Einführung in den Heidelberger Katechismus[1]
Von Karl Barth
Es ist wichtig, beim Studium des Heidelberger Katechismus die Absichten des Büchleins zu kennen. Es ist von seinen Verfassern (Z. Ursinus und C. Olevianus) gedacht 1. als Instrument des Unterrichts. Darüber hinaus aber auch 2. als Lehrnorm für die Lehrer und Pfarrer der Pfalz. Ferner hat es 3. Jahr für Jahr eine bestimmte Stellung im Gemeindegottesdienst: in neun Lektionen soll es gleichsam in liturgischer Weise zur Verlesung kommen. Endlich soll 4. über 52 Abschnitte je am Sonntagnachmittag die Katechismuspredigt gehalten werden. So steht der Heidelberger Katechismus nicht als ein Stück «Theorie» isoliert da. Sondern er steht schon rein äußerlich im Mittelpunkt einer Gottesdienstordnung, und hier wiederum bezeichnenderweise zwischen dem Tauf- und dem Abendmahlsformular. Darin kommt zum Ausdruck: an dieser Stelle, zwischen Taufe und Abendmahl, hat man den einigen Trost, von dem die grundlegende erste Frage redet, und ist man nun zugleich aufgerufen, sich über diesen Trost Rechenschaft zu geben. Dieses «Den-Trost-Haben» und «Sich-über-den-Trost-Besinnen» läßt sich nicht trennen. Es gibt kein Leben im Trost ohne Erkenntnis des Trostes, es gibt keine wirkliche Erkenntnis des Trostes abgesehen vom Leben. Der Heidelberger Katechismus trägt die Jahrzahl 1563. Er ist ein Dokument aus der Zeit am Ende der Reformation. Unter der beginnenden Einwirkung der Gegenreformation werden gleichsam die Festungsgräben tiefer gezogen, die Mauern höher gebaut, die reformatorische Erkenntnis gründlicher und zusammenhängender ausgesprochen. Im besondern spricht sich im Heidelberger Katechismus die Erkenntnis der reformierten, d. h. der von Calvin herkommenden Reformation aus. Immerhin war Ursinus ein Schüler Melanchthons, so daß man sagen kann, daß das Beste der lutherischen Reformation im Heidelberger Katechismus mitverarbeitet ist.
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In den drei Teilen: «Von des Menschen Elend», «Von des Menschen Erlösung» und «Von der Dankbarkeit» sagt der Heidelberger Katechismus, was er zu sagen hat. In diese Dreiteiligkeit eingesprengt begegnen uns nun aber eine Reihe von scheinbaren Fremdkörpern, die durch die drei Teile hindurch die Substanz der Aussagen bilden.
Fragen 23-58 das apostolische Glaubensbekenntnis und seine Auslegung,
Fragen 66-82 Taufe und Abendmahl, samt Erklärung,
Fragen 92-118 die Zehn Gebote, samt Auslegung,
Fragen 119-129 das Unser Vater, samt Auslegung.
Diese Bestandteile sind überlieferte Stücke der kirchlichen Unterweisung, die sogenannten Hauptstücke, nach denen die Kirche zu allen Zeiten gegriffen hat. Es zeigt sich darin, daß auf seine Weise auch der Heidelberger Katechismus auf diese Hauptstücke greift, daß die Reformation keine Neuerung sein wollte, sondern eben Reformation des alten und jederzeit gültigen Gehaltes der Kirche. Allerdings stellt der Heidelberger Katechismus diese Hauptstücke in einer bestimmten Weise auf den Plan, die zu erkennen ist eben in der Anordnung: Von des Menschen Elend. Von des Menschen Erlösung, Von der Dankbarkeit, die in ihrer Einfachheit eine geniale Wiedergabe der Substanz der gesamten Reformation ist.
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Warum beschäftigen wir uns mit dem Heidelberger Katechismus? Ein wenig historisches Interesse, uns dadurch nahegelegt, daß bis vor etwa 100 Jahren auch in der Schweiz in Kirche und Schule mit dem Heidelberger exerziert wurde, genügt zur Begründung nicht. Um so weniger, als er in den letzten 100 Jahren von allen Seiten und nicht zuletzt von der modernen Pädagogik her in Frage und schließlich beiseite gestellt worden ist. Aber es beginnt sich ja gerade heute abzuzeichnen, daß, was der Heidelberger Katechismus einmal war, durch ein kurzes Jahrhundert der Ablehnung nicht ausgelöscht werden kann. Er ist und bleibt auf alle Fälle ein in seiner Art klassisches Dokument des Glaubens der nach Gottes Wort reformierten Kirche. Respektvolles Hinhören zum mindesten ist diesem Dokument gegenüber geboten. Nicht als hätten wir es im Heidelberger Katechismus mit einer vorbehaltlos zu anerkennenden Autorität zu tun. Die reformierte Kirche kennt nur die eine Autorität der Heiligen Schrift. Aber daneben – oder besser: darunter gibt es legitime Bezeugung der Heiligen Schrift. Und das allerdings will der Heidelberger Katechismus sein.
