Dietrich Bonhoeffer, Die Bekennende Kirche und die Ökumene (1935) : „Ob sich die Hoffnung auf das Ökumenische Konzil der evangelischen Christenheit erfüllen wird, ob ein solches Konzil nicht nur in Vollmacht die Wahrheit und die Einheit der Kirche Christi bezeugen wird, sondern ob es Zeugnis wird ablegen können gegen die Feinde des Christentums in aller Welt, ob es ein richtendes Wort sprechen wird über Krieg, Rassenhass und soziale Ausbeutung, ob durch solche wahre ökumenische Einheit aller evangelischen Christen in allen Völkern einmal der Krieg selbst unmöglich wird, ob das Zeugnis eines solchen Konzils Ohren finden wird, die hören, – das steht bei unserem Gehorsam gegen die uns gestellte Frage und dabei, wie Gott unseren Gehorsam gebrauchen will.“

Die Bekennende Kirche und die Ökumene

Von Dietrich Bonhoeffer

Der Kampf der Bekennenden Kirche ist von Anfang an unter stärkster Anteilnahme der christlichen Kirchen außerhalb Deutschlands geführt worden. Das ist von politischer wie von kirchlicher Seite vielfach argwöhnisch bemerkt und beurteilt worden. Daß für den Politiker dies eine befremdliche Überraschung war, die zu falschen Deutungen Anlaß geben konnte, ist begreiflich; denn noch nie war die evangelische Ökumene anläßlich eines Kirchenstreites so sichtbar in die Erscheinung [379] getreten wie in den vergangenen zwei Jahren, noch nie ist die Stellungnahme der ökumenischen Christenheit in einer Glaubensfrage so eindeutig und einmütig gewesen wie hier. Der deutsche Kirchenkampf ist nach den Anfängen der ökumenischen Bewegung die zweite große Etappe ihrer Geschichte und wird in entscheidender Weise mitbestimmend sein für ihre Zukunft. Weniger begreiflich war es hingegen, daß man in unsrer Kirche so weithin unvorbereitet und einsichtslos diesem Geschehen gegenüberstand, daß man sich der Stimmen unsrer ausländischen Brüder fast schämte und sie als peinlich empfand, anstatt sich ihres Zeugnisses und der Gemeinschaft mit ihnen zu freuen. Die Verängstigung und Verwirrung, die durch die Ächtung des politischen Begriffs des Internationalismus in kirchlichen Kreisen hervorgerufen war, hatte sie blind gemacht für etwas ganz Neues, was sich Bahn zu brechen begann, nämlich für die evangelische Ökumene. Es ist ein Beweis für die unerhör­te Unselbständigkeit unseres kirchlichen Denkens, daß hier politische und kirchliche Sphäre nicht voneinander unterschieden wurden. Die im Neuen Testament und in den Bekenntnisschriften aufs kräftigste bezeugte Tatsache, daß die Kirche Christi nicht an den nationalen und rassischen Grenzen halt macht, sondern über sie hinausgreift, ist unter dem Ansturm [380] des jungen Nationalismus gar zu leicht vergessen und verleugnet worden. Und dort, wo man theoretisch an dieser Stelle zwar nicht zu widersprechen vermochte, hat man doch nicht aufgehört, nachdrücklich zu erklären, daß selbstverständlich ein Gespräch über sogenannte innerdeutsche kirchliche Angelegenheiten mit ausländischen Christen nicht in Betracht komme, und daß erst recht ein Urteil oder gar eine offene Stellungnahme zu diesen Dingen von außen her unmöglich und verwerflich sei. Man hat von verschiedensten Seiten versucht, die ökumenischen Organisationen davon zu überzeugen, daß mit solchem Vorgehen nur Schaden angerichtet wer­de. Die ökumenischen Beziehungen wurden weitgehend vom Gesichtspunkt kirchenpolitischer Taktik her bewertet. Man hat sich damit gegen den Ernst der Ökumenizität der evangelischen Kirche versündigt. Es ist nur ein Ausdruck der echten Kraft des ökumenischen Gedankens, wenn aller Scheu, aller inneren Abwehr, ja allen lauteren und unlauteren Versuchen, die Ökumene zu desinteressieren, zum Trotz die Ökumene an Kampf und Leiden des Deutschen Protestantismus teilgenommen hat, wenn sie immer wieder ihre Stimme erhob, wenn der Bischof von Chichester als Präsident des Ökumenischen Rates seine Briefe an den Reichsbischof schrieb, in denen er diesen beschwor, seines Wächteramtes über die evangelische Christenheit in Deutschland eingedenk zu bleiben, wenn er dann in seiner Himmelfahrtsbotschaft von 1934 alle christlichen Kirchen auf den Ernst der kirchlichen Lage in Deutschland hinwies und sie zur Ratssitzung einlud, und wenn [381] schließlich in der denkwürdigen Augustkonferenz 1934 in Fanö der Ökumenische Rat seine klare und brüderliche Resolution zum deutschen Kirchenstreit faßte und gleichzeitig den Präses der Bekenntnissynode, D. Koch, in den Ökumenischen Rat wählte. Es war in jenen Tagen, daß manchem führenden Kirchenmann die Realität der Ökumene zum erstenmal zu Gesicht kam.

Die Sprecher der Ökumene sind bei alledem von zwei Erkenntnissen ausgegangen: 1. es geht im Kampf der Bekennenden Kirche um die Verkündigung des Evangeliums überhaupt, 2. der Kampf wird von der Bekennenden Kirche stellvertretend für die gesamte Christenheit, insbesondere für die abendländische, ausgetragen und erlitten. Diese Erkenntnis bestimmte notwendig eine doppelte Haltung. Erstens: die selbstverständliche und durch keinerlei Einrede zu verhindernde innere und äußere Anteilnahme an diesem Kampf als einer gemeinsamen Sache. Es ist in unzähligen ausländischen Kirchen für die Pfarrer der Bekennenden Kirche gebetet worden, zahlreiche Pfarrkonvente haben Botschaften an die Bekennende Kirche geschickt, um diese ihrer inneren Anteilnahme zu versichern, in theologischen Seminaren haben junge Studenten täglich in ihren Gebeten der Bekennenden Kirche und ihre Kampfes gedacht. Zweitens: es kann solche Anteilnahme allein bestehen in der streng kirchlichen Haltung brüderlicher Hilfe und gemeinsamer Ausrichtung auf das Evangelium und das Recht seiner ungehinderten und unerschrockenen Verkündigung in aller Welt.

