Was Immanuel Kant in seiner Religionsschrift vom Beten hält: „Das Beten, als ein innerer förmlicher Gottesdienst und darum als Gnadenmittel gedacht, ist ein abergläubischer Wahn (ein Fetischmachen); denn es ist ein bloß erklärtes Wünschen, gegen ein Wesen, das keiner Erklärung der inneren Gesinnung des Wünschenden bedarf, wodurch also nichts getan, und also keine von den Pflichten, die uns als Gebote Gottes obliegen, ausgeübt, mithin Gott wirklich nicht gedient wird.“

In seiner Religionsschrift „Die Religion innerhalb der Grenzen der bloßen Vernunft“ (1793/94) redet Immanuel Kant einem Gebetsautismus das Wort:

Über das Beten

Von Immanuel Kant

Das Beten, als ein innerer förmlicher Gottesdienst und darum als Gnadenmittel gedacht, ist ein abergläubischer Wahn (ein Fetischmachen); denn es ist ein bloß erklärtes Wünschen, gegen ein Wesen, das keiner Erklärung der inneren Gesinnung des Wünschenden bedarf, wodurch also nichts getan, und also keine von den Pflichten, die uns als Gebote Gottes obliegen, ausgeübt, mithin Gott wirklich nicht gedient wird. Ein herzlicher Wunsch, Gott in allem unserm Tun und Lassen wohlgefällig zu sein, d.i. [871] die alle unsere Handlungen begleitende Gesinnung, sie, als ob sie im Dienste Gottes geschehen, zu betreiben, ist der Geist des Gebets, der »ohne Unterlaß« in uns statt finden kann und soll. Diesen Wunsch aber (es sei auch nur innerlich) in Worte und Formeln einzukleiden, kann höchstens nur den Wert eines Mittels zu wiederholter Belebung jener Gesinnung in uns selbst bei sich führen, unmittelbar aber keine Beziehung aufs göttliche Wohlgefallen haben, eben darum auch nicht für jedermann Pflicht sein; weil ein Mittel nur dem vorgeschrieben werden kann, der es zu gewissen Zwecken bedarf, aber bei weitem nicht jedermann dieses [872] Mittel (in und eigentlich mit sich selbst, vorgeblich aber desto verständlicher mit Gott zu reden) nötig hat, vielmehr durch fortgesetzte Läuterung und Erhebung der moralischen Gesinnung dahin gearbeitet werden muß, daß dieser Geist des Gebets allein in uns hinreichend belebt [873] werde, und der Buchstabe desselben (wenigstens zu unserm eigenen Behuf) endlich wegfallen könne. Denn dieser schwächt vielmehr, wie alles, was indirekt auf einen gewissen Zweck gerichtet ist, die Wirkung der moralischen Idee (die, subjektiv betrachtet, Andacht heißt). So hat die Betrachtung [874] der tiefen Weisheit der göttlichen Schöpfung an den kleinsten Dingen und ihrer Majestät im großen, so wie sie zwar schon von jeher von Menschen hat erkannt werden können, in neueren Zeiten aber zum höchsten Bewundern erweitert worden ist, eine solche Kraft, das Gemüt nicht allein in diejenige dahin sinkende, den Menschen gleichsam in seinen eigenen Augen vernichtende Stimmung, die man Anbetung nennt, zu versetzen, sondern es ist auch, in Rücksicht auf seine eigene moralische Bestimmung, darin eine seelenerhebende Kraft, daß dagegen Worte, wenn sie auch die des königlichen Beters David (der von allen jenen Wundern wenig wußte) wären, wie leerer Schall verschwinden müssen, weil das Gefühl aus einer solchen Anschauung der Hand Gottes unaussprechlich ist. – Da überdem Menschen alles, was eigentlich nur auf ihre eigene moralische Besserung Beziehung hat, bei der Stimmung ihres Gemüts zur Religion, gern in Hofdienst verwandeln, wo die Demütigung und Lobpreisungen gemeiniglich desto weniger moralisch empfunden werden, jemehr sie wortreich sind: so ist vielmehr nötig, selbst bei der frühesten mit Kindern, die des Buchstabens noch bedürfen, angestellten Gebetsübung, sorgfältig einzuschärfen, daß die Rede (selbst innerlich ausgesprochen, ja sogar die Versuche, das Gemüt zur Fassung der Idee von Gott, die sich einer Anschauung nähern soll, zu stimmen) hier nicht an sich etwas gelte, sondern es nur um die Belebung der Gesinnung zu einem Gott wohlgefälligen Lebenswandel zu tun sei, wozu jene Rede nur ein Mittel für die Einbildungskraft ist; weil sonst alle jene devote Ehrfurchtsbezeugungen Gefahr bringen, nichts als erheuchelte Gottesverehrung statt eines praktischen Dienstes desselben, der nicht in bloßen Gefühlen besteht, zu bewirken.

Die Religion innerhalb der Grenzen der bloßen Vernunft, Viertes Stück. Allgemeine Anmerkung, Nr. 1 (B 302-308, Weischedel-Ausgabe, Bd. 7, S. 870-874).

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