Klaus Wengst, Über Georg Frölichs Gutachten „Ob eine weltliche Obrigkeit das Recht habe, in des Glaubens Sachen mit dem Schwert zu handeln“: „Einem jeden Häuflein oder Gruppe – ob Christen, Juden, Wiedertäufern usw. – soll es frei stehen, seine Lehre und Zeremonien, die er für recht hält und wodurch er zu Gott zu kommen erhofft, ungehindert zu treiben, doch an unterschiedlichen Orten, nämlich die Christen in ihren Kirchen und die Wiedertäufer und Juden jeder in seinen dazu verordneten Häusern oder Synagogen.“

Über Georg Frölichs Gutachten „Ob eine weltliche Obrigkeit das Recht habe, in des Glaubens Sachen mit dem Schwert zu handeln“

Von Klaus Wengst

Im Jahr 1530 stellte sich in der evangelischen Stadt Nürnberg die Frage, wie mit einem seit zwei Jahren gefangen gesetzten renitenten, aber nicht aufrührerischen Täuferprediger umzugehen sei, der in den Hungerstreik getreten war. Lazarus Spengler, an der Spitze der Stadtverwaltung, erbat ein Gutachten von dem Württemberger Reformator Johannes Brenz, das ein Vorgehen der Stadt gegen den Wiedertäufer bejahte. Dem widersprach ein in Nürnberg geschriebenes Gutachten, „ob eine weltliche Obrigkeit das Recht habe, in des Glaubens Sachen mit dem Schwert zu handeln“[1], das auf den Kanzleischreiber Georg Frölich zurückgeführt wird. Daraufhin schickte Spengler dieses Gutachten sowie einen an ihn gerichteten Brief von dessen Autor an Brenz und bat ihn erneut Stellung zu nehmen. Frölichs Gutachten verdient es, nicht nur in einem „Jahr der Toleranz“ nachdrücklich erinnert zu werden.

Es beginnt mit der Klage: „Es will das Würgen und Verjagen um des Glaubens willen kein Ende nehmen“ (377,1). Auf die päpstlichen Obrigkeiten habe man keinen Einfluss. „Von den Obrigkeiten aber, die evangelisch, lutherisch, zwinglianisch sind und die sich vornehmen, Gottes Wort zu hören, ihm zu folgen und auch in keinem Stück dagegen zu handeln […], von denen, sage ich, würde ich gerne hören, woher sie das Recht hätten, dass sie den Glauben meistern, nämlich diejenigen, die nicht desselben Glaubens wie sie sein wollen, entweder zu würgen oder ansonsten von Hab und Gut, Weib und Kindern zu verjagen und ihnen das Land zu verbieten“ (378,3-10).

Frölich orientiert sich dann an der Unterscheidung der beiden Reiche, einem weltlichen und einem geistlichen; in letzterem ist Christus König. „Des geistlichen Reiches Zepter ist das Wort Gottes. Ziel und Ende, wozu solches Zepter reizen und bewegen soll, ist, dass sich die Leute zu Gott bekehren und nach diesem Leben selig werden. Entsprechend ist des weltlichen Reiches Zepter das Schwert, sein Ziel und Ende, wohin es treiben und zwingen soll, ist, dass äußerlich Frieden erhalten werde“ (379,16-380,2). „Wer nun mit weltlicher Gewalt den rechten Glauben und die rechte Lehre verteidigen und falschen Glauben und falsche Lehre vertreiben will, was tut der anderes, als das ganze Neue Testament samt den Propheten zu verspotten?“ (381,4-7)

Die weltliche Obrigkeit „soll und muss die Lehre vom Glauben, wie man zu Gott kommen und selig werden soll, allein dem König Christus anheimstellen, durch sein Zepter des göttlichen Worts zu urteilen und zu richten, ob sie recht oder falsch sei“. Dagegen kommt ihr zu, gegen „äußerlichen Frevel“ einzuschreiten, „durch den jemand an seinem Leib oder Gut beschädigt wird. In diesen Stücken schneidet das weltliche Schwert und darum hat Gott es eingesetzt. Aber zu zwingen, diesem oder jenem Glauben anzuhängen, dazu hat das Schwert doch keinen Nutzen und es muss zuletzt – man hänge oder ertränke – jedermann die Wahl gelassen werden, der nicht zum Himmel will, dass er in die Hölle zum Teufel oder seiner Mutter fahre“ (382,3-9). „Entsteht aber ein Aufruhr oder will jemand einen anrichten, dass man es mit Worten oder Taten von ihm bemerkt, es sei gleich unter Christen, Wiedertäufern, Juden oder welcher Glaube es sei, so strafe man diejenigen, die es tun [.]. Aber (was) die anderen (betrifft), die schlicht ihres rechten oder falschen Glaubens leben und friedlich sind, lasse man unbehelligt und das Zepter des geistlichen Reichs, das Wort Gottes, unter ihnen regieren und fechten“ (383,20-26). „Warum lässt man den Glauben nicht unter dem geistlichen Reich und seinem König Christus und enthält sich des Fangens, Würgens und Verjagens um der Lehre rechten oder falschen Glaubens willen?“ (384,20-22)

