
Als Etty Hillesum (1914-1943) am 7. September 1943 aus dem Durchgangslager Westerbork mit dem Zug in das Vernichtungslager Auschwitz deportiert wurde – von den 987 Personen dieses Transportes haben nur acht überlebt -, schrieb sie mit Bleistift folgende Zeilen auf eine frankierte Postkarte an Christine Van Nooten, einer Freundin ihrer Familie, und steckte sie auf der Bahnfahrt durch einen Spalt des verschlossenen Waggons. Bauern fanden sie und brachten sie zur Post:
Christine,
ich öffne die Bibel an einer zufälligen Stelle und finde dies: Der Herr ist meine hohe Zuflucht [Psalm 62,3?]. Ich sitze mitten in einem vollen Güterwagen auf meinem Rucksack. Vater, Mutter und Mischa sitzen einige Wagen weiter. Die Abfahrt kam doch noch recht unerwartet. Plötzlich Befehl speziell für uns aus Den Haag. Wir haben das Lager singend verlassen, Vater und Mutter sehr ordentlich und ruhig, Mischa ebenso. Wir werden drei Tage reisen. Dank für all eure guten Sorgen. Zurückgebliebene Freunde schreiben noch nach Amsterdam, vielleicht erfahrt ihr etwas? Auch von meinem letzten langen Brief?
Auf Wiedersehen von uns Vieren.
Etty.
