Von Heinrich Groß
Das 42 Kapitel umfassende Ijob-Buch wird durch einen Bericht über die Titelgestalt, der in Prosa abgefaßt ist, eingerahmt 1-2 und 42,7-17. Er geht wohl auf eine alte, volkstümliche Erzählung zurück und unterrichtet über die beispielhafte, gottgefällige Lebensweise eines außerisraelitischen vornehmen und reichen Mannes, namens Ijob. Diese weit über ihr Land hinaus bekannte Gestalt wird Ez 14,14-20 erwähnt, dort wird sie Noach und Daniel an die Seite gestellt. Sir 49,9 wird Ijob wegen seiner Gerechtigkeit, Jak 5,11 wegen seiner Gottergebenheit gerühmt. Die alte, in die Rahmenerzählung eingeflossene Überlieferung schildert ihn nach dem Vorbild der Patriarchen. Die Darstellung trägt nicht nur individuelle Züge, sondern erhebt sich zudem bewußt und gewollt zum Typisch-Allgemeinen, das jedoch nicht abstrakt, sondern konkret-lebendig beschrieben wird. So gewinnt die Gestalt des Ijob typische Konturen und überzeitliche, für alle Menschen gültige Bedeutung.
1,1-5 Der Name Ijob, vielleicht mit der Bedeutung: »Wo ist der Vater?« oder »der Angefeindete«, ist trotz des Anklangs an den Namen Jobab (Gen 10,29) sonst im AT unbekannt. Die Heimat Uz, Personenname in Gen 10,23, bezeichnet in Klgl 4,21 das Land der Edomiter. Name, Herkunft und Darstellung weisen demnach Ijob als bekannten und wohlhabenden nichtisraelitischen Aramäer des Ostjordanlandes aus. Von größerem Interesse als die Angaben zu seiner Person ist nach 1 sein vierfach bestimmtes Verhältnis zu Gott, dessen Komponenten weisheitliche Züge tragen, vgl. Ps 25,21; 37,37. Mit drei positiven und einem negativen Kennzeichen wird Ijob dem Abraham angeglichen (Gen 17,1; 22,12); vor allem entspricht er der ethischen Forderung des Dtn. Seine in Kap. 2-3 beschriebene Familie, sein außergewöhnlich großer Besitz deuten auf seine überragende, ja fürstliche Stellung hin; sein Leben ist von göttlicher Huld geradezu übersonnt. Wie königliche Prinzen besitzen seine Kinder, die je an ihrem Geburtstag ein festliches Gastmahl feiern, Häuser, ein Zeichen des Reichtums und des Segens durch Gott. Nach Beendigung der festlichen Tage entsündigt der Hausvater jedesmal – er ist der Priester wie in der Patriarchenzeit – seine Kinder. Das verrät bei Ijob eine psychologisch rechte Beobachtung und Einschätzung menschlichen Verhaltens und ist zudem Ausdruck tiefer Frömmigkeit.
6-12 Ein geschickter Kunstgriff des Verfassers verlegt nun den Schauplatz hinauf in die Welt Gottes. Die beiden Himmelsszenen (vgl. den Prolog zu Goethes Faust) sind nicht überflüssig oder spätere Zutat, sondern gehören notwendig in den dicht und kunstvoll gestalteten Gesamtaufbau: Himmel und Erde, Gott und Mensch stehen im dialogischen Austausch; denn Gott ist und bleibt überall und jederzeit im Buch Ijob der Träger des Geschehens. Im Buch Ijob geht es nämlich nicht um das, was der Mensch tut oder leidet, sondern zuletzt um Gott und sein Handeln. Das mit den Himmelsszenen eingeleitete unerklärte Geschick des Ijob stößt die Gottesfrage an und stößt zu Gott vor; dies ist der Hauptinhalt des Buches. So werden gleich zu Beginn Theodizee und die Frage nach dem Menschen als die zentralen Themen in den Mittelpunkt des Interesses gerückt.
Wir stehen vor einer entwickelten Engellehre; nach 1 Kön 22,19 bilden sie die Heerscharen Gottes, nach 1,6 sind sie die Gottessöhne (vgl. Gen 6,1; Ps 29,1; 58,2). Der Satan begegnet Sach 3,1-3; Ps 109,6 als himmlischer Ankläger, 1 Chr 21,1 als Eigenname des bösen Engels. Als Dienstmann Gottes wird er in Ijob dessen Gegenspieler, der Geist des Zweifels und des Zerstörerischen, der sich erkühnt, Gott in seiner Menschenführung in Frage zu stellen, nachdem er ihn auf den Gott treuen Ijob, den Knecht und Vertrauten Gottes hingewiesen hat. Der Satan wertet die hohe religiöse Einstellung des Ijob mit dem »Umsonst« auf die Ebene eines do-ut-des-Verhältnisses, eines rein vertraglichen Gebens und Nehmens ab, eine Gefahr jeder Religion zu jeder Zeit. Seine Argumentation lautet: Was wiegt die Frömmigkeit Ijobs, solange der Segen Gottes ihn umhegt und ihm sozusagen Treibhaussituation gewährt, solange sie nicht belastet wird? Erst der freie, belastete und sich dann doch für Gott entscheidende Ijob zählt in Wirklichkeit.