Wenn Öffentlichkeit erlaubt wäre, könnte man verbieten, sich im Winkel zu verstecken. „Wo man aber öffentliche Rede oder Lehre über den Glauben mit dem Schwert verwehrt, da treibt man die Leute gleichsam mit Gewalt in den Winkel“ (385,3-4). Die Obrigkeit soll sagen: „Wir wollen es gerne dulden und zusehen, dass ihr Geister mit dem Wort fechtet, damit sich die rechte Lehre als bewährt erweise. Aber die Faust sollt ihr still halten; denn das ist unseres Amtes. Oder aber hebt euch zum Land hinaus!“ (387,9-12)

Als Beispiel für friedliches Zusammenleben wird angeführt: „Sind doch nun über hundert Jahre im Königreich Böhmen Juden und sonst noch dreierlei Glauben gewesen und haben dennoch ihrem König äußerlichen Frieden erhalten und Aufruhr um des Glaubens willen verhütet“ (389,7-9). Wird den Obrigkeiten in Glaubenssachen das Schwert zugestanden, steht zu befürchten, dass die stärkste Obrigkeit die anderen ihren Glauben lehren will: „Das würde ein großes Blutvergießen geben, das auch der Teufel, wie man bisher aus einigen Anzeichen bemerkt hat, gar fleißig sucht und fördert“ (390,13-14).

In seinem ergänzenden Brief führt Frölich aus: Im Blick auf das Visitieren, das Einsetzen von Dienern und Predigern, das Erlassen zeremonieller Ordnungen will er, dass „ein jedes Häuflein – oder Gruppe – in seinem Glauben zu tun Macht haben soll, also dass es Christen, Juden, Wiedertäufern usw. – einem jeden Teil frei stehe, seine Lehre und Zeremonien, die er für recht hält und wodurch er zu Gott zu kommen erhofft, ungehindert zu treiben, doch an unterschiedlichen Orten, nämlich die Christen in ihren Kirchen und die Wiedertäufer und Juden jeder in seinen dazu verordneten Häusern oder Synagogen. Ich sage auch weiter, dass nicht allein die Obrigkeit in ihrem Glauben, sondern wiederum eine jede Gruppe, Juden, Wiedertäufer oder eine andere, ein jeder Teil in seinem Glauben Macht haben soll, die Prediger und Diener, die sie eingestellt hatten und die ihnen in ihrem Amt nicht gefielen, zu beurlauben und andere an ihrer Stelle aufzunehmen […]. Aber so wenig die Juden oder Wiedertäufer der weltlichen Obrigkeit, die christlich wäre, dareinreden, wie sie ihren Gottesdienst verordne oder was sie für Lehrer dabei habe, so wenig soll auch die Obrigkeit den Juden oder Wiedertäufern mit Gewalt Eintrag tun, was sie für Prediger haben oder was sie für Zeremonien oder Lehre treiben. Allein das soll Amt der Obrigkeit sein: Wo man in ihrem Fürstentum oder Gebiet – sei es unter Juden, Christen oder Wiedertäufern – Gewalt und Frevel treiben würde, insofern eine Partei der anderen mit Gewalt in ihre Synagoge oder Kirche hineingehen, ihren Gottesdienst darin treiben und die andere Partei in ihrer Lehre oder ihren Zeremonien behindern oder stören würde – das soll die Obrigkeit nicht dulden, sondern strafen und Frieden schaffen“ (402,8-403,7).

Quelle: Klaus Wengst, Christsein mit Tora und Evangelium. Beiträge zum Umbau christlicher Theologie im Angesicht Israels, Stuttgart; Kohlhammer, 2014.


[1] Abgedruckt in Lazarus Spengler, Schriften, Bd. 3: Schriften der Jahre Mai 1529 bis März 1530, hrsg. u. bearb. v. Berndt Hamm, Felix Breitling, Gudrun Litz und Andreas Zecherle, Gütersloh: GVH, 2010, S. 377-390.402-403. Die Seitenzahlen mit Zeilennummer im Anschluss an die im Text gebrachten Zitate beziehen sich auf Spengler.

Hier der Text als pdf.

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