Dorothea Wendebourg, Gregor Palamas und die Energienlehre (1981): „‚Gott, der durch sein Wort, besser gesagt durch seinen Willen, das heißt durch die zeitlose, unermüdliche Energie handelt. Das Zitat bringt auf einen Nenner, was in der palamitischen Energienlehre geschieht: Das Wort Gottes, in der biblischen Tradition Inbegriff seiner souveränen, personalen Spontaneität, die man auch unter dem Begriff des Willens fassen kann, wird – durch die Umdeutung eben dieses Begriffs – in das ewige, unveränderliche Sein Gottes eingeebnet.“

Gregorios Palamas (1296-1359)

Von Dorothea Wendebourg

„Ewig sei das Andenken Gregors, des hochheiligen Erzbischofs von Thessaloniki … er hat mit Weisheit und außerordentlichem Mut für die allgemeine Kirche Christi und für die wahren, unfehlbaren Lehren über die Gottheit in Schriften, Reden und Diskussionen gekämpft und die eine Gottheit, den einen Gott in drei Personen, der Wirkkraft, Willen und Allmacht besitzt und ungeschaffen ist, unaufhörlich verkündet; das hat er getan in Übereinstimmung mit den Heiligen Schriften und mit den Theologen, ihren Auslegern, d. h. Athanasius und Basilius, Gregor, Johannes und Gregor, dazu Kyrill, Maximus dem Philosophen und dem Theologen aus Damaskus, aber auch den übrigen Vätern und Lehrern der Kirche Christi, und hat in Worten und Taten gezeigt, daß er ihrer aller Genosse, Echo, Gleichklang, Partisan und Mitstreiter ist.“

Mit diesen Worten feiert die orthodoxe Kirche seit 600 Jahren in der Liturgie jedes ersten Fastensonntags den spätbyzantinischen Theologen Gregorios Palamas und bekräftigt die kirchen amtliche Geltung seiner Lehre – wer sich nicht dazu bekennt, fällt folgerichtig unter das kurz zuvor erklungene feierliche Anathema.

Der Mann, dem die liturgische Akklamation gilt, wird darin in den Kreis der höchsten Autoritäten eingegliedert, die die orthodoxe Kirche und Theologie kennen; er wird gekennzeichnet als Lehrer der Kirche, als Kirchenvater, der – zumindest so weit – letzte ihrer langen Reihe. Dieser Reihe ließe sich auch heute keine weitere, jüngere Gestalt von derselben Bedeutung im gesamtorthodoxen Raum anfügen. Denn die offizielle Übernahme der Aussagen Palamasʼ, des „Palamismus“, stellt die letzte verbindliche Neu- oder Weiterentwicklung kirchlicher Lehre in der Orthodoxie dar.

I. Leben

Geboren 1296, stammte Gregorios Palamas von aristokratischen Eltern, die gegen Ende des dreizehnten Jahrhunderts von Kleinasien nach Konstantinopel übergesiedelt und im Senat und am Hof zu Einfluß gelangt waren. Gregor selbst genoß seine Erziehung unter Protektion des Kaisers, eine Erziehung, die sich im Rahmen der Allgemeinbildung des kultivierten Byzantiners hielt. Daneben stand er unter dem Einfluß von Athosmönchen, die ihn in der mystischen Praxis des Hesychasmus unterwiesen. So kam es nicht von ungefähr, daß er im Alter von zwanzig Jahren seiner bisherigen Lebensweise den Rücken kehrte: Er trat mit allen noch lebenden Mitgliedern seiner Familie in den Mönchsstand ein. Fünf Jahre lebte er auf dem Athos, unter geistlicher Leitung eines hesychastischen Mystikers. Von türkischen Überfällen bedrängt, verließ er mit Freunden den Heiligen Berg und zog sich, nach kurzem Aufenthalt und Priesterweihe in Thessaloniki, auf einen Berg bei Beroea zurück. Fünf Jahre verbrachte die Gruppe dort nach den Regeln des hesychastischen Lebens: Die Woche über widmete sich jeder für sich dem mystischen Gebet, am Wochenende trafen sich alle zur Feier des Abendmahls. Diesem Aufenthalt machten serbische Überfälle ein Ende. Palamas kehrte auf den Athos zurück. Hier setzte er sein bisheriges Leben fort, zudem begann er zu schreiben, hauptsächlich Werke, deren Thema in Zusammenhang mit dem mönchischen Leben stand, außerdem aber auch Abhandlungen über den ewigen Ausgang des Heiligen Geistes, einen der Hauptpunkte in der Kontroverse mit der lateinischen Theologie. Die Beschäftigung mit dieser Frage führte zu dem Ereignis, das Gregors Leben völlig verändern und aus ihm einen Kirchenlehrer der Orthodoxie machen sollte: zum Zusammenstoß mit einem in Konstantinopel zu Ansehen gekommenen griechischen Mönch aus Kalabrien namens Barlaam. Der „Hesychastenstreit“ begann.

Gelegentlich einer Debatte über erkenntnistheoretische Probleme in der Theologie, speziell in der Geistfrage, mit Palamas aneinandergeraten, fing Barlaam an, die Spiritualität der Kreise zu untersuchen, zu denen sein Gegner gehörte. Was er dort vorfand, erschien ihm skandalös. Alsbald begann er, die hesychastischen Mönche zu attackieren.

Palamas übernahm die Verteidigung des Hesychasmus gegen diese Angriffe. Zum Auftakt verfaßte er die „Triaden“, Traktate „Zur Verteidigung derer, die heiligmäßig die hesychastische Praxis ausüben“ (1338-41). Schon hier trat hervor, was das Kennzeichen des Palamismus bilden sollte: Gregor beschränkte sich nicht darauf, den Hesychasmus auf der Ebene der spirituellen Praxis zu verteidigen, sondern begründete ihn dogmatisch mittels eines theologischen Systems, nämlich dem der ontologischen Unterscheidung zwischen Wesen und Energien in Gott. Entscheidend war, daß sich die Autoritäten des Athos hinter diese Lehre stellten, indem sie sie im „Hagioreticus Tomus“ offiziell gutheißen (1341); fortan hatte sie als Sache des Heiligen Berges selbst zu gelten.

Der Disput schlug höhere Wellen, als beide Seiten versuchten, die kirchlichen und politischen Autoritäten, Patriarch, Kaiserhaus, Aristokratie, auf ihre Seite zu ziehen. Im Jahre 1341 kam es zu zwei Synoden, aus denen Palamas als Sieger hervorging, zunächst hinsichtlich der hesychastischen Praxis, zaghaft dann auch schon im Blick auf seine theologische Begründung dafür.

