Bischof Stephan Chow SJ, Ein Aufblühen durch Ritze. Vom geistlichen Leben in Hongkong: „Durch diese Einengung des Raums haben wir allmählich das Gefühl, in Ritzen zu leben, was uns nervös, ängstlich, enttäuscht, verärgert, frustriert und wütend macht. Ich möchte Euch sagen, dass die Liebe und das Licht Gottes in allen Dingen zu finden sind, sogar in den Rissen und Ritzen.“

Mit der Einführung des Chinesisches Sicherheitsgesetzes für Hongkong haben sich für die Kirchen dort die Sprach- und Handlungsräume verengt. Der katholische Bischof Stephan Chow Sau Yan SJ hat dazu in der Diözesanzeitschrift Sunday Examiner vom 2. Juni 2022 folgende geistliche Besinnung veröffentlicht:

Foto: Markus Spiske

Ein Aufblühen durch Ritze

Von Bischof Stephan Chow SJ

Ich erinnere mich an die schönen Bilder von Blumen und kleinen Pflanzen, die durch die Ritzen von Kopfsteinpflaster oder aus alten Steinmauern brechen. Die bezaubernden Pastellfarben der Frühlingsblumen oder die satten, rustikalen Farben des Herbstlaubs, die aus diesen Ritzen kommen, sind einfach wunderbar. Sie sind ein Beweis für die erstaunliche Kraft des Lebens, das vom Schöpfer ausgeht. Wie können sie sich in einer so engen und unangenehmen Umgebung entwickeln?

Ich habe das Gefühl, dass Hongkong, einschließlich unserer Kirche, immer mehr zu einer Existenz innerhalb von Ritzen und Rissen wird. Wir haben immer viel Freiraum und Meinungsfreiheit genossen. Wir konnten unsere Meinung äußern, wie wir wollten. Natürlich sollten wir als Christen unsere Zunge vor Unmoral und Selbstgerechtigkeit hüten. Aber dieser weite Raum für unsere Freiheit und Meinungsäußerung, den wir als selbstverständlich angesehen hatten, scheint zu schwinden.

Durch diese Einengung des Raums haben wir allmählich das Gefühl, in Ritzen zu leben, was uns nervös, ängstlich, enttäuscht, verärgert, frustriert und wütend macht. Einige haben beschlossen, sich in anderen Ländern niederzulassen. Manche warten beobachtend ab, während andere kaum eine andere Wahl haben, als zu bleiben. Was mich betrifft, so habe ich meine Wahl getroffen, als ich meine Ernennung zum Bischof annahm, wie viele in Hongkong, die sich entschieden haben zu bleiben. Ich möchte Euch sagen, dass die Liebe und das Licht Gottes in allen Dingen zu finden sind, sogar in den Rissen und Ritzen.

Denken wir an die Blumen, Sträucher und sogar Bäume, die aus Ritzen gekeimt sind – sie zeigen uns, dass nichts das Leben daran hindern kann, zu erblühen und unserer Welt Farben, Schönheit und Hoffnung zu geben. Je härter die Bedingungen, desto widerstandsfähiger ist das Leben. In manchen Fällen können sich die Risse sogar weiten.

Unser religiöser Glaube ist ein erstaunlicher Motor, der unser Leben stärkt, als Einzelpersonen und als Gemeinschaft, wenn wir unseren Glauben positiv ausleben. Wenn wir jedoch nur an der Vergangenheit festhalten wollen und nicht bereit sind, Gottes Führung im sich verändernden Kontext zu suchen, wird unser Leben bitter und sauer werden. Die Dunkelheit wird von uns Besitz ergreifen. Den sich wandelnden Kontext als Realität zu akzeptieren, bedeutet nicht, ihn zu billigen. Aber zu lernen, neue Möglichkeiten mit einer kreativen Einstellung inmitten der Spannungen des sich verändernden Kontextes zu erkennen, ist der Weg nach vorn. Und die Zukunft hält immer noch Verheißungen bereit, die unser Verständnis übersteigen.

Unterscheidungsvermögen verlangt von uns, dass wir nachdenken und antworten, nicht reagieren. Leider scheint unsere gegenwärtige Kultur eine reaktive Kultur zu sein. Wir scheinen uns gegenseitig dazu zu drängen, immer fast unmittelbar zu reagieren. Wir werden nicht in der Lage sein, den Willen Gottes zu erkennen, wenn wir uns von dieser Kraft mitreißen lassen. Stattdessen werden wir den Dränglern erlauben, unsere Götter zu sein. Daran erinnere ich mich selbst, vor allem wenn der Druck stärker wird. Uns den inneren Raum für die Unterscheidung zu gönnen ist wesentlich und auf lange Sicht nützlich.

(Übersetzung Katharina Feith)

Quelle: China heute XLI (2022), Nr. 2, S. 100.

Hier der Text als pdf.

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