Heinrich Groß, Kommentar zu Hiob 1 und 2 (NEB): „Satan gibt sein Spiel so schnell nicht auf und verloren. Er setzt neu ein. Dabei benutzt er ein im Be­duinenhandel gebräuchliches Sprich­wort. »Haut um Haut« ist Ausdruck der talio und damit der ausgleichen­den Gerechtigkeit; es zeichnet auf derbe Weise den Menschen in sei­nem urtümlichen Selbsterhaltungs­trieb. Alles ist ihm feil für seine Haut; in seinem innersten Wesen verhält der Mensch sich demzufolge sehr egoistisch. Erst wenn es ihm an die Haut geht, zeigt er, was wirklich in ihm ist.“

Kommentar zu Ijob 1,1-2,13

Von Heinrich Groß

Das 42 Kapitel umfassende Ijob-Buch wird durch einen Bericht über die Titelgestalt, der in Prosa abgefaßt ist, eingerahmt 1-2 und 42,7-17. Er geht wohl auf eine alte, volkstümli­che Erzählung zurück und unter­richtet über die beispielhafte, gottge­fällige Lebensweise eines außerisrae­litischen vornehmen und reichen Mannes, namens Ijob. Diese weit über ihr Land hinaus bekannte Ge­stalt wird Ez 14,14-20 erwähnt, dort wird sie Noach und Daniel an die Seite gestellt. Sir 49,9 wird Ijob wegen seiner Gerechtigkeit, Jak 5,11 wegen seiner Gottergebenheit gerühmt. Die alte, in die Rahmenerzählung einge­flossene Überlieferung schildert ihn nach dem Vorbild der Patriarchen. Die Darstellung trägt nicht nur indi­viduelle Züge, sondern erhebt sich zudem bewußt und gewollt zum Ty­pisch-Allgemeinen, das jedoch nicht abstrakt, sondern konkret-lebendig beschrieben wird. So gewinnt die Gestalt des Ijob typische Konturen und überzeitliche, für alle Menschen gültige Bedeutung.

1,1-5 Der Name Ijob, vielleicht mit der Bedeutung: »Wo ist der Vater?« oder »der Angefeindete«, ist trotz des Anklangs an den Namen Jobab (Gen 10,29) sonst im AT unbekannt. Die Heimat Uz, Personenname in Gen 10,23, bezeichnet in Klgl 4,21 das Land der Edomiter. Name, Her­kunft und Darstellung weisen dem­nach Ijob als bekannten und wohl­habenden nichtisraelitischen Aramäer des Ostjordanlandes aus. Von grö­ßerem Interesse als die Angaben zu seiner Person ist nach 1 sein vierfach bestimmtes Verhältnis zu Gott, des­sen Komponenten weisheitliche Züge tragen, vgl. Ps 25,21; 37,37. Mit drei positiven und einem negativen Kenn­zeichen wird Ijob dem Abra­ham angeglichen (Gen 17,1; 22,12); vor allem entspricht er der ethischen Forderung des Dtn. Seine in Kap. 2-3 be­schriebene Familie, sein außerge­wöhnlich großer Besitz deuten auf seine überragende, ja fürstliche Stel­lung hin; sein Leben ist von göttli­cher Huld geradezu übersonnt. Wie königliche Prinzen besitzen seine Kinder, die je an ihrem Geburtstag ein festliches Gastmahl feiern, Häu­ser, ein Zeichen des Reichtums und des Segens durch Gott. Nach Been­digung der festlichen Tage entsündigt der Hausvater jedesmal – er ist der Priester wie in der Patriarchenzeit – seine Kinder. Das verrät bei Ijob eine psychologisch rechte Beob­achtung und Einschätzung menschli­chen Verhaltens und ist zudem Aus­druck tiefer Frömmigkeit.

