Sören Kierkegaard, Eine erbauliche Rede über das Gebet (1844): „Wurde der Be­ter verändert? Ja, das ist nicht schwer einzusehen; denn er ist der rechte Beter geworden, und der rechte Beter siegt immer, da dies ein und dasselbe ist. Auf unvollkommene Weise war er schon da­von überzeugt, denn während er genug Innerlich­keit hatte um zu beten, war er zugleich überzeugt, dass der Wunsch erfüllt würde, wenn er recht bäte; recht bäte im Verhältnis zum Wunsche, so ver­stand er es. Nun ist er verändert, aber es ist noch wahr, ja nun ist es wahr geworden, dass wenn er richtig betet, er dann siegt.“

Eine erbauliche Rede über das Gebet (1844)

Von Sören Kierkegaard

Wer würde in einen Streit gehen, wenn er keine Hoffnung zu siegen hätte, aber wer würde nicht fröhlich in den Streit ziehen, wenn er des Sieges si­cher wäre? So entflamme du nun, mein Leser, den Streitenden, rufe ihn zum Kampf und mache ihm die Kampf Bedingungen so günstig, daß die Aus­sicht auf den Sieg eine Gewißheit wird. Sag ihm, daß er der Stärkste ist, aber sieh, der Sieg ist doch ungewiß, solange er nicht gewonnen! Sag ihm, daß die Mächtigen seine Freunde seien, bereit zu hel­fen, aber sieh, der Sieg ist dadurch doch noch nicht gewonnen! Sag ihm, daß der Widersacher so schwach sei, daß der Streit nur eine Vortäuschung, aber sieh, der sicherste Sieg ist doch zweifelhaft so­lange er nicht gewonnen! Also ist der Sieg niemals gewiß, solange er nicht errungen ist, also geht der Streiter immer mit einem gewissen Zweifel in den Streit? Keineswegs, es gibt eine Kampfbedingung, die jeden Zweifel aufhebt, eine Kampfbedingung, die also den Streiter froh und kühn macht; und das ist die Bedingung: wenn er verliert, dann siegt er. Könnte der Gedanke, wie lange er auch grübelte, imstande sein eine größere Gewißheit auszudenken für den Sieg als den, daß die Niederlage ein Sieg sei! Wenn einer die Menschen zusammenrufen wür­de und sagte: »ich lade euch wohl zum Kampf ein, aber der Sieg ist gewiß«, welcher Andrang würde da nicht entstehen um mitstreiten zukommen, oder genauer um mitsiegen zu kommen; wenn er hin­zufügte : »der Sieg ist so gewiß, daß die Niederla­ge ein Sieg ist, und überwunden zu werden Siegerschaft bedeutet«, wie würde der Neid erwachen, daß die Gelegenheit nur einem einzelnen vergönnt werde; wenn er sie zu beruhigen und zu beschwich­tigen im folgenden Sinne sprechen würde: »jeder kann mitkommen, keiner ist ausgeschlossen«, wie würde da die ganze Schar nicht in festfroher Stim­mung um ihn herumstehen! Aber wenn der Re­dende sich etwas genauer erklären würde, und auf die Frage der Streitlustigen »welches die Stätte und der Kampfplatz, welches die aufflammende Um­gebung sei«, antworten würde: der Kampfplatz ist im Innern eines jeden und darum ist es das beste, daß ein jeder heim zum Eigenen gehe, auf daß der Kampf beginnen kön­ne, da würde wohl nur ein einzelner, der Haufen aber kaum seinem Ruf fol­gen abzuziehen, sondern mit andern Augen auf ihn sehen, wie eine neugierige Menge stehenbleiben, der ein Tölpel durch seine Rede Stoff zum Lachen gibt. Wenn er nun weiter auf die Frage, »worin der Streit bestehe«, antwortete: im Beten, dann bedürfte es wohl keines weiteren Beweises gegen ihn, denn zu beten ist ja gerade das Gegenteil als zu streiten, beten ist ein feiges und entsagendes Tun, den Weibern und Kindern zu überlassen, aber zu streiten ist des Mannes Lust. Wenn er auf die Frage, »worin dann der Sieg bestehe«, antwortete: einzusehen, daß man verlo­ren hat, da würde sich wohl auch der weniger Lach­lustige nicht mehr abhalten lassen zu schmunzeln und von da ab mit einem Schmunzeln zu überhö­ren was der Redende hinzufügte: daß es seine Rich­tigkeit mit dem Gebrauch des Wortes »Verlust« habe und es kein uneigentlicher Ausdruck wäre, son­dern schlecht und recht bezeichne, was die mensch­liche Sprache und der menschliche Verstand unter einem Verlust und einer Niederlage verstehe, daß da­gegen zu siegen in einem hohen und edlen Sinn, und insofern in uneigentlicher Bedeutung aufgefaßt werden müßte. Wenn sich der Haufe dann satt ge­lacht hätte, würde sein Wortführer wohl den gan­zen Auftritt mit der übermütigen und nicht un­witzigen Äußerung beenden: daß er die gerade ent­gegengesetzte Anschauung hätte, und für seine Per­son im eigentlichen Sinne wünsche am liebsten der Siegesherr zu sein, und im uneigentlichen Sinne zu verlieren.

Mein Leser, ist diese Rede nicht ein Bild dessen, was im Leben vorgeht? Ein loses Wort treibt Men­schen zusammen, der leicht erkaufte Sieg begei­stert sie, aber die tiefere Erklärung schreckt sie ab, und steigt der Preis wie er im Verhältnis zum Höch­sten werden muß, so gibt der Spott das Zeichen zum Rückzug, und gibt dem Rückzug das Aussehen eines herrlich gewonnenen Sieges; denn gewinnt nicht der Spott immer das Höchste als guter Kauf! Und doch, wie verächtlich ist es doch mei­nen zu wollen, der Preis für das Höchste und Hei­ligste, gleich­wie der Preis für die zeitlichen Dinge, sei durch einen Zufall zu bestimmen, ob gerade teu­re Zeit oder Überfluß an dieser Ware im Lande sei; wie erbauend ist es dagegen zu bedenken, daß dem nicht so ist, und daß der, der um einen geringen Preis das Höchste gekauft zu haben sich einbildet, nur in einem Mißverständnis lebt, da der Preis im­mer der gleiche ist. Wie macht dieser Gedanke die Seele gewiß und getröstet und entschlossen, daß kein Preis zu hoch ist, wenn es, was man kauft, das Höchste ist. Wohl ist es nämlich wahr, was Men­schen sagen, daß man auch das Gold zu teuer kau­fen kann, aber das Höchste kann man nicht zu teuer kaufen; wenn man es zu teuer gekauft hat, hat man nicht das Höchste gekauft! Schön und erhebend ist es darum, im Bericht des Evangeliums oder im Le­ben einen Mann anzutreffen, der nicht auf dem Markt ausschreit, wo der Klügste, in Berechnung der Verhältnisse, heute teuer kauft, was der Elen­deste, vom Zufall unterstützt, morgen billig er­steht, nein, ein entschlossener Mann, der verstan­den hat, was das Höchste ist, zugleich aber willig ist alles zu bezahlen um es zu kaufen; wohltuend und erquickend, ihn still und ernst mit der unan­tastbaren Schönheit des für ewig gefaßten Beschlusses stehen zu sehen: er hat seine Besitztümer gesam­melt, hat alle irdischen Wünsche hinzugefügt, alles was wir des Menschen Forderung an das Leben nen­nen können, hält es vor sich hin – er bietet; wenn du ihn morgen siehst – unverändert macht er das unveränderte Angebot; derweil die Welt all ihre List und all ihre Schmeichelei und all ihren Schrecken anwendet – er steht doch zu seinem Angebot, wenn es ihm bloß glücken mag das Höchste zu kaufen. Aber dieser hochgemute Entschluß, der da nicht so sehr eine Folge langer Überlegung wie der Ernst tiefsten Verstehens ist, ist ja auch nötig, wenn ein. Mensch das Höchste kaufen soll. Der sinnliche Mensch will nicht verstehen, was das Höchste ist, will nicht verstehen, welches der gute Streit ist, was siegen und verlieren heißt, will nicht, denn Gott sei Dank, das ärmste und einfältigste Kind, das den dürftigsten Unterricht in der Armenschule genoß, das weiß es sehr wohl; ach, ja der wäre selten groß und ausgezeichnet, der in seinen Mannesjahren bloß die Hälfte von dem vollendete, was er in seiner Kind­heit wußte, was er in seinen Knabenjahren schrift­lich zu entwickeln wußte. Aber die Eigenliebe des sinnlichen Menschen ist zu engherzig, um sich vom Höchsten ergreifen zu lassen; es hilft nicht, wenn jemand, was das Höchste ist, ihm durch gründliche Rede begreiflich machen will, durch eine fromme Täuschung ihn hineinbetrügen oder durch eine liebevolle List es ihm in die Hand spielen will: es wird bei ihm verpfuscht, in seiner Hand wird es zum Gegenteil. Es ist wahr und es wird immer wahr sein, daß die Tugend die höchste Klugheit ist, es ist auch sicher, daß der sinnliche Mensch gern klug sein und nach Klugheit trachten will; aber wenn nun jemand ihm das um ihn zu gewinnen entwickelte, er gewänne ihn doch nie für die Tugend, denn wenn das geschehen sollte, müßte erst die Vorstellung des sinnlichen Menschen von Klugheit völlig verändert werden. Es ist wahr, daß Versöhnlichkeit die schwerste Rache ist, es ist wahr, was ein Weiser des Altertums gesagt hat, daß die schwerste Strafe für Beleidigungen sei sie vergessen, aber welche Verwirrung würde es nicht werden, welche himmelschreiende Anmaßung, wenn der Rachgierige wie ein Wolf sich ins Gewand der Versöhnlichkeit steckte, oder wäre er dadurch der schönen Tugend der Versöhnlichkeit einen Schritt näher gekommen? Man kann sich darauf verlassen, daß das Gute sei­nen Lohn hat; aber wenn der »lohnsüchtige« sinn­liche Mensch aus solchem Grunde das Gute tun wollte, kommt er da jemals dazu es zu üben? Es steht unumstößlich fest, daß es allzeit das sicherste im Leben ist seine Pflicht zu tun; aber kann es auch das sicherste sein, da die Pflicht zuweilen gebietet das Leben zu opfern? Nein, die Seele muß einen Beschluß fassen in Verzicht auf alle Berechnungen, alle Klugheit und Wahrscheinlichkeit, sie muß das Gute um des Guten willen wollen und dann wird sie wohl merken, daß es seinen Lohn hat, sie muß in der Pflicht, weil es Pflicht ist, bleiben, und sie soll dabei wohl Geborgenheit spüren; sie muß mit ih­rem Widersacher Vergleich suchen infolge des rücksichtslosen Antriebes des Herzens, und dann wird der gute Streit der Versöhnung ihm auch die Ergebenheit des Überwundenen gewinnen.

