Dietrich Bonhoeffers Entwurf einer Anweisung für die Kandidaten zur Vorbereitung auf das Pfarramt von 1936: „Der Kandidat schuldet seiner Kirchenleitung Gehorsam und soll jede Weisung, Beratung und Belehrung ehrerbietig und vertrauensvoll entgegennehmen. Er muß jederzeit für jeden geforderten Dienst bereit sein und demgegenüber alle persönlichen Wünsche und Interessen zurückstellen. Sein Leben gehört der Kirche. Er darf aber auch wissen, daß er sich in allen Fragen seines Berufes und seines persönlichen Lebens jederzeit an seinen Pfarrer oder an seine Kirchenleitung wenden darf, wenn er nicht die Hilfe anderer junger Brüder findet.“

Entwurf einer Anweisung für die Kandidaten zur Vorbereitung auf das Pfarramt

Von Dietrich Bonhoeffer

Auf der Sitzung der Leiter der Ausbildungsämter und Predigerseminardirektoren der Evangelischen Kirche der Altpreußischen Union am 27. April 1936 wurde ein Ausschuss, bestehend aus Johannes Schlingensiepen, Martin Albertz, Wolfgang Staemmler und Dietrich Bonhoeffer, mit der „Ausarbeitung von Richtlinien für die praktische Ausbildungszeit im Lehrvikariat“ betraut. Dazu erstellte Bonhoeffer folgenden Entwurf, der bis auf wenige Änderungen und mit einer Textergänzung zu „III. Lehrvikariat“ in die „Anweisung für die Kandidaten zur Vorbereitung auf das Pfarramt. Beschlossen vom Bruderrat der Evangelischen Kirche der altpreußischen Union am 19. 6. 1936“ übernommen wurde.

I.) Zurüstung auf das Amt

Der Kandidat der Theologie rüstet sich auf das Amt eines Predigers des Evangeliums. Er muß lernen sein ganzes Leben in den Dienst dieses Amtes zu stellen. Das Amt fordert den ganzen Menschen. Es fordert ein Leben unter dem Wort Gottes. Jeder Tag wird unter der Zucht dieses Wortes stehen müssen.

Der Kandidat wird reichlichen Umgang mit der Heiligen Schrift suchen; denn er hat das ewige Leben darin. Er wird in der Frühe jedes Tages eine feste Zeit zum Gebet, zur Fürbitte und zur Meditation einhalten und darin große Treue und Geduld erweisen müssen. Er wird den Abend nicht beschließen ohne das Wort Gottes und ohne seine Kirche, seine Gemeinde, die Seinen und sich Gott zu befehlen. Er wird sich jeden Sonntag [150] zur Predigt halten und die Gnade des Sakraments häufig empfangen.

Er wird wissen, daß er sein Leben unter den Augen Gottes vor der christlichen Gemeinde führt und wird immer dessen eingedenk sein, daß er nicht ein freier Mann, sondern gebunden ist durch das Amt, dem er entgegengeht. Er soll in seinem Lebenswandel und Umgang jedes Ärgernis vermeiden, und er wird sich davor hüten müssen, menschliche Schwächen mit theologischen Gründen rechtfertigen und bedecken zu wollen. Die Weisung Tit. 1, 7–9 soll er immer vor Augen haben. Eine feste Tageseinteilung bewahrt vor vielen Irrwegen und Versuchungen. Auch an den scheinbaren Äußerlichkeiten wird der Mensch erkannt (Jes. Sirach 19, 27). Darum halte er sich in allen Stücken als einer, der des Amtes gewürdigt werden soll.

In allem, was er als Staatsbürger zu tun hat, wird er allein der Wahrheit dienen und sich vor dem Worte Gottes allein verantwortlich wissen müssen.

Der Kandidat schuldet seiner Kirchenleitung Gehorsam und soll jede Weisung, Beratung und Belehrung ehrerbietig und vertrauensvoll entgegennehmen. Er muß jederzeit für jeden geforderten Dienst bereit sein und demgegenüber alle persönlichen Wünsche und Interessen zurückstellen. Sein Leben gehört der Kirche. Er darf aber auch wissen, daß er sich in allen Fragen seines Berufes und seines persönlichen Lebens jederzeit an seinen Pfarrer oder an seine Kirchenleitung wenden darf, wenn er nicht die Hilfe anderer junger Brüder findet. [151]

II.) Tägliches Studium

Der Kandidat soll es sich zur Pflicht machen, täglich einen Abschnitt aus dem Neuen Testament und Alten Testament in der Ursprache zu lesen. Es wird erwartet, daß er auf diese Weise das gesamte Neue Testament und wichtige Stücke des Alten Testaments im Urtext kennt und einige Schriften mit wissenschaftlichen Hilfsmitteln (Konkordanz, Wörterbuch, Kommentar) durchgearbeitet hat.

