Heinz Brunotte über das Zeugnis in der Bibel (1954): „Der Zeuge tritt, genau wie der Apostel oder der Missionar oder Prediger, hinter dem zurück, den er bezeugt. Nicht sein Tod als solcher ist wichtig, sondern das in seinem Tode geschehende und mit seinem Tode verbundene Christuszeugnis. Nur in diesem Sinne gilt der altkirchliche Satz, daß das Blut der Märtyrer der Same der Kirche sei.“

Zeuge, zeugen, bezeugen, Zeugnis in der Bibel

Von Heinz Brunotte

Das griechische Wort für Zeuge im NT ist martys; das Zeugnis heißt martyria. Es ist das Wort, von dem die spätere Kirche die Worte „Märtyrer“ und „Martyrium“ abgeleitet hat. Diesen Klang muß man immer mithören, wenn man in der Lutherbibel die Wörter „Zeuge, zeugen, Zeugnis“ liest.

Allerdings darf man diese Wortverbindung auch nicht zu eindeutig und zu unmittelbar voll­ziehen. Das griechische Wort hat ursprünglich eine rein profane Bedeutung, die auch noch in der Bibel vorkommt. Es ist ein Begriff aus dem Rechtsleben, ähnlich wie unser deutsches Wort Zeuge. Das Theologische Wörterbuch zum NT von Kittel leitet unser griechisches Wort von einem indogermanischen Stamm „smer“ ab, der soviel wie „gedenken, sich erinnern, sich besinnen“ heißt. Das bekannte lateinische Wort memoria – Erinnerung, Andenken hängt da­mit zusammen. So ist auch der martys im Griechisch der klassischen Zeit zunächst einfach ein Mensch, der sich erinnert, der auf Grund eigener Anschauung oder eigenen Erlebens Kenntnis von gewissen Tatbeständen hat, über die er etwas aussagen kann. Der martys ist, bürgerlich oder juristisch gesehen, Zeuge: Beweiszeuge im Prozeß, Belastungs- oder Entla­stungszeuge vor Gericht, Zeuge zur Bestätigung von Rechts- oder Handelsgeschäften, Bekräf­tigungszeuge bei Berichten oder Erzählungen.

Neben dieser Bedeutung für das Rechtsleben hat aber schon das griechische Wort eine umfas­sendere und tiefere Bedeutung für das geistige Leben. Schon im klassischen Altertum ist der martys nicht nur der Zeuge, der Tatsachen oder Wahrnehmungen, Vorgänge oder Zustände bekundet. Er kann auch der Mann sein, der Wahrheiten ausspricht, Überzeugungen vertritt, Ansichten und Meinungen äußert und begründet. Ist der juristische Tatsachenzeuge dazu da, um Dinge der irdischen Erfahrung, der empirischen Wirklichkeit zu bekunden, so ist der Zeu­ge im geistigen Sinne ein Mann, der Werte zu beurteilen vermag, der Erkenntnisse von höhe­rer Wahrheit vertritt. Diese Unterscheidung findet sich schon bei den großen Philosophen Plato und Aristoteles. In der stoischen Philosophie ist der Philosoph ein Zeuge der Wahrheit. Was er denkend erkannt hat, ist ebenso Zeugnis wie das, was ein Gerichtszeuge tatsächlich beobachtet hat. Die Bezeugung der Wahrheit muß auch bei Widerständen und Unannehm­lichkeiten erfolgen; ja, der Philosoph ist bereit, sein Leben für die Wahrheit einzusetzen. Da­bei ist aber festzuhalten, daß der Begriff des Märtyrers dem Altertum fremd ist. Sokrates, der für die von ihm erkannte Wahrheit stirbt, wird nicht als Märtyrer gefeiert. Immerhin liegt in dieser Doppelbedeutung des Wortes martys in der griechischen Klassik die Möglichkeit zu einer Entwicklung des Wortes im biblischen und kirchlichen Sinne.

