Du sollst dir kein Bildnis machen
Von Wilhelm Vischer
«Moses, um des Volkes sich für die Zukunft zu versichern, stiftete in demselben ganz neue und denen der übrigen Welt zuwiderlaufende Gebräuche. Unheilig ist dort alles, was heilig ist bei uns.» So stellt Tacitus die Juden seinen Lesern vor. «Profana illic omnia, quae apud nos sacra.» Als Beispiel für das Entweihen des Heiligen, das dieses der übrigen Welt zuwiderlaufende Volk kennzeichne, erwähnt er unter andern: «Die Juden erkennen im Geiste nur und nur eine einzige Gottheit. Gottlos (profani) seien alle, die sich von Göttern aus irdischen Stoffen menschlichen Gestalten ähnlich Bilder schüfen. Jenes höchste und ewige Wesen sei weder darstellbar noch vergänglich. Daher dulden sie keine Götterbilder (simulacra) in ihren Städten, geschweige in den Tempeln[1].»
Eine Religion und ein Tempel ohne Bildnis der Gottheit hielten die meisten Nichtjuden im Altertum für dermaßen absurd, daß sie vermuteten, in dem geheimnisvollen Heiligtum zu Jerusalem werde ein Eselskopf oder etwas Ähnliches verborgen und verehrt. Der einzige Mensch, der außer den Hohepriestern sich im Allerheiligsten umsehen konnte, Pompejus, erschrak tief, als er tatsächlich kein Gottesbild fand.
Entspricht diese Ansicht der geschichtlichen Wahrheit? Hat das Volk des Alten Bundes niemals ein Bild Gottes gemacht?
Nach dem Bericht in Exodus 32 hat Aaron das «goldene Kalb» gegossen am Fuß des Sinai, während sein Bruder in die Wolke hinaufgestiegen war, um dort aus den Händen Gottes die Bundestafeln in Empfang zu nehmen. Es war das Standbild eines Stieres, Symbol der zeugenden Lebenskraft: «Dies sind deine Götter, Israel, die dich aus dem Land Ägypten heraufgeführt haben.»
Der Ephod, den Gideon aus dem Goldschmuck der besiegten Nomaden anfertigte und in Ophra aufstellte, war offenbar auch ein Bildnis des Gottes Israels, der ihm den Sieg verliehen hatte. Doch wird nicht gesagt, wie es gestaltet war (Richterbuch 8, 22-27). Ebenso das Bild, das Micha auf dem Gebirge Ephraim zunächst für seinen Hausgebrauch machen ließ und das dann von den Daniten geraubt und in ihrem neuen Stammesheiligtum aufgestellt wurde. Die Priesterschaft, die es dort bediente, leitete sich von Gerschom, dem Sohn des Moses, ab (Richterbuch 17, 1-18, 31).
Bei der Reichsspaltung nach Salomos Tod machte Jerobeam zwei Stierbilder aus Gold. Und das Volk zog vor dem einen her bis Dan und vor dem andern her bis Bethel. Diese Bilder meint wohl der Prophet Hosea, wenn er sagt, daß «Menschen Kälber küssen».
«Aus ihrem Silber und Gold haben sie Götzen gemacht.
Ich verstoße dein Kalb, Samaria, mein Zorn ist gegen es entbrannt.
Ein Zimmermann hat es gemacht, es ist kein Gott.»
(Hosea 8, 4-6; 10, 5f.; 13,2f.)
Erregt die Stiergestalt den Zorn des HErrn? Wäre ihm ein Bild mit menschlichen Zügen angenehm? Oder ist vielleicht Hosea überhaupt der erste, der das Anbeten eines Gottesbildes in Israel als Götzendienst verurteilt? Wohl tadeln die biblischen Berichte in jedem Falle scharf diejenigen, die ein Bild Gottes machen. Aber man hat einigen Grund, die Frage zu stellen, ob dieses Urteil nicht erst in späterer Zeit unter dem Einfluß einer religiösen Entwicklung hinzugefügt worden ist.