Doch die Kontroverse war noch nicht ausgestanden. Vielmehr verband sie sich nun mit politischen Verwicklungen. 1342 brach in Konstantinopel ein Bürgerkrieg aus zwischen dem Kaiserhaus und dem Patriarchen einerseits und einem Thronprätendenten aus der Aristokratie andererseits. Palamas stand auf Seiten des Prätendenten. Die politische Haltung der kaiserlichen Partei verband sich nun bei einem Teil ihrer Mitglieder mit einem Kampf gegen Gregors Leh­re. Er wurde zunächst in Klosterhaft gehalten, dann ins Gefängnis geworfen; mehrere Synoden verurteilten ihn, zuguterletzt traf ihn die Exkommunikation (1344). Mittlerweile verfaßte er eifrig Schriften zur Verteidigung seiner Lehre.

1347 war der Bürgerkrieg zu Ende, Gregors Partei hatte gesiegt. Dieser Sieg bedeutete auch den seiner Lehre in der Kirche: Ihre Anhänger begannen, die Bischofssitze einzunehmen, das Bekenntnis, das jeder Bischofbei seiner Weihe abzulegen hatte, nahm palamitische Sätze in sich auf. Palamas selbst wurde Metropolit von Thessaloniki, konnte sein Amt wegen dort herrschender sozialer Unruhen allerdings erst 1350 antreten. Das folgende Jahr brachte den endgültigen Triumph des Palamismus: Er wurde, auf der Grundlage der Entscheidungen von 1341, zur offiziellen Lehre der byzantinischen Kirche erklärt, über seine Gegner das Anathema ausgesprochen; nach und nach sollten auch die anderen orthodoxen Kirchen diese Entscheidung übernehmen.

Gregors kirchliche Position war nun unerschütterlich, auch wenn er seine Lehre immer wieder gegen Kritik zu verteidigen hatte. Im übrigen waren die acht Lebensjahre, die ihm noch blieben, ausgefüllt mit bischöflichen Amtspflichten und gelegentlichen Vermittlungsdiensten bei politischen Streitigkeiten, eines davon verbrachte er in türkischer Gefangenschaft. Er starb 1359 in Thessaloniki. Sehr bald begann man an verschiedenen Orten, ihn kultisch zu verehren, und 1368 folgte die offizielle Kanonisation. Sein Name und seine Lehre gingen in das anfangs zitierte „Synodikon der Orthodoxie“ ein, das am Sonntag der Orthodoxie, dem ersten der Fastenzeit, vorgetragen wird, und der zweite Fastensonntag sowie der 14. November, Gregors Todestag, wurden seinem Gedächtnis geweiht.

II. Spiritualität

Palamasʼ Leben und Wirken fallen in die Zeit, in der Byzanz seinem Ende entgegengeht; das Reich ist schon nicht mehr als ein Kleinstaat und, politisch zerrissen, sozial und wirtschaftlich zerrüttet, den Attacken der Feinde ringsum – der italienischen Seerepubliken im Westen, der Serben im Norden, der Türkei im Südosten – widerstandsunfähig ausgeliefert, wie Gregors eigene Biographie zeigt. Andererseits steht diese selbe Epoche kulturell ganz besonders glänzend da: Kunst und Wissenschaft, Rhetorik und Philosophie kommen noch einmal zu höchster Blüte, die Antike wird noch einmal begeistert aufgenommen – der „Humanismus“, die „Renaissance“ der Paläologenzeit.

Gregor will kein Glied in dieser Bewegung sein. Vielmehr setzt er sich von allem weltlichen Wissen, gipfelnd in der Philosophie, radikal ab: Die Wahrheit, die man dadurch erreiche, stehe völlig unnötig und wertlos neben der, die eigentlich Wahrheit sei – anders ausgedrückt, die Philosophie soll mit Erkenntnis der Wahrheit gar nichts zu tun haben. Was darin nützlich sein möge, sei so mit Falschem und damit Gefährlichem gemischt wie ein Gebräu aus Gift und Honig – kein Wunder, daß alle oder die meisten Häresien aus der Beschäftigung mit ihr stammten.

Die letzte Aussage zeigt, was für Palamas das Kriterium der Wahrheit ist: die Erkenntnis Gottes; sie allein liegt ihm am Herzen und soll allen Christen am Herzen liegen. Dorthin aber führt für ihn nur ein Weg: die unmittelbare Erfahrung (peira), die Schau Gottes. Wozu dann die Beschäftigung mit der Welt, mit den Regeln des eigenen Denkens usw., die Philosophie und Wissenschaft betreiben, und mit dem, was früher, gar im Heidentum, zu diesen Themen gesagt worden ist – das alles sei zumindest Ablenkung, meist geradezu der Schritt vom Weg.

Die Alternative, die Gregor hier behauptet, stellt die Gotteserkenntnis nicht nur in Gegensatz zu bestimmten wissenschaftlichen Theorien und philosophischen Systemen. Vielmehr schließt der Zwang zur Unmittelbarkeit jeden Einsatz des Denkens auch im Dienst der Gotteserkenntnis aus. Nach Vermittlung mit der Welterfahrung und den hierfür gültigen Kategorien zu suchen, wird damit zu einem sinnlosen, wenn nicht irreleitenden Unterfangen. Aber nicht nur das, auch die Beschäftigung mit dem Evangelium und der kirchlichen Tradition – beide gegenständlich-fremd, nicht einfach in Unmittelbarkeit aufzulösen – muß demselben Verdikt verfallen. Natürlich läßt es die Überlieferung nicht zu, solche Beschäftigung zu verbieten, doch wer sich ihr hingibt, ist nicht auf der Höhe des eigentlichen Christentums, der Unmittelbarkeit des Zeitalters im Geist: Die Schau Gottes verhalte sich zur Gotteserkenntnis aus dem Evangelium wie dieses selbe Evangelium zum mosaischen Gesetz. Warum sollte man sich noch mit dem Vorläufigen abgeben, das Gegenständliche der unmittelbaren Erfahrung vorziehen? Und wer noch nicht am Ziel angelangt ist, dem wird empfohlen, sich daran auszurichten, indem er den bereits Vollendeten Verehrung, Glaube und Liebe entgegenbringt.

Diese Aussagen sind nicht „typisch byzantinisch“, im Gegensatz etwa zur mehr oder weniger „rationalistischen“ Philosophie und Theologie des Westens von der Scholastik bis zu Kant und der Moderne. Sie stellen vielmehr auch in Byzanz einen völlig einseitigen Entwurf dar, im radikalen Gegensatz zu weiten Strömungen der dortigen Tradition.

