Arnold Schaberts Predigt über 1. Korinther 13,1-13: „Das Leben in der Liebe, das ist, seitdem das Kreuz Jesu steht, eine uns erschlossene Möglichkeit, eine uns angebotene Wirklichkeit. Und wenn wir doch an der Liebe scheiterten? Wenn es als letztes Wort über uns hieße: ohne Liebe!? Dann wären wir nicht daran gescheitert, dass wir lieben wollten und es nicht konnten, sondern daran, dass wir uns nicht lieben ließen, um lieben zu können. Aber Gott liebt!“

Predigt über 1. Korinther 13,1-13

Von Arnold Schabert

Wir haben eben ein Kapitel der Heiligen Schrift gehört, das wohl vielen von uns besonders lieb ist und von dessen Schönheit wir immer aufs neue gepackt werden. Trotzdem oder vielleicht auch gerade darum werden wir aber auch schon empfunden haben, daß sich seinem Verständnis manche Schwierigkeit entgegenstellt. In welchem Sinn wird denn überhaupt hier in diesem Hohenlied der Liebe von der Liebe geredet?

Man kann das Kapitel so lesen oder hören, daß man von vornherein darüber das Wort »unerreichbar« geschrieben sieht. Was hier von der Liebe gesagt wird, ist alles wahr, aber es kann nicht ernstlich gemeint sein, daß es tatsächlich eine Wirklichkeit auch unseres Lebens sein oder werden könnte. Wir hören diese Worte und schließen uns von vornherein selber aus ihnen aus. Man kann sich ja auch an dem freuen, was einem selber nicht gehört und nie gehören kann. Man kann seine Freude daran haben, durch die schönen Räume eines Schlosses zu gehen, auch wenn man selber immer wieder in seine Elendshütte zurück muß. So kann auch das liebeleere Menschenherz am »Hohelied der Liebe« seine Freude haben. Man hat daran ein Wohlgefallen, wie an Bildern aus einer verlorenen Heimat. Sie bereiten uns eine Erquickung und lassen uns für einen Augenblick die Misere der Fremde vergessen. –

Aber das Hohelied der Liebe dürfte nicht in der Heiligen Schrift stehen, wenn es so verstanden werden wollte. Gottes Wort meint niemals, daß wir uns mit etwas abfinden dürften oder gar sollten. Die Liebe, von der hier die Rede ist, will eben gerade nicht, daß wir in den Elendshütten unserer Lieblosigkeit sitzen bleiben, sondern sie fordert uns, sie ruft uns heraus. Sie zeigt uns eben nicht nur, was wir verloren haben, sondern sagt uns, daß wir verloren sind, wenn wir unseren Weg weiter ohne sie gehen.

Also – so folgern wir – also kann nur das der Sinn dieser Verse sein, daß wir lieben sollen! Lieben und Sollen, Lieben und Müssen!? Kann es etwas Unbarmherzigeres geben, als einem Menschen das zu sagen? Wir können uns doch zu allem anderen eher zwingen, als zu diesem einen – Liebe zu haben. Das ist ja die heimlich blutende Wunde unseres Herzens: wir wollten es ja so gerne, aber wir können es nicht. – Nun, als ob Gott das nicht auch wüßte. Als ob er so unbarmherzig wäre, uns auf ein Soll zu verpflichten, das wir doch nie erfüllen können! Ach, Gott hätte das Recht, auch das zu tun, und wir gefallenen Menschen dürften auch dann nicht sagen, daß Gott unbarm­herzig sei. Aber er tut es nicht! Die Liebe, um die es hier geht, ist kein Stern, den wir vom Himmel herunterholen müßten und es doch nicht können, so gewiß auf der anderen Seite unser Leben, unser wirkliches Leben gemeint ist und uns hier nicht etwas vorgeführt wird, das doch niemals unser eigen werden könnte oder brauchte. Wie ist. das zu verstehen? In welchem Sinne redet denn das Hohelied von der Liebe?