War das Ideal der Bildlosigkeit etwa eine Eigenheit des Heiligtums zu Jerusalem? Der Tempel Salomos hatte religiöse Symbole und künstlerischen Schmuck im phönikischen Stil. In ihm war auch die eherne Schlange aufgestellt, von der man sagte, Mose selbst habe sie auf Gottes Befehl in der Wüste gegossen. Ihr wurden Opfer dargebracht, bis am Anfang des 7. Jahrhunderts Hiskia sie vernichten ließ (2. Kön. 18). Schon zwei Jahrhunderte früher hatte Asa im Tempel den Kultus gereinigt, indem er die Götzen, die sein Vater gemacht hatte, entfernte und das Greuelbild, das seine Mutter der Aschera gemacht hatte, im Kidrontal verbrannte (1. Kön. 15). Aber weder diese Greuel noch die eherne Schlange noch die Kerube stellten den HErrn selbst dar.
Sigmund Mowinckel hat behauptet, Jerusalem habe lange Zeit und bis zum babylonischen Exil ein allgemein anerkanntes Jahvebild verwendet (Le Décalogue, Paris 1927, § 13). Er hält den Bericht, daß in der Bundcslade die beiden Tafeln des Gesetzes aufbewahrt wurden, für eine unrichtige Theorie der Priesterschrift. Nach seiner Ansicht «enthielt dieser Prozessionsschrein ein Bildnis Jahves, dargestellt sei’s als Mensch, sei’s als Stier, das sehr wahrscheinlich nicht gegossen, sondern grob aus Stein gehauen war und vielleicht eher den Namen eines Jahvesymbols“ verdient als den eines Bildes». Einen irgendwie gültigen Beweis kann er dafür allerdings nicht geben.
Immerhin finden sich im Alten Testament genug Stellen, die unzweifelhaft zeigen, daß der Gott Israels nicht immer und überall ohne Bild angebetet worden ist. Wir denken vor allem an den öffentlichen Kult verschiedener Stierbilder. Daß die Berichte diesen Kult verurteilen, hebt die Tatsache nicht auf. Zudem spricht einiges für die Annahme, daß die Verurteilung von der Hand der deuteronomistischen Redaktoren stammt, für die jene Stierbilder die Erzsünde des Nordreiches waren. Jedenfalls gibt es zu denken, daß nach den biblischen Berichten weder der Prophet Elias noch der Prophet Elisa noch Jehu bei ihrem Kampf um die Reinigung des Glaubens und des Gottesdienstes gegen jene Kultbilder protestierten.
Neben der geistlichen Haltung, die jede Abbildung des HErrn verwarf, liefen ohne Zweifel in Israel andere, zu Zeiten stärkere religiöse Strömungen, die das Stiften und Anbeten gewisser Kultbilder für ein frommes Werk hielten. Die Bilderstürmer haben schließlich gesiegt und den Stempel ihres Geistes den Schriften des Alten Testamentes dermaßen aufgeprägt, daß jetzt jeder Versuch, ein Bild des HErrn zu machen, dort gebrandmarkt ist.
Kann man sagen, daß die eine der beiden Auffassungen, die Verehrung oder die Verwerfung eines Gottesbildes, dem Wesen der Offenbarung in Israel besser entspricht? Gehört das Verbot, den HErrn abzubilden, zum Charakter des HErrn, oder ist es das Ergebnis einer religiösen Entwicklung? Vielleicht bietet das Zweite Gebot (Exodus 20, 4-6; Deut. 5, 8-10) eine Hilfe zur Beantwortung dieser Frage.
Der HErr hat sein Volk aus dem Sklavenhaus Ägypten herausgeführt, damit es in der Gemeinschaft mit Ihm die volle Freiheit lebe. Das erste Wort des Dekalogs, der Magna Charta dieser Freiheit, erklärt, daß der Bund mit dem HErrn jede Beziehung zu irgendeiner andern Gottheit ausschließe. Das zweite Wort fügt hinzu, daß von diesem einzigartigen Gott kein Kultbild gemacht werden darf. In keinem der drei Teile des Weltalls, weder unter den Sternen des Himmels noch unter den Tieren der Erde noch unter den Ungeheuern des Abgrundes gibt es ein Wesen oder eine Gestalt, die verwendet werden könnten, um den HErrn darzustellen.
In seiner Schrift über «Die Ursprünge des israelitischen Rechts» (Leipzig 1934) lehrt Albrecht Alt, daß kasuistische Rechtssätze und apodiktische zu unterscheiden sind. «Es sind zwei bis in die Wurzeln hinab verschiedene Rechte.» Und wenn das eine von ihnen, das kasuistische, in Form und Inhalt mit dem allgemein im Vordem Orient geltenden Recht übereinstimmt, so werden wir das andere, das apodiktisch formulierte, für spezifisch israelitisch halten dürfen. Seine Sätze fließen aus dem Bund des HErrn, sein Geist ist der kanaanäischen Mentalität zuwider, sein Ursprung liegt wahrscheinlich in der Zeit vor der Landnahme Israels.
