Von Georg F. Vicedom
Die früheren Begründungen der Mission litten vor allem darunter, daß sie entweder den apologetischen Nachweis versuchten, daß die Mission auf Grund der Missionsgedanken der Bibel berechtigt, unter den Völkern möglich und nötig sei; oder sie begründeten die Mission sekundär als Aufgabe der Kirche oder leiteten sie gar von der Ausbreitung der „christlichen“ Kultur ab.[1] Wir wollen hier auf die sekundären Begründungen nicht weiter eingehen. Die apologetische Begründung jedoch wird der Schrift auch nicht gerecht. Sie hebt die Mission als ein spezielles von Gott gewolltes Werk hervor, während nach der Gesamtkonzeption der Schrift Gott nur eine Intention zugeschrieben wird: die Men- sehen zu retten. Darum kann der Dienst der Mission nicht von dem der Kirche abgeleitet werden, sondern jeder Dienst der Kirche hat nur dann einen Sinn und findet darin seine Spitze, daß er zur Mission führt. So sehr es zu begrüßen ist, daß Kirche und Mission sich immer näher rücken und an vielen Stellen der Erde die Mission in der Kirche aufgeht, so ist doch damit die Gefahr der Missionsträgheit nicht gebannt, das Mißverständnis der Mission nicht behoben. Es besteht die Gefahr, daß die Kirche zum Ausgangspunkt, zum Ziel der Mission, zum Missionssubjekt wird. Das ist sie jedoch auf Grund der Schrift nicht. Ist doch immer der dreieinige Gott selbst der Handelnde, der seine Gläubigen in sein Reich eingliedert.[2] Auch die Kirche ist nur ein Instrument in Gottes Hand. Sie selbst ist das Ergebnis der Tätigkeit des sendenden und rettenden Gottes. Das zu beschreiben hat die Konferenz von Willingen den Begriff Missio Dei aufgenommen. „Die Mission ist nicht nur Gehorsam gegen ein Wort des Herrn, sie ist nicht nur Verpflichtung zur Sammlung der Gemeinde, sie ist Anteilnahme an der Sendung des Sohnes, der Missio Dei, mit dem umfassenden Ziel der Aufrichtung der Christusherrschaft über die ganze erlöste Schöpfung.“[3] „The missionary movement of which we are a part has its source in the Triune God Himself.“[4]
1. Der Begriff
Missio Dei besagt zunächst einmal, daß die Mission Gottes Werk ist. Er ist der Herr, der Auftraggeber, der Besitzer, der Durchführende. Er ist das handelnde Subjekt der Mission. Wenn wir auf diese Weise die Mission Gott zuschreiben, ist sie jeder menschlichen Willkür entzogen. Wir müssen also nachweisen, ob Gott die Mission will und wie er sie selbst durchführt. Damit sind zugleich alle notwendigen Abgrenzungen vollzogen. Mission und mit ihr die Kirche sind Gottes eigenes Werk. Wir können also nicht von der „Mission der Kirche“ reden, noch weniger dürfen wir von „unsrer Mission“ sprechen. Da sowohl die Kirche wie die Mission in dem Liebeswillen Gottes ihren Ursprung haben, können wir immer nur soweit von Kirche und Mission reden, als diese nicht als selbständige Größen verstanden werden. Beide sind nur Werkzeuge Gottes, Instrumente, durch die Gott seine Mission treibt. Erst wenn die Kirche im Gehorsam seine Missionsintention erfüllt, kann sie auch von ihrer Mission sprechen, weil diese dann in der Missio Dei geborgen ist.
Damit erhält unser Thema einen großen Ernst. Wenn die Voraussetzung stimmt, daß Gott die Mission haben will, weil er selbst Mission treibt – was es zu beweisen gilt –, dann kann die Kirche nur Gottes Gefäß und Werkzeug sein, wenn sie sich von ihm gebrauchen läßt. Versagt sie sich dem Anliegen Gottes, so wird sie ungehorsam und kann nicht mehr Kirche im göttlichen Sinne sein. „There is no participation in Christ without participation in his Mission to the world.“[5] Die Kirche hat also nicht zu entscheiden, ob sie Mission treiben will, sondern sie kann sich nur entschließen, ob sie Kirche sein will. Sie kann nicht festlegen, wann, wo und wie Mission getrieben wird; denn Mission ist immer göttliche Führung, wie uns vor allem in der Apostelgeschichte nachgewiesen wird. Mission als Gottessache besagt, daß er das Verfügungsrecht über alle seine Gläubigen genauso beansprucht wie er seine Liebe allen Menschen durch seine Gläubigen zuteil werden lassen will. Diesen Anspruch macht Gott dadurch deutlich, daß er die Mission zunächst einmal durch sich selbst vollzieht. Die Kirche kann nur nachvollziehen, was Gott getan hat und tut, und sie kann auf das hinweisen, was er tun wird. Damit ist die Mission in dem Handeln Gottes selbst begründet.