Unsere Väter haben dieses Kapitel auf den Sonntag gesetzt, an dem die Christenheit wie durch ein Tor in die Passionszeit hindurch­schreitet. »Sehet, wir gehen hinauf gen Jerusalem und es wird alles vollendet werden, was geschrieben ist durch die Prophezeiung von des Menschen Sohn« – so hörten wir es heute von dem Altar. Nun macht sich seine Liebe auf den Weg, ihre Großtat durch das Opfer ihrer selbst zu vollbringen. Und nur denen, die sich unter das Kreuz Jesu stellen lassen, öffnet sich der Zugang zu diesem Kapitel. Wir verstehen nichts von dem, was von der Liebe gesagt ist, wenn wir nicht verstanden haben, daß wir die Geliebten sind. Wir haben diese Liebe nicht – das ist richtig! -, aber sie, die Liebe hat uns. Wir können sie uns nicht geben – auch das ist richtig. Aber es geht nun nicht mehr darum, daß wir nach etwas streben, sondern nur noch darum, daß wir nicht länger widerstreben. Alle Richtungspfeile dieses Kapitels zeigen nicht auf unser liebeleeres Herz, sondern auf Gottes Herz voller Liebe zu uns. Über diesem Kapitel steht weder ein »unerreichbar« noch ein »du sollst«, sondern ragt das Kreuz Jesu Christi. Wie er geliebt hat die Seinen, die in der Welt waren, so liebte er sie bis ans Ende. Und nun dürfen auch wir Liebe haben, weil seine Liebe uns hat. Eine ganz neue Möglichkeit tut sich vor uns auf:

Ein Leben in der Liebe. Und nun laßt uns lauschen, was uns hier über das Leben in der Liebe gesagt wird.

I

Ohne Liebe ist das Größte klein und nichtig – das ist das erste, was wir uns sagen lassen wollen. Wenn man die ersten Sätze unseres Schriftwortes laut vor sich hin liest, könnte man sich an das Meer versetzt fühlen, wie man da manches Mal am Ufer stand und der Brandung zusah. Da sieht man sie kommen und hört sie herandonnern. die Wellen, eine gewaltiger als die andere. »Wenn ich mit Menschen- und Engelszungen redete …« »Wenn ich weissagen könnte und wüßte alle Geheimnisse und alle Erkenntnis und hätte allen Glauben, also daß ich Berge versetzte …« »Wenn ich alle meine Habe den Armen gäbe und ließe meinen Leib brennen …« Hört ihr die Wellen, wie sie eine nach der anderen herankommen. Und dann zerschellen sie, so wie sie gekommen sind, alle an der gleichen Stelle der Brandung: »Und hätte der Liebe nicht.« Und was bleibt noch? Schaum … Blasen, die aufplatzen und im Nichts zergehen. »So wäre ich ein tönend Erz und eine klingende Schelle …« »so wäre ich nichts« – »so wäre es mir nichts nütze.«

Macht der Rede und des Wortes, Tiefe der Einsicht und der Erkenntnis, Glaubenskraft, die einem geschenkt war und einen durchtrug, als die Berge über einem zusammenzustürzen drohten, Leistung, Arbeit, Opfer – was hat das alles schon ausgerichtet? Wo ist es geblieben? Was hat es denn für Frucht gebracht? Kennt ihr die innere Leere, die in jenen seltenen Stunden über einen zu kommen droht, da man innehält und zurückschaut? Es mögen schon manche von uns mit Menschen- und mit Engelszungen geredet haben. Vielleicht gar vom Heiligsten. Aber wer hat’s denn abgenommen? Lag es an den anderen? Oder vielleicht daran, daß keine Liebe dabei war. – Einsicht, Erkenntnis, Glaubenskraft – wir haben darum gerungen und gebetet. Und Gott hat es gegeben. Vielleicht wissen wir tatsächlich mehr als andere, sind tiefer eingedrungen in die Geheimnisse des Lebens und unserer heutigen Welt. Aber sind wir denn dessen froh geworden und darüber reicher geworden? Liegt es am Ende daran, daß wir alles immer nur für uns wollten und nicht liebten, weder Gott, noch die Menschen!? Gott gibt geistliche Gaben, echte geistliche Gaben, wenn man die Hände danach ausstreckt. Aber man wird um so schuldiger, wenn man sie ohne Liebe hat. – Und was wird nicht in unserer Mitte gearbeitet, verzichtet, geopfert! Wahrlich nicht nur in der Welt draußen, sondern hier in der Kirche, in unseren Gemeinden. Wir brauchen den Vergleich mit dem, was draußen geschieht, nicht zu scheuen. Aber nun fragt Gott seine Gemeinde nicht nur nach der Leistung. Nach der fragt er auch. Aber Leistung baut noch nicht, baut jedenfalls noch nicht die Gemeinde. Gott hat noch eine andere Frage an uns: er fragt uns, wieviel Liebe hinter aller Arbeit, allem Opfer und Verzicht steht. »Und wenn ich alle meine Habe den Armen gäbe und ließe meinen Leib brennen … und hätte der Liebe nicht, so wäre es mir nichts nütze!«

