Von Artur Weiser
2,1-6 Die zweite Wette im Himmel. Durch die Bewährung Hiobs ist Gott gerechtfertigt. Der Satan hat seine Wette verloren; aber er gibt sich noch nicht geschlagen. Damm beginnt mit der zweiten Wette die Handlung im Himmel noch einmal am gleichen Punkt und fast mit demselben Wortlaut wie bei der ersten himmlischen Szene. Gleichzeitig dient dieser der volkstümlichen Erzählungsweise eigentümliche Rhythmus der Wiederholung dazu, die Spannung zu erhöhen, mit der der Leser auf die zu erwartende Steigerung der Erzählung vorbereitet wird. Erst mit der Krankheit des Hiob ist die Basis geschaffen, auf der sich hernach das Gespräch in der Dichtung entwickelt.
1-3 Nur mit geringfügigen stilistischen Abweichungen wird noch einmal das gleiche Bild bei der zweiten himmlischen Audienz Gottes entworfen, wie bei der ersten. In der entscheidenden Frage hat sich nichts geändert. Gott hat keinen Grund, sein vertrauensvolles Urteil über Hiobs Frömmigkeit (1,2) zu ändern; die standhafte Bewährung des Dulders veranlaßt ihn im Gegenteil, es zu unterstreichen und dem Satan, nicht ohne erhabene Ironie, vorzuhalten, er habe ihn „umsonst“ (= ohne Grund und Erfolg) aufgereizt, den Hiob ins Unglück zu stürzen. Indem sich Gott hier einen Augenblick auf die Ebene der menschlichen Denkweise herabbegibt, auf der der Satan argumentiert, gewinnt dieses „umsonst“ seine besondere Bedeutung; es klingt an jenes „umsonst“ im Munde des Satans an (1,9), der in seiner allzu menschlichen Logik nicht wahrhaben will, daß die Gottesfurcht des Hiob „ohne Grund“ sei, d. h. keinen anderen Grund habe als den unergründlichen Gott selber. Hier im Munde Gottes rührt dieses „umsonst“ an das Rätsel der Gottesfrage, um die Hiob wird ringen müssen, bis seine leidgequälte Seele stille wird vor dem unergründlichen Gott, der allein den Grund seines Handelns weiß und es sich vorbehalten hat, was er von diesem seinem Geheimnis offenbaren will (vgl. Kap. 38 ff.). Schon hier läßt sich die Weite der Dimension ahnen, in welche die Problematik des Hiobbuches hineingestellt ist. Neben dem Vorwurf gegen den Satan, der jedoch um des Fortgangs der Erzählung willen nicht weiter verfolgt wird, schimmert durch Jahwes Wort verstehende Güte und Mitleid mit Hiob durch, ein im Zusammenhang des Ganzen nicht unwesentlicher Zug, angesichts der Tatsache, daß gerade diese Seite des göttlichen Wesens durch das Leid dem menschlichen Auge verhüllt wird.
4 Der Satan jedoch gibt sein Spiel noch nicht verloren; er ist von der selbstlosen Frömmigkeit des Hiob keineswegs überzeugt. Derb entgegnet er mit einem Sprichwort, das dem Tauschhandel der Beduinen mit Tierhäuten (vgl. pecus – pecunia) zu entstammen scheint: „Haut für Haut!“. Die folgende Erläuterung „und alles, was der Mensch hat, gibt er für sein Leben“ zeigt, wie der Satan die „Bewährung“ der Frömmigkeit des Hiob beurteilt. Sie dünkt ihm trotz allem nach wie vor ein einträgliches Geschäft, solange Hiob noch nicht seine eigene Haut zu Markte getragen hat. Des Menschen Selbstsucht geht so weit in ihrer Rücksichtslosigkeit, daß er, wenn es nicht anders geht, bereit ist, alles zu opfern — selbst seine Nächsten —, um das eigene Leben zu retten. Diese grausam realistische Beurteilung des menschlichen Selbsterhaltungstriebs, die, wie die Erfahrung lehrt, leider nicht von der Hand zu weisen ist, dient dem Satan als Argument, um die Bewährung der Frömmigkeit des Hiob in Zweifel zu ziehen.