Dies gilt auch vom Verständnis dessen, was der Ge­genstand dieser Rede sein soll, wie der, der im Ge­bet redlich streitet, dadurch siegt daß er verliert. Will ein Mensch nicht einen entschei­denden Entschluß fassen, will er Gott um das Wagestück des Herzens betrügen, indem ein Mensch sich hinaus­wagt und alle Klugheit und alle Wahrscheinlichkeit aus der Sicht verliert, ja vom Verstehen oder doch von seinem weltlichen Gedankengang abkommt; will er, statt mit einem Schritt zu beginnen, gleich­sam unter der Hand etwas zu wissen bekommen, indem er die unendliche Gewißheit in eine endliche verwandelt, so wird die Rede ihm nichts nützen können. Es gibt eine Verkehrtheit, die ernten will bevor sie sät, es gibt eine Feigheit, die Gewißheit haben will bevor sie beginnt, es gibt eine Empfindlichkeit, die in langatmigen Worten beständig sich windet statt zu handeln; aber was hülfe es einem Menschen, wenn er doppelsinnig und vielzüngig Gott überlisten wollte, ihn in Wahrscheinlichkeit fangen, aber ohne das Unwahrscheinliche verste­hen zu wollen, daß man alles verlieren muß um alles zu gewinnen, und es so aufrichtig zu verstehen, daß er nicht im entscheidendsten Augenblick, da das Schaudern des Wagnisses schon durch seine Seele zieht, wieder sich selbst mit der Erklärung zu Hilfe springt, daß er noch nicht ganz abgeschlossen habe, sondern nur sich selbst prüfen woll­te. Alle Rede vom Streit des Beters mit Gott, vom eigentlichen Verlust [denn wenn der Schmerz der Vernichtung nicht eigentlich gelitten wird, dann ist der Leiden­de noch nicht aus der Tiefe heraus, und sein Schrei ist nicht in der Gefahr, sondern vor der Gefahr] und vom uneigentlichen Sieg kann darum nicht die Ab­sicht haben jemanden zu überreden oder das Ver­hältnis in eine Aufgabe weltlicher Berechnung um- zusetzen und Gottes Gnadengabe für den Wagen­den in zeitliche Scheidemünze für den Furchtsamen umzuwechseln. Es hilft wahrlich einem Menschen nicht, falls der Redende dazu tauglich wäre, wenn der Redner durch die Kunst der Beredsamkeit ihn in einen übereilten Beschluß hineintriebe, durch die Glut der Überzeugung ein Feuer in ihm entfachte, so daß er im Augenblick guten Vorsatzes auf flamm­te, ohne doch, sobald der Redner verstummt, im­stande zu sein einen Entschluß aufrecht zu halten oder einen Vorsatz zu nähren. Selbst wenn ein En­gel mit Engelzungen redete, um die gewinnbringen­de Wirkung des Gebetes zu schildern, es würde dem sinnlichen Menschen nicht helfen, denn das, wofür das Gebet gewinnbringend ist, will der sinnliche Mensch nicht verstehen, sich nicht darum küm­mern. Was hülfe es, wenn der Sinnliche das Wort gerne hörte: gewinnbringend, und der Engel es be­nützte, wenn sie, uneins in allem, nicht einmal im Gebrauch dieses Wortes einig wären.

Doch kann die Rede wohl ihre Bedeutung haben, aber sie zu bedenken ist wieder mißlich und zwei­felhaft; darum muß die Rede am besten als ein Wagnis angesehen werden. Wenn nämlich ein Mensch einem andern Menschen begreif fleh macht, was im zeitlichen Sinn sein Vorteil ist, und der letztere da­nach handelt, so kann der erstere sagen es bewirkt zu haben. Wenn hingegen ein Mensch einem an­dern Menschen sein ewiges Heil begreiflich zu ma­chen suchte, dann hilft es nicht so ohne weiteres; denn auf Grund der Rede des einen hat der andere das Ewige noch nicht ergriffen. Faßt er dagegen den ewigen Entschluß und in ihm das Ewige, so schuldet er keinem Menschen etwas, auch nicht dem Redner. Einen ewigen Entschluß kann nämlich kein Mensch einem andern geben oder nehmen, oder ein Mensch dem andern schulden. Will jemand einwenden, daß man ebensogut schweigen könne, wenn man keine Wahrscheinlichkeit hätte andere zu ge­winnen, so hat er damit nur gezeigt, daß er, wäh­rend sein Leben vermutlich in Wahrscheinlichkeit getrieben und genährt wurde und all seine Vorha­ben im Dienste der Wahrscheinlichkeit Erfolg hat­ten, niemals gewagt hat und also auch niemals Ge­legenheit gehabt oder sich genommen hat zu be­denken, daß die Wahrscheinlichkeit die Enttäu­schung ist, aber das heißt die Wahrheit wagen, die dem Menschenleben und den menschlichen Ver­hältnissen Bestand und Inhalt gibt, das heißt den Quellgrund der Begeisterung wagen, wogegen Wahrscheinlichkeit der geschworene Feind der Be­geisterung ist, das Blendwerk, womit der sinnliche Mensch die Zeit hin und das Ewige weg hält, wo­durch er Gott betrügt, sich selbst und das Geschlecht: Gott um die Ehre, sich selbst um die Erlösung durch Vernichtung, das Geschlecht um die Gleichheit der Bedingung.

So soll die Rede das Erbauliche in dem Gedanken zu begreifen suchen, daß der rechte Beter im Gebet streitet und dadurch siegt – daß Gott siegt.