Weil kirchliche Verantwortung und nicht irgendeine Willkür dieses Eintreten bestimmte, darum mußten einerseits alle Unternehmungen, durch Verwirrung und Trübung der Lage hier ein kirchenpolitisches Geschäft zu machen, von vornherein scheitern. Andererseits aber konnten aus demselben Grund die Sprecher der Ökumene die zuchtvolle und geistliche Begrenzung ihrer Aufgabe innehalten und ihren Weg unbeirrbar weitergehen. [382]

Ökumene und Bekennende Kirche sind einander begegnet. Die Ökumene hat bei dem Entstehen der Bekennenden Kirche fürbittend und sich ihr verpflichtend Pate gestanden. Das ist eine Tatsache, wenn auch eine äußerst merkwürdige und manchen sehr anstößige. Äußerst merkwürdig, weil gerade in Kreisen der Bekennenden Kirche von Haus aus das geringste Verständnis für die ökumenische Arbeit, und weil gerade in den Kreisen der Ökumene von Haus aus das geringste Interesse für die theologische Fragestellung der Bekennenden Kirche zu erwarten gewesen wäre. Anstößig, weil es dem deutschen Nationalisten ärgerlich ist, hier einmal die Situation seiner Kirche von außen her sehen und sehen lassen zu müssen, weil keiner gern seine Wunden einem Fremden zeigt. Aber es ist nicht nur eine merkwürdige und anstößige, sondern erst recht eine ungeheuer verheißungsvolle Tatsache, weil in dieser Begegnung Ökumene und Bekennende Kirche sich gegenseitig die Existenzfrage stellen. Es muß sich die Ökumene vor der Bekennenden Kirche und die Bekennende Kirche vor der Ökumene rechtfertigen, und es wird sowohl die Ökumene durch die Bekennende Kirche wie die Bekennende Kirche durch die Ökumene in eine ernste innere Bewegung und Krisis gebracht. Diese gegenseitige Frage ist nun zu entfalten.

I.

Die Bekennende Kirche bedeutet für die Ökumene insofern eine echte Frage, als sie diese in ihrer Ganzheit vor die Frage der Konfession stellt. Die Bekennende Kirche ist die Kirche, die in ihrer Ganzheit ausschließlich durch das Bekenntnis bestimmte Kirche sein will. Es ist grundsätzlich nicht möglich, an irgend einem Punkt mit dieser Kirche ins Gespräch zu kommen, ohne sofort die Bekenntnisfrage zu stellen. Weil die Bekennende Kirche im Kirchenkampf gelernt hat, daß von der [383] Verkündigung des Evangeliums bis zu den Kirchensteuern das Bekenntnis und dieses allein die Kirche bestimmen muß, weil es in ihr keinen bekenntnisfreien, neutralen Raum gibt, stellt sie jeden Gesprächspartner sofort vor die Bekenntnisfrage. Es gibt keinen anderen Zugang zur Bekennenden Kirche als die Bekenntnisfrage. Es gibt keine Möglichkeit eines taktisch gemeinsamen Handelns jenseits der Bekenntnisfrage. Damit schließt sich die Bekennende Kirche gegen jeden politischen, sozialen, humanitären Einbruch hermetisch ab. Das Bekenntnis erfüllt ihren ganzen Raum.

Zu diesem Bekenntnis, wie es in den Barmer und Dahlemer Synodalbeschlüssen bindend ausgelegt ist, gibt es nur ein Ja oder ein Nein. Also auch hier ist eine Neutralität unmöglich, auch hier bleibt eine Zustimmung an diesem oder jenem Punkt jenseits der Bekenntnisfrage ausgeschlossen. Vielmehr muß die Bekennende Kirche darauf bestehen, daß sie in jeder verantwortlichen kirchlichen Auseinandersetzung soweit ernst genommen wird, daß dieser ihr Anspruch erkannt und ihr zuerkannt wird. Sie muß ferner darauf bestehen, daß sich in jedem Gespräch mit ihr die kirchliche Solidarität darin bekundet, daß der Gesprächspartner nicht zugleich mit ihr und mit den von ihr verworfenen Kirchen der Irrlehre das Gespräch aufnimmt, ja daß auch für den ökumenischen Gesprächspartner dort das Gespräch endgültig abgebrochen ist, wo sie es in kirchlicher Verantwortung für abgebrochen erklärt.

Das ist ein unerhörter Anspruch. Aber nur so kann die Bekennende Kirche in das ökumenische Gespräch eintreten. Und das muß man wissen, um sie zu verstehen und um ihre Sprache recht zu interpretieren. Ließe die Bekennende Kirche von diesem Anspruch, so wäre der Kirchenkampf in Deutschland schon gegen sie entschieden und damit auch der Kampf um das Christentum. Hat nun die Ökumene das Gespräch mit der Bekennenden Kirche aufgenommen, so hat sie bewußt oder unbewußt diesen Anspruch gehört, und die Bekennende Kirche darf [384] dankbar von dieser Voraussetzung ausgehen. Gleichzeitig aber hat sich die Ökumene dadurch in eine schwere innere Krise hineintreiben lassen; denn der charakteristische Anspruch der Bekennenden Kirche bleibt gerade auch auf dem Boden der Ökumene bestehen. Die Fragen der Bekennenden Kirche, die die Ökumene anzuhören sich bereit erklärt hat, stehen offen da und sind nun nicht mehr rückgängig zu machen.