Die Sätze dieses spezifisch israelitischen Rechtes sind oft als kategorische Imperative oder vielmehr als kategorische Verbote geformt. Das «Du», an das sie gerichtet sind, ist das auserwählte Volk, der «Ich», der es anredet, ist der HErr, sein Gott. Der Dekalog bietet die bedeutendste Reihe von Sätzen dieser Art. Einige von ihnen sind allerdings durch die Überlieferung im Lauf der Jahrhunderte verändert worden. So lassen die grammatikalische Struktur und der Stil erkennen, daß die umständliche Ausführung erst nachträglich dem Bildverbot beigefügt worden ist. Ursprünglich war es wohl im lapidaren Stil abgefaßt:
«Du wirst dir kein päsäl machen.»
Das Wort päsäl bezeichnet ein aus Stein oder Holz gehauenes Bildwerk. Man würde den lapidaren Stil verkennen, wenn man das so deuten wollte, verboten werde nur Holz und Stein als Stoff, während ein Metallguß ein Gott wohlgefälliges Bildnis ergeben würde. Nein, es handelt sich um das absolute Verbot, irgendein Kultbild des HErrn zu machen.
Ist damit die «religiöse», die «heilige» Kunst verboten? Ohne Zweifel, wenn diese Kunst dadurch als religiöse und heilige Kunst gekennzeichnet ist, daß sie Bilder oder Symbole schafft, die etwas von der Macht und Heiligkeit der Gottheit enthalten und deswegen verehrt werden. In diesem Sinn hatte Tacitus durchaus recht, festzustellen, daß für das durch Moses gebildete Volk «profan ist, was die andern Völker für heilig halten». Tacitus stellte zugleich fest, die Ablehnung von Kultbildern entspringe bei den Juden keineswegs einem Atheismus, es sei im Gegenteil ihr eigenartiger Begriff des Göttlichen (numen), der sie logischerweise dazu führe, diejenigen, die von Göttern menschenähnliche Bilder aus irdischen Stoffen machen, für gottlos (profan) zu halten. Er hat damit völlig recht. Denn das Verbot der religiösen Kunst folgt notwendig aus der Offenbarung Gottes an Israel: statt die religiöse Entwicklung der Menschheit und mit ihr die heilige Kunst der Vollkommenheit näher zu führen, offenbart der HErr den Israeliten eine allem, was bei den Religionen für heilig gilt, dermaßen zuwiderlaufende Heiligkeit seines Wesens, daß das, was dort fromme Ehrfurcht ist, hier als Entweihung erscheint.
Ist mit dem Verbot der religiösen Kunst den Auserwählten des HErrn alles künstlerische Schaffen untersagt? Im Gegenteil: dadurch, daß der Kunst und dem Künstler die Weihe verweigert wird, werden sie beide von einer Entfremdung befreit. Der Gott, der Israel verbietet, ihn in einem Bilde darzustellen, ist Derselbe, der den Himmel und die Erde geschaffen hat. Seine Schöpfung ist das vollkommene Kunstwerk der Architektur und Technik, der Formen und Farben, Harmonien und Melodien, Tänze, Dufts und Geschmacks. Wenn er an ihr arbeitet – und bis jetzt arbeitet er an ihr (Joh. 5, 17) –, dann ist der Genius der Kunst, «die Weisheit»,
« als der Werkmeister bei ihm
und hat seine Lust täglich
und spielt vor ihm allezeit
und spielt auf seinem Erdboden.
Und seine Lust ist bei den Menschenkindern.»
(Sprüche Sal. 8)
Es wäre schwer verständlich, wenn der Schöpfer, der dieser Künstler ist, dem Menschen, den er als sein Ebenbild geschaffen hat, nicht auch das Bedürfnis und die Fähigkeit künstlerischer Mitteilung verliehen hätte. Das zweite Wort des Dekalogs löst den Bann und jeden magischen Zwang und lädt die Befreiten des HErrn zu dem Spiel der Kunst[2]. Und solange alles Geschaffene darunter leidet, daß es durch des Menschen Schuld der Nichtigkeit unterworfen ist, dürfen sie die Werke echter Kunst empfangen als Ausdruck der schmerzvollen Sehnsucht und zugleich als Unterpfand der Hoffnung, daß alles Geschaffene von der Knechtschaft des Verwesens befreit werden wird zu der herrlichen Freiheit der Kinder Gottes (Röm. 8).