2. Im Alten Testament ist der Zeuge ebenfalls zunächst Gerichtszeuge oder Vertragszeuge. In kluger Erkenntnis der Unzulänglichkeit menschlicher Aussagen ordnet das Gesetz an, daß in der Regel, besonders wenn es sich um Tod und Leben handelt, die Aussage von zwei oder drei Zeugen notwendig ist; ein einzelner Zeuge ist nicht beweiskräftig (5.Mose 17,6; 19,15; 2.Kö. 21,10.13). Diese Rechtspraxis reicht auch noch in das NT hinein (Hebr. 10,28). Auch bei Schwierigkeiten in der Gemeinde soll der Christ sich Zeugen für die Aussprache mit sei­nem Bruder verschaffen (Mt. 18,16). Jesus nimmt das doppelte Zeugnis für sich in Anspruch (Joh. 8,17). Paulus will seine Auseinandersetzung mit der Gemeinde in Korinth vor zwei oder drei Zeugen betreiben (2. Kor. 13,1). Timotheus soll keine Klage, die gegen einen Ältesten gerichtet ist, ohne zwei oder drei Zeugen annehmen (1.Tim. 5,19). — Die Zeugen werden im AT dringlich zur Wahrheit ermahnt. Falsche Zeugen werden mit schwerer Strafe bedroht; ihr schändliches Tun, dem man wehrlos ausgesetzt ist, wird klagend und anklagend vor Gott gebracht (Ps. 27,12; 35,11; Spr. 19,5; 21,28). Die Gefahr einer verantwortungslosen, be­wußten oder unbewußten falschen Aussage ist so groß, daß das Verbot des falschen Zeug­nisses unmittelbar in die Reihe der göttlichen Gebote der zweiten Tafel ausgenommen witd (Das achte Gebot: 2. Mose 20,16; 5. Mose 5,17). Gott schützt das Recht, indem er die vor­sätzliche und fahrlässige falsche Aussage in einem Rechtsverfahren mit seinem Zorn bedroht. Auch diese Linie at.licher Frömmigkeit reicht bis ins NT: falsche Zeugen treten gegen Jesus auf (Mt. 26,59-65 Par.), ebenso gegen Stephanus (Apg. 6,13; 7,57). Das Urteil über sie ist eindeutig: Gottes Gericht ist denen gewiß, die den Heiligen Gottes und seine Zeugen der irdischen Gerichtsbarkeit durch falsche Beschuldigungen ausliefern. Dagegen werden schon im AT treue, zuverlässige Zeugen gerühmt (Jes. 8,2).

Eine religiöse Bedeutung gewinnt der Begriff des Zeugnisses im AT dadurch, daß vielfach Gott als Zeuge des frommen Menschen angerufen wird. Die nach der Katastrophe der Weg­führung nach Babylon übriggebliebenen Vertreter des Volkes verpflichten sich, das zu tun, was Gott durch Jeremia befehlen wird; sie rufen Gott zum Zeugen dieser verpflichtenden Zusage an (Jer. 42,5). Vielfach wird auch anstelle des Gottesnamens, den man scheut, der „Himmel“ angerufen oder „Himmel und Erde“ (5.Mose 4,26; 30,19; Hi. 16,19), gelegentlich auch der „Altar“ (Jos. 22,27) oder der als Mal aufgerichtete „Stein“ (Jos. 24,27). In diesem Sinne ruft auch Paulus zur Bekräftigung seiner Aussage Gott zum Zeugen an (Röm.2,9; 2.Kor. 1,23; Phil. 12,8; 1.Thess.2,5.10).

Alle diese Gedanken im AT (und, soweit sie dort wiederkehren, auch im NT) stehen aber im Grunde noch unter dem Einfluß des juristischen Denkens. Es geht immer um die Bezeugung von Tatsachen. Die Bezeugung der Wahrheit dagegen findet sich im AT spärlicher, wenn­gleich sie nicht völlig fehlt. Diese Wahrheit ist aber nicht eine abstrakte, eine vom Verstand des Philosophen gefundene. Sie ist vielmehr immer die Bezeugung der „Gebote und Rechte“ Gottes. So sind die Gesetzestafeln am Sinai „Tafeln des Zeugnisses“ (2.Mose 31,28; 5.Mose 4,45; 6,27). So preisen die Psalmen das Gesetz als ein Zeugnis des Herrn (Ps. 19,8; 119,24.24.32.46).