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Was ist der Glaube der nach Gottes Wort reformierten Kirche? Die neuere Katechismusliteratur setzt ein mit der Frage: Wer ist eigentlich Gott? Oder noch öfter: Wer ist eigentlich der Mensch? Oder mit der Wahrheitsfrage etwa. Der Heidelberger Katechismus scheint diese Fragen nicht zu kennen. Er setzt ein mit der Frage: Was ist dein einiger Trost im Leben und im Sterben?
Voraussetzungen dieser Frage sind: 1. der Mensch hat Trost nötig; 2. es gibt solchen Trost im Leben und im Sterben, und zwar einen einigen Trost und 3. es gibt Menschen, die diese erste Frage beantworten können. Dabei ist zu bemerken, daß Trost in der Heiligen Schrift und von daher auch im Heidelberger Katechismus einen weiteren und kräftigeren Sinn hat, als wir ihn gewöhnlich mit diesem Wort verbinden. Trost heißt hier nicht einfach: ein wenig Beruhigung und Zuversicht. Sondern darüber hinaus: Mahnung und Aufruf. Unter dem Zuspruch des Trostes wird man auf die Füße gestellt, und als solchen auf die Füße Gestellten wird uns Zuversicht gegeben. Daß es diesen Trost gibt, das ist der Inhalt der christlichen Lehre. In dieser Tatsache, in diesem Ereignis des Trostes ist alles andere eingeschlossen, wonach man am Anfang der christlichen Lehre auch fragen könnte. Wer ist Gott? Der uns tröstet. Wer ist der Mensch? Der Getröstete. Was ist Wahrheit? Der von Gott dem Menschen gegebene Trost. Damit ist alles Weitere beantwortet. In dieser konzentrierten Weise hat die Kirche 1563 gefragt und geantwortet. Unser heutiges Denken ist viel zersplitterter. Um das Zeugnis des Heidelberger Katechismus zu verstehen, müssen wir uns daher zunächst einmal auf den Boden dieses konzentrierten Denkens begeben.
Der Überblick über die erste Frage und Antwort läßt als für die Darlegung des Heidelberger Katechismus maßgeblichen Fragen hervortreten:
- Wer ist der Tröster?
- Wer ist der, der getröstet wird?
- Wie wird da getröstet? Worin besteht dieser Trost?
Anhand dieser drei Fragen sollen drei Schneisen uns durch den ganzen Heidelberger Katechismus hindurchführen. Bevor aber die erste Frage aufgegriffen wird, ist – ohne der Beantwortung der dritten Frage vorzugreifen – zu sagen: Das Wesen des hier gemeinten Trostes, unser faktisches Getröstetsein besteht darin, daß nach Frage 1 ein Zustand hergestellt wird, der tröstet und mahnt, aufruft und stärkt. Dieser Zustand besteht darin, daß ich nicht mein, sondern meines getreuen Heilandes Jesu Christi eigen bin. Alle weiteren Aussagen von Frage 1 sind in Form von Relativsätzen an dieses Subjekt «mein getreuer Heiland Jesus Christus» angeschlossen: Der für meine Sünden vollkömmlich bezahlt, mich erlöst hat, mich bewahrt, mich versichert, mich ihm zu leben von Herzen willig und bereit macht. Das alles sind primär Aussagen von Jesus Christus. Und dann geht eben das darum mich an, weil er an mir handelt. Die ganze Darlegung des Heidelberger Katechismus ist zu verstehen als Erläuterung dieses Er-ich-Verhältnisses: ich gehöre dazu, aber so dazu, daß Er an mir handelt, mein Getröstet werden geht zurück auf meinen getreuen Heiland Jesus Christus. In diesem Namen ist alles beschlossen.
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I. Wer ist der, der da tröstet?
Diese Frage ist die Zentralfrage.