Für Palamasʼ „humanistische“ Zeitgenossen etwa gab es die Alternative „hie Gegenstandserkenntnis und vernünftiges Denken, hie Gotteserkenntnis“ gar nicht. Sie verstanden sich eingeordnet in ein „christliches Weltbild“; in einem solchen aber hat die wissenschaftliche und philosophische Beschäftigung mit der Welt, mit allem dem Menschen von sich aus Erfaßbaren, wie sie zu einem – wie vag auch immer definierten – Humanismus gehört, trotz aller Eigengesetzlichkeit immer auch religiösen Stellenwert, und ruht umgekehrt das christliche Selbst-, Welt- und Gottesverständnis nicht unbeeinflußt von ihr in sich. Auf der anderen Seite schließt diese Anschauung nicht aus, daß es Begegnungen mit Gott, Gotteserkenntnis geben kann, die vom Bezug zur Welt und zu allem dem Denken Erreichbaren unabhängig sind; solche Begegnungen werden per definitionem nicht machbar, sondern vom Gegenüber Gott frei geschenkt, damit aber auch in keiner Weise nachprüfbar und für jedermann zwingend sein.

Aber nicht nur der Humanismus, auch die Mystik in Byzanz kennt in einem Großteil ihrer Vertreter Palamasʼ Alternative nicht. Sie zielt wie er auf die unmittelbare Gottesschau, doch das heißt nicht, sie betrachte die Welterkenntnis als gottlos und den Bezug auf das Evangelium als überholt und überflüssig. Die mystische Tradition, die in der byzantinischen Kirchengeschichte die größte Rolle spielt, ordnet vielmehr die gegenständliche und die unmittelbare Gotteserkenntnis als zwei notwendig miteinander verbundene Stufen des Aufstiegs zu Gott hintereinander. Am Anfang dieser Tradition steht, inspiriert von Origenes, Evagrius aus dem Pontus (346-99), thematisch, wenn auch nicht schulbildend, auch Gregor von Nyssa, auf dem Höhepunkt – jedenfalls der systematischen Geschlossenheit nach – Maximus der Bekenner, dazwischen und dahinter viele andere, die mit ihnen das Rückgrat der Konzeption teilen, unterschiedlich akzentuiert, mehr oder weniger ausdrücklich, mehr oder weniger integriert.

D. h. konkret: Bevor der Mystiker, durch asketische Übung und tugendhaftes Handeln von der Welt äußerlich und emotional so unabhängig wie möglich geworden (Grundstufe der Praxis), Gott in unvermittelter Schau erfährt (Zielstufe der theologia), sucht er ihn in Schöpfung und Heilgeschichte (Stufe der theoria physike). Er betrachtet die Welt und kommt zu dem Schluß, daß sie, wirklich durchschaut, zwangsläufig zu Gott führt, weil nur er als prägender, schöpferischer Grund sie verständlich macht. Ebenso als zeitliche Zwischeninstanz der Gotteserkenntnis dienen die biblische Geschichte und die Traditionen der Kirche, etwa die Liturgie; hat sich doch Gott selbst hier gebunden an Geschaffenes offenbaren wollen – zentral und an erster Stelle in Christus. Erst wer diese Stufe der indirekten Gotteserkenntnis erklommen hat, kann – er muß nicht, zum Heil ist er hiermit schon gelangt – auf die unmittelbare Begegnung hoffen. Erscheint Gott dann tatsächlich „von Angesicht zu Angesicht“, hat der Christ den Gipfel, die höchstmögliche Form der Verwirklichung seines Lebenszieles erreicht. Wie diese Erscheinung ausfällt, intellektuell, gefühlsbestimmend, visionär, hängt von der psychischen Disposition des jeweiligen Mystikers und der Psychologie und Theologie seiner Tradition ab.

Die mystische Strömung, zu der Palamas gehört, der Hesychasmus, steuert geradewegs auf diesen Gipfel der Unmittelbarkeit zu. Gott nicht erst vermittelt durch Gegenstandserkenntnis und nach den Regeln des Denkens, sondern ohne Umschweife „von Angesicht zu Angesicht“ zu erfassen, das gilt ihr allein und damit zwingend als Ziel des Christen hier und jetzt in diesem Leben. Wer nicht selbst die Erfahrung der Unmittelbarkeit gemacht hat, kennt Gott gar nicht und kann auch nicht mitreden, wo es um ihn geht, denn andere Kriterien für angemessene Aussagen über ihn gibt es nicht.

In diesem Entwurf drückt sich zweierlei aus: Zum einen die mystische „Ungeduld“ der Hesychasten. Zum anderen ihr vollkommener Mangel an Interesse gegenüber allem, was nicht Gott ist. Wohl sucht auch die theoria physike in den zeitlichen Dingen, in Schöpfung und Heilgeschichte, Gott. Daß sie das aber hier tut und nicht geradewegs auf die unmittelbare Schau zusteuert, beruht auf der Einschätzung, die Welt sei selbst zuwendungswürdig, verdiene es, mit Interesse betrachtet, bestaunt und verstanden zu werden, so wie auch die Vernunft mit ihren Regeln in sich etwas Positives sei. Legitimiert findet man diese Haltung durch Schöpfung und Inkarnation.

Dem Hesychasmus fehlt dagegen jegliches derartige „horizontale Interesse“; er kennt nur ein Ziel und verfolgt es mit aller Intensität: Gott möglichst schnell unvermittelt zu erfassen, nicht über zeitliche Instanzen und in den Bahnen des von ihnen ausgehenden Denkens. In der Vereinigung mit Gott jenseits der Vernunft“ ist uns das Göttliche gegeben und so ist es recht, Gott zu erkennen, d. h. geistlich, nicht in der Weise, daß wir im Rahmen unserer Fähigkeiten, mit den Sinnesorganen und mit der Vernunft, uns die Erkenntnis Gottes aus dem Seienden verschaffen“.

Die Ungeduld, die hier vorwärtsdrängt, schlägt sich praktisch nieder in der Anwendung einer besonderen Methode für den Aufstieg zu Gott, einer Gebetstechnik mit psychosomatischem Unterbau: Durch unaufhörliche Wiederholung des sogenannten Jesusgebets, des Rufes „Herr Jesus Christus, Sohn Gottes, erbarme dich meiner!“, soll der Christ ganz und gar von weltlichen Gedanken freiwerden – damit zugleich von der Anhänglichkeit an die Welt und von bösen Taten, die in solchen Gedanken ihre Wurzel haben – und bereit für die Erscheinung Gottes; die Konzentration auf den“ Ort des Herzens“ in der Körpermitte, wo die Gebetsaktivität angesiedelt wird – daher der Spottname „Nabelschau“ – durch rhythmisches Atmen und kreisförmige Sitzhaltung unterstützt den Vorgang. Diese Methode ist an und für sich weniger aufregend, als sie dem Kritiker Barlaam erschien – dergleichen findet sich in vielen Religionen –, und Palamas wie heutige Palamiten sind ohne weiteres bereit, sie zu relativieren; bemerkenswert erscheint sie aber eben als Ausdruck jenes Drangs nach baldigstmöglicher Unmittelbarkeit zu Gott.