6-12 Ein geschickter Kunstgriff des Verfassers verlegt nun den Schau­platz hinauf in die Welt Gottes. Die beiden Himmelsszenen (vgl. den Prolog zu Goethes Faust) sind nicht überflüssig oder spätere Zutat, son­dern gehören notwendig in den dicht und kunstvoll gestalteten Gesamtauf­bau: Himmel und Erde, Gott und Mensch stehen im dialogischen Aus­tausch; denn Gott ist und bleibt überall und jederzeit im Buch Ijob der Träger des Geschehens. Im Buch Ijob geht es nämlich nicht um das, was der Mensch tut oder leidet, son­dern zuletzt um Gott und sein Han­deln. Das mit den Himmelsszenen eingeleitete unerklärte Geschick des Ijob stößt die Gottesfrage an und stößt zu Gott vor; dies ist der Hauptinhalt des Buches. So werden gleich zu Beginn Theodizee und die Frage nach dem Menschen als die zentralen Themen in den Mittel­punkt des Interesses gerückt.

Wir stehen vor einer entwickelten Engellehre; nach 1 Kön 22,19 bilden sie die Heerscharen Gottes, nach 1,6 sind sie die Gottessöhne (vgl. Gen 6,1; Ps 29,1; 58,2). Der Satan begegnet Sach 3,1-3; Ps 109,6 als himmlischer An­kläger, 1 Chr 21,1 als Eigenname des bösen Engels. Als Dienstmann Got­tes wird er in Ijob dessen Gegenspie­ler, der Geist des Zweifels und des Zerstörerischen, der sich erkühnt, Gott in seiner Menschenführung in Frage zu stellen, nachdem er ihn auf den Gott treuen Ijob, den Knecht und Vertrauten Gottes hingewiesen hat. Der Satan wertet die hohe reli­giöse Einstellung des Ijob mit dem »Umsonst« auf die Ebene eines do-ut-des-Verhältnisses, eines rein vertrag­lichen Gebens und Nehmens ab, eine Gefahr jeder Religion zu jeder Zeit. Seine Argumentation lautet: Was wiegt die Frömmigkeit Ijobs, solange der Segen Gottes ihn umhegt und ihm sozusagen Treibhaussituation gewährt, solange sie nicht belastet wird? Erst der freie, belastete und sich dann doch für Gott entschei­dende Ijob zählt in Wirklichkeit.

Gott wagt es und geht auf das Ansin­nen des Satan ein: Denn Gottes Ehre und Ijobs Treue stehen gleicherweise auf dem Spiel. An Ijob wiederholt sich daraufhin die Situation der er­sten Menschen (Gen 3), die Erpro­bung und Belastung Abrahams (Gen 22). Gott ist dabei äußerst großzügig dem Verlangen des Satan gegenüber; er überläßt ihm die Kin­der, Hab und Gut des Ijob, alles, was ihn vor seinen Mitmenschen auszeichnet. Im Hintergrund steht die Hervorkehrung der Freiheit des Menschen: Gott erstrebt nicht skla­vische Unterwürfigkeit, sondern den Dienst des Menschen in voller Frei­heit, seine je neu frei gewählte Bin­dung und Verbindung mit Gott.