2. Die Mission durch Gott
Der Begriff der Missio Dei muß aber, wenn wir der biblischen Konzeption gerecht werden wollen, zugleich als attributiver Genetiv verstanden werden, durch welchen Gott nicht nur zum Sendenden, sondern zugleich zum Gesandten wird. Die katholische Dogmatik redet darum seit Augustin von Sendungen oder von der Missio innerhalb des dreieinigen Gottes. „Man versteht unter Sendung die auf Grund der innergöttlichen Ursprungsordnung erfolgende Mitteilung einer göttlichen Person durch eine andere an die Geschöpfe.“[6] Jede Sendung der einen Person hat die Gegenwart der anderen zur Folge. Die evangelische Theologie behandelt diese Sendungen als kein eigenes Lehrstück, weil die Gefahr gegeben sei, daß Gottes Wesenseinheit undenkbar wird. Sie versucht vielmehr die der Trinität immanenten Vorgänge in der Bezogenheit Gottes zu den Menschen zu erfassen. In der evangelischen Frömmigkeit ist jedoch durch einige Kirchenlieder das Verständnis für das wesenstrinitarische Senden Gottes wachgeblieben. „Er sprach zu seinem lieben Sohn: „Die Zeit ist hie zu erbarmen …“ oder „Geh hin mein Kind, und nimm dich an …“ Solche und andere Strophen beschreiben jenes Senden innerhalb der Trinität und erinnern uns wieder an das eigentliche Motiv der Missio.
Wir stehen damit vor einem letzten Geheimnis Gottes, das nur von dem Handeln Gottes mit den Menschen her überhaupt vernommen werden kann. Das letzte Mysterium der Mission, aus dem sie herauswächst und aus dem sie lebt, ist: Gott sendet seinen Sohn, Vater und Sohn senden den Geist. Damit macht er sich nicht nur zum Gesandten, sondern zugleich zum Inhalt der Sendung, ohne daß durch diese Offenbarungstrinität die Wesensgleichheit der göttlichen Personen aufgelöst würde. Denn in jeder Person der Gottheit handelt Gott ganz. Jener Vorgang der innergöttlichen Sendung ist für die Mission und für den Dienst der Kirche von eminenter Bedeutung. Ihr Auftrag ist in dem göttlichen vorgebildet, ihr Dienst durch den göttlichen vorgegeben, Sinn und Inhalt der Arbeit von der Missio Dei her bestimmt.
Zugleich erweist sich Gott durch seine Missio als souveräner Herr. Er läßt sich nicht vorschreiben, weder von den Religionen noch vom Unglauben, was er kann und was er nicht kann. Es gehört mit zur Gottheit Gottes, daß er keiner menschlichen Beschränkung unterworfen ist. Er verfügt damit über sich selbst in einer Weise, die keinen menschlichen Begriffen mehr zugänglich ist. Das Handeln Gottes liegt extra nos.[7] So wird gerade die Missio Dei, wie sie durch die Trinitätslehre gegeben ist, zum Ausdruck der einzigartigen Herrschaft Gottes, was z. B. Mohammed nicht begriff, als er versuchte, durch die Leugnung der Gottheit Christi und des Heiligen Geistes Gott in seiner Einheit und in seiner Transzendenz wieder in Geltung zu setzen. Er hat darum im Grunde genommen Gott erniedrigt und ihm seine Offenbarungs- und Wesensfülle genommen.
3. Heilshandeln Gottes und Sendung
Da die Heilige Schrift kein spekulatives Interesse hat, offenbart sie Gott immer nur soweit, als es für sein Handeln mit den Menschen von Bedeutung ist. Gott macht in ihr immer nur soweit Aussagen über sich selbst, als sie zur Rettung der Menschen notwendig sind. Darum geschieht alle Offenbarung Gottes in seiner Missio immer um des Heiles der Menschen willen. Indem er sieh aber durch sein Handeln offenbart, macht er zugleich Aussagen über den Menschen, stellt ihn unter sein Urteil und befähigt dadurch seine Boten, den Menschen beides zu bringen: den Inhalt der Sendung und dadurch die Rettung der Menschen. Die Mission kann damit nichts anderes sein als die Fortsetzung des Heilshandelns Gottes durch die Mitteilung der Heilstaten. Das ist ihre größte Vollmacht und ihr höchster Auftrag.