Die ersehnte Unmittelbarkeit wird – jedenfalls von jener hesychastischen Strömung, zu der Palamas gehört und die er verteidigt – in einem Phänomen gefunden, das dem Jesusgebet folgt: in Lichtvisionen, die der Mystiker mit eigenen Augen, wiewohl auf nicht natürliche Weise sieht. Ein moderner Kritiker mag geneigt sein, derartige Visionen auf religionspsychologische Mechanismen zu reduzieren – für ihre hesychastischen Verfechter sind sie das Ziel des christlichen Lebens, die Erscheinung Gottes selbst. Zur Legitimierung dieser Aussage zieht man die Bibel heran, und zwar in zweifacher Hinsicht. Sie rechtfertige den Anspruch der unmittelbaren Gottesschau, denn schließlich verheiße sie ja: „Ihr werdet Gott schauen.“ Außerdem zeige sie, daß solche Schau schon im irdischen Leben zu erwarten sei, indem sie von Menschen erzähle, die sie erfahren hätten. Exemplarische Bedeutung wird dem Erlebnis der drei auserwählten Jünger auf dem Thabor zugeschrieben (Mt. 17), hier sei im Licht der Verklärung die Gottheit Christi selbst sichtbar erschienen; jenes Licht aber sei kein anderes als das, welches Gott auch heute den Christen offenbare – kurz, es handele sich hier und dort um das eine „Thaborlicht“.

III. Lehre

1. Problemstellung

Welche Rolle in Palamasʼ persönlichem Leben Visionen gespielt haben, läßt sich nicht mehr feststellen, immerhin widmete er der hesychastischen Gebetspraxis viele Jahre. Seine Schriften jedenfalls interessieren sich für die praktische Seite des Hesychasmus nur am Rand und immer weniger, sie wollen keine persönlichen mystischen Erfahrungen beschreiben noch Anleitungen geben, wie solche zu machen seien. Vielmehr ist ihr Ziel theologisch im engeren Sinne des Wortes: Es geht ihnen darum zu zeigen, wie Gott ist, welche Bedingungen in ihm vorausgesetzt werden müssen, wenn es wirklich Gott ist, was im Thaborlicht erscheint. Kann aufgewiesen werden, daß der so gewonnene Gottesbegriff sinnvoll, das heißt in sich stimmig und mit der Tradition vereinbar, ja vielleicht sogar aus ihr abzuleiten ist, darf die hesychastische Praxis auch in theologischer Hinsicht als legitimiert und damit als unanfechtbar gelten.

Es macht nun das Eigentümliche dieses theologischen Unternehmens aus, daß hier die hesychastische Praxis zwar von der Bibel her legitimiert, doch nur bedingt von ihr aus interpretiert wird. Dazu dienen Palamas vornehmlich die Kategorien des Neuplatonismus und seiner christlichen Erben, allen voran der großen Kappadozier, besonders Gregors von Nyssa, und des Areopagiten, in geringerem Maß auch Maximus‘ des Bekenners. Das diesem Interpretationsrahmen eigene Gefalle, daneben aber auch die legitimierende biblische und die Palamas natürlich bekannte, aber kaum integrierte liturgische Tradition wirken sich nun in der Weise aus, daß sein systematischer Entwurf darüber hinausgeht, theologische Begründung der hesychastischen Praxis zu sein. Er erklärt schließlich weit mehr als die Voraussetzungen der Gottesschau in Gott.

Diese Ausweitung geht in zwei Richtungen vor sich: Palamas entschränkt die Frage nach der Thaborlichtvision und führt sie auf das allgemeinere Problem „christliches Leben und göttliche Gnade“ zurück. Die Bestimmung des Menschen erscheint nun nicht mehr ausschließlich auf die mystische Gottesschau hin konzipiert, sondern nimmt eine Vielzahl traditioneller, großenteils biblischer Vorstellungen vom christlichen Leben in sich auf, etwa die der Liebe, der Freude, der Güte. Das Gefalle zum mystischen Gipfel bleibt allerdings erhalten. Andererseits gilt nun für das gesamte, entschränkte Verständnis des christlichen Lebens, was bisher als das Besondere der Gottesschau erschien: die Unmittelbarkeit zu Gott. Wie Gott selbst für Palamas das Licht ist, das sich dem Menschen zeigt, ihn durchdringt, so soll er jetzt auch selbst das Lieben, die Freude, das Gutsein usw., kurz das ganze neue Leben des Christen sein. Palamas gelangt so, im – ihm selbst noch nicht bewußten, von modernen Palamiten aber hervorgehobenen – Gegensatz zur westlichen Scholastik, zu einer Konzeption der „ungeschaffenen Gnade“ (charis aktistos): die Gnade ist Gott selbst.

Gregor entschränkt aber nicht nur das Verständnis des christlichen Lebens. Vielmehr dient ihm die innergöttliche Begründung, die er für den Gnadenstand gibt, darüber hinaus als Basis, in Gott auch die Außenbezüge zu verankern, die nicht die der Gnade sind: das heißt, Schöpfung und Gestaltung der Welt durch Gott kommen in den Blick. Hier eben wirkt sich die genannte philosophische und theologische Tradition aus. Denn sie will alles Seiende erklären. Wenn Palamas sie auch ursprünglich nur zur Begründung eines Teilbereichs der Wirklichkeit heranzieht, bringt sie doch mit ihren Kategorien ihr gesamtes Material mit ein.

Wenn eben gesagt wurde, Schöpfung und Gestaltung der Welt durch Gott kämen in den Blick, so muß man sofort hinzufügen: Dies alles kommt in den Blick von Gott aus gesehen, unter dem Aspekt, auf welche Gebiete sich die Fähigkeit Gottes, nach außen zu treten, erstrecke. Daß auch das Verhältnis des Menschen zu Gott von hier aus neu gesehen und eine Vermittlung der Gotteserkenntnis mit der der zeitlichen Welt und den hierfür zuständigen Erkenntnisorganen verfochten würde, der Beziehung zu Gott in der Gnade nicht doch nur die splendid isolation bliebe, eine solche Abkehr von der Ausgangsposition ist nicht festzustellen. Ihr stände wohl nach wie vor die Hochschätzung der persönlichen, unmittelbaren Gottesschau entgegen. Jedenfalls ließe sich Gregors Konzeption in dieser Richtung ausbauen und so die Enge seines Ansatzes in der Spiritualität überwinden.

2. Energienlehre

Wenden wir uns Palamasʼ Konzeption selbst zu. Sie nimmt ihren Ausgang, wie gesagt, in einem bestimmten Verständnis des Christseins: Hier treffen Gott und Mensch unmittelbar zusammen. Das heißt für Gregor, sie werden eins; wenn der Christ vom Thaborlicht durchdrungen, von Liebe bewegt, von Freude erfüllt wird, tritt er in Gottes eigenes Sein ein, wird er selbst Gott. Bedeutet das nun, daß Gott und Mensch identisch werden, Vergöttlicher und Vergöttlichter ineinander aufgehen? Eine solche Folgerung weist Gregor weit von sich, und zwar mit zwei Argumenten:

(a) Der Mensch verliert seinen Charakter als geschaffenes Individuum nicht. Er wird seiner Qualität nach ganz göttlich, Gott, aber eben seiner Qualität, nicht seinem Wesen nach, der punktuelle Träger, an dem sie haftet, der Spiegel, der sie – und sie allein – wiedergibt.