13-22 Das Bild wandelt sich, Satan handelt schnell. Meisterhaft wird ge­schildert, wie er, der verborgen bleibt und dessen Name nicht ge­nannt wird, zielstrebig die Zerstö­rung über Ijobs ganzes Glück herein­brechen läßt. Es ist der Geburtstag des ältesten Sohnes, der Freudentag für Ijob schlechthin. Die Kinder sind beisammen und feiern. Im erklärten Kontrast zu diesem Text folgt das Unglück Schlag auf Schlag: Die Un­glücksboten (Hiobsboten) wechseln sich mit ihrer Schreckensbotschaft Fuß auf Fuß ab. So wird die Kata­strophe äußerst verdichtet geschil­dert. Der Betroffene findet kaum zur Besinnung; er ist wie gelähmt und betäubt. Dabei bleiben die Botenbe­richte monoton gleichlautend; das verschärft ihre Wirkung nur noch. Es übersteht und überlebt immer nur einer, eben der Bote. Anders als in Kap. 2-3 sein Reichtum beschrieben wird, ereilt das Geschick den Betroffenen in umgekehrter Reihenfolge vom äu­ßersten bis zum innersten Besitz. Sa­bäer gelten sonst im AT als ein fried­liches Handelsvolk aus Südarabien (1 Kön 10,1-13). Gottesfeuer läßt wohl an einen überdimensionalen Blitz denken. Chaldäer sind eine ara­mäische Volksgruppe, die in Mesopotamien seßhaft geworden ist. Die Erinnerung an sie als raubende No­maden dürfte einen historischen Haftpunkt haben. Neben dem Blitz läßt als zweite Naturgewalt ein orkanar­tiger Sturm aus dem Osten das Haus über den Kindern Zusammenstürzen und bringt sie alle ums Leben. Ijob reagiert auf die immer härteren Un­glücksschläge mit den alten Trauer­bräuchen. Mit Vers 20 tritt dann eine ge­wisse Beruhigung nach den pausen­losen hektischen Schlägen ein; der Getroffene kommt aus der Betäu­bung wieder zu sich. Doch reagiert er nach dem herben Verlust seiner Kinder und seines gesamten Vermö­gens, zurückgeworfen auf das eigene nackte Leben, von Grund auf an­ders, als der Satan es erwartete. Selbst im Gefühl einer tiefen Ohn­macht bleibt er trotz der gegenteili­gen Erwartung Satans an Jahwe ge­bunden. Er bekennt sich als ganz von ihm abhängig und übereignet sich Gott sogar in solcher Notlage noch im Lobpreis. Allerdings ist die Erfahrung, die er hat machen müs­sen, daß Gott dem Gerechten nicht nur gibt, sondern auch nimmt, eine völlig andersartige Erfahrung, die gegen die Verheißungen der deuteronomistischen Ver­gel­tungsvorstellung (Lev 26; Dtn 28) steht, schmerzhaft und neu. Ein Um­bruch der bisherigen Vergeltungs­lehre deutet sich an. So endet Kap. 1 mit einem Sieg Ijobs, das heißt, Gottes. Satan hat fürs erste die Wette verlo­ren; doch er gibt nicht auf, er gibt sich nicht geschlagen; so kommt es zu einem zweiten Anschlag gegen Ijob, der weithin in die gleiche litera­rische Form gekleidet erscheint. Da­her ist es wichtig, auf Änderungen und Zusätze zu achten, die das In­teresse binden.

2,1-3 Nach der zweiten Himmelssze­ne reizt Satan Gott sogar, gegen Ijob vorzugehen. Gott bleibt – beinahe unverständlich – der Gott des Dia­logs auch für den Satan. Das »um­sonst«, »ohne Grund« im Munde Gottes am Ende von Vers 3 steht kontrapunktisch zum gleichen »ohne Grund« im Munde Satans 1,9; es um­spannt die gesamte Problematik des Buches und drückt sie prägnant aus.

4-6 Satan gibt sein Spiel so schnell nicht auf und verloren. Er setzt neu ein. Dabei benutzt er ein im Be­duinenhandel gebräuchliches Sprich­wort. »Haut um Haut« ist Ausdruck der talio und damit der ausgleichen­den Gerechtigkeit; es zeichnet auf derbe Weise den Menschen in sei­nem urtümlichen Selbsterhaltungs­trieb. Alles ist ihm feil für seine Haut; in seinem innersten Wesen verhält der Mensch sich demzufolge sehr egoistisch. Erst wenn es ihm an die Haut geht, zeigt er, was wirklich in ihm ist. Daher bittet Satan Gott um Macht über Ijobs Leib, nein Gott selbst soll ihn an seinem Leib schla­gen. Gott, unverständlich großzügig, gewährt auch das. Soweit traut er Ijob, dem Menschen, daß er ihn in seiner Freiheit und auf Kosten seiner Freiheit ganz weit, bis zum Äußer­sten preisgibt.