5 Erst wenn es dem Menschen ans eigene Leben geht und er an die Grenze seiner Existenz geführt wird und nichts mehr als Äquivalent seiner Frömmigkeit zu erwarten hat, wird sich erweisen, ob er nur solange zu Gott hält, als er in ihm den Geber der Gaben sieht, oder ob er ihn wirklich „umsonst“, um seiner selbst willen fürchtet und verehrt. 6 Gott geht darauf ein und übergibt den Hiob in des Satans Gewalt mit der Einschränkung sein Leben zu schonen. Dies geschieht mit Rücksicht auf die Fortsetzung der Dichtung; Gott hat sich das Leben des Hiob Vorbehalten, denn an sich wäre der Bewährung echter Frömmigkeit auch durch den Tod keine Grenze gesetzt, ja das Alte Testament kennt den Beweis der Glaubenstreue, die sich gerade im Tode bewährt (vgl. Ps. 73, wo der Beter dieser Möglichkeit ins Auge sieht, und Jes. 53, wo die Zeugenschaft für Gott durch den Tod des unschuldigen Gottesknechts besiegelt wird). An einem der Höhepunkte im inneren Kampf mit seinem Leiden hat Hiob selbst mit seinem Leben abgeschlossen und sich mit dem Gedanken an den Tod in einer Weise vertraut gemacht, daß dieser sein Verträum auf Gott nicht mehr zu erschüttern vermag (vgl. zu 17,17 ff.).
2,7-10 Hiobs Krankheit. 7 Der zweite Angriff des Satans ist noch enger mit der himmlischen Szene verknüpft wie das erste Mal; dort blieb er im Hintergrund; hier schlägt er mit eigener Hand wie ein Krankheitsdämon den Hiob mit „bösartigem Geschwür“. Es handelt sich dabei, wie fast allgemein angenommen wird, um den knolligen Aussatz (lepra tuberculosa), den die Griechen wegen der unförmigen Geschwulstbildungen und Verfärbungen der Haut Elephantiasis nennen. Dazu stimmt auch das Krankheitsbild, das sich aus anderen Stellen des Hiobbuches von dieser gefürchtetsten in qualvollem Tod nach langem unheilbarem Siechtum endenden Krankheit gewinnen läßt: Die Krankheit beginnt mit Geschwüren (vgl. 3. Mose 13,18 ff.)[1] die quälendes Jucken (2,8) und Rissigwerden der Haut verursachen; es bilden sich knollige Geschwülste, bald eiternd, bald verharschend, in denen Würmer sich festsetzen (7,5); die Haut wird schwarz und schwindet (30,30; 18,13), das Aussehen ist entstellt (2,12), unter heftigen Schmerzen und Fieberhitzen (30,30) verzehrt sich der Leib (19,20; 30,18), die Glieder drohen abzufallen (18,13; 30,17), die Augen tränen und verlieren ihre Sehkraft (16,16), qualvolle Unruhe, Atembeklemmungen, Schlaflosigkeit und Angstträume (7,4.13 ff.; 30,17), stinkender Atem (19,17) machen das jahrelange Siechtum zu einer nicht endenwollenden Pein. 8 Da die ekelerregende Krankheit als ansteckend galt, wurden die Kranken aus der menschlichen Gemeinschaft ausgestoßen und mußten ihr erbärmliches Dasein auf dem Schutthaufen (mazbala) fristen, der sich außerhalb des Dorfes erhob. Dort finden wir den Hiob in der Asche sitzend, eine aufgelesene Scherbe in der Hand, mit der er sich die juckende eiternde Haut schabt; dieser Hiob ist ein Bild des Jammers, und doch gerade in seinem Jammer der Zeuge zu Gottes Ehre. Ein Bild, das den tiefen Sinn des gesamten Hiobbuches — noch unentfaltet — in sich schließt.