Im Gebet zu streiten, welcher Widerspruch! Soll ein Ausdruck Kraft haben, zwei so widerstreitende Gedanken zusammenzuhalten! Bei jedem Streit wird die Waffe im voraus bestimmt; soll also das Gebet als Waffe im Streit bestimmt werden, so scheint der Streit unmöglich, denn das Gebet ist ja keine Kriegswaffe, sondern im Gegenteil das stille Werkzeug des Friedens, das Gebet ist ja nicht Sache dessen, der einen andern angreift, nicht Sache des­sen, der sich selbst verteidigt, sondern dessen, der sich ergibt. Soll, wie es Brauch ist bei jedem Streit, der Abstand der Streitenden im voraus bestimmt werden, so scheint der Streit wieder unmöglich; denn wenn nicht gebetet wird, so ist Gott in den Himmeln, der Mensch auf Erden, der Abstand also zu groß; wenn aber gebetet wird, sind sie einander ja zu nah, dann ist kein Zwischenraum da, der zum Kampfplatz erweitert werden kann. Wenn nämlich ein Mensch sich ganz im Gebet hingibt, dann strei­tet er nicht; wenn er aber überhaupt sich nicht hin­gibt, dann betet er nicht, selbst wenn er Tag und Nacht betend auf seinen Knien läge. Es ist dabei wie mit einem Menschen, der die Verbindung mit ei­nem fernen Freund aufrechterhält, falls er nicht dar­auf achtet, daß die Aufschrift des Briefes richtig ist verfehlt dieser seine Bestimmung und die Ver­bindung kommt nicht zustande, wie viele Briefe er auch schreibt: so achtet der Beter darauf, daß die Form des Gebetes richtig ist, Hingabe des inne­ren Menschen, denn sonst betet er nicht zu Gott; und darauf achtet der Beter sehr genau, da hier kei­ne Täuschung im Verhältnis zum Kenner der Her­zen möglich ist. Denn während Könige und Für­sten in ländliche Einsamkeit flüchten und der Menge der unzeitigen oder unvernünftigen Bittsteller zu entgehen, ist Gott im Himmel besser gesichert, ob­wohl er doch beständig jedem Menschen der Näch­ste ist, besser gesichert, denn jedes Gebet, das im Innern nicht die rechte Form hat, kommt ihm über­haupt nicht zu Ohren, ihm, der doch nahe genug ist, den leisesten Seufzer zuhören, begegnetes nicht, da es nicht Gebet zu ihm ist. Und selbst wenn ein solches Gebet sich vordrängt, selbst wenn es laut in die Welt hinausposaunt wird, so gibt es kein leben­des Wesen, das wüßte, wen diese Rede angehen sollte, geschweige denn, wenn du es dir so denkst, mein Leser, geschweige denn, daß ein Engel darauf verfallen könnte sie vor Gott zu bringen, da der Engel sogleich an der Form sieht, daß sie nicht an Gott gerichtet ist. Sieh, darum scheint es so unmög­lich, daß das Gebet eine Waffe gegen Gott werden kann, denn nur das rechte Gebet erreicht ihn, das unrechte Gebet hört er nicht einmal, ganz zu schwei­gen davon, daß solcher Beter ihn angreifen oder ver­wunden oder ihm Unrecht antun könnte. Dagegen kann ein Mensch einem anderen Menschen mit sei­ner Bitte unrecht tun, und so ist zwischen Mann und Mann die Bitte eine fürchterliche Waffe, viel leicht die fürchterlichste; ja man warnt den Starken, daß er seine Macht gegen den Schwachen nicht mißbrauche, aber man warne auch den Schwachen, daß er die Macht der Bitte nicht gegen den Starken mißbrauche, denn vielleicht hat kein Tyrann, der seine Gewalt mißbrauchte, kein Betrüger, der seine Klugheit mißbrauchte, jemals so himmelschreiendes Un­recht getan, wie der, der feig und lumpig an un­rechter Stelle bat, darum bat seinen Willen zu be­kommen, sich in der Ohnmacht der Bitte in jäm­merlicher Bettelei hinwarf um einen andern zu ver­nichten. Aber das gilt im Verhältnis zu Gott nicht; er ist in seiner Seligkeit frei vom verzeihlichsten und niedrigsten Mißbrauch der Gebete, Schreie und Trä­nen.

Aber wie ist dann der Zustand, von dem man sa­gen kann, der Streit des Gebetes finde statt, in wel­chem der Beter, der mit Gott im Gebet streitet, und also ein tiefes und innerliches Verhältnis der Hin­gabe an Gott bewahrt, während er betet, doch wie­derum von Gott so getrennt ist, daß sie streiten kön­nen? Betrachten wir ein Kind, so ist wohl jeder ge­neigt sein einfältiges und frommes Gebet zu preisen, denn das Kind ist arm im Geist, darum sieht es Gott und sein Gebet kommt nie in Streit mit ihm. Darin hegt des Kindes Glück, aber darin hegt auch die Doppeldeutigkeit für eine spätere Betrachtung des Kindes in seiner Gotthingegebenheit. Das Kind, falls es sonst in der Ermahnung des Herrn erzogen ist, bittet Gott um das Gute und dankt für das Gute; welches Gut und für welches Gut? Um das, was nach des Kindes Vorstellung gut ist. Wenn das Kind zu Weihnachten Spielzeug erhält, dann dankt es Gott, wie es dazu auch angehalten wird, und es müßte ein sonderbares Kind sein, das zu dieser Jah­reszeit nicht vollständig von Gottes Güte überzeugt wäre, falls die Verhältnisse der Eltern sonst ihre Stel­lung zu Gott und zum Kinde begünstigen. So mit all dem Guten, worum das Kind bittet und wofür es dankt. Anderseits führt das Schmerzliche, das Sorgenvolle, das Unangenehme [und eigentlich trennt der kindliche Sinn meist nur das Angenehme und das Unangenehme voneinander] es nicht zu Gott. Was Wunder, daß es dem Kind scheint, Gott sei die Güte selber! Das Unangenehme wird auf andere Weise erklärt, zumeist wohl durch die Vor­stellungböser Menschen oder eines schlimmen Mannes, der nur Verdruß bereitet. Sieht das Kind die Mutter betrübt, so fällt es dem Kind nie ein den Kummer auf Gott als Ursache zurückzuführen, oder daß der Kummer eine doppelte Bedeutung haben könne, derzufolge der Kummer von Gott kommen kann, um dadurch den Menschen zu Gott zu füh­ren. Das Kind hat dagegen sofort die bösen Men­schen im Auge. Stirbt dem Kinder der Vater, und sieht es der Mutter Schmerz, so hat es eigentlich keine Vorstellung davon, was der Tod sein kann; das hegt fern, wenn schon es durch den Ernst dar­auf aufmerksam wird, durch den Schatten der Sor­ge, der sich über die ganze Umgebung ausbreitet; aber das Kind erhält doch ein neues Kleid, worüber es ab und zu so vergnügt ist, daß selbst die Mut­ter, wenn wohl in Tränen, darüber lächeln muß, wodurch des Kindes Betrachtung über den Tod wieder verwirrt wird. Wenn nun die Mutter in ihrem Kummer doch nicht die Sorge um das Kind vergißt, und ihm erklärt der Vater sei bei Gott im Himmel, dann ist das Kind gleich mit Gott einig, und ist wie immer auch hier zum Segen; weil die Erklärung, die vielleicht zunächst nur als Erfindung der Mutterhebe für das Kind bestimmt war, nach und nach behutsam und heimlich auch die Mutter tröstet und der betrübten Witwe eine Erklärung wird. Das Kind überspringt die Schwierigkeit: den Tod. Der Vater war auf Erden, und das war über alles schön, denn seine Vaterhebe war ganz nach der Vorstellung des Kindes; nun ist der Vater im Himmel und hat es bei Gott so gut. Wie diese Ver­änderung vor sich ging, beschäftigt eigentlich das Kind nicht; jedenfalls wird es dem Kind kaum ein­fallen Gott den Tod zuzuschreiben. Wenn man so oft die Gottesfurcht des kindlichen Sinnes preist, sollte man darum immer etwas vorsichtig sein. Das Preisenswerte, was jeder sich wünschen möchte, bis zu seinem Todestag sich zu bewahren suchen sollte, ist die Innerlichkeit des Kindes; denn für das Kind ist Gott in Wahrheit lebendig und gegenwärtig, jedesmal wenn es an ihn denkt. Dagegen ist des Kin­des Vorstellung von Gott in einem anderen Sinne nicht eben sehr göttlich.