Ohne Liebe wird das Größte klein und nichtig. Wir wissen wohl alle, was damit gemeint ist. Aber, was sollen wir tun? Nur eines! Ganz still unter das Kreuz Jesu treten. Er wartet ja noch auf uns. Darum und aus keinem anderen Grunde schenkt er uns noch einmal diese nun wieder anbrechende Passionszeit, ruft er uns unter das Wort vom Kreuz … Gott meint, daß noch das Wunder geschehen könnte und wir noch lieben könnten. Und dann soll alles Große, das uns geschenkt ist, wirklich erst groß werden. Jetzt ist es vielleicht noch wie eine kunstvoll angelegte Leitung: Macht des Wortes, Erkenntnis, Glaubens­kraft, Opferwilligkeit. Was hat das alles in unserem Leben für eine Verheißung, wenn da erst einmal der Strom der Liebe hindurchfährt! Wenn wir mit allem, was Gott uns an Gaben und Kräften verliehen hat, lieben könnten! Und gerade das ist gemeint! Gerade um deswillen ist uns unser heutiges Wort gegeben. Du bist geliebt. Laß dir das sagen und auch du wirst noch lieben.

II

Ohne Liebe ist das Größte klein und nichtig. Zum anderen aber gilt: Durch die Liebe wird das Kleine groß und wichtig.

Nun spricht der Apostel vom Wesen der Liebe, er stellt sie uns gleichsam vor. Und sofort tritt eine Änderung der Redeweise ein, bis hinein in den Rhythmus der Sätze. Es ist nichts mehr da vom Wogen­den, Stürmenden, Gewaltigen, das da aufkommt und wieder zerschellt. Jetzt wird in lauter kurzen, schlichten Sätzen gesprochen, von denen sich einer an den anderen reiht in schier nicht abreißender Kette. »Die Liebe ist langmütig und freundlich, die Liebe eifert nicht – sie sucht nicht das ihre, sie läßt sich nicht erbittern, sie rechnet das Böse nicht zu – sie verträgt alles, sie glaubt alles, sie hofft alles, sie duldet alles.« Welch ein Zug des Stetigen, Anhaltenden, Unbeirrbaren, aber auch des Bescheidenen, ja Unscheinbaren geht durch diese Worte. Da ist nichts von Größe – in dem Sinne, was wir Menschen darunter zu verstehen pflegen -, nichts von Pathos. Aber kann denn von der Liebe überhaupt anders gesprochen werden, als es hier geschieht? Das allein entspricht doch ihrem Wesen. Sie sucht das Kleine, will selber klein sein und ist gerade darin so groß!

Die Liebe ist langmütig. Sie hat einen langen Atem. Sie kann warten, immer noch warten und liebt immer noch. Sie ist freundlich, gütig. Es ist immer gutes, nahrhaftes Brot, das sie in den Händen hat. Die Liebe eifert nicht. Sie will nicht für sich besitzen, sondern sie will sich selber ausgeben. Sie treibt nicht Mutwillen. Sie kennt die Überschwenglichkeit und die Pose nicht. Wozu auch? Sie braucht es nicht. Sie verträgt es nicht, daß sie selbst oder andere sie bewundern. Sie ist nicht ungebärdig, das heißt sie hält auf Anstand und gute Sitte. Wo Liebe ist, da ist auch Zucht, Zucht der Gedanken und der Worte, aber auch Zucht in äußeren Dingen, zum Beispiel in Kleidung und Umgangsformen. Denn es liegt der Liebe daran, daß die Würde des Menschen, des Ebenbildes Gottes im Menschen, nicht verletzt werde. Sie sucht nicht das ihre. Für sich selbst will sie nichts. Wenn nur für Gott und den Bruder etwas abfällt. Sie läßt sich nicht erbittern. Sie läßt sich nicht kleinkriegen durch Entäuschungen. Sie konstatiert nicht: Undank ist der Welt Lohn und zieht sich dann gekränkt zurück. Denn sie braucht keinen Lohn. Ihr Lohn ist, daß sie lieben darf. Sie rechnet das Böse nicht zu. Sie behält es nicht im Gedächtnis, um es zu gegebener Zeit wieder hervorzuholen. Denn sie weiß, daß sie nicht beides festhalten kann, das Böse und den Bruder. Darum hält sie den Bruder fest und läßt sein Böses fahren. Sie kennt die Freude. Aber es ist nicht die böse, die vergiftende Freude am Unrecht, an den Schwä­chen, am Versagen des anderen, die wir brauchen, um das eigene Licht vom dunklen Hintergründe aus besser leuchten zu lassen. Sie freut sich nicht der Ungerechtigkeit, sondern der Wahrheit. Wo die Wahrheit hervorbricht, freut sich die Liebe, auch wenn sie selbst in den Schatten tritt. Die Liebe verträgt alles, hofft alles, duldet alles. Sie schließt nicht, um sich selbst zu schonen, die Augen vor der Wirklichkeit der Welt und der Menschen. Sie ist eine Realistin, weil sie es sehen und tragen kann, ohne daran zu zerbrechen. Sie glaubt immer noch auch an den Menschen, weil sie an die Macht der Gnade über den Menschen glaubt und sie hofft immer noch auch für den Menschen, weil sie von Gott für den Menschen alles erwartet. Das gibt ihr die Tragkraft im Umgang mit den Menschen, die gleich weit ist von Illusion und Verzagen.