(b) Gott ist nicht nur das, womit der Mensch eins wird – so sehr die umgekehrte Aussage gilt. Denn wohl wird die Gottesschau verheißen, steht geschrieben, „Ihr sollt göttlicher Natur teilhaftig werden“ (2. Petr. 1, 4), ist dieser Satz in der biblischen und kirchlichen Geschichte immer wieder eingelöst worden, aber andererseits steht doch ebenso fest, daß Gott unfaßbar ist, niemand ihn je gesehen hat. Beides gilt gleichgewichtig: Gottes unaufhebbare Transzendenz und die Realität der Vereinigung mit ihm – darum muß dieser Gegensatz als Differenz in Gott selbst verwurzelt sein. Gott ist das Thaborlicht, die Gnade, das erfahrbare neue Sein des Christen, und er ist zugleich unsichtbar, über jeder Erfahrung stehend, am Christsein unbeteiligt; ausgeweitet auf das Ganze des göttlichen Weltbezugs: Gott ist das, was die Dinge ins Sein bringt, gestaltet und erhält – und er ruht zugleich völlig abgeschlossen in sich selbst. In der klassischen Terminologie des Palamismus: Gott ist zugleich Energien (energeiai) und Wesen (ousia). Dieser Unterschied hat ebensolche Realität wie der der trinitarischen Hypostasen.

Die Differenz von Usia und Energien bedeutet, daß Gott per definitionem zugleich Relation nach außen (schesis pros ti) und außerhalb dieser Relation ist. Er soll „untere Gottheit“ (theotes hypheimene) und „oberes Wesen“ (ousia hyperkeimene) sein. Wenn er seinem Wesen nach „oben“ ist, heißt das, er ist hier ohne Zusammenhang mit der Welt. Dementsprechend gibt es auch keine gemeinsamen, nicht einmal analoge Begriffe für beide; auch die unmittelbare Erfahrung kann nicht bis dorthin gelangen. An unsere weltlichen Kategorien gebunden müßten wir sagen, es gebe Gott dem Wesen nach gar nichteine Aussage, die letztlich aber unsere Rede aufhebt, nicht Gott. Denn im Grunde ist er in einer Vollkommenheit, der gegenüber jedes andere Seiende nicht ist. Der Abgeschlossenheit in sich, die für Gott gilt, sofern er sein Wesen ist, stehen, wie gesagt, seine Beziehungen zur Welt gegenüber, insofern er seine Energien, die „untere Gottheit“ ist. Konkret meint Gregor damit z. B. Gottes Gnade, Leben, Gutsein, Erbarmen, Unveränderlichkeit, Göttlichkeit, Schaffen, Vorsehung und Willen. Wie diese Liste zeigt, faßt Gregor unter dem Titel „Energien“ zwei Arten von Sachverhalten zusammen: das, was Gott ist, und das, was er tut.

Im Nebeneinander dieser beiden Arten von Aussagen und ihrer Deutung im palamitischen System schlägt sich das Nebeneinander der beiden Traditionen nieder, die wir schon angesprochen haben: der neuplatonischen und der biblischen. Ihr Gewicht ist allerdings verschieden: Die Weichen stellen die philosophischen Kategorien, die biblischen werden nicht eigens reflektiert und wirken sich nur unter der Hand aus – als Faktoren, die den Rahmen zu sprengen drohen, doch noch rechtzeitig eingeholt und eingeebnet werden.

Insofern Palamas die Energien als das bestimmt, was Gott ist, steht er unter dem Einfluß des Platonismus und seiner neuplatonischen Weiterentwicklung. Er nimmt dessen Versuch auf, die Vielfalt alles Seienden als geordnetes, sinnvolles Ganzes zu deuten. Dieser Versuch war hier in der Weise durchgeführt worden, daß man behauptete, alle veränderlichen Dinge seien geprägt von einer Welt unveränderlicher, in sich bestehender Strukturen (Ideen), welche ihrerseits von einer einzigen, einheitsstiftenden Instanz (Gutes, Eines) zusammengehalten würden. Als solche unverändlichen Strukturen bestimmt Palamas das Göttliche, das in der Welt erscheint, das die Christen prägt und die ganze Wirklichkeit in Sein und Ordnung hält: das Thaborlicht, das Leben, das Gutsein, die Vernünftigkeit usw. Allerdings modifiziert er dabei den platonischen Rahmen: Er kann – dies natürlich unter biblischem Einfluß – die göttlichen Strukturen nicht als Zwischeninstanzen zwischen dem Einen, Gott, und der Welt verstehen; außerhalb Gottes gibt es für ihn nur die geschaffenen Einzeldinge. Darum müssen die ewigen Strukturen, die Energien, in die Einheit Gottes gehören, muß Gott selbst sie sein.

Diese Notwendigkeit in Rechnung gestellt, bestimmt Palamas das Verhältnis von kontaktloser „oberer“ Gottheit und weltprägenden Strukturen als das eines Wesens (ousia) und seiner Eigenschaften (idiomata); sie sollen dem Wesen eigentümlich zukommen und es somit charakterisieren und spezifisch zu benennen erlauben. Das heißt, Gott ist göttlich, weise, gut, barmherzig, unveränderlich in ewiger, selbstgenügsamer Vollkommenheit. Diese Eigenschaften Gottes behalten aber nach wie vor die Funktion der Strukturen, die den Christen und die Welt prägen: So wie die Sonne hell ist, ob nun ein Objekt vor ihr steht oder nicht, wenn aber die Welt in Reichweite ist, auch sie hell macht, gilt für Gott, daß er in sich göttlich, weise, Licht usw. ist und diese seine Eigenschaften zugleich auf den Christen, auf die Welt übergehen können. Und so wie die Erde immer nur einen Teil des Lichtes aufnimmt, das die Sonne besitzt, kann die Welt, kann der Mensch nur „teilhaben“ (metechein) an der Göttlichkeit, Weisheit, dem Licht, die Gott in unendlicher Fülle auszeichnen. In seinen Eigenschaften liegt gleichsam das ewige Kapital, das dann in der jeweiligen Teilhabe genutzt wird. Daß es zu solcher Teilhabe kommt, beruht auf Entscheidungen des göttlichen Willens. Es ist leicht zu sehen, wo ein solches Gottesbild mit dem biblischen zusammenstoßen muß. Geht dieses doch davon aus, daß Gott handle – statt daß er die ewige Instanz bilde, in der die Ordnung der Welt wie die Erfüllung des Menschseins immer schon unveränderlich vorliege.