Die Schwierigkeit beginnt, sobald die entgegenge­setzten Gedanken zusammengedacht werden sollen, wenn etwa die betrübte Frau Verlust und Kummer auf Gott zurückführen, eine andere Erklärung aus­findig machen soll als die, welche die Mutter so­fort für das Kind bereit hatte. Die Schwierigkeit tritt erst in einem späteren Alter auf, wenn einer­seits die Vorstellung vom Erfreulichen, Wünschens­werten, von Gut und Böse klar entwickelt ist, an­derseits auch die Vorstellung davon, daß doch zu­letzt alles auf Gott zurückzuführen ist, wenn es ei­nen Gott und eine gottbezogene Betrachtung des Lebens geben soll. Kommt hier das Kindliche ungeklärt wieder auf, so reden wir vom Kindischen, und begnügen uns nicht mit der Innerlichkeit, weil man verlangt, daß sie im Verhältnis zu einer größe­ren Reife stehen soll. Denn wer wollte die Gottes­furcht des Älteren preisen, der keine ernstere Vor­stellung vom Leben hätte als daß er zwischen dem Angenehmen und Unangenehmen zu unterschei­den wüßte, und keine heiligere Vorstellung von Gott, als daß er gedankenlos wagte gleichsam Gott dasselbe Verständnis anzuhängen, indem sie da­durch eins wurden, daß Gott gab und er dankte? So ein Bedauernswerter käme wirklich nicht dazu im Gebet zu streiten, denn ginge alles nach Wunsch, so dankte er, und ginge es gegen seinen Wunsch, so gäbe er das Gebet auf, weil ihm die wahre Inner­lichkeit des Dankes ermangelte, daß es so zu ver­stehen sei, wie Gott es verstanden wissen wolle, daß alles auf ihn zurückgeführt werden soll. Indessen kann diese Innerlichkeit nicht sofort das Äußerliche durchdringen, das mit den Vorstellungen und Be­griffen des sinnlichen Menschen verbunden ist, wo­durch der Streit unmöglich wird; denn Gott kennenzulernen ist noch schwieriger als einen Men­schen zu keimen, und man kann nicht so leicht in einer Täuschung hingehalten werden, wenn man ihn dem Äußeren nach kennt, da Gott nur Geist ist. Gibt ein Mensch die Innerlichkeit jenes Gedankens auf, so kann er nicht mehr dahin kommen im Ge­bet zu streiten. Sein Streit wird ganz anders, den wir nicht eines so herrlichen Ausfalls rühmen dür­fen, sei es daß er sich dazu treiben läßt Gott zu trotzen, ja zum Äußersten des Trotzes Gott zu leugnen und ihn gleichsam so zu vernichten, sei es daß er kindisch genug Gott in Verlegenheit bringen will, daß Gott dann kommen soll es zu bereuen, wenn es zu spät und vorbei ist. Wie nämlich nie je­mand gelebt hat, der Gottes Dasein nicht anerkannt hätte, sondern wohl einige, die diesen Gedanken über sich nicht mächtig werden lassen wollten, so beweisen andere auf eine weniger direkte Weise, daß sie doch nicht Gottes entbehren können, wenn nicht anders so über die Vorstellung sich selbst da­durch wichtig und bedeutungsvoll werden zu kön­nen, daß Gottsienichtentbehren kann: wie ein ver­zogenes und unartiges Kind, das den Vater entbeh­ren will und doch nicht den Gedanken entbehren kann, der die eigene Eitelkeit nährt, daß dies dem Vater doch leid tun müsse.

Wie zahlreich sind nun nicht die Streitenden, wie verschieden der Streit, in dem der Beter mit Gott sich versucht [denn wer sich gegen Gott versucht, streitet nicht im Gebet], wie verschieden das Mit­tel des Gebetes, die besondere Beschaffenheit des Gebetes, durch das der Streitende Gott zu überwin­den sucht! Denn so ist ja der Streitende gesinnt, das ist seine Meinung, der Streit müsse fruchten, er müsse mit einem herrlichen Ausgang enden; und wollte einer zu seiner Beruhigung davon reden, Gott sei der Unveränderliche, Gott wohne nicht bloß fern im Himmel, sondern in seiner Unverän­derlichkeit noch ferner von jedem Menschen, so käme wohl der Streitende über eine solche Rede in Erregung. Denn wie es das Ärgste ist, was über ei­nen Menschen gesagt werden kann, daß er ein Un­mensch sei, so ist es die schwerste und abscheulich­ste Verspottung über Gott zu sagen, er sei un­menschlich, ob solches Reden nun so vornehm oder kühn sein soll. Nein, der Gott zu dem einer betet, ist menschlich, hat ein Herz menschlich zu fühlen, Ohren eines Menschen Klage zu hören; und wenn er auch nicht jeden Wunsch erfüllt, er wohnt uns doch nahe und läßt sich durch den Ruf des Strei­tenden bewegen, durch sein demütiges Begehren, durch sein Elend, wenn er verlassen und wie im Ge­fängnis sitzt, durch seine eilige Freude über die Er­füllung, wenn er in Hoffnung sie vorwegnimmt; ja dieser Gott läß sich rühren durch den Jammer des Streitenden, wenn er in Mißmut umkommt, durch seinen Ruf, wenn er im Wirbel des Wechsels ver­sinkt, durch die Danksagung, die er für alle Zeiten gelobt; er läßt sich rühren, wenn nicht früher so durch den letzten Seufzer, dann wenn es menschlich gesprochen schon zu spät scheint. So wird dann gestritten. Einer kämpft betend für seinen Teil der guten Dinge, die ausbleiben; einer für die Ehre, die winkt; einer für das Glück, das er der Gebebten schaffen will, ein anderer für das Glück, das ihm an der Seite der Gebebten blühen soll; einer kämpft betend wider die Rätsel der Vergangenheit, aus de­nen er flüchtet, ein anderer gegen die Schrecken der Zukunft, in die er hineinstarrt; einer mit dem Schau­dern, das abseits in der Einsamkeit wohnt, ein anderer mit der Gefahr vor aller Augen; einer für die Er­füllung des Wunsches, ein anderer gegen den er­füllten Wunsch, da er eine Übereilung war; einer strengt all seine Kraft an, wenn er dabei auch betet, ein anderer erwartet alles vom Gebet, wenn er da­bei auch arbeitet; einer grübelt über das Verhältnis des Erfolges zur Arbeit nach, ein anderer über das Mißverhältnis. Ach, selbst wenn Frieden, Gesundheit und Wohlstand im Lande sind, ach, selbst wenn die Sonne hell und warm lächelt, ist doch soviel Streit, ach, selbst wenn die Nacht schweigend und sternklar sich wölbt und das Feld ruht, ist doch so viel Streit! Aber worum geht denn der Streit ’Dar­um ob Gott die Güte ist? Keineswegs. Darum ob Gott die Liebe ist? Keineswegs. Nein, es gilt sich Gott verständlich zu machen, ihm recht klar zu machen, was dem Beter Gewinn bringt, es ihm recht ans Herz zu legen, ihn recht für den Wunsch zu gewinnen. Und der Streit ist Gott wohlgefällig; denn es geht darum recht froh in Gott zu werden, recht ihm danken zu können, seine Ehre recht be­zeugen zu können, recht versichert sein zu können, daß alle Väterlichkeit in den Himmeln wohnt, ihn recht heben zu können, wie die Menschen ja sagen, wenn sie das Höchste nennen, so sehr heben wie man Gott hebt. Und der Streitende ist gegen Gott aufrichtig, denn dies Zeugnis darfer sich geben, daß er nicht ein Kind ist, nicht seine Seele zerstreut, so daß er bald das eine bald das andere wollte, so daß er gedankenlos den Wunsch vergessen hätte, wenn die Erfüllung kommt, nein, es ist nur das eine: er darf sich selbst das Zeugnis geben, daß er all seinen Verstand anstrengt um weitschauend genug zu sein die fernste Andeutung einer Erfüllung zu erspähen, daß er all seine Gedanken anspannt um die unbe­deutendste Begebenheit zu beschwören, ob sic nicht doch etwas in sich bergen sollte, daß er jeden Wink mit Dankbarkeit willkommen heißt, und bittet bei ihm zu bleiben. Sein Gebet ist keine betrügerische List, ist ihm nicht der letzte Ausweg, denn er betet doch gern, er möchte es nicht aufgeben; ertappte er sich dann dabei, daß er lau würde und von Gott abfiele, dann würde er es schnell bereuen, und bald im Gebet wieder streiten.

