Fridolin Stier: „Ich möchte, dass Sie es entfernen, wenigstens die Aufschrift ‚An dieser Stelle hat Gott meinen Mann Andreas mit dem Blitz erschlagen‘ ändern.“ – „Warum ändern? Es ist doch die Wahrheit!“ „Nein!“ erwiderte ich ihr, „die Wahrheit ist es nicht, es ist eine Anklage Gottes, eine Lästerung, ein Ärgernis! Tun Sie’s weg!“ „Nein, es bleibt! Es ist die Wahrheit, wie ich sie erfahre.“

„An dieser Stelle hat Gott meinen Mann Andreas mit dem Blitz erschlagen.“ Es ist die Wahrheit, wie ich sie erfahre

Gestern auf dem Fußweg über den Rosnerhof, sehe ich ein funkelnagelneues Bildstöckl, so ein „Marterl“, ein hölzernes Kreuz, da wo die Balken sich schneiden, ein Brettchen, eine schwarze Wolke draufgemalt, ein gelber Blitz daraus zuckend, darunter geschrieben: „An dieser Stelle hat Gott meinen Mann Andreas mit dem Blitz erschlagen.“ Mich schauderte! Das klingt ja, als ob Gott der Mörder wäre.

Ich traf Frau Rosner, wie sie gerade, ihr jüngstes Kind auf dem Arm, auf dem Hofplatz stand, als hätte sie mich erwartet. „Frau Rosner“, sagte ich, „das Bildstöckl da draußen …“ – „Ich weiß, Herr Pfarrer, deswegen kommen Sie. Was wollen Sie von mir?“ „Ich möchte, daß Sie es entfernen, wenigstens die Aufschrift ändern.“ – „Warum ändern? Es ist doch die Wahrheit!“ „Nein!“ erwiderte ich ihr, „die Wahrheit ist es nicht, es ist eine Anklage Gottes, eine Lästerung, ein Ärgernis! Tun Sie’s weg!“ „Nein, es bleibt! Es ist die Wahrheit, wie ich sie erfahre.“

Quelle: Fridolin Stier, Mit Psalmen beten, hrsg. von Eleonore Beck, Stuttgart: Verlag Katholisches Bibelwerk, 2001, S. 66.

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1 Kommentar

  1. Kurios, aber wahr: „Die Wahrheit selbst kann nie zu einem „Gemeinplatz“ werden, weil „Wahrheiten über sich selbst in aller Regel unverdaulich sind – deshalb halten die meisten Menschen in diesem Punkt strengste Diät“! (< so Eugen Roth).

    Der Blitz ist in der Regel biblisch-theologisch das Kennzeichen des gestürzten Engels also des Menschen-Mörders und Lügners von Anbeginn. Es gibt hier für Norbert von Xanten (Begründer des Prämonstratenser-Ordens) den Bericht, dass ein Blitz n e b e n ihm in einen Baum eingeschlagen habe: die Gewalt desselben habe ihn vom Pferd gestürzt und in der Folge bekehrt. Er zog in die Abtei „Sankt Michael“ (Siegburg) und fand zu einem neuen „Selbst-Verständnis“. Also Los-lassen-Können ist die Konsequenz? Da „Gott kein Gott von Toten ist, sondern von Lebenden“, ist der so „Weitergezogene“ immer noch ansprechbar, denn „das Gebet ist die Tür aus dem Gefängnis unserer Sorge“ (so H. Gollwitzer) – in der Fürsprache für andere legt auch der Trost und die Beruhigung und das Aufatmen der Seele für uns selbst…

    Michael Böhles, P. Mag. thheol. (CSSp)

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