Rudolf Bohrens Predigt über 2. Korinther 5,1-10 – Das ewige Haus: „Wir kommen zwar nackt zur Welt und müssen nackt von der Welt. – So sagt’s die Heilige Schrift. – Aber wir bedecken unsere Toten. Bei jedem Verkehrsunfall wird sofort eine Decke auf den Toten gelegt. Der Tote soll nicht nackt, nicht entblößt daliegen. – Es ist, als ob ein solches Verhalten ein fernes Echo wäre auf die apostolische Furcht und Sehnsucht, nicht aus­gezogen, sondern überzogen zu werden.“

Das ewige Haus. Predigt über 2. Korinther 5,1-10

Von Rudolf Bohren

Als man dem württembergischen Pfarrer Christoph Blumhardt die Nachricht überbrachte, sein Freund August Bebel sei gestorben, sagte der in seinem unnachahmlichen Schwäbisch: „Der wird Augen machen.“ – Wir werden alle einmal sterben, werden Augen machen und werden angesehen.

Darum haben wir uns versammelt, damit wir nicht in aller unserer Klugheit dumm bleiben und trostlos in unserer Auferstehungsblindheit. Hier teilt uns einer ein Wissen mit, von dem wir in der Regel nichts wissen, kein Philosophenwissen, kein Professorenwissen, ein Kinder­wissen vielmehr, ein Freiheits- und Freudenwissen, ein Wissen um unsere eigene Zukunft über den Tod hinaus.

Aber wir Menschen sind doch merkwürdige Käuze. Einerseits möchten wir gerne wissen, wie es nach dem Sterben für uns aussieht, andererseits aber können wir uns gegen das Wissen, das uns hier mitgeteilt wird, ganz schön wehren. – Vielleicht gehört der Widerstand gegen das Wissen um die Auferstehung zu unserem Versteckspiel vor Gott, in das wir uns seit Adams Zeiten eingespielt haben. Ach wir Neugierlinge, wir Versteckspieler, wir kleine Gernegrosse und Möchtegern-Herrgötter! Es hilft uns nichts. Wir entgehen Ihm nicht, und darum lasst uns heute die Lektion lernen, die uns aufgegeben ist. Es ist eine heilsame Lektion, auch wenn sie gegen den Strich geht.

„Wir wissen, dass wir einen Bau haben, den Gott bereitet hat, ein nicht mit Händen gemachtes ewiges Haus.“ Das ist sehr anschaulich. – Ein Haus ist ein Ort der Freiheit. Wo man zuhause ist, da kann man sich leger geben. Zuhause kann man sozusagen tun und lassen, was man will. Hat man ein Dach über dem Kopf, ist man geschützt. Und wer möchte nicht ein Heim haben, zuhause sein? – Vor einigen Jahren kam ein Lied groß ins Plattengeschäft. Heintje sang: „Ich bau’ dir ein Schloss“. – Vermutlich fand das Lied deshalb Anklang, weil es einer Sehnsucht Ausdruck gab nach etwas, was viele Menschen heute nicht haben, ein Haus als Ort der Geborgenheit. „My house – my castle“. – Aber nun sind wir Heutigen auch dem Haus gegenüber zwiespältig; wissen wir doch nur allzu gut, wie leer und öd’ ein Haus werden kann. Ein Gefängnis, in dem wir hin- und hergehen wie das Tier im Käfig. Eine Wüste, in der wir umherirren, auch wenn der Staub gewischt ist.

Darum ist es gut, auf die apostolische Botschaft zu hören: Durch die Auferweckung Jesu von den Toten hat Gott uns einen Ort der Freiheit geschaffen, ein Traumhaus ohnegleichen. Der Schlagersänger braucht uns kein Schloss zu bauen: „Wir wissen, dass wir einen Bau ha­ben, den Gott bereitet hat, ein nicht mit Händen gemachtes ewiges Haus.“ Da lohnt es schon, sich auf den Umzug vorzubereiten.

„Umzug“ ist vielleicht ein etwas voreiliger Ausdruck. Der Text redet anders, spricht von ei­nem Überkleidetwerden mit der Behausung aus dem Himmel. Das von Gott gebaute Haus lässt sich anziehen wie ein Kleid. – Sehr merkwürdig und verwirrlich, dass das Bild vom Haus übergeht in das vom Kleid und wieder in das vom Haus. – Ich denke, dass Paulus mit Bedacht so merkwürdig und verwirrlich schreibt; denn das Wissen um unsere Zukunft, die Gottes Zukunft ist, übersteigt unsere Vorstellungskraft. Und doch können wir nur in Bildern unserer sichtbaren Welt von der für uns noch unsichtbaren Welt der Auferstehung reden. In der Abfolge der Bilder will der Apostel das Unanschauliche anschaulich machen.

In der vergangenen Woche sah ich einen Fetzen aus einem Fernsehfilm über Versuche auf dem Mars, die testen sollten, ob es dort Leben gebe. Soviel ich begriffen habe, herrscht auf dem Mars eine „exotische Chemie“. Die Reaktionen dort oben verlaufen anders als hier unten. Und wenn es dort Leben gäbe, wäre es nicht Leben wie hier auf der Erde.