So ist der Streit; ist es nicht so, mein Leser, oder war es nicht so? Von dem, der abfällt und das Ge­bet aufgibt, von ihm und seinem Streit reden wir nicht. Aber nun das Ergebnis! Doch wer ist es, der fragt? Ist es ein neugieriger Mann, der auch diese Erzählung hören wollte? wir haben für ihn keine Antwort. Ist es ein geprüfter Mann, so weiß er es ja selbst, besser als der Redende, und wir würdet uns ja gerne leiten lassen wollen. Aber laß doch den Streitenden fragen, denn wer streitet, steht doch der Frage nach dem Ergebnis am nächsten. Viel­leicht wünschte er sich am liebsten, eine Erfahrung zu haben, die dafür bürgte, daß es so gehe, als wenn gleichsam Gott das Gebet als Bezahlung for­dere, der Betende aber für diesen Preis dann schließ­lich erhalten würde was er wünschte. Ob diese Er­fahrung ihm helfen könnte, ob überhaupt die Er­fahrung einem geholfen hat außer dem, der sie selbst machte und also von ihr keine Hilfe hatte? Vielleicht wünschte er, daß die Rede von einer wun­derbaren Erfüllung des Wunsches sei, daß es ge­schähe wie einst in fernen Zeiten, da die Hochzeits­gäste den unerwarteten Überfluß des guten Weins erhielten, und der Blinde das Gesicht, und der Gichtbrüchige die Gesundheit, und der Tote das Le­ben, und die Mutter wieder ihr Kind, und jener unglückliche Flüchtling zwischen den Gräbern wie­der Los und Teil mit den Menschen. Ob er das für einen Gewinn halten würde, wie er es meinte, wenn doch hinzugefügt würde, daß es nicht mehr ge­schähe? Ja, glücklich, wem es geschah, selig, wer sich darüber freuen kann, über jene herrlichen Ta­ge, obwohl er doch weiß, daß sie vorbei sind! Aber nun der Erfolg des Streites, sagst du; und diese Fra­ge ist nicht gleichgültig hingeworfen, sie ist von Anfang an bange davor und begierlich danach die Erklärung zu hören; denn eine Erklärung ausstehen zu haben, ist doch immer ein Trost, und die Hoffnung darf sich von der Erklärung alles versprechen, solange man sie nicht gehört hat, darum ist man bange sie gehört zu haben; aber die Erklärung ist ja der Trost, darum begehrt man danach ihn zu hö­ren. Den Erfolg haben wir schon genannt: der Be­ter streitet im Gebet, wir haben ihn nun streiten se­hen; er siegt, das wird also der Erfolg; aber er siegt dadurch, daß Gott siegt, und dadurch wird er selber der rechte Beter. – Mein Leser, hast Du nie mit ei­nem Menschen gesprochen, der an Weisheit weit überlegen Dir doch wohlwollend war, ja mehr oder doch besser [und also mehr] um dein Wohl bekümmertet als du selber; hast du das nicht, nun so bedenke wohl, was dir oder mir begegnen könnte, wie ich es nun darstellen will. Sieh, am Anfang wa­ren wir ganz uneinig, was der Weise sagte kam mir wie eine sonderbare Rede vor; doch hatte ich das Vertrauen zu ihm, daß er seine Überlegenheit nicht mißbrauchen würde, sondern sich überzeugen lasse und selbst mir zur Beseitigung des Mißverständnisses behilflich wäre. So sprachen wir da mitein­ander und wechselten manches Wort im Streit der Rede. Der Weise muß die Übersicht vermutlich sich bewahrt haben, denn er blieb ruhig, während ich ohne recht zu merken wie und ohne mich dar­über zu schämen dabei fast heftig wurde, weil es mir so wichtig war, daß der Weise meine Ansicht teilen sollte, daß ich sie ohne die Einigkeit mit ihm nicht hätte festhalten dürfen – wohl aber ihn an­greifen um ihn zur Einigkeit zu bewegen. Und mußte mich dies nicht auch heftig machen, denn das war ja ein Selbstwiderspruch, auf tückische Ai durch meine Tüchtigkeit [als sei ich der Stärken den Weisen für meine Meinung gewinnen zu wollen, und dann erst recht wieder von der Richtigkeit der Meinung überzeugt zu sein im Vertrauen dar­auf, daß es die Meinung des Weisen sei, da er ja der Stärkere war; denn dies Vertrauen hatte ich doch beständig zu ihm, und die Einigkeit mit ihm war für mich das Entscheidende. Endlich, nachdem ich lange gleichsam unstet im Gespräch geschwankt, und öfter versucht und gelitten hatte, stand plötz­lich so deutlich vor mir, was ich sagen wollte, daß ich in aller Kürze und im Besitz einer unerklärli­chen Stärke meine Meinung kundtat, sicher darin, daß ich ihn überzeugen müsse. Und sieh, der Weise gab mir recht und gab mir seine Zustimmung. Aber da er doch wohlwollend gegen mich war, und glaubte, ich könne die Erklärung ertragen, da droh­te er mit dem Finger und sagte: was du mm meinst ist ja gerade das, was ich zu Anfang sagte, da du mich nicht verstehen konntest und wolltest. Wohl erwachte nun die Beschämung in meiner Seele, so daß ich mich über mein früheres Benehmen schämte, aber sie raubte mir doch nicht den Freimut mich über die verstandene Wahrheit zu freuen, wenn ich auch weit entfernt war, den Weisen überwunden zu haben, da ich nur selbst durch den Streit über­zeugt und gestärkt worden war. Wie erstaunlich! Aber es war doch ein Glück, daß ich nicht einen an­dern Weg einschlug, nicht hitzig wurde, den Streit nicht abbrach, nicht den Weisen beschimpfte, als sei er mein Feind, weil er mir nicht nachgeben woll­te, in hohen Tönen über seine Eigenhebe schrie, weil er mir nicht recht geben, sondern dagegen mich besser Heben wollte als ich selbst verstand. Und die Beschämung befreite mich davon, was ich viel­leicht sonst getan, wenn ich den Streit abgebrochen und später selbst das Wahre eingesehen hätte, daß ich weiter den Weisen als meinen Feind betrachte­te, ungeachtet dessen was er gerade gesagt hatte; daß ich sogar ihn hätte kränken wollen durch den trotzigen Hinweis, ich hätte die Wahrheit ohne ihn verstanden, und ihm zum Trotze, obgleich er mir grade helfen wollte, durch mich selbst das Wahre zu sehen, und obwohl er als einziger mich daran hatte hindern können, indem er Ja sagte und da­durch von meinen Kränkungen sich freigekauft und meine Dankbarkeit sich erkauft hätte.