1. Ist die Ökumene in ihrer sichtbaren Vertretung Kirche? Oder umgekehrt: Hat die reale neutestamentlich bezeugte Ökumenizität der Kirche in den ökumenischen Organisationen sichtbaren und angemessenen Ausdruck gefunden? Diese Frage wird heute überall von der jüngeren theologischen Generation, die sich an der ökumenischen Arbeit beteiligt, mit großem Nachdruck gestellt. Und das Gewicht dieser Frage ist sofort deutlich. Es ist die Frage nach der Autorität, in der die Ökumene spricht und handelt. In welcher Vollmacht tust du das?, so wird gefragt. Diese Vollmachtsfrage ist entscheidend, und es geht ohne tiefsten inneren Schaden der Arbeit nicht an, daß sie unbeantwortet bleibt. Erhebt die Ökumene den Anspruch, Kirche Christi zu sein, so ist sie ebenso unvergänglich wie die Kirche Christi überhaupt; dann hat ihre Arbeit letzten Ernst und letzte Autorität, dann erfüllt sich in ihr entweder in den Anfängen die alte Hoffnung der evangelischen Christenheit auf die eine wahre Kirche Christi unter allen Völkern der Erde, oder aber es erfüllt sich in ihr der titanische und antichristliche Versuch des Menschen, das sichtbar zu machen, was Gott unseren Augen verbergen will. Dann ist die Einheit dieser ökumenischen Kirche entweder der Gehorsam gegen die Verheißung Jesu Christi, daß eine Herde und ein Hirt sein solle, oder aber sie ist das auf der Lüge des Teufels in Engelsgestalt erbaute Reich des falschen [385] Friedens und der falschen Einheit. In dieser Alternative, in der jede Kirche steht, steht dann auch die Ökumene.

Es ist wahrhaftig begreiflich, wenn man sich der Beantwortung dieser Frage lange zu entziehen versuchte, es ist auch wahrhaftig frömmer, dort, wo man in diesen Dingen nichts weiß, dieses Nichtwissen zu bekennen, als ein falsches Wort zu sagen. Aber nun ist durch die Bekennende Kirche diese Frage neu gestellt und verlangt Klarheit. Nun kann sie nicht mehr in der docta ignorantia offen gelassen bleiben. Nun bedroht sie jedes Wort und jede Tat der Ökumene, und darin besteht der erste Dienst der Bekennenden Kirche an der Ökumene.

Es gibt offenbar durchaus die Möglichkeit, die Ökumene in ihrer gegenwärtigen sichtbaren Gestalt nicht als Kirche zu verstehen; sie könnte ja eine Vereinigung christlicher Menschen sein, von denen jeder in seiner eigenen Kirche wurzelt, und die nun entweder zu gemeinsamem taktisch–praktischem Handeln oder aber zu unverbindlichem theologischem Gespräch mit anderen christlichen Menschen zusammenkommen, wobei sie die Frage nach dem Ergebnis und der theologischen Möglichkeit solchen praktischen Handelns und solchen Gesprächs gänzlich dem Vollzug desselben anvertrauen und offen lassen. Es soll eben einmal begonnen werden, und es bleibt bei Gott, was er daraus machen will. Nur bekenntnisneutralen Charakter dürfte dieses Handeln, nur informatorischen, diskutierenden Charakter dürfte dieses Gespräch haben, nie aber ein Urteil oder gar eine Entscheidung über diese oder jene Lehre oder gar Kirche einschließen.

Der innere Fortschritt der ökumenischen Arbeit der letzten Jahre liegt darin, daß eine Durchbrechung der rein taktisch–praktischen Front von der theologischen Fragestellung her erfolgt ist, wofür der Genfer Forschungsabteilung und einem Manne wie Dr. Oldham besonderer Dank gebührt. Die [386] ökumenische Arbeit steht damit jetzt weitgehend im Zeichen des theologischen Gespräches. Das ist ein nicht zu unterschätzender Ertrag der Arbeit der letzten Jahre. Aber man täusche sich doch nicht darüber, daß auch die Konstruktion des ökumenischen Gedankens, wie sie durch den Begriff des „theologischen Gespräches“ charakterisiert ist, erstens von ganz spezifisch theologischen Voraussetzungen ausgeht, die sich keineswegs allgemeiner Geltung erfreuen, zweitens aber der gegenwärtigen Krisis der Ökumene noch nicht gerecht zu werden vermag.

Erstens: das theologische Gespräch soll zwischen „christlichen Persönlichkeiten“ geführt werden – so heißt es. Woher wird denn das Kriterium dafür gewonnen, was eine christliche Persönlichkeit ist, oder gar dafür, was eine unchristliche Persönlichkeit ist? Ist nicht hier das Urteil und Gericht, das man bei der kirchlichen Lehrentscheidung zu vermeiden suchte, an einer viel gefährlicheren Stelle ausgesprochen, nämlich in dem Urteil über einzelne Menschen und ihre Christlichkeit? Und ist nicht gerade hier das Urteil ein biblisch verbotenes, während es bei der Entscheidung über Lehre und Irrlehre der Kirche ein biblisch gebotenes ist? Ist nicht hier aus allzu großer Vorsicht große Unvorsichtigkeit geworden? Zeigt sich hier nicht das unvermeidliche Gesetz, unter dem die ökumenische Arbeit steht, nämlich die Geister zu prüfen und zu scheiden, und wird es nicht demütiger sein, diese Scheidung an der Lehre der Kirche vorzunehmen, als richtend in die verborgenen und zweideutigen Tiefen des Persönlichen hinabzusteigen? Es gibt überhaupt kein ernsthaftes Gespräch ohne die gegen- seitige Klarheit darüber, in welcher Eigenschaft und Autorität zueinander geredet wird. Will man nun, wie es von verantwortlichster ökumenischer Seite geschieht, die Unverbindlichkeit dieses Gesprächs noch stärker betonen, indem nun nicht einmal mehr die christliche Persönlichkeit, sondern allein das gegenseitige Interesse [387] und die Fähigkeit, etwas zur Debatte beizutragen, als begründend angesehen werden, so ist damit dem Nichtchristen in Fragen der Kirche Christi grundsätzlich dasselbe Recht eingeräumt wie dem Christen, und es bleibt dann fraglich, inwiefern hier überhaupt noch der Name der Ökumene mit Recht gebraucht wird, wieweit es sich noch um eine kirchlich relevante Sache handelt.