7 Jetzt wird Satan anders als in Kap. 1 ak­tiv; nun handelt er unmittelbar, nicht nur durch Helfershelfer. Wahr­scheinlich befällt den Ijob ein knol­lenartiger Aussatz (lepra tuberculosa). Die Septuaginta spricht von Elefantiasis. Es handelt sich um ein unheilbares, an­steckendes, ekelerregendes Siech­tum, das unweigerlich zum Tod führt.

8-9 Daher wird der Kranke auf die Müllstätte außerhalb der menschli­chen Siedlung gebracht. Um den Juckreiz zu lindern, bedient er sich einer Scherbe. Das Bild des ganzen Jammers auf dem Aschenhaufen will besagen: Ijob ist vergänglich und be­reits vergangen. Darauf tritt seine Frau auf den Plan, nach dem Targum ist es Dina, die Tochter Jakobs. Sie fällt in die Worte Satans ein und greift sie auf; denn für sie ist der Fall ihres Mannes hoffnungslos. Oder ist es Mitleid, das sie bewegt, damit Ijob durch Selbstverfluchung schneller stirbt und von seinem Leid erlöst wird?

10 Ijob widersteht auch dieser Versu­chung. Torheit und töricht sind im AT ethische, nicht aber psychische oder pathologische Qualifikationen. So muß seine Frau sich den Vorwurf der Sünde gefallen lassen. Ijob, ganz allein gelassen, wendet das Gespräch wieder auf Gott hin. Trotz der Summe des Unglücks stellt er Gott selbst nicht in Frage; er ändert auch nicht sein Verhalten zu Gott. Er bleibt ihm treu, er sündigt nicht. Fraglich wird ihm vielmehr das so veränderte Verhalten Gottes zu ihm, der sich Gott gegenüber nicht geän­dert hat. Die Skala der Anschläge Satans hat endlich das Letzte und Äußerste erreicht, ein Leben in un­glücklichster Form. Doch bis jetzt hat Satan Ijob nicht von Gott abwen­den können.

11-13 Der Bericht über den Besuch der drei Freunde vernäht den Prolog mit den Gesprächsgängen, dem Hauptteil der Schrift. Die Freunde wohnen an verschiedenen Orten, treffen aber zur gleichen Zeit bei Ijob ein. Sie werden namentlich vor­gestellt. Elifas und Teman werden als Personennamen in der Genealo­gie des Esau Gen 36,4.10.11-15 aufge­führt. Teman liegt im nördlichen Teil des Edomitergebietes. Bildad bedeutet wohl »Sohn des Adad«. Dessen Heimat Schuach begegnet Gen 25,2 als Name eines Sohnes Abrahams mit Ketura. Zu Zofar und seiner Heimat gibt es keinerlei Hin­weis im AT. Beim Anblick der Jam­mergestalt Ijob auf dem Aschenhau­fen bezeugen sie mit den bekannten alttestamentlichen Gesten ihre höchste Trauer. Daß sie Asche auch himmelwärts streuen, deutet an, daß sie sie symbolisch ge­gen den Gegner Ijobs werfen, um ihn zu verderben. Das Schweigen während der sieben Tage entspricht der Zeit der Totenklage: Ijob ist auch in ihren Augen lebendig tot. Die Freunde kommen, um zu trösten, doch das maßlose Elend ihres Freundes verschlägt ihnen die Spra­che. So entsteht eine eigentümliche vieldeutige Solidarität der Freunde mit Ijob im langen Schweigen.

Quelle: Heinrich Groß, Ijob, Die Neue Echter Bibel. Altes Testament. Band 22. Echter, Würzburg 1986, S. 13-18.

Hier der Text als pdf.

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