Wer als «heilige» oder «religiöse» Kunst das Kunstwerk bezeichnet, das aus dem Glauben fließt, der wird in der religiösen Kunst die echte Kunst finden. Mit Recht, denn was der Mensch ist und hat und tut, ist dann echt und in der Fülle, wenn es ganz von Gott und durch Gott und zu Gott kommt. Um jedoch die Zweideutigkeit zu vermeiden, die das Erörtern des Verhältnisses von Kunst und Glauben verwirrt, ist es geraten, die Kunst, durch die sich der Glaube ausdrückt und die Gott lobt, nicht heilig oder religiös zu nennen. Denn diese echte Kunst kennt nicht den Unterschied von heilig und profan. Sie unterscheidet das Wahre und das Falsche. Sie beschränkt sich auch nicht auf einen Ausschnitt aus der Wirklichkeit: alles, was ein Mensch erleben kann, gibt ihr Stoff.
Weshalb hat dann aber Gott seinem Volk untersagt, von Ihm irgendein Bildwerk zu machen? Liegt die Antwort in der Richtung, in der Tacitus sie suchte, war das höchste Wesen nach den Begriffen der Israeliten dermaßen erhaben geworden, daß es sich nicht mehr sichtbar und greifbar darstellen ließ? Diese Erklärung enthält ein gutes Stück Wahrheit. Trotzdem müssen wir uns hüten, die Offenbarung des lebendigen Gottes mit einer Vergeistigung der Gottesanschauung zu verwechseln.
Das verwehrt uns scharf die Erklärung, die im Dekalog gegeben wird: « Denn Ich, der HErr, dein Gott, bin ein eifersüchtiger Gott.» Das Eigenschaftswort eifersüchtig, durch das der HErr sich selbst kennzeichnet, stößt die Vergeistigung ab und hebt die Wahrheit heraus, daß der Gott Abrahams, Isaaks und Jakobs, der dem Moses im feurigen Busch erschien und aus seinem Himmel herab auf den Berg Sinai fuhr im Feuer, Liebe ist und daß diese Liebe keine platonische Liebe, sondern heiße Leidenschaft ist.
Gottes große Leidenschaft ist der Mensch. Ihn liebt er mit seiner ewigen Liebe. Hier liegt die einzige Ursache, die ihn antrieb, Himmel und Erde zu schaffen mit allem, was sie enthalten. Doch ist damit nicht erklärt, wieso Gott eifersüchtig sein kann. Gottes Leidenschaft ist tatsächlich noch erstaunlicher: Er liebt nicht nur den Menschen, er will auch von ihm geliebt sein. Er will, daß der Mensch Ihn so liebe, wie Er den Menschen liebt, von ganzem Herzen, von ganzer Seele und aus aller Kraft.
Das ist seine Eifersucht. Damit erklärt sich, weshalb er es nicht erträgt, daß der Mensch die gerade Liebe abdrehe auf die Verehrung eines Bildes. Er will die persönliche Begegnung, nicht den ästhetischen Ersatz, damit der Mensch Ihn so liebe, wie Er ist, und nicht so wie der Mensch sich ihn vorstellt. Die Hingabe an einen Gott der eigenen Einbildung empfindet der eifersüchtige Gott als Haß. Und die Missetat derer, die ihn durch diese gefälschte Hingabe hassen, sucht er an ihren Nachkommen heim bis in das dritte und vierte Glied. Seine Eifersucht reagiert so heftig, weil seine Liebe so stark ist, daß er seine persönliche Gemeinschaft mit denen, die ihn wirklich lieben, bis in tausend Generationen hinab verwirklicht.
Kann denn aber ein Mensch Gott wirklich lieben? Ist nicht der Unterschied zwischen Gott und Mensch unendlich? Wir können nur lieben, wen wir kennen. Und wir können nur wirklich erkennen, was uns gleicht. Soll ein Mensch einen andern von ganzem Herzen lieben, dann muß dieser andere ihm ganz gleichen.