So spricht der Apostel von der Liebe, so stellt er sie uns vor Augen. Und was sagen wir nun dazu, wenn wir so mit der Liebe konfrontiert werden? Sagen wir am Ende: schön – aber doch etwas klein! Zu klein, zu unscheinbar für uns! Wir können doch nicht immer so im Schatten stehen. Uns liegt dieser untere Weg, den die Liebe geht, nicht, wir wollen den oberen gehen. Gewiß, es muß auch solche geben, die den unteren Weg der Liebe gehen, die Welt kann ohne sie nicht leben, aber wir können uns dazu nicht entschließen. Nicht entschließen? Wir Schauspieler! Wir würden ja alles hingeben, wenn wir nur klein werden könnten mit der Liebe und durch die Liebe. Wenn wir nur heruntersteigen könnten, damit die Liebe in uns groß werde. Aber wir können nicht! Wir sagen: es liegt uns nicht, aber in Wahrheit besteht unsere ganze Not darin, daß wir es nicht können. Darum dieses Drängen nach vorne, das für unser ganzes letztes Leben so bezeich­nend ist, diese Flucht in das Grelle, Laute, Lärmende. Das muß alles so sein, wenn das verzweifelte Menschenherz das eine nicht mehr hat, wozu es eigentlich da ist: Liebe! Wenn wir Liebe hätten, dann würden wir schon unten bleiben, und das Unten-Bleiben wäre unser Glück und Seligkeit. Aber wir können nicht!

Und nun laßt uns noch einmal hinschauen auf das Bild, das uns der Apostel von der Liebe zeichnet. Ist diese Liebe, so wie sie da abgemalt ist, nicht Zug um Zug, so wie es da steht, über die Erde gegangen? Sie ist kein Gedankengebilde, sie ist Person, diese Liebe, die den langen Atem hat, die nicht das ihre sucht, die sich nicht erbittern läßt, die alles trägt, alles glaubt, alles hofft, alles duldet. Die Liebe, die immer noch liebt. Diese Liebe ist in dieser Welt, ihre Realität kann durch nichts mehr aufgehoben werden. Sie ist Mensch geworden, sie hat ausgeharrt im Leiden und Sterben und sie hat gesiegt. Und nun wartet sie, sie wartet auf uns alle, so wahr wir hier sind. Worauf wartet sie? Nur auf das eine, daß wir vor ihr kapitulieren. Sie will nichts von uns, sondern nur uns selbst. Sie will sich selbst uns schenken. Schenken, begreifen wir doch! Sie will nur, daß wir ihr dieses schreckliche Vakuum eines Herzens, das keine Liebe hat, öffnen, damit sie ein­strömen kann. Und dann soll alles, was groß schien, ganz klein und was so unscheinbar und klein erschien, unfaßbar groß werden. Dann sollen wir nicht mehr Gold gegen Flitter vertauschen können. Und der obere Weg soll allen Reiz verlieren, wenn wir nur den unteren gehen dürfen, den der Liebe, auf dem uns die Liebe mitnimmt, deren Name Jesus Christus ist.

III

Ohne Liebe wird das Große klein und nichtig und durch die Liebe wird das Kleine, Unscheinbare unermeßlich groß und wichtig. Wie aber kommt es, daß die Liebe diese Kraft hat, alles umzuwerten, allem ein anderes Gesicht zu geben? Mit der Antwort auf diese Frage stehen wir auf dem höchsten Gipfel des Weges, den unser Kapitel uns führt. Der Apostel sagt: Die Liebe höret nimmer auf. Sie fällt nicht hin. Sie ist schon die Ewigkeit in dieser Zeit. In ihr bricht schon die kommende Welt an in dieser. Darum prägt sie alles um. Aber darum werden auch wir durch die Liebe schon in dieser Zeit hineingenommen in die Ewigkeit. Und das ist das Dritte, das uns dieses Hohelied der Liebe vor Augen hält.