Der Kandidat muß die Bekenntnisschriften seiner Kirche gründlich kennen und darüber Rede stehen können. (Für den Lutheraner: Konkordienbuch. Für den Reformierten: Heidelberger [Katechismus], Confessio Gallica, Helvetica posterior, Westminster Confession.) Es entspricht der Lage der Bekennenden Kirche, daß Lutheraner und Reformierte jeweils die hauptsächlichen Bekenntnisschriften des anderen Bekenntnisses kennen. (Für den Lutheraner: Heidelberger [Katechismus]. Für den Reformierten: Confessio Augustana, Kleiner und Großer Katechismus.) Es wird außerdem erwartet, daß sich der Kandidat mit einem größeren dogmatischen Werk beschäftigt.

Der Kandidat hat sich eine eingehende Kenntnis der Weltanschauungen der Gegenwart zu verschaffen. Er soll sich bemühen sich mit dem kirchlichen Leben seiner Provinz vertraut zu machen.

Der Kandidat soll viel auswendig lernen: möglichst viel Bibelabschnitte im Luthertext, mindestens 30 Gesangbuchlieder, den Kleinen Katechismus beziehungsweise die wichtigsten Fragen des Heidelberger Katechismus.

Über den Fortschritt seiner Arbeiten ist er dem Vikariatsleiter wie dem Studiendirektor Rechenschaft schuldig.

III.) Lehrvikariat

… zu vermitteln. Die Arbeit zwischen Pfarrer und Lehrvikar kann nicht recht getan werden, wenn nicht beide täglich gemeinsam [152] das Wort der Schrift lesen und im Gebet für ihre Arbeit stehen. So wird der Vikar im Pfarrer einen Seelsorger und Bruder finden.

IV.) Predigerseminar

Im Predigerseminar findet der Kandidat zum letzten Mal ein halbes Jahr Stille, um sich auf das Amt [vor]zubereiten. Er kommt jetzt mit den ersten Erfahrungen der praktischen Arbeit und wird diese in Gemeinschaft mit den Lehrern und Brüdern des Seminars erneut durchdenken und prüfen.

Der Kandidat wird im Predigerseminar in einen durch Morgen-und Abendandacht, durch feste Meditationszeit streng geordneten Tageslauf hineingestellt. Er soll die Hilfe solcher Ordnung für die rechte Ausrichtung seiner Arbeit und für sein persönliches Leben erfahren.

Der Kandidat soll in dieser Zeit ganz, auch an den Sonntagen, der Seminarbruderschaft gehören und nicht privaten Interessen nachgehen. Er soll in täglicher Gemeinschaft des Gebetes, des Gottesdienstes und der Arbeit lernen, gute Bruderschaft zu halten und zu jedem, auch dem geringsten, Dienst an den Brüdern bereit zu sein. Er soll so im Seminar mit Brüdern oder Lehrern zu der seelsorgerlichen Gemeinschaft kommen, die er braucht und sucht. Er soll wissen dürfen, daß Lehrer und Brüder ihm in dieser Hinsicht jederzeit zur Verfügung stehen.

Die Erforschung der Heiligen Schrift Alten und Neuen Testament’s wird im Mittelpunkt der Arbeit stehen. Mündig zu werden in der Heiligen Schrift muß das Ziel eines evangelischen Pfarrers sein. Das Studium der Bekenntnisschriften wird der Zurüstung für den Kampf der Kirche dienen. [153]

Predigten und Katechesen werden ausgearbeitet und gründlich besprochen werden. Eine Einführung in die Arbeit der Seelsorge wird besonders wichtig sein.

Die Seminarzeit soll bei aller Arbeit eine Zeit der stillen Sammlung im Blick auf das Amt sein, das der Kandidat in der Ordination zu übernehmen bereit sein soll.

Quelle: Dietrich Bonhoeffer Werke (DBW 14): Illegale Theologen-Ausbildung: Finkenwalde 1935-1937, hrsg. v. Otto Dudzus und Jürgen Henkys, Gütersloh: Chr. Kaiser 1996, S. 149-153.

Hier der Text als pdf.

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