Diesen anderen Ausgangspunkt kennt auch Palamas, und er trägt ihm Rechnung in der zweiten Bestimmung, die er den Energien gibt: Sie seien Gottes Handlungen. Was der Welt Sein und Ordnung verleiht und das christliche Leben zum Ziel bringt, sind demnach willentliche Akte, Bewegungen (kinesis), in denen bewußt Neues gesetzt wird. Das heißt, die Beziehung zwischen Wesen und Energien Gottes muß so verstanden werden, wie sich eine Person und ihre Taten zueinander verhalten. Damit aber, sollte man meinen, läßt sich die Überrelationalität des Wesens im Gegensatz zu den energetischen Außenkontakten nicht mehr aussagen, denn es ist ja gerade das Handlungssubjekt selbst, das in seinen Kontakten nach außen tritt. Palamas indessen behauptet diesen Gegensatz nach wie vor. Zugleich aber scheint er sich jenes Einwandes doch bewußt zu sein und bemüht sich darum, ihm die Spitze zu nehmen. Er ebnet nämlich den Charakter der Energien als göttlicher Außenkontakte ein so ist das Wesen Gottes dann in jedem Fall vor der Berührung mit der Welt geschützt.

Um dies zu erreichen, bestimmt er die Energien so, daß sie Veränderung, Neusetzung ausschließen. Gewiß, Handlung sei Bewegung – doch Bewegung bedeute nur dann Veränderung, wenn sie sich auf zeitliche Objekte beziehe, die zu einem Zeitpunkt existieren, zu einem anderen nicht, die jetzt so, jetzt anders sind. So bringt etwa die Schöpfung die Welt überhaupt erst ins Sein, macht die Erscheinung des Thaborlichtes, die Vergöttlichung den Christen zu einer „neuen Kreatur“. Diese Handlungen sind zielgerichtet, „gerade“, wie Gregor im Anschluß an den Areopagiten sagt, und berühren das Handlungssubjekt, insofern sie es in Relationen bringen, die zuvor noch nicht bestanden haben. Darum nimmt Palamas sie aus dem Bezug zu Zeitlichem zurück, löst sie von ihren Objekten und erklärt, sie seien nicht zielgerichtet, sondern „geschraubt“. Wohlgemerkt, sie gelten nach wie vor als Bewegungen, doch als solche, die in Gott unendliche Schraubenfiguren ziehen, ein ewiges Erleuchten, Schaffen usw. Sie sollen auch nach wie vor Außenbeziehungen Gottes sein, aber eben solche ohne Gegenpol, „arelationale Relationen“, wie Gregor paradox formuliert. Sie zielen auf kein Werk mehr, sondern sind Selbstzweck in Gott, so daß man sie selbst als „Werke“ bezeichnen könnte. Aber eben nicht als solche, die geschaffen sind, sondern als ewige, die in „natürlicher“, „zeugungsähnlicher“ Zwangsläufigkeit unaufhörlich aus Gott hervorgehen und nur in diesem Hervorgang sind, ohne je selbständiges Sein zu gewinnen – vergleichbar dem Ausstrahlen des Lichtes aus der Sonne, der Hitze aus dem Feuer.

Kann unter diesen Umständen Gott überhaupt in der Zeit tätig sein? Ist es überhaupt noch möglich, daß aus der Schraubenbewegung eine gerade wird, die sich auf bestimmte Gegen­stände richtet, aus der „arelationalen Relation“ eine wirkliche? Palamas sieht hier kein Problem, er verweist auf den göttlichen Willen. Dieser ist für ihn die Instanz, die die ewigen, natürlichen Ausstrahlungen je und je für zeitliche Aufgaben „nutzbar macht“, etwa die ewige Schöpfungsbewegung für die Hervorbringung der Welt. Von der Zeit aus gesehen kann man geradezu sagen, die Vorgänge in Gott seien nur die Voraussetzung, die Möglichkeit (dynamis), die erst durch Willensentscheidungen zu faktischem Geschehen würden, obwohl in Wirklichkeit die zeitliche Bewegung nur ein abgeleitetes Nebenprodukt der unendlichen ewigen ist.

Der Gedanke klingt bekannt – sahen nicht ähnlich die Folgerungen aus, zu denen das Verständnis der Energien im Rahmen der ersten Traditionslinie geführt hatte: Gottes Eigentümlichkeiten als ewige Voraussetzungen zeitlicher Außenbezüge, die jeweils vom göttlichen Willen hergestellt werden? Das statische Verständnis der Energien war in dieser von der platonischen Ideenlehre herkommenden Traditionslinie von vorneherein angelegt. In der zweiten, biblischen, dagegen wird es erst durch Umdeutung erreicht. Ist man an diesem Punkt angekommen, können dann eben so unterschiedliche Sachverhalte wie die, daß Gott als Licht erscheine, gut sei, sich erbarme, unveränderlich sei, lebe, schaffe gleichermaßen als „Energien“ gelten.

Der einzige Störfaktor in diesem Bild ist der Wille Gottes. Denn als die Instanz, die die ewigen Voraussetzungen in Gott auf das jeweilige zeitliche Gegenüber bezieht, stellt er das letzte Einfallstor der biblischen „Handlungstradition“ dar. Palamas sieht das und zieht seine Konsequenz daraus: Er ordnet den göttlichen Willen unterschiedslos unter die Energien ein: „Gott, der durch sein Wort, besser gesagt durch seinen Willen, das heißt durch die zeitlose, unermüdliche Energie“ handelt. Das Zitat bringt auf einen Nenner, was in der palamitischen Energienlehre geschieht: Das Wort Gottes, in der biblischen Tradition Inbegriff seiner souveränen, personalen Spontaneität, die man auch unter dem Begriff des Willens fassen kann, wird – durch die Umdeutung eben dieses Begriffs – in das ewige, unveränderliche Sein Gottes eingeebnet. Diese Verschiebung ist bereits in der grundlegenden Weichenstellung des palamitischen Systems vorprogrammiert. Denn Gregor macht zwar die mystische Erfahrung, in deren Dienst er seine Lehre ursprünglich entwickelt, zum Ausgangspunkt der Konzeption, indem er sie biblischer Deutung unterwirft. Doch auf dem Weg von dieser Deutung zum System erfolgt die grundlegende Verschiebung der Kategorien: Daß Gott einerseits zu schauen ist, andererseits nicht, heißt ja im biblischen Rahmen, er halte sich verborgen oder lasse – im Sinn von „herablassen“ – sich sehen. Es geht also um personale) willensbestimmte Akte, die Gott jeweils ganz und vorbehaltlos betreffen, auch dort, wo sie ihn binden, weil solche Bindung Ausdruck seines freien Willens ist – was nicht bedeutet, der Mensch könne ihn ganz fassen, doch die Grenzen liegen in dessen Geschöpflichkeit, nicht in einer Differenz innerhalb Gottes. Palamas aber nimmt diesen biblischen Aussagen den personalen Charakter, indem er die bei den Pole Freiheit und Bindung auf zwei Seiten des göttlichen Seins verteilt. Daraus folgt, daß Gott auch, wo er sich dem Nichtgöttlichen zuwendet, immer zugleich unbeteiligt über seiner eigenen Zuwendung steht, und das seinem primären Sein, dem Wesen nach.