Gott wagt es und geht auf das Ansinnen des Satan ein: Denn Gottes Ehre und Ijobs Treue stehen gleicherweise auf dem Spiel. An Ijob wiederholt sich daraufhin die Situation der ersten Menschen (Gen 3), die Erprobung und Belastung Abrahams (Gen 22). Gott ist dabei äußerst großzügig dem Verlangen des Satan gegenüber; er überläßt ihm die Kinder, Hab und Gut des Ijob, alles, was ihn vor seinen Mitmenschen auszeichnet. Im Hintergrund steht die Hervorkehrung der Freiheit des Menschen: Gott erstrebt nicht sklavische Unterwürfigkeit, sondern den Dienst des Menschen in voller Freiheit, seine je neu frei gewählte Bindung und Verbindung mit Gott.
13-22 Das Bild wandelt sich, Satan handelt schnell. Meisterhaft wird geschildert, wie er, der verborgen bleibt und dessen Name nicht genannt wird, zielstrebig die Zerstörung über Ijobs ganzes Glück hereinbrechen läßt. Es ist der Geburtstag des ältesten Sohnes, der Freudentag für Ijob schlechthin. Die Kinder sind beisammen und feiern. Im erklärten Kontrast zu diesem Text folgt das Unglück Schlag auf Schlag: Die Unglücksboten (Hiobsboten) wechseln sich mit ihrer Schreckensbotschaft Fuß auf Fuß ab. So wird die Katastrophe äußerst verdichtet geschildert. Der Betroffene findet kaum zur Besinnung; er ist wie gelähmt und betäubt. Dabei bleiben die Botenberichte monoton gleichlautend; das verschärft ihre Wirkung nur noch. Es übersteht und überlebt immer nur einer, eben der Bote. Anders als in Kap. 2-3 sein Reichtum beschrieben wird, ereilt das Geschick den Betroffenen in umgekehrter Reihenfolge vom äußersten bis zum innersten Besitz. Sabäer gelten sonst im AT als ein friedliches Handelsvolk aus Südarabien (1 Kön 10,1-13). Gottesfeuer läßt wohl an einen überdimensionalen Blitz denken. Chaldäer sind eine aramäische Volksgruppe, die in Mesopotamien seßhaft geworden ist. Die Erinnerung an sie als raubende Nomaden dürfte einen historischen Haftpunkt haben. Neben dem Blitz läßt als zweite Naturgewalt ein orkanartiger Sturm aus dem Osten das Haus über den Kindern Zusammenstürzen und bringt sie alle ums Leben. Ijob reagiert auf die immer härteren Unglücksschläge mit den alten Trauerbräuchen. Mit Vers 20 tritt dann eine gewisse Beruhigung nach den pausenlosen hektischen Schlägen ein; der Getroffene kommt aus der Betäubung wieder zu sich. Doch reagiert er nach dem herben Verlust seiner Kinder und seines gesamten Vermögens, zurückgeworfen auf das eigene nackte Leben, von Grund auf anders, als der Satan es erwartete. Selbst im Gefühl einer tiefen Ohnmacht bleibt er trotz der gegenteiligen Erwartung Satans an Jahwe gebunden. Er bekennt sich als ganz von ihm abhängig und übereignet sich Gott sogar in solcher Notlage noch im Lobpreis. Allerdings ist die Erfahrung, die er hat machen müssen, daß Gott dem Gerechten nicht nur gibt, sondern auch nimmt, eine völlig andersartige Erfahrung, die gegen die Verheißungen der deuteronomistischen Vergeltungsvorstellung (Lev 26; Dtn 28) steht, schmerzhaft und neu. Ein Umbruch der bisherigen Vergeltungslehre deutet sich an. So endet Kap. 1 mit einem Sieg Ijobs, das heißt, Gottes. Satan hat fürs erste die Wette verloren; doch er gibt nicht auf, er gibt sich nicht geschlagen; so kommt es zu einem zweiten Anschlag gegen Ijob, der weithin in die gleiche literarische Form gekleidet erscheint. Daher ist es wichtig, auf Änderungen und Zusätze zu achten, die das Interesse binden.