So mit dem Streitenden, wenn er nicht die Inner­lichkeit aufgibt, welche die Bedingung dafür ist, daß man wirklich sagen könne er streite im Gebet. Sage nicht, mein Leser, das sei eine fromme Ein­bildung, berufe dich nicht auf die Erfahrung, es ge­he so im Leben nicht zu; denn das ist ja gleichgül­tig, wenn es doch so zugehen kann, und du nötigst mich nur, dir recht zu geben, zu sagen, es gehe im Leben wohl anders zu, weil es nämlich so zugeht, daß die Menschen lau und kalt und gleichgültig werden, so daß sie weder das erste noch das letzte spüren, und vergessen, so daß sie nicht mehr daran denken, wie es am Anfang war, wenn sie an den Schluß gekommen sind, und tückisch und launisch und frech sind, so daß sie Gott anklagen, daß er ihnen nicht helfe, und Gott trotzen, daß sie sich selber helfen könnten, wobei das erste eine ewige Lüge ist und das letzte, wenn überhaupt Wahrheit dar­in stecken soll, der Mensch allein von Gott gelernt haben kann. Wer aber die Innerlichkeit nicht auf­gibt, durch seinen Streit nicht aus dem Gottesver­hältnis sich hinausstreitet, sondern sich in Gott hin­einarbeitet, dem geht es so wie es erklärt wurde, indem die Gottinnigkeit des Gebetes zu einer Haupt­sache wird und nicht ein Mittel zur Erreichung ei­ner Absicht. Oder sollte es so wesentlich zum Ge­bet gehören, daß man uni etwas betet, so daß das Gebet desto innerlicher wird je mehr man zu erbit­ten habe, oder doch je weitschweifender man in Worten sei; sollte der nicht ein Beter, ja der rechte Beter sein, der sagte: Herr mein Gott, ich habe ei­gentlich gar nichts dich zu bitten; würdest du auch die Erfüllung aller Wünsche mir geloben, ich könnte doch eigentlich gar keinen anführen, nur daß ich bei dir bleiben darf, so nahe wie es in dieser Zeit der Trennung möglich ist, in der du lebst und ich, und ganz bei dir in alle Ewigkeit? Und soweit der Beter seinen Blick zum Himmel wendet, sollte der dann der Beter sein, oder der rechte Beter, dessen unruhige Augen beständig Trost für die einzelne Sorge, einige Erfüllung für den einzelnen Wunsch holten; und nicht eher der, dessen ruhige Augen nur Gott suchten? Dazu muß es auch kommen, wenn die Innerlichkeit nicht aufgegeben, sondern unverändert bewahrt und als ein heiliges Feuer im Menschen bewacht wird; denn der Wunsch, die ir­dische Begierde, der weltliche Kummer ist das Zeit­liche, stirbt gewöhnlich vor dem Menschen, auch wenn er das Ewi­ge nicht ergreift, wie sollte er da das Ewige aushalten können! Da verliert der Wunsch mehr und mehr an Glut, zuletzt ist seine Zeit vor­bei, da stirbt der Wurm der Begierde nach und nach, und die Begierde stirbt aus, da schlummert die Wachheit des Kummers nach und nach ein um nie wieder zu erwachen, aber die Zeit der Inner­lichkeit ist nie vorbei.

Wer hat nun gesiegt? Das hat Gott, dem der Beter durch seine Gebete die Erfüllung nicht abnötigen konnte. Aber der Beter hat ja auch gesiegt. Oder heißt das siegen, daß man recht bekommt, wenn man unrecht hat, daß man die Erfüllung eines irdi­schen Wunsches erhält als sei dies das höchste, ei­nen Beweis dafür, daß man zu Gott gebetet und recht gebetet habe, einen Beweis dafür daß Gott die Liebe war, und der Betende im Einverständnis mit ihm, daß der Beter vielmehr für sein ganzes Le­ben dem zu Dank verpflichtet war, den er durch sein Gebet und durch seinen Dank selber zu einem Abgott machte.

Welches ist nun der Sieg, worin unterscheidet sich der Zustand der Sieger von dem der Streiter? Wur­de Gott verändert? Eine bejahende Antwort scheint eine schwierige Rede, und doch ist es so, er wurde verändert; denn nun hat sich gerade gezeigt, daß Gott unveränderlich ist. Doch ist jene Unverän­derlichkeit nicht jene eisige Gleichgültigkeit, jene tödliche Erhabenheit, jene zweideutige Feme, die der verhärtete Verstand anpries, nein im Gegenteil, diese Unveränderlichkeit ist innerlich und warm und überall anwesend, ist eine Unveränderlichkeit in der Sorge um einen Menschen, und gerade dar­um läßt sie sich durch den Schrei des Beters nicht verändern, als sei nun alles vorbei, durch seine Feig­heit, wenn er es unbequem findet sich selbst helfen zu können, durch seine falsche Zerknirschung, die ihm doch bald leidtut, wenn die augenblickliche Angst vor der Gefahr vorüber ist. – Wurde der Be­ter verändert? Ja, das ist nicht schwer einzusehen; denn er ist der rechte Beter geworden, und der rechte Beter siegt immer, da dies ein und dasselbe ist. Auf unvollkommene Weise war er schon da­von überzeugt, denn während er genug Innerlich­keit hatte um zu beten, war er zugleich überzeugt, daß der Wunsch erfüllt würde, wenn er recht bäte; recht bäte im Verhältnis zum Wunsche, so ver­stand er es. Nun ist er verändert, aber es ist noch wahr, ja nun ist es wahr geworden, daß wenn er richtig betet, er dann siegt. Und schon zu Beginn war ihm, daß er bat, zum Gewinn, wie unvoll­kommen sein Gebet auch war; es half ihm nämlich seine Seele auf einen Wunsch hin zu sammeln. Leider wünscht ein Mensch im allgemeinen zu vie­le Dinge, läßt die Seele in jedem Windzug flat­tern. Aber der, der betet, weiß doch Unterschiede zu machen, er gibt nach und nach auf, was nach seinem irdischen Begriff das unbedeutendere ist, da er damit nicht recht zu Gott kommen darf, und da er nicht wagt Gottes Güte zu verspielen indem er immer um dies und jenes bettelt, sondern dage­gen dem Begehren ob seines einzigen Wunsches desto mehr Nachdruck verleiht. Da sammelt er sei­ne Seele Gott gegenüber auf einem Punkt seines Wunsches, und schon darin liegt für ihn eine Ver­edlung, die Vorbereitung zur Aufgabe aller Dinge, denn allein der kann alles aufgeben, der nur einen einzigen Wunsch hatte. So ist er vorbereitet im Streit mit Gott gestärkt zu werden und zu siegen, denn der rechte Beter streitet im Gebet und siegt dadurch, daß Gott siegt.