Frage 18 antwortet: Unser Herr Jesus Christus, der uns zur vollkommenen Erlösung und Gerechtigkeit geschenkt ist. – Nicht nur von Erlösung und Gerechtigkeit durch Jesus Christus ist hier die Rede. Sondern es wird uns gesagt, daß Jesus Christus Erlösung – hier wird, ohne daß es ausgesprochen werden müßte, der Schatten einer Gefangenschaft sichtbar! – und Gerechtigkeit selber ist. Und zwar vollkommene Erlösung: es ist hier kein Rest übrig, der durch uns selber oder andere aufgearbeitet werden müßte. Gerechtigkeit, damit ist ein Zustand gemeint, der recht macht. Und nun eben: Jesus Christus ist dieser Zustand, und so ist er der Tröster.
Frage 19 erklärt: daß wir das zu wissen bekommen, ist der Inhalt des Alten und Neuen Testamentes. Indem es uns das sagt, ist AT und NT das Evangelium. Die Prädikate offenbart, verkündigt, vorgebildet und erfüllt lassen verschiedene Formen erkennen; aber in allen diesen Formen wird uns dies gesagt, daß Jesus Christus unsere Erlösung und Gerechtigkeit ist. Der, von dem wir durch das Evangelium dies wissen, heißt nach Frage 29 Jesus = Seligmacher (Retter). Daß er uns selig macht, weist auf das in Frage 18 Erlösung – daß bei ihm Seligkeit zu finden ist, auf das dort Gerechtigkeit Genannte.
Frage 34 nennt ihn unseren Herrn und erklärt das im Rückgriff auf Frage 1 so, daß er uns erkauft hat von der Sünde und aus aller Gewalt des Teufels zu seinem Eigentum, womit erneut Erlösung und Gerechtigkeit herausgestellt werden.
Wie ist das möglich, daß es einen gibt, der dieses beides ist? Die Antwort lautet: als wahrhaftiger Gott und wahrhaftiger Mensch ist dieser Eine dazu fähig.
Fragen 15-17 stellen klar: es geht um die menschliche Natur, die für ihre Sünde bezahlen muß. Der Mensch aber in seiner Sünde ist am allerungeeignetsten, für die Sünde zu bezahlen. Darum muß der Tröster als wahrer Gott auf dem Plan sein, um kraft seiner Gottheit nun gerade an seiner Menschheit die Last des Zornes Gottes über die Sünde tragen zu können. – Zur Erlösung bedarf es also wohl des Menschen. Aber vor allem bedarf es Gottes. Daß Jesus Christus wahrer Gott und wahrer Mensch ist, das ist geradezu das Geheimnis seiner Existenz als unsere Erlösung und Gerechtigkeit.
Frage 35 redet von diesem Geheimnis der Existenz Christi: empfangen von dem Heiligen Geist, geboren von Maria der Jungfrau. Damit soll erneut deutlich werden, daß Jesus Christus nicht nur etwas tut, nicht nur das Instrument der göttlichen Hilfe, sondern in seiner Person selber diese Hilfe ist.
Frage 25 rückt das bisher Gesagte in den Zusammenhang der Dreieinigkeit Gottes: es geht bei unserer Erlösung um etwas, wozu kein Geringerer als Gott selber nötig ist. Gott selber ist aber nun eben in Jesus Christus auf dem Plan.
Fragen 33, 26 und 120 machen deutlich, daß allein die Tatsache der Gottheit Christi als des ewigen Sohnes des ewigen Vaters der Grund ist, daß es für uns das Kind-Vater-Verhältnis zu Gott gibt: was bei ihm allein natürlich ist, ist bei uns um seinetwillen aus Gnaden Wahrheit. Von daher ist es zu verstehen, daß an verschiedenen Stellen so exklusiv geredet wird. Fragen 29/30 und Fragen 94/95. Diese Exklusivität hat ihren Nachdruck ganz allein in der ausschließlichen Erkenntnis Gottes in Christus. Es handelt sich dabei keineswegs um den Fanatismus der Zahl 1 der monotheistischen Religionen!
Vom Werk des Trostes dieser Einen Person sagt
Frage 31 im Anschluß an den Amtsnamen Christus (gegenüber dem Personennamen Jesus). Christus = Gesalbter. Im Alten Testament waren Gesalbte die Propheten, Priester und Könige. Jesus Christus als der Inbegriff des Gesalbten, als der Eine Gesalbte, auf den die vielen Gesalbten hinzeigten, vereinigt dieses dreifache Amt in sich selber. Von seinem ersten, dem prophetischen Amt des Lehrers, ist im Heidelberger Katechismus kaum weiter die Rede. Ausgezogen werden vielmehr die Linien des priesterlichen und des königlichen Amtes und Werkes Christi, wobei wiederum die Beziehung zur Erlösung und Gerechtigkeit von Frage 18 auf der Hand liegt.