Zweitens: Es besteht die ganz große Gefahr, die bereits – wie jeder Sachkundige weiß – akut geworden ist, daß gerade das an sich notwendige theologische Gespräch dazu benutzt wird, um die wahre Lage zu verschleiern. Das theologische Gespräch wird dann zu einer üblen Spielerei, indem es verdeckt, daß es in Wahrheit nicht um unverbindliches Theologisieren, sondern um verantwortliche, legitime kirchliche Entscheidungen geht. Durch die Frage der Bekennenden Kirche sind wir über die an sich notwendige Etappe des theologischen Gesprächs bereits hinaus. Die Bekennende Kirche weiß um die gefährliche Zweideutigkeit jedes theologischen Gespräches und drängt auf die eindeutige kirchliche Entscheidung. Das ist die wahre Situation.

Die Frage nach der Autorität der Ökumene treibt alle derartigen Konstruktionen in die äußerste Konsequenz und zersetzt sie von innen her. Entweder es wird die Notwendigkeit einer Scheidung der Geister als Voraussetzung der ökumenischen Arbeit anerkannt, dann wird über den Charakter dieser Scheidung zu reden sein und es wird mit ihr praktisch Ernst gemacht werden müssen; oder solche Scheidung wird als falsche und unerlaubte Voraussetzung ab- gelehnt, dann ist der Begriff der [388] Ökumene im Sinne des Neuen Testaments und der reformatorischen Bekenntnisse von vornherein aufgelöst. Die Gruppe, gegen die sich dieser Teil der Auseinandersetzung richtet, hat ihre Vertreter in einem großen Teil deutscher, englischer und amerikanischer Theologen der Ökumene und findet weithin in ökumenisch arbeitenden Kreisen Zustimmung.

Das stärkste Argument dieser Gruppe liegt in der Voraussage, daß die ökumenische Arbeit in demselben Augenblick auseinanderbrechen würde, wo die Frage nach ihrem kirchlichen Charakter ernsthaft gestellt würde, das heißt wo irgendwelche richterlichen Funktionen beziehungsweise Lehrentscheidungen in Anspruch genommen werden müßten. Damit ist ausgesprochen, daß die ökumenische Arbeit bisher bewußt unter Absehung von der Bekenntnisfrage getrieben worden ist, zugleich aber, daß sie nur so weiter getrieben werden könne. So richtig die erste Feststellung ist, so unerlaubt und vorwitzig ist die zweite. Die letzten Jahre haben besonders seit August 1931, und zwar großenteils durch das Verdienst der Genfer Forschungsabteilung, auf sämtlichen ökumenischen Konferenzen gerade die grundsätzlichen theologischen Fragen immer wieder aufbrechen lassen, und es ist deutlich, daß die innere Entwicklung der ökumenischen Arbeit selbst auf diese Klärung hindrängt; Wort und Tat der Ökumene sind unterhöhlt. Durch den Eintritt der Bekennenden Kirche aber kann nun diese Entwicklung nicht mehr aufgehalten werden. Es hilft nichts, andere Rettungsversuche zu machen. Es gibt für die ökumenische Arbeit nur noch eine Rettung, nämlich, daß sie mutig diese Frage aufnimmt wie sie ihr gestellt ist, und im Gehorsam alles weitere dem Herrn der Kirche anheim gibt. Wer will denn wissen, ob nicht gerade an dieser friedenstörenden Aufgabe die Ökumene erstarkt und vollmächtiger aus diesem Kampfe herauskommt? – Und selbst wenn es durch einen schweren Bruch hindurch gehen muß, ist nicht das Gebot und die Verheißung Gottes stark [389] genug, um die Kirche hindurchzuführen, und ist nicht dieses Gebot gewisser als falsche Ruhe und illusorische Einheit, die doch einmal zusammenbrechen muß? An dem Gebot Gottes haben die Geschichtsspekulationen ein Ende.

Und die Ökumene hat sich nicht entzogen. Sie hat auf der Konferenz in Fanö, obwohl mit Zögern und inneren Hemmungen, ein wahrhaft kirchliches Wort und das heißt eben auch ein richterliches Wort gesprochen, indem sie an ganz bestimmten Punkten Lehre und Tat des deutsch–christlichen Regiments verurteilte und sich zu der Bekennenden Kirche stellte. Einfach aus der Notwendigkeit der Sachlage ist dieses Wort entsprungen in verantwortlichem Gehorsam gegen Gottes Gebot. Mit der Konferenz in Fanö ist die Ökumene in eine neue Epoche eingetreten. Es ist ihr an einer ganz bestimmten Stelle ihr kirchlicher Auftrag zu Gesicht gekommen, und das ist ihre bleibende Bedeutung.

Also die Frage ist aufgerichtet und wartet der Beantwortung, nicht heute oder morgen, aber sie wartet: ist die Ökumene Kirche oder ist sie es nicht?

2. Wie kann die Ökumene Kirche sein und ihren Anspruch darauf begründen? Das ist die nächste Frage der Bekennenden Kirche an die Ökumene. Kirche gibt es nur als bekennende Kirche, das heißt als Kirche, die sich zu ihrem Herrn und gegen seine Feinde bekennt. Bekenntnislose oder bekenntnisfreie Kirche ist nicht Kirche, sondern Schwärmerei und macht sich zum Herrn über Bibel und Wort Gottes. Bekenntnis ist die mit eigenen Worten ausgesprochene formulierte Antwort der Kirche auf das Wort Gottes in der Heiligen Schrift. Zur wahren Einheit der Kirche aber gehört die Einheit im Bekenntnis. Wie kann von hier aus die Ökumene Kirche sein?