9 Dies zeigt sich in der letzten und schwersten Versuchung, die an ihn in der s Gestalt seiner eigenen Frau herantritt. Sie wird erst hier zu diesem Zweck ohne Namensnennung in die Erzählung eingeführt (erst das Targum will wissen, daß sie Dina geheißen habe). Als Frau steht sie viel stärker unter dem unmittelbaren erschütternden Eindruck der Gefühle — ein lebenswahrer Zug der Erzählung, den die Septuaginta noch weiter psychologisch ausgemalt hat —, daß sie den Jammer nicht mehr mit ansehen kann. Ohne es zu wissen, wird sie, wie das Weib im Paradies, zum gefährlichsten Bundesgenossen des Satans (Augustin: diaboli adjutrix). Dies ist in der Erzählung dadurch angedeutet, daß sie mit dem gleichen Wort, mit dem Gott die Standhaftigkeit des Hiob festgestellt hatte (2,3), das Urteil Gottes erschüttert und „in Frage stellt“: „Hältst du noch fest an deiner Frömmigkeit?“ Es ist der Ausdruck völliger Hoffnungslosigkeit, wenn sie ihrem Manne, den sie von Gott und den Menschen, verlassen und verstoßen sieht, nur noch den Rat geben kann, in dem Mitleid und Verzweiflung miteinander ringen, Gott zu fluchen und dadurch vielleicht um so schneller den unvermeidlichen Tod herbeizuführen (oder sollte hier gar an Selbstmord gedacht sein?). Unbewußt, aber gerade deshalb um so verführerischer, betreibt sie des Satans Geschäft und zielt mit ihrem wohlgemeinten Rat genau dahin, worauf der Satan hinauswill (1,11; 2,5).
10 Aber auch dieser gefährlichen Versuchung zeigt sich Hiob gewachsen. Charaktervoll weist er den Vorschlag als unwürdiges, gedankenloses Gerede zurück, das zwar das Wort Gott in den Mund nimmt, aber mit ihm nicht Ernst macht und dadurch „sinnlos“ und „töricht“ wird. Scheinbar selbstverständlich stellt Hiob die Gegenfrage, die die verwirrte Perspektive wieder zurechtrückt und Gott, dem Geber aller Dinge die Ehre gibt: „Das Gute nehmen wir von Gott, und das Böse sollten wir nicht hinnehmen?“ Gott selbst steht ihm außer Frage und über allen Fragen; was in Frage steht, ist hier lediglich die Haltung des Menschen Gott gegenüber. Die Erzählung, die den Tatbestand der nach außen hin wahrnehmbaren Geschehnisse im Auge hat, geht darauf nicht näher ein und erweckt so den Anschein einer unwahrscheinlichen Gelassenheit des Hiob, die einer auffallend kühlen Rationalität frommer Gedanken entspringen könnte (Volz). Doch dieses Urteil, das vielleicht für die in ihrem ursprünglichen Wortlaut nicht mehr greifbare Volkserzählung von Hiob gelten könnte, läßt sich nicht aufrechterhalten. In der Zusammenfassung des jetzigen Erzählers „bei alledem (vgl. zu 1,22) sündigte Hiob nicht mit seinen Lippen“ deutet er ebenso wie durch die vorausgehende Form der Frage an, daß weit mehr zu sagen wäre, als was er hier in der bis an die Grenze des Möglichen komprimierten Darstellung zusammenfaßt, und leitet damit hinüber zu dem Hauptteil seines Werks, wo das seelische Geschehen ausführlich zu Worte kommt, in dem die Hiobgestalt erst ihre menschliche Wahrheit und Tiefe, und sein Inneres Leben und Farbe gewinnt.
2,11-13 Der Besuch der Freunde. Die folgende Szene, die, ebenso wie die anderen nur lose mit dem Vorausgehenden verknüpft, die Reihe der Bilder abschließt, bildet den Übergang von der Erzählung zur Dichtung. Sie ist die Vorbereitung auf den Dialog, der mit Kapitel 3 beginnt. Es ist kein Zweifel, daß der Satan die Wette verloren hat; aber darauf wird nicht mehr eingegangen; diese Figur wird stillschweigend fallengelassen. Der Blick wendet sich nicht mehr zurück; er ist nach vorwärts gerichtet von dem äußeren Geschehen weg zu den inneren Vorgängen, die es begleiten und nun im Gespräch ihren Ausdruck finden.