Vom priesterlichen Amt Christi (Erlösung) reden die Fragen 36/37/44/46/49a/52/56/60/66/67/70a/79.
Vom königlichen Amt Christi (Gerechtigkeit) die Fragen 43/45/47/49c/50/51/52b/54/57/58/70b/75b/76b/86/123/124/127/128.
Der Nachdruck des Heidelberger liegt offensichtlich auf dieser zweiten Reihe, auf dem königlichen Amt Christi (Gerechtigkeit).
Jesus Christus ist darum und darin unser Tröster, daß er vor Gott an unsere Stelle getreten ist (priesterliches Amt, Erlösung). Das hat er tun können als des Vaters geliebter Sohn, der uns gleich geworden ist. Indem er aber so vor uns steht, überläßt er uns nicht uns selber, sondern er hat uns in die Hand genommen als sein Eigentum (königliches Amt, Gerechtigkeit).
Die durch sein Blut rein geworden sind, begleitet er mit seinem Geist. Diese Zusammenstellung von Blut und Geist Christi ist für den Heidelberger Katechismus wichtig und bezeichnend, in der es erneut um die schon mehrfach in Erscheinung getretene Einheit des Doppelten geht:
Blut = Erlösung = Jesus Christus, der Priester.
Geist = Gerechtigkeit = Jesus Christus, der König.
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II. Wer wird getröstet?
Nach Frage 1 ist darauf allgemein zu antworten: derjenige, der getröstet wird, ist der, der nicht mehr sein eigen ist, der verdrängt ist aus der Position, von der aus er sich selber überblicken und beherrschen könnte; und dafür Christi Eigentum geworden ist (Fragen 1 und 34).
Dieser neue Stand des Getrösteten wird beschrieben in
Frage 53, dahin, daß er durch den Heiligen Geist «Christi und aller seiner Wohltaten teilhaftig» gemacht sei: wir werden in eine Gemeinschaft hineingenommen, in der alles, was Er handelt und ist, auch uns gilt.
Noch stärker redet
Frage 20, wonach der Getröstete «Ihm eingeleibt», d.h. geradezu ein Bestandteil seiner selbst wird. Am häufigsten findet sich zur Beschreibung dieses Status des Getröstetseins der Ausdruck Frage 32 «ein Glied Christi». (Diese Frage 32 ist im Zusammenhang mit Frage 31 eine der wichtigsten und wegweisendsten des ganzen Heidelbergers!) Nach ihr wird der Mensch, der ein Christ wird, selber geradezu ein Christus. In der hier gebotenen strengen Abhängigkeit wird auch er. entsprechend dem dreifachen Amt Christi selber (Frage 31) – selbst ein Prophet – in Frage 32 beschrieben: «daß auch ich seinen Namen bekenne» selbst ein Priester – beschrieben: «daß ich mich ihm zu einem lebendigen Dankopfer darstelle» -, selbst ein König – beschrieben: «daß ich mit freiem Gewissen … wider die Sünde und den Teufel streite und hernach … über alle Kreaturen herrsche.»
Dasselbe beschreibt
Frage 55a unter dem Stichwort der Gemeinschaft (= Anteil) am Konstitutiven der Person Christi.
Frage 54c macht deutlich, daß «ein Glied Christi sein» – mit allen bisher namhaft gemachten Konsequenzen – gleichbedeutend ist mit «ein Glied der Kirche sein».
Die stärkste Stelle über die Einheit des Christen mit Christus findet sich anläßlich der Lehre vom Abendmahl in
Frage 76, wo ausgeführt wird, daß «mit gläubigem Herzen das ganze Leiden und Sterben Christi annehmen» heiße: «Fleisch von seinem Fleisch und Bein von seinem Bein sein und von einem Geist (wie die Glieder unseres Leibes von einer Seele) ewig leben und regiert werden.» Somit ist die entscheidende erste Antwort auf die Frage: Wer wird getröstet? so zu geben: Der Mensch, nicht nur auf dem Wege von der Geburt zum Tod, sondern von der Taufe zum Abendmahl wobei erneut die schlechthin alles beherrschende Stellung des Namens Jesus Christus heraustritt. Es ist uns keinen Augenblick erlaubt, über den Menschen an und für sich zu reflektieren! Der Mensch gehört vielmehr mit Jesus Christus zusammen. Als Glied zwar nur, auf Erden während Jesus Christus, das Haupt, im Himmel ist – aber in diesem Verhältnis der absoluten Über- und Unterordnung ist der Mensch dabei, aufgehoben in des Wortes doppelter Bedeutung: er steht nicht mehr auf eigenen Füßen, aber gerade so ist er wohl aufgehoben in der Hand seines Herrn. Das gilt von vornherein! Von da her müßten wir bei all unseren Überlegungen ganz anfänglich denken. Wir stehen in diesem Lebenszusammenhang! Wir können nicht so tun, wie wenn Jesus Christus auch nur einen Augenblick lang aufhörte, Prophet, Priester und König zu sein, an dem wir Anteil haben.