Es scheint, als ob allein die Bekenntniseinheit, etwa des Weltluthertums diese Möglichkeit eröffnet. Wie muß aber von hier etwa die Stellung zur Church of England oder gar zu der Orthodoxie [390] des Ostens beurteilt werden? Wie können Kirchen, die auf so verschiedenen Bekenntnisgrundlagen stehen, eine Kirche sein, ein gemeinsames, vollmächtiges Wort sagen?

Die in ökumenischen Kreisen fast allein gültige Hilfskonstruktion zu diesem Problem ist folgende:

Es gibt nach der Schrift eine heilige ökumenische Kirche; die bestehenden Kirchen sind jede für sich eine besondere Form und Gestalt derselben. Wie aus Wurzel und Stamm des Baumes die Zweige hervorgehen, und wie erst diese den ganzen Baum ausmachen, wie erst der Leib mit allen seinen Gliedern ein ganzer Leib ist, so ist erst die Gemeinschaft aller Kirchen der Welt die eine wahre ökumenische Kirche. Der Sinn der ökumenischen Arbeit ist dann die Darstellung des Reichtums und der Harmonie der Christenheit. Keiner hat Anspruch auf Alleingeltung, jeder bringt seine besondere Gabe und tut seinen besonderen Dienst an der Ganzheit, erst in der Einheit liegt die Wahrheit.

Es ist überraschend, welche Anziehungskraft von diesem Gedanken, der aus den verschie­densten geistigen Quellen gespeist ist, in der ganzen christlichen Welt ausgegangen ist. Er ist sozusagen das Dogma der ökumenischen Bewegung, und es ist schwer ihm entgegenzutreten.

Und doch muß die Bekennende Kirche gerade diese Konstruktion zerstören; denn sie dient dazu, den Ernst des ökumenischen Problems und der Kirche überhaupt zu verschleiern.

So wahr und so biblisch der Satz sein mag, daß nur in der Einheit Wahrheit sei, so wahr und biblisch ist auch der andere Satz, daß nur in der Wahrheit Einheit möglich sei. Wo allein, abgesehen, jenseits von dem Wahrheitsanspruch einer Kirche die Einheit mit einer anderen Kirche gesucht wird, dort wird die Wahrheit verleugnet, dort hat sich die Kirche selbst aufgegeben. Wahrheit hat in sich selbst scheidende Kraft oder sie ist aufgelöst. Wo aber Wahrheit gegen Wahrheit steht, dort ist nicht mehr Harmonie und Organismus, dort kann man sich auch nicht mehr hinter der allgemeinen Unzulänglichkeit der menschlichen Erkenntnis verschanzen, sondern dort steht man [391] an der Grenze des Anathema. Die romantisch–ästhetisch–liberale Idee der Ökumene nimmt die Wahrheitsfrage nicht ernst, bietet also keine Möglichkeit, die Ökumene als Kirche verständlich zu machen.

Mit der Wahrheitsfrage aber ist nichts anderes ausgesprochen als die Frage nach dem Bekenntnis im positiven und abgrenzenden Sinne, nach dem confitemur und dem damnamus. Es wäre klug, wenn die christlichen Kirchen des Abendlandes diese Erfahrung der Bekennenden Kirche nicht übersehen wollten, daß eine Kirche ohne Bekenntnis eine wehrlose und verlorene Kirche ist, und daß eine Kirche im Bekenntnis die einzige Waffe hat, die nicht zerbricht.

Damit wird die Ökumene in eine letzte Krisis getrieben, an der sie zu zerbrechen droht; denn wie soll dort, wo von allen Seiten her letzte Wahrheitsansprüche angemeldet werden, die Einheit möglich sein? Es ist begreiflich, daß man nach den bisherigen, schon oft nicht gerade einfachen Konferenzen diesen Schritt nun bestimmt nicht tun will, sich in solche hoffnungslose Situation nicht hineintreiben lassen will. Das kaum begonnene Gespräch würde, so sagt man, allzu schnell abgebrochen sein.

Dazu ist zu allererst nachdrücklichst zu sagen, daß es allerdings eine Situation gibt, in der ein Gespräch zwischen Kirchen als abgebrochen zu betrachten ist. Um diese Situation weiß die Bekennende Kirche im Augenblick vielleicht besser als irgend eine Kirche der Welt. Das Gespräch zwischen der deutsch-christlichen Kirche und der Bekennenden Kirche ist endgültig abgebrochen. Das ist eine Tatsache, die nicht wegzuleugnen ist. Das ist auch kein Gericht über christliche oder unchristliche Persönlichkeiten, sondern es ist ein Urteil über den Geist einer Kirche, der als widerchristlicher Geist erkannt und verurteilt ist. Es ist eine selbstverständliche Folge, daß ein solches abgebrochenes Gespräch nicht auf einem anderen Boden, [392] etwa dem einer ökumenischen Konferenz, wieder aufgenommen werden kann. Daß Vertreter der Bekennenden Kirche und der Deutschen Christen nicht Gesprächspartner bei einer ökumenischen Konferenz sein können, muß die Ökumene verstehen und hat sie in Fanö verstanden. Es war einer der großen Augenblicke der Konferenz, als Bischof Ammundsen im unmittelbaren Anschluß an die Plädoyers des deutsch–christlichen Systems für die abwesenden Vertreter der Bekennenden Kirche seine bischöfliche Stimme erhob. Es handelt sich hier ja nicht um Persönlichkeiten, sondern um Kirchen, es geht um Christus und Antichrist, da gibt es keinen neutralen Boden. Die Ökumene würde sich an ihrer eigenen Aufgabe wie an der Bekennenden Kirche versündigen, wenn sie sich dieser klaren Entscheidung entziehen wollte.