Auf der Walstatt geht es so zu, daß wenn die erste Reihe der Streitmacht gesiegt hat, die zwei­te Rei­he dann überhaupt nicht zur Schlacht geführt wird, sondern bloß am Triumph teilnimmt. In der Welt des Geistes ist es nicht so. Hat ein Mensch nicht al­les aufgeboten, den Sieg zu gewinnen, so bedeutet der Sieg wohl einen Sieg, zugleich aber, daß er bald in einen neuen Streit geführt werden soll um da­durch zu siegen daß er verliert. Wie viele sind nun nicht die Streitenden, wie verborgen und geheim oft der Streit in eines Menschen Innern, denn das Sichtbare verrät nichts. Der Beter begehrt nichts vom Äußeren, sein Wunsch trachtet nicht nach et­was Irdischem, sein Gedanke ist damit beschäftigt, nicht um das viele bekümmert, nein, er sitzt still bei seinem Verlust, aber doch nicht untätig, denn er grübelt, und doch nicht unwirksam, denn er sucht nach einer Erklärung. Der Streit ist also noch innerlicher geworden. Er ist nicht darauf bedacht Gott seinen Wunsch zu erklären, sich in seinem Ge­bet Gott verständlich zu machen, bei weitem nicht, er hat den Wunsch aufgegeben, er trägt das Entbeh- ren, er schließt mit dem Schmerz einen Vergleich, und doch ist er von der Erklärung weit entfernt; sein Streit im Gebet ist, daß Gott sich ihm erkläre. Und dies Zeugnis darf er sich selber geben, daß er nicht ein Kind ist, das eine Erklärung zu finden meint, nur wenn es andere darum fragt, oder ein junges Mädchen, das sich darin hineinträumen will, nein, er arbeitet. Wenn das Leben am Tage lärmt, arbei­tet sein Gedanke um den Lärm zu übertönen, in der Nacht, wenn alles still ist, arbeitet sein Gedanke, ja selbst im Augenblick der Ohnmacht, wenn sonst keiner arbeiten kann, arbeitet sein Gedanke doch, er arbeitet an festlichen Tagen ebenso wie an Ar­beitstagen, und der Festtag ist ja noch nicht gekom­men, daß er doch die Erklärung finden konnte. Denn was geschehen ist muß ja das Beste sein, die Sehnsucht und der Schmerz müssen ihm ganz an­ders dienlich sein als die Erfüllung eines oder aller Wünsche – dienlich, ja, das ist der Name der Brücke, die er vom Schmerz zur Seligkeit hinüberwer­fen will, ach, aber die Brücke wird ständig abge­brochen; dienlich, ja das ist der Name des Fähr­manns, dessen Freundschaft er sich erkaufen will, ach, aber er schweigt; dienlich, ja so lautet der Na­me der Dämmerung, in welcher er Gott begegnen will, ach, aber die Zusage bleibt aus; dienlich, ja so heißt die Einführung die er begehrt, daß er in das Verständnis eingeweiht werde, welches das Geheim­nis des Leidens mit Gott ist! Oder ist das die Erklä­rung, daß Gott ihm das Verständnis abschlägt und nur den Glauben fordert und also nur das Verständ­nis mit ihm will, das im Unbegreiflichen liegt; denn das ist der Glaube, laßt uns nicht Gott und die Men­schen und die Erprobten und Helden und die Spra­che und die Nachkommen und die Geängstigten und uns selbst dadurch verspotten daß wir ihn durch etwas anderes ersetzen wollen. Der Glaube liest das Verständnis nur wie in einer dunklen Rede, mensch­lich gesprochen eignet ihm nicht die Erklärung, son­dern nur in einem gewissen sinnlosen Sinn, so daß es menschlich gesprochen der schlechteste Handel ist, der jemals in der Welt geschah. Aber so soll es auch sein, und Gott im Himmel ist noch nicht in Verlegenheit gekommen, er verkauft nicht aus, was auch die Menschen tun; und er ist ja unveränder­lich, sagt der Verstand um den Geängstigten zu ver­spotten, der zu Gott schreit, aber sieh, sein Spott kommt über ihn selbst, denn wahrlich, er ist un­verändert, er ist kein Freund der Feigheit und Weich­lichkeit geworden, er ist nicht durch die Jahre schwächer geworden, daß er nicht mein und dein unterscheiden könnte, und alles ihm durcheinander liefe, noch ist er selbst der erste Erfinder der Sprache und einziger Inhaber des Segens, er ist unverändert, selbst wenn er die Wünsche der Zeit nicht zufrie­denstellen könnte! So ist es mit dem Glauben, er ist menschlich gesprochen der schlechteste und menschlich gesprochen der schwierigste Handel. Und wann kommt dann der Tröster? Christus antwortete den traurigen Jüngern, die er wie Kaufmannslehrlinge zu gutem Handel ausbildete: wenn ich von euch gegangen bin. Und was war er für sie? Er war alle was sie besaßen, für sie war er ihr einziger unschätz­barer Besitz, für sie war er das tägliche Brot der Freude, er war ihnen die Erwartung der Seligkeit. Und kein Reicher wurde durch den Verlust von al­lem so arm, und kein Liebender wurde durch den Verlust der Gebebten so arm, und kein Hoffender wurde so arm wie die Jünger arm wurden. Doch mußte Christus Weggehen, und »das ist euch zum Heil«. Sieh, das ist die Erklärung des Glaubens, ob die Jünger menschlich gesprochen ihn verstanden, oder verstehen konnten? Und dann kommt der Tröster. Wann? Ja, wenn das geschehen ist. Aber kommt er sofort; denn auch danach fragen wir, wenn wir fragen: wann? Oder war es so bald für die Jünger, war es so bald für Abraham, da der Trost 70 Jahre zu kommen brauchte? O, gesegnet sei der Mann, der dem Sorgenvollen zu singen weiß, der den zu unterstützen weiß, dessen Knie schlapp und dessen Gang schwankend geworden ist, den zu leiten, der durch Anstarren blind wurde, weil er nur hoff­nungsloses Elend um sich sah; aber fort mit all der losen Rede, die die Zeit des Sorgenvollen abkürzen will, aber durch Sorgen nicht selbst gelernt hat was es heißt, die Stunden zu zählen, all der losen Rede, die die Gestalt des Trostes hat, nicht aber seine Kraft, all dem Wortschwall, der Wortklang in den Oh­ren hat, aber im Munde des Speisenden widerliche Unwahrheit ist! Nein, der Tröster kommt nicht so­fort, und das einzige was ein Mensch sich selbst und andern sagen darf ist, daß er kommt, er kommt so wahr Gott lebt.

Dann kommt der Tröster mit der Erklärung, dann macht er alles neu, nimmt dem Sorgenvol­len die Trauerkleider ab und gibt ihm ein neues Herz und einen gewissen Geist. Inzwischen kann die Zeit ver­gehen. Sollte der Streiter, in der Meinung alles ver­loren zu haben, sich selbst getäuscht haben, sollte seine Seele in der einen oder andern Hinsicht ein weltliches Wohlbefinden mit Hilfe menschlicher Täuschung erfahren, so ist es noch Zeit. Da kann die Verkennung Zeit erhalten um den zu kränken, der alles verlor, da kann die Undankbarkeit Zeit und Mut bekommen auf sich selber zu pochen und dem zu trotzen, der von dem Schrei verleitet, als handele es sich um Lebensgefahr, sich in die Gefahr wagte und selbst da blieb wo der Schreiende sich eingebildet hatte zu sein; da kann der Spott Zeit er­halten zu verletzen indem er den menschlichen Be­weis von dem verlangt, der nur seine Leiden zum Beweis dafür hat daß Gott Liebe ist; da kann die Schande Gelegenheit erhalten die Gesellschaft des Schadens zu suchen. Wieviel neuer Schmerz kann nicht noch vorbehalten sein, wie heimlich und ver­borgen kann er nicht den treffen, der glaubte alles verloren zu haben. Aber sieh, das alles hilft zur Er­klärung!

So wird also um eine Erklärung gestritten, und das Gebet ist das Mittel, wodurch die Erklärung so wer­den soll wie er um sie bittet. Einer kämpft mit aller Macht dagegen daß die Erklärung ihn schuldig ma­chen sollte, nein, es sei alles Fügung, alles von Gott um den Liebenden zu prüfen, zu läutern, zu ver­suchen; einer kämpft dafür daß die Erklärung ihm seine Schuld erkläre, daß die Leidenschaft der Frei­heit sich nicht als Enttäuschung ausnehme, sondern daß die abgrundtiefe Scheidung der Schuld die Se­ligkeit der Versöhnung desto innerlicher mache. Einer begehrt, die Erklärung solle ihn mit dem Menschengeschlecht in Verbindung setzen, und die Erklärung solle in dem für alle geltenden Los lie­gen, das für das Ganze bedeutungsvoll ist; ein an­derer, daß die Erklärung ihn aus dem Verhältnis zu anderen löse um ihn zu einsamem Schmerz auszu­sehen, aber auch zu einsamer Auswahl. So wird da gestritten, der Streitende kämpft mit Gott im Ge­bet, oder er streitet mit sich selbst und ruft Gott im Gebet zu Hilfe gegen sich selbst. Wenn aber der Streitende doch nicht die Innerlichkeit aufgibt, und also zu beten aufhört, wenn er Gott sehr hebt, wenn er nach Gott demütig sich sehnt, wie man sich nach dem sehnt, ohne den man nichts ist, brennend wie nach dem, durch den man alles würde, wenn er redlich mit der gegen Gott bestehenden Schuld der Danksagung und Anbetung sich beschäftigt, die beständig wächst, weil er noch nicht recht danken kann, da er nicht recht verstehen kann, sich damit beschäftigt wie mit einem für bessere Zeiten anver­trauten Gut – dann, dann streitet er im Gebet. Und was inzwischen auch geschehen sollte, was doch so­gar den Engeln verborgen ist, und wenn auch die Stunde kommen soll, die niemand außer Gott weiß, und soll er auch mehr als einmal neues Öl für die Lampe der Erwartung kaufen, das bleibt doch gewiß, daß derjenige, der von Gott kauft, niemals dadurch betrogen wird, daß das Gekaufte hernach als nicht so wertvoll erschien. Selbst wenn ein Mensch, wenn wir so reden könnten, aus Zufall ei­ne Unwichtigkeit zu teuer kaufte, wenn er sie doch von Gott kaufte und der teure Kauf in Aufrichtig­keit vor Gott geschah und im Vertrauen zum Herrn, so hat er nicht zu teuer gekauft, er soll den Kauf nicht bereuen, denn was er kaufte war keine Unwichtigkeit, dafür bürgt die Bezahlung und Gott. Wenn etwas einem Menschen was die Gewitzten vielleicht sofort, die meisten am Tag danach eine Bedeutungslosigkeit nennen würden, so nahe geht daß er durch diesen Verlust alles verloren hätte, und in diesem Schmerz der Welt entsagte und was der Welt ist, so soll ihm, wenn auch er die Unwich­tigkeit einsieht, der Kauf nicht leidtun, wenn nur sein stummer Schmerz ihn in ein Verhältnis zu Gott brächte, denn schreien, sich selbst und andern für eine kurze Zeit wichtig werden, das heißt ja nicht von Gott kaufen, das ist ja nur eine unfruchtbare Äußerung des Wollüstigen und eitles Wesen des Sinnlichen. Nur wenn er in Wahrheit wirklich al­les aufgab, soll der Kauf ihm nicht leidtun; und das kann wahrhaftig sein, denn sonst könnte ja niemand alles aufgegeben haben außer dem, der nach dem Urteil weltlicher Schätzer alles verloren zu haben meinte, aber alles verlieren und alles aufgeben be­deutet nicht ein und dasselbe. Wer aber, selbst aus Anlaß einer Unwichtigkeit, Gottes Vertrauen und Freundschaft auskaufte, soll es wahrhaftig nicht bereuen, er wird dagegen in alle Ewigkeit Gott da­für danken, daß er ein solches Kind war, daß er ei­ne Unwichtigkeit sich so nahe gehen ließ, wie ein solches Kind, das schlechthin nicht begreifen konn­te, daß es eine Unbedeutendheit war.