Das darf nicht außer acht gelassen werden, wenn nun in der weiteren Beantwortung der Frage, wer denn hier getröstet werde, von der Sünde und vom Glauben des Menschen geredet wird. Kein Wort von der Sünde darf abstrakt, losgelöst aus diesem anfänglichen Zusammenhang gesagt werden (etwa «der Mensch im Widerspruch »in dieser trostlosen Weise, daß er zunächst einmal da stehen bleibt). Und was von der Sünde des Menschen gilt, gilt in entsprechender Weise auch vom Glauben des Menschen.
Die weitere Beantwortung der Frage: Wer wird getröstet? hat noch einmal auf
Frage 31 zurückzugreifen. Für den Heidelberger Katechismus sind entscheidend die beiden Aussagen über Christus den Priester und Christus den König, die in Beziehung stehen zu dem in Frage 18 Erlösung und Gerechtigkeit Genannten. Von da an gehen ja dauernd zwei Linien durch den Heidelberger Katechismus.
Einmal: Priester – Erlösung – Blut Christi.
Aber nicht nur für uns geschieht etwas, sondern auch an uns: Darum: König-Gerechtigkeit-Mitteilung seines Geistes.
Diese beiden Stücke des Werkes Christi für uns und an uns sind in Frage 70 (bei der Lehre von der Taufe!) beieinander. Aber nun wird in Frage 70b das Werk Christi an uns noch einmal in doppelter Weise entfaltet: es besteht darin, daß wir «je länger je mehr der Sünde absterben und in einem gottseligen unsträflichen Leben wandeln».
Diese Gegenüberstellung wird von
Frage 88 aufgenommen, wo die Buße als die Zusammenfassung dessen bezeichnet wird, was nun am Menschen geschehen darf und muß und wird, die nun eben aus diesen zwei Stücken besteht: Absterbung des alten und Auferstehung des neuen Menschen. Daran nun reiht der Heidelberger alles Weitere auf, was vom Menschen zu sagen ist.
Frage 89 nennt die Absterbung des alten Menschen: Sich die Sünde von Herzen lassen leid sein und sie je länger je mehr hassen und fliehen. Dabei bin ich das Subjekt: ich lasse mir die Sünde leid sein, ich hasse und fliehe sie. Aber das alles nun auf dem Hintergrund von Frage 70b und Frage 43: das Kreuz Christi ist der Anfang dieser Sache! Mit ihm gekreuzigt sein heißt der Sünde absterben!
Nicht durch Selbstanalyse erkennen wir uns als Sünder und sind wir uns als solche leid. Sondern in Christus werden wir zu Sündern erklärt und zugleich als Sünder erledigt. Dazu gilt es nun nachträglich Ja zu sagen. Daraufhin kann mir die Sünde nun nur noch leid sein, daraufhin kann ich sie nun nur noch hassen und fliehen. Das alles kann nur das Zweite sein auf jenes Erste am Kreuz hin. Von dieser Stelle aus, vom Kreuz aus. wo Gott für uns gesorgt hat, indem er die ganze Not der menschlichen Existenz auf sich selber genommen hat, kann es allein nun sichtbar werden, wer wir selber sind, was des Menschen Elend heißen kann. Wer sind die Getrösteten? Wer sind wir? Wir sind der Mensch, der im Elend ist!
