Joachim Tracks Nachruf auf Wilfried Joest (1996) – Zeuge der Menschenfreundlichkeit Gottes: „Über 13 Jahre hat er in der Telefonseelsorge mitgearbeitet. Bei und in all seiner wissenschaftlichen Arbeit bestimmte ihn die Freude am Leben, an seiner großen Familie, am Zusammensein mit Freunden, und der Einsatz für den Nächsten.“

Wilfried Joest (1914-1995)

Zeuge der Menschenfreundlichkeit Gottes: Zum Tode des Theologen Wilfried Joest

Von Professor Joachim Track

Professor Wilfried Joest war einer der profiliertesten Theologen der Nachkriegszeit. Seit Beginn seiner Lehrtätigkeit als Professor für Systematische Theologie an der Augustana-Hoch­schule im Jahr 1953, dann als Inhaber des Lehrstuhls für Systematische Theologie an der Erlanger Theologischen Fakultät (1956-1981) und auch noch in der Zeit seines Ruhestandes hat er, nicht zuletzt als Ephorus des Werner-Elert-Studentenwohnheims, viele Generationen von Studierenden geprägt und für die Sache der Theologie begeistert.

Er war ein geschätzter und gesuchter theologischer Lehrer und international anerkannter Wissenschaftler. Für alle aber, die ihn persönlich kannten, ist dies zugleich der Abschied von einem Menschen, der als Person überzeugt hat. Entschiedenheit in der Sache war bei ihm verbunden mit Verständnis und Güte im Umgang mit anderen Menschen und Bescheidenheit im persönlichen Anspruch.

Joest promovierte mit einer Arbeit zum Verhältnis von Glauben und Denken. Nach dem Ende des Krieges, aus dem er eine bleibende Verletzung der rechten Hand mitbrachte, habilitierte er sich 1948 mit der Arbeit »Gesetz und Freiheit«. Joest vergleicht Luthers Verständnis von Gottes Anspruch an den Menschen in den Geboten sowie Gottes Zuspruch und Freispruch für den Menschen in seinem Versöhnungshandeln mit den Auffassungen des Neuen Testamentes. In dieser immer wieder neu aufgelegten Arbeit erweist sich Joest als fundierter Lutherkenner, der die Debatte um Gesetz und Evangelium öffnet. Christliches Handeln soll und darf, orientiert an Gottes Gebot, in evangelischer Freiheit nach dem jeweils Guten und Lebensdienlichen in der konkreten Situation fragen. Auch sein zweites großes Werk zu Luthers »Ontologie der Person« (1967) ist zu einem vielzitierten Standardwerk geworden. Joest hat so eine nicht unumstrittene Gestalt lutherischer Theologie entwickelt, die sorgfältig die Antworten unserer Tradition prüft und sich zugleich sensibel für die Fragen der Gegenwart öffnet.

Gern und leise schmunzelnd hat Joest erzählt: Anläßlich seiner Berufung an die Augustana-Hochschule hatte Landesbischof Meiser Bedenken, ob ein unierter Theologe aus Baden die lutherische Dogmatik recht vertreten könne. Zum Glück für die bayerische Landeskirche konnten diese Bedenken überwunden werden.

Fragen der gegenwärtigen Systematischen Theologie bearbeitet Joest in seiner »Fundamentaltheologie« (1974). Sie bietet einen Neuansatz in der Grundlegung der Theologie. Joest vermittelt zwischen Karl Barth und der lutherischen Tradition und macht philosophische Einsichten sowie die Ergebnisse der Human- und Gesellschaftswissenschaften für die Theologie fruchtbar. In der zweibändigen »Dogmatik« versteht er es, den Zugang zur theologischen Tradition und gegenwärtigen Diskussion zu öffnen und das Gespür für die aktuellen Herausforderungen des Glaubens und der Kirche zu wecken. Joest vereinte in seiner theologischen Arbeit anspruchsvolles Niveau der Argumentation und Verständlichkeit. Offen für die Menschen mit ihren Fragen, Zweifeln und Hoffnungen war seine Theologie lebensnah. Dem entspricht, daß er in kirchlichen und gesellschaftlichen Fragen das Wort ergriffen und Partei genommen hat. Als Vertreter der Erlanger Theologischen Fakultät in der Landessynode hat er sich für eine offene, den Menschen zugewandte Kirche eingesetzt.

Aktiv wirkte er in der Friedensbewegung mit. Sein letztes größeres Werk war eine Friedensethik: »Der Friede Gottes und der Friede auf Erden«. Über 13 Jahre hat er in der Telefonseelsorge mitgearbeitet. Bei und in all seiner wissenschaftlichen Arbeit bestimmte ihn die Freude am Leben, an seiner großen Familie, am Zusammensein mit Freunden, und der Einsatz für den Nächsten. In seinem Leben wurde etwas spürbar von der Menschenfreundlichkeit unseres Gottes, die er in seiner theologischen Arbeit bezeugt hat. In der Silvesternacht ist Professor D. Dr. Wilfried Joest nach kurzer Krankheit im Alter von 81 Jahren verstorben.

Evangelisches Sonntagsblatt in Bayern, Nr. 2, 14. Januar 1996.

Hier der Text als pdf.

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