Martin Luther zu Psalm 119,105: „Dein Wort ist meines Fußes Leuchte“: „Nicht verstehen musst du, sondern wollen, nicht wissen, sondern tun, was gehört wird. Und du wirst nicht irren, wenn du glaubst und wandelst, auch wenn du nicht siehst. Folge du nur ruhig dem Gehörten, denn sein Wort wird deinen Füßen eine Leuchte und ein Licht auf deinen Wegen sein.“

Zu Psalm 119,105: „Dein Wort ist meines Fußes Leuchte“

Von Martin Luther

„Dein Wort ist meines Fußes Leuchte.“ Es ist ein wunderbarer Satz. Warum aber heißt es nicht: meiner Augen Leuchte und ein Licht für mein Sehen? Können denn die Füße erleuchtet werden und die Wege sehen? Aber hier ist eben die Art des Glaubens in diesem Leben zum Ausdruck gebracht. Denn die Augen muss man gefangen nehmen unter den Gehorsam Christi und sich vom Wort allein führen lassen, das man nicht sieht, sondern nur mit den Ohren aufnimmt. Denn wir glauben unsichtbare, aber nicht unhörbare Dinge. Darum erleuchtet das Wort nicht die Augen, aber auch nicht die Ohren. Dennoch ist es eine Leuchte, weil es die Füße lenkt und der Glaube den Affekt und nicht den Intellekt betrifft. Nicht verstehen musst du, sondern wollen, nicht wissen, sondern tun, was gehört wird. Und du wirst nicht irren, wenn du glaubst und wandelst, auch wenn du nicht siehst. Folge du nur ruhig dem Gehörten, denn sein Wort wird deinen Füßen eine Leuchte und ein Licht auf deinen Wegen sein. Es ist nichts weiter nötig, als dass du tust, was du nicht weißt, schaffst, was du nicht verstehst, gehst, ohne zu wissen wohin, wie das Wort dich führt, ein Narr wirst und deinen Verstand verlierst. Es ist, wie wenn du in der Dunkelheit dem Führer folgst auf einem Wege, den du nicht kennst. Da sprichst du zu dem Führer: du bist die Leuchte meiner Füße, nicht meiner Augen, denn ich sehe nichts und gehe doch richtig, als wenn ich sähe. Ich gehe zwar wie ein Irrer und weiß nicht, wo ich bin, dennoch gehen meine Füße gewiss den rechten Weg, als wenn sie das Licht sähen. So erleuchtet der Glaube nicht den Intellekt, ja er macht ihn sogar blind, sondern den Affekt; den führt er durch das Hören des Worts dahin, wo er selig wird. Denn wenn der Affekt das Wort hört, beginnt er hinter ihm herzulaufen, ohne zu wissen wohin. Darum ist das Wort Gottes ein wunderlich Ding, weil es den Füßen und Wegen leuchtet. Nicht so das Wort des Buchstabens und menschlicher Weisheit: dies entleert den Glauben, weil es begreiflich macht, was es sagt und sich als eine Leuchte der Augen erzeigt.

Außerdem sagt er nicht: eine Leuchte auf meinen Wegen und ein Licht meiner Füße. Denn das Wort fasst das Licht in sich wie eine Leuchte (oder Kerze) für die Füße die Wachsschnur. Aber die Wege bedürfen eines nicht so eng gefassten Lichts. Warum dies? Weil der Glaube eines Anfängers erst weniger hell und gleichsam nur erst ein kleines Kerzenlicht seines Geistes ist. Wenn du nun aber zugehen oder zu tun anfängst, was du glaubst, dann erkennst du den Weg deutlicher, als deine Füße (ihn erkennen), so dass du aufgrund des Handelns oder Tuns mehr Licht hast als allein aus dem Glaubensaffekt. Denn wenn du glaubst, dann ist dein Licht gleichsam im Affekt ein geschlossen, wenn du aber handelst oder wirkst, dann trägst du das Licht gleichsam hinaus und wirst in der Erfahrung von ihm auf rechtem Weg geführt. Darum sind die Glaubenspraktiker erleuchteter als die Glaubensspekulierer, wie auch der Philosoph (Aristoteles) in seiner Metaphysik sagt, daß der Erfahrene sicherer arbeitet oder wirkt.

Scholien zur ersten Psalmenvorlesung 1513/15 (vgl. WA 4,356,7-38).

Quelle: Erwin Mülhaupt, D Martin Luthers Psalmen-Auslegung, Bd. 3, Göttingen 1965, 439f.

Hier der Text als pdf.

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