Frage 5: Wir sind der Mensch, der das Gesetz Gottes «nicht vollkömmlich» halten kann. «Nicht vollkömmlich», das bedeutet aber: gar nicht! Denn nach Frage 62 muß die Gerechtigkeit, die vor Gott gilt, vollkommen und dem Gesetz Gottes ganz gleichförmig sein. Was Gottes Gesetz von uns will, sagt Frage 113: «Daß auch die geringste Lust oder Gedanken wider irgendein Gebot Gottes in unser Herz nimmermehr kommen, sondern wir für und für von ganzem Herzen aller Sünde feind sein und Lust zu aller Gerechtigkeit haben sollen!» – Wir aber sind Frage 5 Gott und den Nächsten zu hassen geneigt. Unsere Natur ist
Frage 7 vergiftet, unsere Art
Frage 8 verderbt, so daß wir «ganz und gar untüchtig sind zu einigem Guten und geneigt zu allem Bösen!» — Nach
Frage 6 sind wir zwar gut geschaffen. Aber der Mensch hat sich nach
Frage 9 durch mutwilligen Ungehorsam der ursprünglichen Gaben beraubt, so daß er (Frage 10) nun unter dem Zorn Gottes steht.
Frage 13: Daran vermag ich nichts zu ändern. Auch nicht irgendeine Macht im Kosmos kann diesen meinen Stand im Elend aufheben. Keine Kreatur vermag die Last des Zornes Gottes Tür mich zu tragen. Ich bin auf mich selber gestellt. Und ich selber bin keineswegs in der Lage, mir zu helfen.
Das ist der alte Mensch! Die Freiwilligkeit zu diesem Widerspruch ist meine Natur.
Aber gerade hier ist nun zu sagen: Über diese ersten Sätze des Heidelberger Katechismus ist von keinem anderen Punkt her nachzudenken als von Jesus Christus her! In den letzten 300 Jahren ist genug gejammert worden über die düstern Farben, in denen der Heidelberger das Bild von des Menschen Elend malt. Gibt’s denn nicht doch noch so etwas wie einen Anknüpfungspunkt im Menschen? Ein Fünklein, das von der Asche zwar zugedeckt, aber noch nicht ganz und gar erloschen ist?
Es ist nicht zu bezweifeln, daß man herrliche Dinge vom Menschen sagen und dann also diesen ersten Sätzen des Heidelberger Katechismus entgegenstellen kann. Es gibt eben nur einen einzigen Punkt, von wo aus diese Sätze wahr, dann aber auch einfach selbstverständlich sind: vom vollzogenen Verhältnis des Menschen zu Jesus Christus her! Der Mensch in seinem Verhältnis zu Sonne und Mond läßt das freilich nicht in Erscheinung treten. Und nun fragt sich’s, in welchen Relationen wir denken wollen. Wollen wir dem Gedankengang des Heidelberger folgen: Jesus Christus ist für mich eingetreten! Das hat’s gebraucht! Wenn das geschehen ist, wer bin ich dann? – Aus der Höhe der Wohltat, aus der Größe der Gnade, aus der Tiefe der Barmherzigkeit ergibt sich, wer wir sind. Alle diese angeblich so schrecklichen ersten Sätze des Heidelberger Katechismus sind gar keine schrecklichen Sätze, sondern bereits lauter Sätze der großen Dankbarkeit:
Wir haben die Barmherzigkeit, die uns widerfahren ist, wahrhaftig nötig. Das ist’s, was sie uns sagen wollen. Das hat mit Pessimismus, wie man vielleicht meinen könnte, gar nichts zu tun. Es handelt sich ja hier nicht um eine abstrakte Betrachtung, deren Gegenstand der «Mensch im Elend» wäre oder die «Lehre von der Sünde» etwa. Abgelöst von Jesus Christus ist das alles ja gar nicht wahr.
Das «mir die Sünde lassen leid sein», sie «hassen und fliehen» von Frage 89 kann ja doch nur heißen: mir Christus lassen lieb sein und ihn je länger je mehr suchen! Dieses die Sünde mir lassen leid sein und sie fliehen, kann nicht mehr ein besonderes Werk sein, sondern nur noch demütig und ernst, aber vor allem freudig und dankbar geschehen sein lassen, was in Jesus Christus geschehen ist.
So stirbt der alte Mensch. Er stirbt an der Freude über den neuen Menschen! Die ganze «Kunst» des christlichen Lebens besteht darin, daß wir es wiederholen lernen: all Sünd hast Du getragen!
Frage 90 beschreibt die Auferstehung des neuen Menschen so: «Herzliche Freude in Gott durch Christum und Lust und Liebe haben, nach dem Willen Gottes in allen guten Werken zu leben.» – Woher nehmen wir das? Müssen wir uns das selber einreden? Das gäbe keine Auferstehung im vollen Sinne des Wortes. Auch hier ist also auf die Lehre von Jesus Christus selber zurückzublicken.