In einem besonderen Sinne verwendet der Prophet Deuterojesaja den Begriff des Zeugen. Die Angehörigen des Volkes Israel werden als Zeugen für Gott in Anspruch genommen (43,9-13; 44,7-11). An beiden Stellen handelt es sich nicht, wie manchmal erklärt wird, um eine Ge­richtsverhandlung; wer sollte Richter sein, wo es sich um den Gegensatz zwischen Gott und den Götzen, zwischen dem erwählten Volk und den Heiden handelt? Die Vorstellung ist viel­mehr die einer großen Völkerversammlung, bei der die Heiden für ihre Götzen eintreten, die doch nichts sind. Diejenigen aber, die bezeugen können, daß Gott allein Gott ist, ja daß er allein wirklich ist, sind die Kinder Israel. „Ich bin der Erste, und ich bin der Letzte, und außer mir ist kein Gott“ (Jes. 44,6). Diese Behauptung soll durch das Zeugnis der von ihm Gerufe­nen und Erlösten erhärtet werden. „Ihr aber seid meine Zeugen, spricht der Herr“ (43,12; 44,8). Das Volk Israel erweist vor aller Welt durch sein Zeugnis die Wahrheit; und die Wahr­heit ist, daß Gott allein wirklich und wirksam ist.

Eine Art Märtyreridee findet sich erst im Spätjudentum. Sie entsteht in der Makkabäerzeit, in der die völkische und die religiöse Unterdrückung Hand in Hand gehen. So kommt es zur Verehrung von Glaubenshelden, die für ihren Glauben kämpfen und sterben. Aber nirgends wird auf dieses Sterben der Begriff martys = Zeuge angewandt. Der Unterschied ist deutlich: im Spätjudentum ist das Leiden und Sterben für den Glauben als solches ein Verdienst, ein frommes Werk; im christlichen Martyrium dagegen wird durch Leiden, das mit dem Zeugnis des Wortes verbunden ist, Christus bezeugt. Übrigens findet sich die Vorstellung, daß die From­men und besonders die Propheten um ihres Auftrags willen leiden müssen, auch im NT (Mt. 23,29.37; 5,11-12; Lk. 13,33-34; Apg. 7,52; Hebr. 11,32-38). Aber nirgends werden die­se Stellen mit dem Begriff „Zeugen“ zusammengebracht.

3. Die Stellen im Neuen Testament, bei denen es sich um ein Zeugnis vor Gericht oder um eine andere Bezeugung von einfachen Tatsachen Handels, sind im vorstehenden Abschnitt über das AT mit behandelt worden. In der Hauptsache verwendet das NT den Begriff „Zeug­nis geben“ im Sinne einer gläubigen Bekundung der großen Taten Gottes. Dabei ist vielfach der Ausgangspunkt der, daß die Jünger Augen- und Ohrenzeugen der Taten und Worte Jesu gewesen sind (Lk. 1,2; 24,48; Apg. 1,8; 1,21; 10,39.41.42; Joh. 15,27; 19,35; 2.Petr. 1,18; 2.Joh. 1,1-3; 4,14; Offb. 1,2). Insbesondere find sie die einzigen Zeugen der Auferstehung (Apg. 1,22; 2,32; 3,15; 4,33; 5,32; 10,41; 13,31). Sie würden aber nicht Zeugen im Sinne des NT sein, wenn sie sich auf die Bekundung von tatsächlichen Ereignissen beschränken würden. Sie sind nicht nur Tatsachenzeugen, sondern gläubige Verkünder der ihnen durch Gottes Gna­de aufgegangenen Bedeutung dieser Tatsachen. Die beiden Bedeutungen, die das Wort martys im Griechischen von Anfang an gehabt hat, fallen im NT in eines zusammen! Tatsachenzeu­gen und Wahrheitszeugen sind dasselbe.