Es ist nun aber purer Doktrinarismus, der hieraus folgern wollte, es sei von solcher Haltung aus ebenso unmöglich, etwa mit Vertretern des Anglikanismus oder einer semipelagianischen freikirchlichen Theologie zusammenzusitzen. Solche Rede weiß nichts von dem Sinn des lebendigen Bekenntnisses, sondern hält das Bekenntnis für ein totes System, das man jeweils schematisch als Maßstab den anderen Kirchen anlegt. Die Bekennende Kirche bekennt nicht in abstracto, sie bekennt nicht gegen die Anglikaner oder Freikirchler, sie bekennt im Augenblick nicht einmal gegen Rom, geschweige denn bekennt der Lutheraner heute gegen den Reformierten, sondern sie bekennt in concretissimo gegen die deutsch–christliche Kirche und gegen die neue heidnische Kreaturvergötzung; der Antichrist sitzt für die Bekennende Kirche nicht in Rom oder gar in Genf, sondern er sitzt in der Reichskirchenregierung in Berlin. Gegen ihn wird bekannt, und zwar darum, weil von hier aus und nicht von Rom, von Genf oder von London aus die christliche [393] Kirche Deutschlands auf den Tod bedroht ist, weil hier der Vernichtungswille am Werk ist. Die Gesänge des Psalters gegen die Gottlosen und die Gebete, daß Gott selbst den Krieg gegen seine Feinde führen möge, werden hier lebendig. Unsere Waffe bleibt allein das lebendige Bekenntnis.

Lebendiges Bekenntnis heißt nicht dogmatische These gegen These stellen, sondern es heißt Bekenntnis, bei dem es ganz wirklich um Tod und Leben geht. Selbstverständlich formuliertes, klares, theologisch begründetes, wahres Bekenntnis. Aber die Theologie ist hier nicht selbst der kämpfende Teil, sondern steht ganz im Dienst der lebendig bekennenden und kämpfenden Kirche.

Es ist deutlich, daß sich trotz aller theologischen Analogien die ökumenische Situation hiervon grundsätzlich unterscheidet. Die Bekennende Kirche tritt den bekenntnisfremden Kirchen nicht gegenüber als ihren Todfeinden, die ihr nach dem Leben stehen, sondern sie trägt in ihrer Begegnung mit an der Schuld der Zerrissenheit der Christenheit, stellt sich in diese Schuld mit hinein und erkennt in aller falschen Theologie, die ihr begegnen mag, hier zuerst eigene Schuld, mangelnde Kraft ihrer eigenen Verkündigung. Sie anerkennt Gottes unbegreifliche Wege mit seiner Kirche, sie erschrickt vor dem Ernst einer Kirchenspaltung und vor der Last, die sie den nachfolgenden Geschlechtern auferlegt, sie hört hier den Ruf und die Mahnung zur Verantwortung und zur Buße. Sie wird angesichts dieses Bildes die ganze Not der eigenen Entscheidung neu erfahren, und ihr Bekenntnis wird an diesem Ort als erstes ein Sündenbekenntnis sein.

II.

Damit wendet sich das Blatt, und die Bekennende Kirche steht nicht mehr und nicht einmal zuerst als die fragende und fordernde da, sondern als die von der Ökumene gefragte, in Frage gestellte Kirche, und das Überraschende ist nun dies, daß von der gehörten Frage der Bekennenden Kirche her die Ökumene eben dieselbe Frage der Bekennenden Kirche zurückgibt. Die gegen die Ökumene gewandte Waffe ist nun gegen die Bekennende Kirche gerichtet. Wie kann das Bekenntnis: Christus [394] allein, Gnade allein, die Schrift allein, wie kann das Bekenntnis der Rechtfertigung aus dem Glauben allein überhaupt anders wahr werden, als indem das Bekenntnis der Bekennenden Kirche zuerst ein Bekenntnis der Sünde ist, ein Bekenntnis, daß diese ganze Kirche mitsamt ihrer Theologie und ihrem Kultus und ihrer Ordnung allein von der Gnade Gottes und Jesus Christus lebt und der Rechtfertigung bedarf? Das Bekenntnis der Bekennenden Kirche wird ernst nur in actu, das heißt hier im Bekenntnis der Sünde, in der Buße. Weiß die Bekennende Kirche darum, daß das Bekenntnis der Väter und das Bekenntnis gegen die Feinde Jesu Christi nur dort glaubwürdig und vollmächtig wird, wo das Bekenntnis gegen sich selbst vorangegangen ist, wo das damnamus zuerst gegen die eigene Front gerichtet ist? Wird die Bekennende Kirche von dieser Voraussetzung aus in die ökumenische Gemeinschaft eintreten?