Die Liebe höret nimmer auf, sie fällt nicht hin. Diese Welt hört auf, sie fällt hin. Und darum auch alles, was wir von ihr haben. Kraft des Leibes und des Geistes, Besitz und Gesundheit, die natürliche Liebe der Geschlechter und des Blutes. Alles fällt hin. Und noch mehr ist es, das hinfällt. Es hören auf auch die Gaben, die Gott den Seinen gibt für ihren Weg durch die Zeit, damit sie das Ziel nicht verfehlen. Die Weissagungen, die Prophetie, der Durchblick durch die Dinge und die Ereignisse und ihre Deutung, die wir brauchen, um von ihrer Vorder- gründigkeit nicht erdrückt und verführt zu werden – es hört auf. Die Sprachen, das geisterfüllte Reden, Beten, Loben und Singen – es hört auf. Die Erkenntnis, die Gotteserkenntnis, wie sie dieser Zeit angehört, all unsere Theologie – sie hört auf. Es ist nicht wertlos – wehe uns, wenn wir es für wertlos erachten in schwärmerischer, eigenmächtiger Vorwegnahme des Kommenden – es ist nicht wertlos, sondern Stück­werk, gottgegebene Stützen und Hilfen für den Weg durch die Zeit. Wenn aber die Zeit aufhört, dann wird auch alles Stückwerk, das wir in der Zeit brauchen, aufhören. Das Vollkommene wird das Stückwerk erfüllen und ablösen. Es wird uns gehen wie dem Mann, der das spielerische Wesen des Kindes zurückläßt. Jetzt steht Gott noch hinter uns und wie er zu uns steht und wie er es mit uns meint, sehen wir wie in einem Spiegel, den er uns vorhält. Aber wir werden uns umkehren dürfen. Ihn erkennen aber heißt nichts anderes, als erkennen, daß seine Liebe uns von Ewigkeit her erkannt hat, gesucht und gefunden und geborgen hat.

Das Vorläufige hört auf und das Vollkommene kommt herauf. Das Vollkommene aber ist die Liebe. Diese Liebe Jesu Christi, die schon eingebrochen ist in die Zeit. Die Liebe bleibt. Jesu Liebe, die da sprach: »Sehet, wir gehen hinauf nach Jerusalem …« und dabei auf uns ihre Augen ruhen ließ, uns meinte. Die Liebe bleibt. Wir brauchen uns eigentlich vor nichts mehr zu fürchten, wenn diese Liebe bleibt und wir in ihr. Es bleiben auch der Glaube und die Hoffnung. Das verstehen wir nicht, weil für uns in der Zeit der Glaube immer mit dem Kleinglauben und Unglauben im Bunde ist und die Hoffnung mit dem Zweifel und der Angst. Aber Gott will dem Glauben, der sich auf Christus allein verließ, in alle Ewigkeit recht geben und ihm ein Empfangen ohne Ende bereiten und allem Hoffen ein Erfülltwerden ohne Unterlaß. So will es seine Liebe.

Laß dich lieben. Tritt nun in dieser Passionszeit unter das Kreuz. Da will die Liebe uns herausheben aus der Vergänglichkeit und hinein­heben in die Ewigkeit, uns auf ewigen Grund stellen. Die Welt vergeht, aber die Liebe bleibt. Sie ragt aus der Ewigkeit herein in die Zeit und will auch unser armes Leben bergen.

Das Leben in der Liebe, das ist, seitdem das Kreuz Jesu steht, eine uns erschlossene Möglichkeit, eine uns angebotene Wirklichkeit. Und wenn wir doch an der Liebe scheiterten? Wenn es als letztes Wort über uns hieße: ohne Liebe!? Dann wären wir nicht daran gescheitert, daß wir lieben wollten und es nicht konnten, sondern daran, daß wir uns nicht lieben ließen, um lieben zu können. Aber Gott liebt! Und darum brauchen wir nicht an der Liebe zu scheitern!

Arnold Schabert (1904-1961), Pfarrer in Riga, in Posen und in Bayreuth, ab 1952 Oberkirchenrat/Kreisdekan des Evang.-Luth. Kirchenkreises München.

Quelle: Arnold Schabert, Rede und schweige nicht! Ausgewählte Predigten, München: Claudius, 1962, S. 62-73.

Hier die Predigt als pdf.

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