Frage 45b: Die Auferstehung des neuen Menschen genau so wie vorher die Absterbung des alten Menschen ist entscheidend die Auferstehung Jesu Christi. Von da aus: Weil Christus auferstanden ist, bin ich’s mit ihm. (Frage 90 und 45 hängen genau so zusammen wie vorher 89 und 43.) Eigentlich bin ich es nicht. Sondern Er istʼs. Aber gerade dämm kann ich nun nicht draußen bleiben. Indem das Haupt nicht im Tode bleibt, können auch die Glieder nicht drin bleiben.
So ist also noch einmal zu fragen: Wer ist der Getröstete? Wer sind wir? Und darauf ist zu antworten: der erlöste Mensch.
Was heißt: Erlöst sein? Hier stoßen wir entscheidend auf den Begriff des Glaubens. Der erlöste Mensch ist der, von dem es in Frage 65 heißt, daß der Heilige Geist in ihm den Glauben wirke durch die Predigt des heiligen Evangeliums und denselben bestätige durch den Gebrauch der Sakramente. Dabei ist der Heilige Geist als die Kraft der Auferstehung Christi zu denken. Was aber ist der Glaube?
Frage 21 antwortet: Eine Erkenntnis, darin es geschieht, daß wir ein herzliches Vertrauen haben – vom Heiligen Geist gewirkt – daß mir Vergebung der Sünden, ewige Gerechtigkeit und Seligkeit von Gott geschenkt sei aus lauter Gnaden. («Eine Erkenntnis, darin …» So ist es zu verstehen, was in Frage 21 im Wortlaut heißt: «… nicht allein … sondern auch!») Der neue Mensch ist also derjenige, der es annimmt und gelten läßt: Um des Verdienstes Christi willen ist mir Gerechtigkeit geschenkt. Ein solcher Beschenkter sein heißt: der neue Mensch sein.
Frage 60 – eine der Zentralfragen des Heidelberger – läßt keinen Zweifel daran, daß der alte Mensch immer noch da ist. Aber im Glauben bin ich dennoch gerecht. Nicht weil mein Glaube eine so schöne Sache wäre. Sondern weil mein Glaube diesen Gegenstand hat. So kann es in Frage 61 geradezu heißen: daß ich durch den Glauben gerecht bin. Freilich nicht um der Würdigkeit meines Glaubens willen, sondern allein von seinem Ziel her rechtfertigt mich der Glaube. Daß ich in diesem Sinne glauben, daß ich auf dieses Ziel hin sehen darf und nicht mehr auf den alten Menschen zurückgehen muß: das ist die Existenz des neuen Menschen.
Frage 62 – auch unsere besten Werke sind unvollkommen und mit Sünden befleckt –,
Frage 63 – unsere guten Werke entbehren aller Verdienstlichkeit – und
Frage 81 – die sich selbst um ihrer Sünden willen mißfallen, sollen zum Tisch des Herrn kommen –
unterstreichen gewaltig, daß allein der von seinem Ziel verstandene Glaube die Existenz des neuen Menschen ist.
Gerade in dieser Haltung kann und darf dann diese Existenz aber auch gelebt werden, betend gelebt werden, im Sinne von
Frage 117, wobei wir gerade im Gebet ernst machen mit der Erkenntnis unserer Not und unseres Elends und uns vor Gottes Majestät demütigen. Es kann ja alles an und in dieser neuen Existenz nur dazu führen, daß wir
Frage 115 «so viel begieriger Vergebung der Sünden und Gerechtigkeit in Christo suchen». In dieser Zielstrebigkeit sind wir gerecht vor Gott. Darin sind wir gerecht vor Gott, daß wir ganz und gar hinsehen auf die «fremde» Gerechtigkeit Jesu Christi. Nicht, daß am Menschen etwas Rühmliches übrig bliebe, ist das Resultat der neuen Existenz. Aber Christus ist zu rühmen! Sein Licht – das Licht seines Sterbens und Auferstehens – fallt auf uns, die Kraft seines Blutes und seines Geistes ist an uns wirksam. Sie stellt uns vor Gott hin, wie wir dort stehen sollen.
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III. Wie wird getröstet? Worin besteht der Trost?
Es ist bei der Erörterung dieser Frage erneut klarzustellen, daß der ganze Nachdruck der Aussagen des Heidelberger Katechismus auf den Aussagen über den Tröster liegt. Von da aus gibt es dann eine Beziehung, ein Licht, das nach außen fallt auf den Getrösteten. Dieses Licht, diese Beziehung als solche ist’s, worum es in diesem dritten Abschnitt geht.