Dieses Heilshandeln Gottes, wie es durch die Missio Dei gegeben ist, seine Bezogenheit zur Welt und sein Handeln mit den Menschen, wird in der Schrift mit dem Begriff „Sendung“ beschrieben. Sie ist geradezu der Inbegriff des Schaffens und Wirkens Gottes, so daß die ganze Heilsgeschichte sich als eine Geschichte der Missio Dei darstellt.[8]Wir vergewaltigen darum die Schrift nicht, wenn wir versuchen, von diesem Begriff aus den Auftrag der Kirche zu umreißen. Wir bleiben dabei auch im Rahmen der echten Theologie, die ja nie ein Gedankensystem über Gott sein kann, sondern immer nur das Handeln Gottes in der Geschichte zu beschreiben hat.[9]
Wenn wir von der speziellen Missio Dei in Jesus Christus und in der Gabe des Heiligen Geistes zunächst absehen sowie die Sendung der Propheten und Apostel beiseite lassen, haben wir noch viele Stellen, in denen eine Missio Dei beschrieben wird. Gott sendet sogar ganz unpersönliche Realitäten und sagt uns damit, daß er auch unmittelbar auf die Welt einwirkt. Er sendet z. B. das Schwert hinter seinem Volke her (Jer. 9, 16). Er sendet Korn und Wein, auch öl (Joel 2, 19), und erweist sich so in seinem Senden als ein Gott der Liebe; darum sendet er speziell seinem Eigentumsvolk Güte und Treue (Ps. 57, 4), Güte und Wahrheit (43, 3), sein Wort (107, 20) und einen Hunger nach dem Wort (Am. 8, 11), seine Erlösung (Ps. 111, 9). Gott erhält also durch seine Sendung die Welt und führt die Menschen. Er erweist sich als ein Gott, der seine Schöpfung nicht aus seiner Fürsorge entlassen hat.
In diesem Senden ist Gott immer gegenwärtig. Sendung ist darum ein Ausdruck seiner wirksamen Gegenwart in Gericht und Gnade. Damit wird die Missio zu einer Aussage seiner Gottheit. Gott wäre nicht der Menschen Gott, wenn er nicht weltbezogen und gegenwartsnah handeln würde. Er wäre demselben Schicksal verfallen wie alle Schöpfergötter der Menschen, die höchstens noch in der Erinnerung der Menschen vorhanden, aber keine Realitäten mehr sind. Gott aber hat sich immer wieder als ein solcher erwiesen, der nichts und niemanden aus seiner Herrschaft entlassen hat. Durch sein Senden begegnet er allen Menschen in seiner Gottheit. Alle haben es faktisch mit ihm zu tun, der mit seinem Tun die Schöpfung erhält. Zur besonderen Offenbarung wird sein Senden dort, wo es zum Wort an das Volk wird (Ps. 19, 1-7. 8-11) und in Jesus Christus, in welchem er den Menschen den Erlöser schenkt. Hier dient zur Begründung der Mission überhaupt dasselbe objektive Faktum, von welchem Holsten seine Begründung der Missionswissenschaft herleitet: „Dieser Grund ist, um es zunächst kurz zu sagen, das neutestamentliche Kerygma, die Botschaft von dem entscheidenden und zur Entscheidung rufenden Handeln Gottes in Christus.“[10]
Gottes Missio ist darum immer zugleich ein Ruf in die Entscheidung; sein Handeln, gleich, ob es persönlich oder unpersönlich geschieht, ist immer ein Bote, der den Ruf vermittelt; sein Ein wirken ist immer ein Auftrag, der Antwort erfordert. Niemand kann sich diesem Ruf entziehen oder achtlos daran vorübergehen. Gottes Handeln stellt den Menschen immer in die Verantwortung (Apg. 14, 17; Röm. 1, 8). Wer sich darum weigert, sich der Missio Dei zur Verfügung zu stellen, versucht Gott in seinem weltbezogenen und die Menschen rettenden Dienst, in seiner Herrschaft einzuschränken. Recht, Vollmacht, Auftrag, Verpflichtung zur Mission fließt immer aus dem Handeln des dreieinigen Gottes selbst. „Solange ein Kult nur unter Landsleuten verbreitet wird, sei es auch außerhalb der Heimat, solange ist Gott der Herr nur für den einen Stamm oder die eine Stadt. Wird aber wirklich Mission getrieben, dann ist die Idee der absoluten Kyriotes (Herrschaft) erreicht.“[11] Diese Missio Dei, die das ganze Handeln Gottes umfaßt, kann darum auch mit der Herrschaft Gottes umschrieben werden.
Quelle: Georg F. Vicedom, Missio Dei. Einführung in eine Theologie der Mission, München: Chr. Kaiser, 1958, S. 12-16.
[1] Siehe die reichhaltigen Literaturangaben in: Walter Holsten, Das Kerygma und der Mensch 1953, S. 24 ff. und 32 ff.
[2] W. Andersen, Auf dem Weg zu einer Theologie der Mission, 1957, S. 30 ff.
[3] K. Hartenstein, in: W. Freytag, Mission zwischen Gestern und Morgen, 1952, S. 54.
[4] Norman Goodall, Missions under The Cross, 1953, S. 189.
[5] Norman Goodall, a. a. O., S. 190.
[6] M. Schmaus, Katholische Dogmatik, Bd. I, 1948, S. 377.
[7] W. Holsten, a. a. O., S. 44.
[8] K. H. Rengstorff zum Begriff Apostolos und Apostellein, ThWBNT, Bd. I (1949), 397-448.
[9] O. Cullmann, Christus und die Zeit, 1946, S. 19.
[10] W. Holsten, a. a. O., S. 43.
[11] W. Foerster, Herr ist Jesus, 1924, S. 78.