Aus diesem Grund empfinden wohl die Menschen das Bedürfnis, sich ein Bild von Gott zu machen, das ihnen selbst gleicht, gleichviel, ob nur in Gedanken oder gestaltet aus irgendeinem Stoff. Und sollten nicht die vielen Anthropomorphismen der Bibel den Menschen helfen, sich ein Bild von Gott nach dem Bilde des Menschen zu machen? Nein! Die gleiche Offenbarung, die zeigt, daß Gott den Menschen nach seinem Bilde erschallen hat, verbietet dem Menschen, sich Gott nach seinem Bilde vorzustellen. Uns mag scheinen, das komme aufs gleiche hinaus, man könne den Vorgang ohne Gefahr umkehren. Aber der Unterschied ist grundlegend. Und wenn wir darüber nachdenken, werden wir auf den eigentlichen Grund stoßen für das Verbot, ein Kultbild von dem HErrn zu machen.
Das erste Kapitel der Bibel verkündet, daß Gott das Weltall als den Tempel aufgebaut hat, in dem das Fest seiner Erscheinung stattfindet: Die Sternenuhr zeigt die heiligen Gezeiten an, und alle Wesen im Himmel und auf der Erde und in den Wassern bilden das heilige «Heer», in dem jedes nach Ordnung und Rang seinen Dienst tut in der kosmischen Liturgie.
Wodurch unterscheidet sich ein Tempel von einem Palast? Er ist die Wohnung eines Gottes, und das Bild oder die Statue Gottes, zu deren Aufnahme er gebaut ist, macht aus einem profanen Gebäude ein Heiligtum. Sollte der HErr in Anbetracht seines transzendentalen Charakters darauf verzichtet haben, in der Welt sein Bildnis aufzustellen, als er die Welt zu seinem Tempel herrichtete? Keineswegs. Er hat sein Bild in sie hineingestellt, und der Schöpfungsbericht hebt stark hervor, daß eben dies seine eigentliche Absicht und das Meisterstück war, wodurch er sein Werk krönte, wenn Gott sagt:
«Laßt uns den Menschen zu unserem Bildnis machen, das uns gleicht.
Gott schuf den Menschen als sein Bildnis,
Als Gottesbildnis schuf er ihn.
Wajjibra Älohim et ha-Adam be-ṣalmo,
Be-ṣäläm älohim bara otho.»
Das Wort «ṣäläm», das mit Bild oder Bildnis übersetzt wird, ist im Hebräischen der technische Ausdruck für die «Ikone», d. h. für die Wiedergabe eines göttlichen Wesens durch die bildende Kunst. Demnach ist der Mensch von Fleisch und Blut, so wie er lebt, die Ikone Gottes im Tempel der Welt.
Nun verstehen wir, weshalb es weder im Bundeszelt der Wüste noch im Tempel zu Jerusalem ein Gottesbild gab, waren diese beiden Heiligtümer doch symbolische Nachbildungen des Weltalls. Oder war das vielleicht ein Irrtum? Wäre die logische Folgerung aus dem Schöpfungsbericht im Gegenteil gewesen, daß die Israeliten im Allerheiligsten eine schöne Statue des Menschen aufgestellt hätten? Mit nichten. Wir mögen es bedauern, wenn wir an die Meisterwerke dieser Art denken, die die Griechen geschaffen haben. Das sollte uns immerhin nicht hindern, den Unterschied zu erfassen zwischen einem lebendigen Menschen und einer Statue und den nicht weniger großen Unterschied zwischen der Wahrheit, daß Gott den Menschen zu seinem Bild erschaffen hat, und der Illusion, wenn ein Mensch sich Gott nach dem Bild eines Menschen vorstellt. Zudem ist noch deutlich zu unterscheiden zwischen einer Gottheit und der Ikone, die sie vertritt. Ist der Mensch die Ikone Gottes, so ist er nicht Gott, eben gerade so nicht.
Gott macht den Menschen zu seinem Bildnis, das ihm gleicht, damit es zur eigensten Begegnung zwischen Gott und Mensch komme. Denn – wir wiesen schon darauf hin – der Mensch kann jemanden, den er nicht kennt, nicht wirklich lieben, und nur einen, der ihm gleicht, kann er ganz erkennen. Dadurch, daß der Mensch das Bild Gottes ist, das ihm gleicht, ist es möglich, daß der Mensch Gott erkennt, ohne sich mit ihm zu verwechseln, und eben so Ihn wirklich zu Heben.
