Gianluca Solla über ónoma und dýnamis als Grundlage einer Politischen Theologie des Eigennamens: „Im Namen ungesagt enthalten und von ihm ihre Bedeutung beziehend, belebt die pístis gerade die Bedeutung des Namens. Der Name hat also eine Bedeutung, insofern er Ausdruck des Glaubens ist. Auf diese Weise müssen ónoma und pístis als je im anderen enthalten betrachtet werden.“

Ónoma und dýnamis. Die Grundlage einer Politischen Theologie des Eigennamens

Von Gianluca Solla

Im Einklang von Eigennamen und dýnamis trifft historisch ein bestimmter Aspekt der christlichen Theologie mit dem Römischen Recht zusammen. Diese unauflösbare Bindung wirkt bis heute.

Die ausgesprochen häufige Verwendung der Ausdrücke en onómati und en tȭ onómati im Neuen Testament zeugt von dieser Beziehung. Man be­trachte als ein Beispiel unter sehr vielen anderen die Stelle in der Apostelge­schichte [4,7-8], in der Petrus auf die Frage der Hohepriester, „mit welcher Macht oder in welchem Namen [en poía dynámei ḗ en poíōv onómati]“ die christliche Gemeinschaft handele, antwortet: „Im Namen Jesu Christi von Nazareth“. Diese Antwort bestätigt, dass der Versuch einer religiösen, po­litischen und sozialen Legitimation jener Gemeinschaft über die Formel „im Namen von“ erfolgt und sich gleichzeitig „im Namen des Messias“ verwirklicht. Dass sich die ersten Christen mit der Formel „im Namen von“ legitimierten, zeigt, wie die Entsprechung von Namen und dýnamis auf ihre Weise klassisch wurde. Sie findet sich auch in der Tatsache bestä­tigt, dass der göttlichen Dýnamis; — d.h. der höchsten aller Mächte — ein Name entspricht, der „über jedem anderen Namen steht“ [Phil 2,9], ein außergewöhnlicher Name, eben „der Name Jesus“. Im christlichen Umfeld verweist diese Identität in erster Linie auf die Göttlichkeit Jesu, überträgt sich dann aber auf den Eigennamen als solchen. Also einzig aus­gehend vom Ideal der Fleischwerdung entspricht dem Namen (des Men­schen Jesus) die göttliche dýnamis als solche.[1] Das antike Ideal einer magischen Kraft des Namens bekommt hier eine präzise theologische und po­litische Bedeutung. Denn es geht nicht so sehr um die Nähe von Religion und Magie, sondern vielmehr um die Idee einer Legitimation, die nicht aus dem Handeln des Einzelnen herrührt, sondern aus dem Handeln „in Ver­tretung von“, en onómati (oder en tȭ onómati).[2] D.h. aus einem Handeln im Sinn der Zugehörigkeit zu einer Gemeinschaft, die mit einer Mission betraut wurde.

Nur diese Beziehung kann die politisch-theologische Dimension des Eigennamens denken. Namen und Macht, ónoma und dýnamis scheinen auf den ersten Blick Synonyme zu sein. Die Verschmelzung dieser theologi­schen Voraussetzung mit dem Römischen Recht verbürgt deren Erfolg. Im übrigen entspricht die griechische Formel en onómati eben dem lateini­schen nomine, das sowohl „in Vertretung von“ als auch „im Interesse von“ bedeutet. An diesem Punkt deckt sich also die testamentarische Konzep­tion des Namens mit dem Römischen Recht, nämlich in der in der lateini­schen Rechtssprache gängigen Wendung, nomine alicuius (also suo oder alie­no nomine) zu handeln: So gesehen scheint der eigene Eigenname in erster Linie im Hinblick auf eine jederzeit mögliche Substitution zu existieren.

Die theologische Relevanz der Entsprechung von ónoma und dýnamis wird also hauptsächlich durch diese einzigartige und komplexe Verflech­tung von verschiedenen Faktoren definiert. Somit artikuliert sich die idea­le Spannung, die der Name ausdrückt, zwischen Repräsentation und An­rufung. Aber nicht immer ist es möglich, beides klar voneinander zu un­terscheiden. In der oben zitierten Stelle aus der Apostelgeschichte hat diese Nicht-Unterscheidung ihren Ursprung im Glauben. Im Namen ungesagt enthalten und von ihm ihre Bedeutung beziehend, belebt die pístis gerade die Bedeutung des Namens. Der Name hat also eine Bedeutung, insofern er Ausdruck des Glaubens ist. Auf diese Weise müssen ónoma und pístis als je im anderen enthalten betrachtet werden.