Von da aus gelingt es dann, den Begriff des Zeugnisses, der nun mit dem des Bekenntnisses und der Verkündigung in enge Berührung kommt, festzuhalten, auch wo eine unmittelbare Augenzeugenschaft nicht mehr behauptet werden kann. Paulus, der entscheidenden Wert darauf legt, sein Evangelium nicht indirekt von den Uraposteln, sondern vom Herrn selbst empfangen zu haben, weiß sich noch ganz im Sinne der anderen Jünger als Zeuge (Apg. 22,15; 26,9-20; Gal. 1,11-2,10). Aber auch die Männer der zweiten Generation werden Zeu­gen genannt: Stephanus (Apg. 22,20), Barnabas (Apg. 13,2ff), Timotheus (2. Tim. 1,8). Überhaupt sind alle Christen als Jünger Jesu zu Zeugen berufen: sie sollen das, was sie erfah­ren haben, mit Worten und durch ihr ganzes Verhalten predigend und bekennend bezeugen, damit auch die Welt Christus als die Wahrheit erfährt.

Denn allem menschlichen Zeugnis von den Taten Gottes geht die Tatsache voraus, daß Chri­stus selbst der „treue Zeuge“ ist, der das, was er unmittelbar gesehen hat, Gottes Wirklich­keit, bezeugt (Joh. 5,31; 8,14.18; Offb. 1,5; 3,14), und den darum Gott als seinen Sohn be­zeugt. Christus zeugt von Gott, von dem Licht (Joh. 1,7; 8,14), von der Wahrheit (Joh. 18,37). So wird er auch umgekehrt von Gott bezeugt: die Werke zeugen von ihm (Joh. 5,36), die Schrift zeugt von ihm (5,39), der Tröster, der heilige Geist zeugt von ihm (15,26; Röm. 8,16; Offb. 19,10; 22,16-17). Die Vollendung seines Zeugnisses ist aber das Kreuz.

Darum hat der biblische Begriff des Zeugnisses auch für den Jünger Christi seine letzte Erfül­lung im Martyrium. Wenn der Verfasser des ersten Petrusbriefes (5,1) sich als „Zeugen der Leiden, die in Christo sind“, bezeichnet, dann will er nicht nur als Augenzeuge der Leiden Christi angesehen werden, sondern als einer, der durch sein Mit-leiden Zeuge für Christus geworden ist. So ist es auch bei den anderen, die durch ihr Leiden Christus bezeugen: Stepha­nus (Apg. 22,20), Paulus (2. Kor. 4,10) und die in der Offenbarung Johannis erwähnten Blut­zeugen (2,13; 6,9; 12,1; 17,6; 20,4). Diese Märtyrer setzen das fort, was der Hebräerbrief für das AT aufzählt (Hebr. 11): wir haben eine „Wolke von Zeugen“ (Hebr. 12,1). Christliche Märtyrer sind nicht kämpfende und ruhmvoll unterliegende Helden, die wir bewundern, son­dern bei allem stillen Heldentum lediglich schlichte Zeugen Christi, denen die christliche Gemeinde Nachfolgen soll. Der Zeuge tritt, genau wie der Apostel oder der Missionar oder Prediger, hinter dem zurück, den er bezeugt. Nicht sein Tod als solcher ist wichtig, sondern das in seinem Tode geschehende und mit seinem Tode verbundene Christuszeugnis. Nur in diesem Sinne gilt der altkirchliche Satz, daß das Blut der Märtyrer der Same der Kirche sei.

Quelle: Biblisch-theologisches Handwörterbuch zur Lutherbibel und zu neueren Überset­zun­gen, hrsg. v. Edo Osterloh und Hans Engelland, 2. Auflage, Göttingen: Vandenhoeck & Rup­recht 1959, 721-723.

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