Diese Fragen stellt die Ökumene der Bekennenden Kirche erstens durch ihre Existenz. Einfach die Tatsache, daß sich die christlichen Kirchen aller Welt – außer der römischen – zusammengefunden haben, um miteinander ins Gespräch zu kommen und gemeinsam Entschlüsse zu fassen, steht da, ob die Bekennende Kirche ja oder nein dazu sagt. Es ist eine Tatsache, daß eine zerrissene Christenheit zusammentritt im einmütigen Bekenntnis ihrer Not und im einmütigen Gebet um die verheißene Einheit der Kirche Jesu Christi, ja daß da gemeinsame Gottesdienste begangen, Predigten gemeinsam gehört, sogar Abendmahlsfeiern gehalten werden, und daß da immer noch oder wieder eine Möglichkeit der ökumenischen Christenheit ist, und daß alles unter der Anrufung des Namens Jesu Christi und mit dem Gebet um Beistand des Heiligen Geistes ist. Ist es angesichts dieser Tatsache wirklich das zuerst und allein Gebotene, dem ein pathetisches „Unmöglich“ entgegenzusetzen, gibt es da wirklich ein Recht, von vornherein das Anathema über alles solches Tun aufzurufen? Ist nicht dieses Zeugnis aller christlichen Kirchen mindestens eine Sache, die zunächst einen Augenblick Anhalten und Aufmerksamkeit gebietet? Daß die reale Existenz der Ökumene in sich kein Beweis für ihre Wahrheit [395] und christliche Legitimität bedeutet, muß ja offen und klar bekannt werden. Aber wenn sie nicht Beweis sein kann, kann sie nicht jedenfalls Hinweis sein auf die Verheißung, die Gott auf dieses Tun legen will? Gibt es überhaupt noch ein aufrichtiges Gebet um die Einheit der Kirche, wo man sich von vornherein aus dieser Gemeinschaft ausschließt? Sollte hier nicht gerade die Kirche, der es ernst ist um die Wahrheit, eben um dieser Wahrheit willen zu allererst zum Hören aufgerufen sein? Sollte hier nicht gerade eine Kirche in dem eingeengten Deutschland, die ihren Blick so schwer über ihre Grenzen hinausrichtet, aufmerksam werden müssen? Sollte hier nicht gerade eine Kirche, die im Kampf um ihre Existenz steht, dankbar und hellhörig werden für die Gebete und die Ge- meinschaft der ganzen Christenheit? Es bleibt dabei, ein Beweis ist dies alles nie und nimmer, aber ein Hinweis auf Gottes Verheißung und als solcher ernst zu nehmen und zu prüfen. Zu prüfen freilich niemals anders als durch die Bekenntnisfrage, durch den Schriftbeweis. Es wäre nicht gut, wollte die Bekennende Kirche so tun, als hätte sie die Ökumene erst ins Leben zu rufen, sondern es wird ihrer Demut geziemen, anzuerkennen, daß hier etwas ist, ohne sie, unabhängig von ihrem Ja oder Nein, dem sie begegnet ist auf ihrem Wege, von dem sie sich gefragt und aufgerufen weiß in der Buße wird die Bekennende Kirche der Ökumene begegnen müssen. Es wäre wahrhaftig eine schlechte Theologie, die es der Bekennenden Kirche verböte, diese Dinge sehr ernst zu nehmen.

Aber damit ist das letzte noch nicht gesagt. Es muß in der Begründung der Bekennenden Kirche als Kirche selbst der Ort gefunden werden, von dem aus die ökumenische Arbeit letzte Verpflichtung wird. Es muß nicht nur eine tatsächliche, sondern eine theologische Notwendigkeit vorliegen.

Zweitens: Es ist begreiflich, wenn die Ökumene mit großem Nachdruck gerade auf dieser Frage nach der innersten Notwendigkeit besteht. Denn hiervon hängt es ab, ob der Wille der Bekennenden Kirche zur Ökumene ein zufälliger, möglicherweise nur militaristischer, oder ein notwendiger, darum [396] bleibender ist. So spitzt sich die Frage, die die Ökumene an die Bekennende Kirche zurückgibt, scharf zu: Sollte die Bekennende Kirche in ihrem Bekenntnisanspruch sich so isolieren, daß ihr Bekenntnis keinen Raum mehr für den ökumenischen Gedanken offen läßt, so würde sich allen Ernstes die Frage erheben, ob in der Bekennenden Kirche selbst noch Kirche Christi sei. Wo der Bekenntnisanspruch sich so absolut setzt, daß er das Gespräch mit jeder bekenntnisfremden Kirche a priori für abgebrochen erklärt, wenn er in blindem Eifer in allen anderen Kirchen nur noch das Missionsfeld zu sehen vermag, wenn die Bereitschaft zum Hören schon als Verrat am Evangelium gebrandmarkt wird, wenn die Orthodoxie in unbegrenzter Selbstherrlichkeit ganz bei sich selbst bleibt, und wenn schließlich in dem dauernden Protestieren der Ökumene gegen Ungerechtigkeit und Gewalt nur westlicher Fortschrittsglaube wiedererkannt wird – dann ist der Augenblick da, wo ernsthaft gefragt werden muß, ob nicht an die Stelle [der Herrschaft] Jesu Christi über seine Kirche die Menschenherrschaft, an die Stelle der Gnade Gottes die Menschensatzung, an die Stelle des Christus der Antichristus getreten ist. Wenn nun aber – und so schließt sich der Kreis der Fragen – dann gerade von einer solchen Kirche an die Ökumene die Frage nach deren Kirchlichkeit gerichtet wird, so kann die Ökumene darin mit Recht nur den wahnwitzigen Herrschaftsanspruch einer sich vergötzenden Kirche erkennen, und sie wird sich verwahren müssen, dieser Stimme Gehör zu leihen.

Die Frage nach der Kirche ist der Bekennenden Kirche zurückgegeben. Die Bekennende Kirche muß sagen, wo die Grenzen ihres Bekenntnisanspruches liegen.

Die Bekennende Kirche gibt ihre Antwort zuerst dadurch, daß sie sich faktisch in die ökumenische Arbeit hineinstellt, in Gebet und Kultus, in theologischer und praktischer Arbeit an [397] ihr teilnimmt. Sie tut das, weil sie dazu gerufen ist und weil sie diesen Ruf ernst nimmt. Sie stellt es Gott anheim, was er aus der Begegnung schaffen will, und wartet, indem sie arbeitet.

Die Bekennende Kirche nimmt den Ruf der Ökumene ernst, weil sie sich ihren Gliedern durch das Sakrament der heiligen Taufe verbunden weiß. Sie weiß, daß die Zahl der Getauften noch nicht die Kirche ist. Sie weiß, daß trotz der einen Taufe die Kirchen zerrissen sind, und sie vergißt ihren eigenen Ursprung nicht. Aber sie erkennt in der Taufe die Gnade und die Verheißung der einen Kirche, die allein der Heilige Geist durch sein Wort sammelt. Wenn die reformatorischen Kirchen die Taufe zum Beispiel der römischen Kirche anerkannten, so nicht um den Ernst der Kirchenspaltung abzuschwächen – wird er doch dadurch nur verschärft, daß trotz der einen Taufe die Kirchen sich in den Bann tun müssen – sondern vielmehr, um damit den Anspruch zu erheben, nichts anderes sein zu wollen, als die gereinigte katholische Kirche selbst, das Erbe der Kirche Roms, und um ihren Anspruch auf Katholizität selbst anzutreten. Es ist damit aber zugleich die Gnade Gottes über die Lehre der Kirche geordnet, wiederum nicht so, daß die Kirchenspaltung dadurch unernst und durch uns revozierbar würde, sondern daß sie dadurch nur um so furchtbarer empfunden wird. Wenn die reformatorischen Kirchen der Ökumene auf Grund ihres Getauftseins zusammenkommen, so nehmen sie damit bewußt das Erbe der ursprünglichen katholischen Kirche in Anspruch, und es entsteht nun erst die Frage nach dem Recht und nach der Legitimität dieses Anspruches, das heißt nach der schriftgemäßen Reinheit dieser Kirchen.