Dass dies alles mit der Macht des Namens zu tun hat, belegen im Neuen Testament die Stellen, in denen der Name im Namen der pístis Leben spendet (zōḗ). Eben die Verbindung von Namen und Leben bestätigt einmal mehr die Identität von Namen und dýnamis: „… und damit ihr glau­bend Leben habt in seinem Namen“ [Joh 20,31]. Das Leben, zōḗ, ist we­der lediglich der Beweis der dýnamis noch allein ihre Vollendung, ihre Ver­wirklichung. Vielmehr bestätigt zōḗ einen Wortsinn, den die dýnamis selbst anzeigt, zōḗ und dýnamis sind hier Synonyme. Genau dies macht den Namen zum Ort des Lebens selbst, nämlich die Tatsache, dass das Leben dýnamis ist und mit dem Heil, mit der sōtería als Gabe des Lebens koinzidiert.[3]

In dieser Äquivalenz von von ónoma und dýnamis erkennen wir den Berüh­rungspunkt der Politischen Theologie mit dem Namen, und in der Verflechtung von zōḗ, pístis und sōtería die politisch-theologische Bedeu­tung des Namens.

Im Verlauf des nächsten Kapitels wird es darum gehen, die Frage der Bedeutung des Eigennamens ausgehend von seiner politisch-theologi­schen Konnotation her zu untersuchen. Dieser Aspekt muß aber wieder­um im Zusammenhang mit einer weiteren Feststellung gedacht werden: Der Eigenname ist das grammatikalische Element, in dem die Bedeutung stets in einer Abwesenheit von Sinn suspendiert bleibt, was aber dennoch nicht einfach zur Unsinnigkeit führt. Es geht also darum, sich mit der Be­deutung von etwas auseinanderzusetzen, was an und für sich der Bedeu­tung beraubt ist, was einzig in der Abwesenheit von Bedeutung etwas be­deutet. Anders gesagt, wenn die politisch-theologische Bedeutung des Na­mens an ihre Identität mit der dýnamis gebunden scheint, mit der in ihr impliziten Macht, von der sie Gebrauch machen kann, so muss man sich dennoch mit der adynamía dieser dýnamis auseinandersetzen. Und hiermit wird auch eine Auseinandersetzung mit der Politischen Theologie selbst nötig.

Quelle: Gianluca Solla, Schatten der Freiheit. Schelling und die Politische Theologie des Eigennamens, aus dem Italienischen von Regina Maresch-Gugg, München: Fink, 2006, S. 83-86.


[1] Vgl. des weiteren z.B. Mk 14,62: „Und ihr werdet den Menschensohn sehen, sitzend zur Rechten der Kraft“. Variationen dieser Vorstellung tauchen in Mt 26,64 („Von nun an werdet ihr den Menschensohn sehen sitzend zur Rechten der Kraft“) und Lk 22,69 („Doch von nun an wird der Menschensohn zur Rechten der Kraft Gottes sitzen“) auf. Analog finden wir diese Konvergenz von Macht und Namen immer dann, wenn es um einen möglichen Missbrauch des Namens geht: „Die Zweiundsiebzig aber kehrten voll Freude zurück und sagten: Herr, selbst die Dämonen sind uns untertan in deinem Namen. […] Doch freuet euch nicht darüber, dass die Geister euch unterworfen sind; freuet euch vielmehr, dass eure Namen im Himmel eingeschrieben sind“ Lk 10,17-20). Eine ähnliche Situation wird in Mt 7,22-23 beschrieben. In negativer Form taucht diese Identität beispielsweise bei Paulus im Brief an die Epheser auf, wo „hoch erhoben über jegliche Herrschaft und Macht und Gewalt und Hoheit“ sofort einhergeht mit „über jeden Namen“, „jeden Namen, der da genannt wird“ (Eph 1 21).

[2] Dass die theologische Voraussetzung dieser Legitimation (die von der „Fleischwerdung“ herrührt und daher im Judentum fehlt) unterschätzt worden ist, bildet das Hauptmanko in der wichtigen Untersuchung von Benno Jacob, Im Namen Gottes. Eine sprachliche und religionsgeschichtliche Untersuchung zum Alten und Neuen Testament, Berlin 1903. Dennoch ist abgesehen von einzelnen Punk­ten, die aber aufgezeigt werden müssten, dieses Kapitel den Betrachtungen von Jacob tief verpflichtet.

[3] Vgl. als besonders erhellendes Beispiel Apg 3,16: „Und kraft des Glaubens an seinen Namen hat diesen, den ihr seht und kennt, sein Name kräftig gemacht; der Glaube, der durch ihn kommt, hat ihm vor euer aller Augen diese volle Gesundheit geschenkt.“

Hier der Text als pdf.

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