Aber nun das Ergebnis! Mein Leser, denke Dir ein Kind, das mit seinem Griffel sitzt und zeichnet, wor­auf mm ein solches Kind kommen mag, was nicht ein solches Kind wild und unzusammenhängend hinwerfen kann; aber hinter dem Kind steht unsicht­bar ein Künstler, der seine Hand leitet, so daß die Zeichnung, die sich verwirren will, sich unter das Gesetz der Schönheit beugt, so daß die Linien, die sich verwirren wollen, innerhalb der Grenzen der Schönheit der Schönheit zurückgerufen werden – denke dir des Kindes Verwunderung! Oder denke dir, das Kind legt abends seine Zeichnung hin, aber während es schläft, vollendet eine wohlwollende Hand das Verwirrte und nur schlecht Begonnene, denk dir des Kindes Verwunderung, wenn es am Morgen seine Zeichnung wiedersieht! So mit ei­nem Menschen, denn wir wollen nie vergessen, daß selbst der Reifere doch immer etwas vom Unver­stand des Kindes in sich behält, besonders wenn das Gebet nicht als das Wesentliche sondern als ein Mit­tel zur Erklärung gelten soll. Der Jüngling hat es ei­lig zu bedenken, was er in der Welt werden, wel­chem der großen und ausgezeichneten Menschen er gleichen will. Der Ernstere hat das Kindliche ab­gelegt, er kümmert sich nicht so um das Äußere, er will nur sich selbst bilden. Dann sitzt er und zeich­net; oder ist der, wer mit Gott im Gebet um eine Erklärung streitet, nicht ein Zeichner, soll nicht die Erklärung die Grenzlinie zwischen ihm und Gott ziehen, so daß er dazu kommt gerade Gott gegen­über sich selbst zu gleichen? Ach, aber nun kommt der Unterschied, denn dem Kinde mußte so gehol­fen werden, daß etwas hinzugefügt wurde, wäh­rend dem Streitenden mehr und mehr genommen wird. Das Äußere und jede Forderung an das Le­ben wurde ihm genommen, nun streitet er um eine Erklärung, aber auch diese erkämpft er sich nicht. Schließlich erscheint es ihm, daß ihm gar nichts mehr verbleibt. Nun ist der Augenblick da. Wem sollte doch der Streitende zu gleichen wünschen au­ßer Gott; wenn er aber selbst etwas ist oder sein will, so ist dies Etwas genug die Gleichheit zu hindern. Nur wenn er selber zunichte wird, nur dann kann Gott ihn durchleuchten, so daß er Gott gleicht. Wieviel er auch ist, Gottes Gleichheit kann er nicht ausdrücken, Gott kann sich in ihm nur abdrücken, weiui er selber zunichte geworden ist. Wenn das Meer all seine Kraft anstrengt, kann es gerade nicht das Bild des Himmels wiedergeben, und schon bei der geringsten Bewegung gibt es dieses nicht rein wieder ; wenn es aber still und tief wird, so sinkt des Himmels Bild in sein Nichts.

Wer war es nun der siegte? Das war Gott, denn die Erklärung, die der Beter begehrte, gab er nicht, und gab sie nicht wie der Streitende sie begehrte. Aber der Streitende siegte auch. Oder war es nicht ein Sieg, daß er statt eine Erklärung von Gott zu erhal­ten in Gott verklärt wurde, so daß seine Verklä­rung darin besteht, Gottes Bild wiederzugeben.

Welches ist nun der Sieg, wodurch unterscheidet sich der Zustand des Siegers von dem des Streiters? Wurde Gott verändert? Eine bejahende Antwort scheint eine schwierige Rede, und doch ist es so, zumindest versteht der Beter ihn anders und fordert keine Erklärung. Ist der Beter verändert? Ja, denn er versteht sich selbst anders, und doch hört er nicht auf der Beter zu sein, denn er dankt beständig. Wer aber immer dankt, ist der rechte Beter, und wer immer dankt, muß auch beständig gesiegt haben, warum sollte er sonst danken! Und sollte dieser Dank je aufhören? Gewiß nicht, denn es ist immer Grund Gott zu danken, und jeder Mensch steht in Schuld vor ihm, in Schuld für ewig. Aber die Schuld die ein Mensch am Glückstisch auf sich nimmt, durch Würfelwurf, durch ein Kartenspiel, nennt man Ehrenschuld, ich kann mir denken: weil sie in sich sel­ber sinnlos ist, muß man ihr einen großen Namen geben und sie schnell erledigen. Die Schuld vor Gott ist nicht in diesem Sinne eine Ehrenschuld, da­gegen ist es aber eine Ehre vor Gott in Schuld zu stehen, es ist eine Ehre nicht dem Glück etwas zu schulden, sondern Gott alles zu schulden, nicht dem Schicksal etwas, sondern alles einer Vorsehung, nicht der Laune etwas, sondern alles der Vaterschaft. – So streitet der rechte Beter im Gebet, und siegt da­durch, daß Gott siegt.

Wir haben vom Streit gesprochen. Streit ist ge­wöhnlich nicht erfreulich; siegt der eine, so wird doch der andere vernichtet, ach, und manchmal ge­schieht es wohl, daß der Sieger und der Besiegte verloren haben. Aber dieser Streit ist wundersam, wohl wert sich darin zu versuchen, ewig preisens­wert, denn hier siegen die beiden seliger als wenn der Streit der Liebenden in vermehrter Liebe ver­klärt wird. Willst du sagen, mein Leser, diese Re­de sei nicht leicht [vielleicht wird der Versuchte sie arm und ohnmächtig finden in Vergleich mit seinem Leiden]: der Streit selber ist auch nicht leicht. Will einer sich selbst betrügen indem er dem stillen Ausgang des Streites vorgreift, seinem glücklichen Verständnis, dann ist es nicht die Schuld der Rede. Der Sieg besteht doch nur in einem gewissen ho­hen und edlen, darum uneigentlichen Sinn, aber der Schmerz ist eigentlich; wann des Sieges Stunde kommt, wissen wir nicht, aber das wissen wir, daß der Streit auf Leben und Tod geht.

Die Rede über das Gebet, »Den rette Bedende Strider i Bonnen og seirer – derved, at Gudseirer« ist die letzte von »Vier erbaulichen Reden«, die in einem 1844 veröffentlichten Büchlein erschienen und Kierkegaards 1838 verstorbenen Vater gewidmet sind.

Quelle: Sören Kierkegaard, Gebete, hrsg. v. Walter Rest, Köln-Olten: Jakob Hegner, 21957, S. 69-107.

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