2,1-3 Nach der zweiten Himmelsszene reizt Satan Gott sogar, gegen Ijob vorzugehen. Gott bleibt – beinahe unverständlich – der Gott des Dialogs auch für den Satan. Das »umsonst«, »ohne Grund« im Munde Gottes am Ende von Vers 3 steht kontrapunktisch zum gleichen »ohne Grund« im Munde Satans 1,9; es umspannt die gesamte Problematik des Buches und drückt sie prägnant aus.
4-6 Satan gibt sein Spiel so schnell nicht auf und verloren. Er setzt neu ein. Dabei benutzt er ein im Beduinenhandel gebräuchliches Sprichwort. »Haut um Haut« ist Ausdruck der talio und damit der ausgleichenden Gerechtigkeit; es zeichnet auf derbe Weise den Menschen in seinem urtümlichen Selbsterhaltungstrieb. Alles ist ihm feil für seine Haut; in seinem innersten Wesen verhält der Mensch sich demzufolge sehr egoistisch. Erst wenn es ihm an die Haut geht, zeigt er, was wirklich in ihm ist. Daher bittet Satan Gott um Macht über Ijobs Leib, nein Gott selbst soll ihn an seinem Leib schlagen. Gott, unverständlich großzügig, gewährt auch das. Soweit traut er Ijob, dem Menschen, daß er ihn in seiner Freiheit und auf Kosten seiner Freiheit ganz weit, bis zum Äußersten preisgibt.
7 Jetzt wird Satan anders als in Kap. 1 aktiv; nun handelt er unmittelbar, nicht nur durch Helfershelfer. Wahrscheinlich befällt den Ijob ein knollenartiger Aussatz (lepra tuberculosa). Die Septuaginta spricht von Elefantiasis. Es handelt sich um ein unheilbares, ansteckendes, ekelerregendes Siechtum, das unweigerlich zum Tod führt.
8-9 Daher wird der Kranke auf die Müllstätte außerhalb der menschlichen Siedlung gebracht. Um den Juckreiz zu lindern, bedient er sich einer Scherbe. Das Bild des ganzen Jammers auf dem Aschenhaufen will besagen: Ijob ist vergänglich und bereits vergangen. Darauf tritt seine Frau auf den Plan, nach dem Targum ist es Dina, die Tochter Jakobs. Sie fällt in die Worte Satans ein und greift sie auf; denn für sie ist der Fall ihres Mannes hoffnungslos. Oder ist es Mitleid, das sie bewegt, damit Ijob durch Selbstverfluchung schneller stirbt und von seinem Leid erlöst wird?
10 Ijob widersteht auch dieser Versuchung. Torheit und töricht sind im AT ethische, nicht aber psychische oder pathologische Qualifikationen. So muß seine Frau sich den Vorwurf der Sünde gefallen lassen. Ijob, ganz allein gelassen, wendet das Gespräch wieder auf Gott hin. Trotz der Summe des Unglücks stellt er Gott selbst nicht in Frage; er ändert auch nicht sein Verhalten zu Gott. Er bleibt ihm treu, er sündigt nicht. Fraglich wird ihm vielmehr das so veränderte Verhalten Gottes zu ihm, der sich Gott gegenüber nicht geändert hat. Die Skala der Anschläge Satans hat endlich das Letzte und Äußerste erreicht, ein Leben in unglücklichster Form. Doch bis jetzt hat Satan Ijob nicht von Gott abwenden können.
11-13 Der Bericht über den Besuch der drei Freunde vernäht den Prolog mit den Gesprächsgängen, dem Hauptteil der Schrift. Die Freunde wohnen an verschiedenen Orten, treffen aber zur gleichen Zeit bei Ijob ein. Sie werden namentlich vorgestellt. Elifas und Teman werden als Personennamen in der Genealogie des Esau Gen 36,4.10.11-15 aufgeführt. Teman liegt im nördlichen Teil des Edomitergebietes. Bildad bedeutet wohl »Sohn des Adad«. Dessen Heimat Schuach begegnet Gen 25,2 als Name eines Sohnes Abrahams mit Ketura. Zu Zofar und seiner Heimat gibt es keinerlei Hinweis im AT. Beim Anblick der Jammergestalt Ijob auf dem Aschenhaufen bezeugen sie mit den bekannten alttestamentlichen Gesten ihre höchste Trauer. Daß sie Asche auch himmelwärts streuen, deutet an, daß sie sie symbolisch gegen den Gegner Ijobs werfen, um ihn zu verderben. Das Schweigen während der sieben Tage entspricht der Zeit der Totenklage: Ijob ist auch in ihren Augen lebendig tot. Die Freunde kommen, um zu trösten, doch das maßlose Elend ihres Freundes verschlägt ihnen die Sprache. So entsteht eine eigentümliche vieldeutige Solidarität der Freunde mit Ijob im langen Schweigen.
Quelle: Heinrich Groß, Ijob, Die Neue Echter Bibel. Altes Testament. Band 22. Echter, Würzburg 1986, S. 13-18.