So mag der Fernsehfetzen vom Mars uns zum Gleichnis werden für Gottes „exotische Che­mie“, nach der ein Bau anziehbar wird. Kein Wunder, dass ein Gelüsten erwacht nach diesem Zukunfts-Stoff. Paulus spricht von der Sehnsucht nach dem Überkleidetwerden. – Ein Kleid bietet Schutz und zeichnet aus, macht uns schön, auch bedeutend. Das Kleid gibt Würde. – Darum zieht der Richter die Robe an, der Prediger den Talar, die Braut das weiße Kleid, die Schwester die Tracht, der General die Uniform. – „Kleider machen Leute.“ – Auch trägt es zum seelischen Wohlbefinden bei, von Zeit zu Zeit etwas Anderes, etwas Neues anzuziehen. Man fühlt sich dann ein wenig wie neugeboren, wie ein neuer Mensch.

Die ersten Seiten der Bibel erzählen, wie der Schöpfer den gefallenen Geschöpfen Pelzmäntel näht und sie kleidet, bevor er sie aus dem Paradies verstößt und in die Kälte schickt. – Was vor Urzeiten geschah, soll in der Zukunft neu und anders geschehen: „Wir sehnen uns, mit unserer Behausung aus dem Himmel überkleidet zu werden.“ Ich denke, wenn unsere Auferstehungsblindheit weicht, wird auch in uns die Sehnsucht nach dem Überkleidetwerden erwachen und wachsen, wird uns die Lust ankommen, die Lust auf Zu­kunft, die Lust auf die Neueinkleidung.

Es gibt einen Traum, den viele Menschen auf mancherlei Weise träumen: Sie finden sich nackt auf der Strasse oder so. Man träumt, dass einem das fehlt, was man nötig hat, und ist verlegen, man schämt sich. Paulus wirft diesen Traum nach vorn und wehrt ihn ab. „Wir wün­schen nicht entkleidet, sondern überkleidet zu werden.“

Wir kommen zwar nackt zur Welt und müssen nackt von der Welt. – So sagt’s die Heilige Schrift. – Aber wir bedecken unsere Toten. Bei jedem Verkehrsunfall wird sofort eine Decke auf den Toten gelegt. Der Tote soll nicht nackt, nicht entblößt daliegen. – Es ist, als ob ein solches Verhalten ein fernes Echo wäre auf die apostolische Furcht und Sehnsucht, nicht aus­gezogen, sondern überzogen zu werden.

Gott baut uns ein Haus. Gott schenkt uns ein Kleid, das will doch sagen, er schafft uns neu. Und nun fragt der in seine Auferstehungsblindheit Verliebte: Was nützt uns das? – Gottlob Spoerri sagte einmal in einer Bibelarbeit: „Die Universitäten und die Apfelbäume verdanken wir in Europa Menschen, die ausschließlich für die Auferstehung gelebt haben.“ – Er meinte wohl die Mönche, die danach trachteten, Gott wohlgefällig zu sein und damit einen Beitrag leisteten für unsere Kultur. – Ich meine, das Votum von Spoerri bekomme im Zeichen von Brokdorf erneutes Gewicht. –

Zum Schluss zieht Paulus Bilanz, redet nicht mehr in Bildern, sondern direkt; denn hier artikuliert er ein Wissen, das jeder begreifen, jeder verstehen kann. Er will noch einmal Lust machen für Gottes Zukunft: „Denn wir alle müssen offenbar werden vor dem Richterstuhl Christi, damit jeder empfange, je nachdem er gehandelt, es sei gut oder böse.“ – Das ist frei­lich kein Wort für ein Christentum in Plüschsesseln, wohl aber ein Wort gegen die Resigna­tion, gegen die Selbstzufriedenen, für die Sehnsüchtigen. Von der Zukunft Jesu Christi her bekommt unser Leben eine neue Qualität. Wir arbeiten nicht mehr umsonst. Unser Tun soll nicht sinnlos sein; denn was wir tun, hebt er in seine Ewigkeit. Wir werden Augen machen und einer wird uns ansehen.

Vor dem Richterstuhl Christi wird sich die Seligpreisung erfüllen: „Selig sind, die reinen Herzens sind; denn sie werden Gott schauen“, die anderen aber werden sich selbst erkennen. Augen werden alle machen. Darum ist es jetzt an der Zeit, die Augen zu reiben, darum ist es jetzt Zeit aufzuwachen, Zeit zur Umkehr. Glaubet dem, der uns gnädig ansieht und unsere Unreinheit bedeckt – mit einem Bau, mit einem Kleid ohnegleichen. Noch umgibt er uns unsichtbar; aber die Zeit kommt, wo er sichtbar wird, unvorstellbar schön, und wir mit ihm. Damit das werde, sind wir hier und feiern das Mahl der Zukunft.

Gehalten am 14. November 1976 in der Heiliggeistkirche in Heidelberg.

Quelle: Rudolf Bohren, Trost. Predigten, Neukirchen-Vluyn 1981, 71-75.

Hier der Text als pdf.

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