Sind die Weichen grundsätzlich in dieser Richtung gestellt, so kommt doch der biblische Aspekt noch einmal zu Wort, wo Palamas die Energien als Handlungen Gottes bestimmt. Hier wäre die Möglichkeit der Kurskorrektur gegeben. Denn von hier aus ließe sich die Unterscheidung von Wesen und Energien, die Konzeption eines seinen eigenen Außenbezügen wesenhaft unbeteiligt gegenüberstehenden Gottes sprengen, wenn Gregor die Konsequenzen für das Subjekt des Handelns zöge. Stattdessen fürchtet er sie und ebnet das Handeln in das Sein Gottes ein. Er fürchtet sie nicht nur im Interesse Gottes, dessen Vollkommenheit damit Abbruch geschähe, sondern auch im Interesse der Schöpfung: Ein veränderlicher Gott könnte nicht zuverlässig sein. Der biblische Gedanke an Zuverlässigkeit im Sinne von Treue statt von unwan­delbarem Sein kommt nicht auf.

Das sind indessen Einwände, denen Palamas von seinen Zeitgenossen nicht ausgesetzt wurde. Sie hielten ihm vielmehr vor – und so lautet bis heute die Hauptkritik von Seiten römisch-katholischer Theologen –, seine Konzeption erlaube nicht mehr, Gott als Einen zu verstehen: Eine „obere“ und eine „untere“ Gottheit seien eben mehrere. Ohne auf Gregors Argumente im Einzelnen einzugehen, muß man in der Tat feststellen, daß es schwierig ist, die Energien nicht als selbständige Zwischengröße anzusehen, wenn durch ihre Existenz das Wesen Gottes von den Außenbezügen abgeschirmt sein soll.

Palamas verwies gegenüber seinen Kritikern auf die Trinitätslehre: Habe doch hier die normative kirchliche Tradition eine Unterscheidung in Gott anerkannt, die seine Einheit nicht beeinträchtige, ja sogar umgekehrt festgestellt, diese Einheit könne überhaupt nur von der trinitarischen Unterscheidung her verstanden werden.

3. Trinitätslehre

Dieses Argument wie überhaupt die ganze Energienkonzeption legt die Frage nahe: Will Palamas durch sie die herkömmliche Trinitätslehre ersetzen? Soll die Unterscheidung von Wesen und Energien in Gott an die Stelle der Unterscheidung zwischen den Personen treten? Gregor hätte diesen Gedanken weit von sich gewiesen: Gott sei sowohl Wesen und Energien als auch Vater, Sohn und Geist. Ja, die Trinität war ihm Gegenstand allerhöchster Verehrung. Indessen, der Stellenwert dieser beiden innergöttlichen Differenzen in seiner Lehre ist völlig verschieden. Die zwischen Wesen und Energien wurde verfochten, weil nur unter ihrer Voraussetzung die Erfahrung von Vergöttlichung und Schöpfung Erfahrung Gottes selbst sein könne; sie ergab sich also im Rückschluß aus der Funktion, die Gott gegenüber dem Nichtgöttlichen wahrnimmt. Das Sein Gottes, das so erhoben wurde, mußte ihm damit zugehören, sofern er nach außen treten, Funktionen erfüllen kann; dies gilt auch für das Wesen, insofern es als negativer Hintergrund des Außenbezugs – als verborgener Einheitsgrund, als überrelationales Handlungssubjekt – zu verstehen ist.

Diesen „funktionalen“ Zugang, der das Sein aus dem Erscheinen, aus dem Handeln erschließt, weist Palamas für die Trinität ab. Vater, Sohn und Geist sind einfach, sie gehören zum inneren Leben Gottes und haben mit seinen Außenbezügen nichts zu tun. Wie sollten sie auch – gehören sie doch nach der klassischen Trinitätslehre auf die Ebene des Wesens Gottes, zeichnet sich dieses nach Palamas aber gerade dadurch aus, daß es jenseits all seiner Relationen zur Welt bleibt. Es hat also keinen Sinn zu behaupten, die eine oder andere Person sei in einer besonderen Weise tätig, so wie man etwa traditionell sagt, der Geist sei eigentümlich mit dem christlichen Leben verbunden. Dessen Prägung, die Vergöttlichung, haben ja eben die Energien zur Aufgabe, und wenn hinter ihnen das Wesen vorausgesetzt werden muß, dann nicht nach der trinitarischen Dreiheit, sondern nach seiner Einheit. Das gilt auch für den Bereich, der herkömmlicherweise dem Sohn zugeschrieben wird, obwohl Palamas hier Schwierigkeiten hat, die christologische Überlieferung zu integrieren.

Wenn aber ausgeschlossen ist, daß Vater, Sohn und Geist in der Welt erscheinen, dann setzt das Wissen von ihnen einen Zugang voraus, der von Gottes – energetischem – Handeln unabhängig ist. In der Tat führt Palamas es zurück auf direkte Information über das sonst unzugängliche göttliche Sein auf der Ebene des Wesens. Er findet solche Information in erster Linie in den biblischen Aussagen über Vater, Sohn und Geist.

Diese Auffassung macht erst vollends klar, was Palamasʼ Entwurf bedeutet. Ist es doch ursprünglich die Trinitätslehre gewesen, die erklären sollte, wie Gott sein müsse, wenn in der Heilsgeschichte wirklich er anwesend sei: Wäre der Menschgewordene nicht Gott selbst, so hätte er uns nicht erlöst (Athanasius); nur wenn der Geist Gott ist, kann er das neue Leben des Christen bewirken (Basilius). Diese der Ableitung der Energienlehre geradezu parallele Argumentation implizierte aber – und das ist das Entscheidende –, daß die als Gott verstandenen Größen auf die eine selbe Ebene des göttlichen Wesens gehören, anders könnten sie die Funktion, die von ihnen ausgesagt wird, gar nicht wahrnehmen. Eine „obere“ und eine „untere“, gerade im Gegensatz zum Wesen definierte Gottheit kann es hier nicht geben. Und es braucht sie auch nicht zu geben, weil die Freiheit Gottes als personale Kategorie verstanden wird, die sein Handeln selbst charakterisiert, nicht als Bereich im Sein, der sich immer aus dem Handeln heraushält. Darum kann Gott seinem Wesen nach, nämlich in den trinitarischen Personen, Beziehungen zur zeitlichen Wirklichkeit aufnehmen. Ein überrelationaler Vorbehalt bleibt da nicht.