11 Auch hier, wo der Erzähler offenbar frei gestaltet (vgl. dazu die abweichende Tradition in 42,11), ist sein Stil karg, summarisch, auf das Notwendigste, Äußere beschränkt. Die namentliche Einführung der drei Freunde des Hiob ist dadurch bedingt, daß sie hernach als seine Gesprächspartner auftreten. Eliphas aus Teman ist nach 1. Mose 36,4.40.42, wo ein Sohn Esaus diesen Namen trägt, als Edomiter gedacht (vgl. den gleichbedeutenden Namen Phasael bei den idumäischen Herodianern); Teman ist der Name eines edomitischen Orts (oder Stammes? 1. Mose 36,11) südlich oder südöstlich des Toten Meers; auch die beiden anderen Freunde, deren Namen sonst nicht belegt sind (Schuach, die Heimat von Bildad, ist in 1. Mose 25,2 der Name eines Sohnes des Abraham und der Ketura), werden wir als dem Hiob ebenbürtigen Scheiche des „Ostlands“ (1,3; vgl. 1. Mose 25,6) in nicht allzuweiter Entfernung voneinander zu denken haben. Mit Absicht scheint der edomitisch-arabische Hintergrund auch in diesen Namen gewahrt zu sein, waren doch die Edomiter durch ihre „Weisheit“ bekannt (Jer. 49,7; Ob. 8 f.), und gerade die Freunde gelten im Hiobbuch als die Vertreter der „Weisheit“ und ihrer eigenartigen Rationalität in den Fragen der Religion. Daß die drei Freunde, die sich zu einem Beileidsbesuch verabredet haben, um Hiob zu trösten, später im Laufe des Gesprächs zu Hiobs Gegnern werden, zeigt die innere fortschreitende Dramatik des Dialogs.
12 Schon von ferne ist Hiob auf dem hochragenden Schutthaufen zu sehen; aber er ist durch seine Krankheit so entstellt, daß ihn seine Freunde nicht wiedererkennen. Entsetzt über den erschütternden Anblick brechen sie in lautes Weinen aus, zerreißen ihr Obergewand und streuen sich Asche aufs Haupt, ein Zeichen ihrer Trauer (vgl. 1,20; Jos. 7,6; 2. Sam. 13,19; Ez. 27,30; Klgl. 2,10). Vielleicht darf man in der Geste, daß die Asche himmelwärts geworfen wird, einen ursprünglich apotropäischen Sinn vermuten, um die drohende Gefahr des vom Himmel herabkommenden Unglücks von sich abzuwenden. 13 Sie setzen sich zu Hiob auf die Erde sieben Tage lang, solange man um einen Toten trauert (1. Mose 50,10; 1. Sam. 31,13; Sir. 22,13). Das Wort des Mitleids erstirbt auf ihren Lippen, fassungslos und hilflos verharren sie schweigend angesichts der übergroßen Pein, die sie mit ansehen müssen; eine eindrückliche Szene in ihrer wortlosen Beredtsamkeit mit einer unheimlichen inneren Spannung geladen, die jeden Augenblick zur Explosion führen kann! Für Hiob eine neue, bis zur Unerträglichkeit gesteigerte Belastung! So steuert alles, Stilform, Stimmung und Inhalt der letzten Szene der Erzählung hin zu dem Punkt, wo mit elementarer Wucht die Spannung sich Luft macht im Aufschrei der Verzweiflung und den Blick freigibt in den Seelenkampf, der mit der Klage Hiobs anhebt.
Quelle: Artur Weiser, Das Buch Hiob übersetzt und erklärt, ATD 13, Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht, 1951, S. 32-36
[1] Daß der Verfasser keine „historische“ Entwicklung der Erzählung, sondern eine summarische Zusammenfassung der äußeren Tatsachen gibt, erkennt man daran, daß er gleich die Ausdehnung des Aussatzes „von Kopf bis zu Fuß“ erwähnt; s. u. zu V. 11.