Weil der Mensch Gottes Ebenbild ist, deshalb ist dem Ersten und großen Gebot: «Du sollst den HErrn deinen Gott von ganzem Herzen lieben», das andere gleich: «Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst». Der Mensch, den Gott vor uns stellt, löscht durch seine Wirklichkeit die Vorstellungen aus, die wir uns von Gott machen.
Könnte man das auch so sagen: die Gottesidee werde durch das Ideal des Menschen ersetzt? Nein. Der Mensch, den Gott als sein Ebenbild vor uns stellt, ist nicht der ideale Mensch. Er ist mein Nächster, der zugleich der andere und derselbe ist wie ich. Er entzückt mich vielleicht, weil er die große Leere meines Herzens füllt. Er kann mich jedoch auch abstoßen, wenn er «keine Gestalt noch Schöne hat» und ich nichts Liebenswertes an ihm sehen kann. Er ist auf alle Fähe der «Bruder», der schon dem ersten Sohn Adams unerträglich war. In ihm kommt es zu der Begegnung zwischen Gott und mir. Er entspricht genau dem vollkommenen Bilde Gottes.
«Das Ebenbild (die Ikone) des unsichtbaren Gottes, der Erstgeborene vor allen Kreaturen» ist Jesus Christus (Kol. 1, 15). In dem Bilde Jesu hat der Vater den Menschen geschaffen, damit er seinem lieben Sohne gleiche, und in das Bild Jesu wird der zerstörte Mensch neu umgestaltet von einer Klarheit zur andern (Kol. 3, 10; 2. Kor. 3, 18; 4, 4). Denn der Mensch hat die Klarheit des Gottesbildes völlig in sich zerstört dadurch, daß er werden wollte «wie Gott».
Da hat Jesus, der in Gottes Gestalt weste, darauf verzichtet, zu sein wie Gott, und Knechtsgestalt angenommen. Er ist menschengleich geworden, der wahrhaftige, der menschlichste aller Menschen, der Nächste, der Bruder eines jeden, eben Der, der keiner sein will und den niemand erträgt. Als dieser «Menschensohn» hat Jesus gelebt und ist er hingerichtet worden.
«Die Humanität Jesu ist nicht nur die Wiederholung und Nachbildung seiner Divinität, nicht nur die des ihn regierenden Willens Gottes, sondern die Wiederholung und Nachbildung Gottes selber: nicht mehr und nicht weniger. Sie ist das Bild Gottes, imago Dei[3].» Darum hat auch Gott erklärt, daß er allein in dem Namen Jesu angebetet sein will im Himmel und auf der Erde und unter der Erde (Phil. 2).
Hier erhebt sich eine letzte Frage. Wenn es denn so steht, wie Jesus selbst es bestätigt hat, als er sagte: «Wer mich sieht, der sieht den Vater» (Joh. 14, 9), was sollen wir dann tun, die wir Jesus nicht gesehen haben? Wie können wir es vermeiden, uns ein Bild von Jesus zu machen, um Gott anzubeten?
Wir sollen uns an das halten, was die verordneten Augenzeugen Jesu uns überliefert haben, und an sämtliche im Alten und im Neuen Testament niedergelegten Zeugnisse. Dann werden wir immer genauer und konkreter lernen, daß Jesus, in dem Gott sich uns zeigt, alle, die ihn kennen und lieben wollen, hinweist auf die Mitmenschen, die er seine Brüder heißt und die unsere Brüder sind, auf jene andern, denen er gleich geworden ist und die Unseresgleichen sind.
«Wer seinen Bruder nicht liebt, den er sieht,
wie kann er Gott lieben, den er nicht sieht?» (1. Joh. 4)
Du sollst dir kein Bildnis machen.
Quelle: Antwort. Karl Barth zum 70. Geb. am 10. Mai 1956, hrsg. E. Wolf. u.a., Zollikon-Zürich: Evangelischer Verlag, 1956, S. 764-772.
[1] Historiarum lib. V, cap. 4. 5.
[2] Für die Musik hat das Dr. Friedrich Buchholz mit ebenso großem Wissen und sicherem Urteil auf dem Gebiet der Kunst wie in der Theologie aufgezeigt in drei Vorträgen, die unter dem Titel «Von Bindung und Freiheit der Musik und des Musikers in der Gemeinde» im Bärenreiter-Verlag Kassel und Basel 1955 erschienen sind.
[3] Karl Barth, Kirchliche Dogmatik III/2, S. 261.