Die Bekennende Kirche ist die Kirche, die nicht aus ihrer Reinheit, sondern aus ihrer Unreinheit lebt – die Kirche der Sünder, die Kirche der Buße und der Gnade, die Kirche, die allein durch Christus, allein durch die Gnade, allein durch den Glauben leben kann. Als solche Kirche, die täglich in der Buße steht, ist sie Kirche, die ihre Schuld an der Zerrissenheit der Christenheit bekennt und die jeden Augenblick ganz auf das Geschenk der Gnade Gottes angewiesen bleibt. Sie existiert darum nur als hörende Kirche; sie ist frei für das Hören auf den anderen, der sie zur Buße ruft. So liegt in ihrer Erkenntnis des Evangeliums als der alleinigen Gnade Gottes durch Jesus Christus, [398] den Bruder und Herrn, die Notwendigkeit und die Möglichkeit des Hörens und der ökumenischen Begegnung. Weil diese Kirche nicht aus sich selbst, sondern von außen her ihr Leben empfängt, darum existiert sie immer schon in jedem Wort, das sie sagt, von der Ökumene her. Das ist ihre innerste Nötigung zur ökumenischen Arbeit.

Die Bekennende Kirche nimmt die ihr von Gott durch die Heilige Schrift im Bekenntnis der Väter und heute wieder neu geschenkte Erkenntnis des Evangeliums endgültig ernst. Sie hat erfahren, daß diese Wahrheit allein im Kampf auf Leben und Tod ihre Waffe ist. Sie kann nicht um ein kleinstes von dieser Wahrheit ablassen; aber sie weiß sich gerade mit dieser Wahrheit nicht zum Herrschen, sondern zum Dienen und zum Hören berufen und wird diesen ihren unverkürzten Dienst in der Ökumene ausrichten.

Die Bekennende Kirche nimmt an der ökumenischen Arbeit als Kirche teil. Ihr Wort will als kirchliches Wort gehört sein, eben weil sie nicht eigenes Wort, sondern bindendes Wort Gottes bezeugen will. Sie will als Kirche zu Kirchen reden. Damit zwingt sie durch ihr Wort in die Entscheidung.

Die Bekennende Kirche wird der Ökumene das Recht zu brüderlicher Hilfe, brüderlicher Warnung und brüderlichem Einspruch jederzeit zuerkennen und wird damit bezeugen, daß die Einheit der Christenheit und die Liebe zu Jesus Christus alle Grenzen durchbricht. Sie wird sich der Stimme ihrer Brüder nie schämen, sondern ihr dankbar Gehör leihen und zu verschaffen suchen.

Die Frage ist gestellt. Davon daß sie aufgenommen wird, hängt die Zukunft der Ökumene und der Bekennenden Kirche ab. Das darf nicht abgeschwächt werden. In welche Krisen die Ökumene und die Bekennende Kirche dadurch geführt werden, weiß niemand. Was bleibt als positives „Programm“? Nichts als daß diese gestellte Frage nicht liegen bleibt. Weil sie echte kirchliche Kraft in sich trägt, vertrauen wir uns ihr an.

Ob sich die Hoffnung auf das Ökumenische Konzil der evangelischen Christenheit erfüllen wird, ob ein solches Konzil nicht nur in Vollmacht die Wahrheit und die Einheit der Kirche Christi bezeugen wird, sondern ob es Zeugnis wird ablegen können gegen die Feinde des Christentums in aller Welt, ob es [399] ein richtendes Wort sprechen wird über Krieg, Rassenhaß und soziale Ausbeutung, ob durch solche wahre ökumenische Einheit aller evangelischen Christen in allen Völkern einmal der Krieg selbst unmöglich wird, ob das Zeugnis eines solchen Konzils Ohren finden wird, die hören, – das steht bei unserem Gehorsam gegen die uns gestellte Frage und dabei, wie Gott unseren Gehorsam gebrauchen will. Nicht ein Ideal ist aufgerichtet, sondern ein Gebot und eine Verheißung – nicht eigenmächtiges Verwirklichen eigener Ziele ist gefordert, sondern Gehorsam. Die Frage ist gestellt.

Zuerst veröffentlicht in der Zeitschrift Evangelische Theologie, Heft 7 (August 1935), S. 245-262.

Quelle: Dietrich Bonhoeffer Werke (DBW), Band 14, Illegale Theologen-Ausbildung: Finkenwalde 1935–1937, hrsg. von Otto Dudzus und Jürgen Henkys in Zusammenarbeit mit Sabine Bobert-Stützel, Dirk Schulz und Ilse Tödt, München 1996, S. 378-399.

Hier der Text als pdf.

2 Kommentare

  1. Sehr interessant, wie sich die Themen wiederholen. Der Text erfordert Aufmerksamkeit und Zeit. Ich werde ihn noch in Ruhe und ganz durchlesen. Dietrich Bonhoeffer ist mir als bekennender Christ vertraut. Ich machte im Jahr 1999 eine ökumenische Reise auf seinen Spuren, durch Berlin und Polen. Sein Zeugnis und das Wissen um seinen Lebensweg begleitet mich schon lang. Herzlichen Dank ! Auf meinem Blog habe ich zum Krieg Russland- Ukraine einen Beitrag geschrieben. Herzliche geschwisterliche Grüße und Gottes Segen von der Gärtnerin mit dem gruenen Daumen

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