Protestation der evangelischen Reichsstände auf dem Reichstag zu Speyer am 20. April 1529: „So protestieren und bezeugen wir hiermit offen vor Gott, unserem alleinigen Erschaffer, Erhalter, Erlöser und Seligmacher, der allein unser aller Herzen erforscht und erkennt, auch demnach recht richten wird, auch vor allen Menschen und Kreaturen, daß wir für uns, die Unsrigen und aller männiglich halben in alle Handlung und vermeinten Abschied nicht gehelen noch billigen, sondern aus vorgesetzten und anderen redlichen gegründeten Ursachen für nichtig und unbündig halten.“

Protestation der evangelischen Reichsstände auf dem Reichstag zu Speyer 1529

Nachdem 1529 auf dem Reichstag zu Speyer durch einen Mehrheitsbeschluss die Reformation in den evangelisch gewordenen Fürstentümern und Reichsstädte zurückgedrängt und insbesondere eine Gottesdienstreform untersagt werden sollte, legten am 20. April 1529 evangelische Fürsten und Städte dagegen mündlich wie auch schriftlich Protest ein. Unterschrieben wurde die Protestationsschrift von Johann, Kurfürst von Sachsen, Georg, Markgraf von Brandenburg, Ernst, Herzog von Braunschweig-Lüneburg, Philipp, Landgraf von Hessen, und Wolfgang, Fürst von Anhalt-Köthen. Hauptverfasser der Schrift war der kursächsische Rat und ehemalige Kanzler Gregor Brück. Die Eingabe dieser Protestationsschrift führte schließlich zur Religionsbezeichnung ›Protestanten‹:

Wir sind guter Zuversicht, Euer königliche Durchlaucht[1] [und] Liebden sowie Ihr, die anderen [Fürsten], werden uns (wie wir vorher höflich gebeten haben), darin freundlich, gnädig und gutwillig entschuldigt halten, wenn wir mit Euer königli­chen Durchlaucht [und] Liebden wie Euch, den anderen, wegen des obenerwähn­ten Artikels[2] nicht übereinstimmen, noch darin der Mehrheit, wie einige Male auf diesem Reichstag betont wurde, gehorchen wollen, in Anbetracht und Hinblick darauf, daß wir dies kraft des vorigen Speyrer Reichstagsabschieds[3] tun, der be­sonders in dem betreffenden Artikel klar zeigt, daß ein solcher Artikel durch ein­mütige Übereinkunft (und nicht bloß durch den größeren Teil) beschlossen wurde. Ein solcher einmütiger Beschluß von Ehrbarkeit, Billigkeit und Rechtmäßigkeit kann und soll daher auch nicht anders abgeändert werden als wiederum durch eine einhellige Zustimmung. Außerdem hat auch sonst jeder in Dingen, die Gottes Ehre, das Heil unserer Seele und die Seligkeit angehen, für sich selbst vor Gott zu stehen und Rechenschaft zu geben; hier kann sich also keiner mit [Berufung auf] Verhandlung oder Beschluß einer Minderheit oder Mehrheit entschuldigen […]

Da aber nun diese dritte Anzeige[4] unserer merklichen Beschwerde bei Euer könig­lichen Durchlaucht [und] Liebden sowie bei Euch, den anderen [Fürsten], keine Möglichkeit noch Annahme erfährt, protestieren und bezeugen wir hiermit öf­fentlich vor Gott, unserem einigen Erschaffer, Erhalter, Erlöser und Seligmacher (der – wie bereits erwähnt – allein unser aller Herzen erforscht und erkennt und auch danach gerecht richten wird), auch vor allen Menschen und Geschöpfen, daß wir für uns, die Unseren und für alle jeder Verhandlung und vermeintlichem [Reichstags-]Abschied, wie wir vorher gesagt, oder anderen Sachen, die gegen Gott, sein heiliges Wort, unser aller Seelenheil und gutes Gewissen, auch gegen den vorher zitierten Speyrer Reichstagsabschied vorgenommen, beschlossen und gemacht worden sind, nicht zustimmen noch einwilligen, sondern [sie] aus rechtlichen und anderen redlichen Gründen für nichtig und unverbindlich halten, [so] daß wir uns genötigt sehen, dagegen auch öffentlich [eine Schrift] ausgehen zu lassen und der römischen kaiserlichen Majestät, unserem allergnädigsten Herrn, in dieser Sache weiter gründlichen und wahrhaftigen Bericht zu erstatten, wie wir uns des­wegen gestern[5] nach gegebenem vermeintlichem Abschied alsbald durch unsere in Eile verfügte Protestation, die wir auch hiermit wiederholen, öffentlich verneh­men ließen und daneben erboten haben, daß wir uns nichtsdestoweniger – was auch das mittlerweile angekündigte, allgemeine und freie christliche Konzil oder Nationalversammlung mit Gottes Hilfe vermöge und der vielzitierte frühere Speyrische Reichstagsabschied beinhalte – gegen unsere Obrigkeiten wie auch bei und mit unseren Untertanen und Verwandten so verhalten, leben und regieren werden, wie wir es gegen den allmächtigen Gott und die römische kaiserliche Ma­jestät zu verantworten hoffen und wagen […]

DRTA.JR VII,2, S. 1277,18-33. S. 1286,14-1287,12; vgl. Julius Ney, Die Appellation und Protestation der evangelischen Stände auf dem Reichstag zu Speier 1529, QGP 5, Leipzig: Deichert, 1906.

Quelle: Heiko Oberman (Hrsg.), Kirchen- und Theologiegeschichte in Quellen, Bd. 3: Die Kirche im Zeitalter der Reformation, Neukirchen-Vluyn: Neukirchener Verlag, 31988, S. 156f.


[1] Gemeint ist der Bruder des Kaisers, König Ferdinand (seit 1526 König von Ungarn und Böhmen, seit 1530 ›römischer‹, d.h. deutscher König), der auf dem Reichstag die Stelle des abwesenden Kaisers einnahm.

[2] Nämlich die Forderung des Kaisers, die Bestimmung des früheren Reichstags von Speyer 1526 aufzuheben.

[3] Von 1526.

[4] Eine erste schriftliche Darlegung erfolgte am 12. April, die zweite Beschwerde am 19. April, die dritte nun am 20. April schriftlich an König Ferdinand, der sie jedoch zurücksandte.

[5] Am 19. April.

Hier der Text als pdf.

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