Palamas behauptet einen solchen Vorbehalt. Für ihn ist es unmöglich, etwas auf die Zeit bezogen zu denken, was auf die Ebene des göttlichen Wesens gehört, weil dessen Überzeitlichkeit Ausdruck der Freiheit Gottes sein soll. Hier springt die Energienlehre in die Bresche: Sie erlaubt es, Gottes Außenbezüge in ihm selbst zu verankern, aber sie läßt sein Wesen – und damit auch die Trinität – von ihnen unbehelligt. Daß das Bemühen, das christliche Leben und darüber hinaus alle Kontakte zwischen Gott und Welt – im Sein Gottes begründet zu sehen, zusammentrifft mit dem Rückschritt hinter die Aussagen der klassischen Trinitätslehre, darin liegt die Besonderheit der palamitischen Energienkonzeption innerhalb der Entwicklung der christlichen Theologie.

IV. Werke

Palamasʼ Schriften – sie sind bisher nur zum Teil ediert – gliedern sich in drei Gruppen: Systematisch-theologische Abhandlungen, wozu man auch den Großteil seiner Briefe rechnen muß, geistliche Traktate und Predigten. Die bei weitem wichtigste Gruppe ist die erste. Von seinen Beiträgen zum Thema Spiritualität verdient Erwähnung das „Leben des heiligen Petrus vom Athos“ (PG CL 996-1040), das er in der Zeit seines ersten Aufenthaltes auf dem Heiligen Berg schrieb. Die Predigten (die meisten in PG CLI 9ff.) stammen aus den Jahren, während derer er Metropolit von Thessaloniki war; diesem „Sitz im Leben“ entsprechend nimmt er hier Themen aus der ganzen Breite der kirchlichen Tradition auf, die in seinem System keine Rolle spielen.

Palamasʼ erste systematisch-theologischen Schriften gelten dem dogmatischen Problem, welches die Federn der Byzantiner seit einigen Jahrhunderten beschäftigte wie kein anderes: der Frage, ob der Geist vom Vater und dem Sohn oder nur vom Vater ausgehe. Gregor widmete ihr (etwa 1335) die beiden „Apodiktischen Abhandlungen“ und den Traktat „Gegen Bekkos“ (ed. Chrestou, Bd. I, 23ff.). Mit den „Triaden“, Büchern „zur Verteidigung derer, die heiligmäßig die hesychastische Praxis ausüben“ (1338-1341), begann die Entwicklung der palamitischen Energienlehre, zunächst noch ganz als Verteidigung der hesychastischen Praxis konzipiert, dann in immer höherem Maß nach ihrer systematischen Eigengesetzlichkeit ausgebaut (ed. Chrestou, Bd. I, 359ff., und Meyendorff). In der Zwischenzeit (1341) erschien die offizielle Stellungnahme der Mönche vom Athos zu Palamasʼ Lehre, der „Hagioreticus Tomus“, von ihm selbst verfaßt (ed. mehrfach, am leichtesten zugänglich PG CL 1225-1236). Der Widerspruch aus verschiedenen Lagern forderte Gregor dazu heraus, eine Unmenge von Verteidigungsschriften zu verfassen, darunter (1342/3) die drei „Antirrhetischen Bücher gegen Akindynos“ (ined.), die sieben „Diskurse gegen Akindynos“ (1343-4) (ed. Chrestou, Bd. III) und. die vier „Traktate gegen Gregoras“ (1356-1358) (ined.), daneben vielerlei kleinere Abhandlungen und Briefe (ed. Chrestou, Bd. II). Eine Sonderstellung nehmen die „Kapitel über Natur, Theologie und Ethik“ ein (PG CL 1121-1226) (wohl Mitte der vierziger Jahre geschrieben), ein Werk, in dem er im Rahmen einer geläufigen Anreihungsform die gesamte Wirklichkeit theologisch zu behandeln versucht und, allerdings mehr aufzählend als integrierend, eine Fülle naturwissenschaftlichen, philosophischen und traditionellen theologischen Materials vor dem Leser ausbreitet.

V. Wirkung

Den stürmischen Erfolgen des Palamismus folgte sehr bald weitgehendes Vergessen. War im vierzehnten und fünfzehnten Jahrhundert die überwiegende Zahl der offiziellen Vertreter der griechischen Kirche auf ihn eingeschworen und wurde die Energienlehre nach und nach auch in den übrigen orthodoxen Kirchen übernommen, sollte dann für fast ein halbes Jahrtausend die Erwähnung in der Liturgie der einzige Ort sein, der dem einst so gefeierten Kirchenlehrer blieb; kaum ein Theologe bekannte sich noch zu seinem System. Das änderte sich in der Zeit zwischen den beiden Weltkriegen. Man entdeckte die Schriften des byzantinischen Bischofs wieder, und binnen kurzem setzte eine Palamismus-Renaissance ein, die weiteste Kreise der orthodoxen Theologie aller Länder erfaßte und den Kirchenlehrer auch zum ökumenischen Gesprächspartner machte. An der Spitze standen (exil-)russische Theologen wie Vladimir Losskij und Johannes Meyendorff. Meyendorff prägte mit seiner Biographie des Kirchenvaters das zeitgenössische orthodoxe, „neopalamitische“, Palamas-Bild und stellte der Forschung mit seiner Edition und Übersetzung der „Triaden“ die erste modernen Anforderungen genügende Ausgabe eines Werkes Gregors zur Verfügung. Bald darauf begann Panagiotes Chrestou mit der Gesamtedition, die mittlerweile zur Hälfte vorliegt.

Der Neopalamismus, wie ihn in größter systematischer Geschlossenheit Meyendorff repräsentiert, verficht das System des byzantinischen Kirchenvaters in einer Sicht, die von modernen personalistischen und existentialistischen Anschauungen stark beeinflußt ist. Danach trägt Palamas in seiner Energienlehre einen „christlichen Existentialismus“ vor, der Gott als Person zu verstehen erlaubt, welche sich in „freien personalen Akten“ äußert, und setzt sich so von „essentialistischen“ Konzeptionen ab, nach denen Gott nur ein in sich geschlossenes Wesen ist. Der Neopalamismus versucht also, die biblische Traditionslinie, die Gregors System in neuplatonische Kategorien umgießt und zur ontologischen Erstarrung bringt, wieder herauszustellen. Ob es sinnvoll ist, dies zu tun, indem man eine Konzeption der Überlieferung gleichsam „gegen den Strich“ interpretiert, mag fraglich sein – jenes grundsätzliche Interesse jedoch verbindet die Erben des byzantinischen Bischofs mit den Theologen der übrigen christlichen Konfessionen.

Quelle: Heinrich Fries/Georg Kretschmar (Hg.), Klassiker der Theologie, Erster Band: Von Irenäus bis Martin Luther, C.H. Beck, München 1981, S 252-268.

Hier der Text als pdf.

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