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Es wird so und damit getröstet, daß der Tröster als der, der er ist – wahrer Gott und wahrer Mensch, Priester und König – mit uns ist – den Sündern, die glauben dürfen. Das ist der Trost. Mehr braucht es nicht. Die Gegenwart des Trösters ist der Trost.
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In der den ganzen Gang der Darlegung festlegenden Frage 1 spricht sich dieser dritte Gesichtspunkt vom Wesen des Trostes aus in den drei Verbalformen in 1b:
Der … mich also bewahrt …,
darum er mich auch durch seinen Heiligen Geist des ewigen Lebens versichert
und Ihm hinfort zu leben von Herzen willig und bereit macht.
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«Der mich also bewahrt», d.h. schützt, erhält, versorgt, so daß mir nichts geschehen kann. Solches Bewahrtwerden versteht sich nicht von selber. Fragen 10-14 sagen deutlich genug, daß der Mensch von sich aus keinen Stand hat, sondern nur fallen kann. Er steht unter Gottes Zorn und Strafe. Wird er von ihm nicht getroffen, so einzig in der Wirklichkeit dieses Bewahrtwerdens.
Frage 26, die man mit dem im ersten Teil des Heidelberger von des Menschen Elend Gesagten zusammenhalten muß, um ihr ganzes Gewicht zu ermessen, nennt Gott um Jesu Christi willen meinen Vater, dem ich gegenüberstehe, so, daß ich alles – mit Einschluß des Übels – aus seiner Hand nehmen darf, aus der und also nicht vom Zufall oder Schicksal – es mir zukommt, so oder so zu meinem Besten. Wie anläßlich der Aussagen von des Menschen Elend gewann werden mußte, sie mit Pessimismus zu verwechseln, so muß hier davor gewarnt werden, an Optimismus zu denken.
Frage 28 sieht uns im Anschluß an Röm. 8,23ff. um Jesu Christi willen so in den Zusammenhang der Liebe Gottes gestellt, daß keine Kreatur uns davon zu scheiden vermag. Wir dürfen leben mit Gottes Einladung, guter Zuversicht und dankbar sein. Wenn es Frage 118 in diesem Zusammenhang einen Befehl Gottes über uns gibt, dann den: alle geistige und leibliche Notdurft von ihm zu erbitten. Wenn es ihm gegenüber eine Haltung der Furcht gibt, und wenn wir aufgerufen sind, unsere Zuversicht auf ihn zu setzen, so kann beides seinen Grund nur haben in der Gewißheit, daß
Frage 120 «Gott durch Christum unser Vater worden sei».
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«Darum er mich auch durch seinen Heiligen Geist des ewigen Lebens versichert.» D. h., er gibt uns einen neuen Boden unter die Füße, auf den wir getrost treten dürfen, und von wo aus sich ein Blick auftut einem ewigen, wirklichen, unzerstörbaren Leben entgegen, wo wir, da Gott ja mit uns ist, an Gottes eigenem, wirklichem Leben Anteil haben sollen. Das ist, auf eine zweite Weise, der Trost, mit dem da getröstet wird. Worin besteht er?
Frage 54 verweist auf die Kirche. Es ist ja der Heilige Geist, durch den ich des ewigen Lebens versichert werde. Das Werk des Heiligen Geistes ist es aber in besonderer Weise, in der Kirche, die sich der Sohn Gottes aus dem ganzen menschlichen Geschlecht zum ewigen Leben versammelt, schützt und erhält, und zu der er auch uns hinzutun will, das Evangelium zur Geltung zu bringen. – «Unter dem Trost stehen» bedeutet also auf jeden Fall Auswahl, Geschenk, Gnade. Es handelt sich zwar zunächst um das Herausrufen, um die Wahl jedes Einzelnen. Aber dann sofort um Herausrufen, um die Wahl jedes Einzelnen. Aber dann sofort um das Herausrufen zu dieser Schar, der Kirche.
Warum das? Was hat das mit dem Heiligen Geist und dem ewigen Leben zu tun? Eben dies: Da ist das Evangelium zu finden und steht in Geltung. Denn
Frage 19: Allein aus dem Evangelium weiß ich von diesem Trost.
Frage 67 nennt neben dem Evangelium, in dem der Heilige Geist lehrt, auch die Sakramente, durch die er bestätigt, daß das Opfer Christi mein Trost ist.
Frage 65: Durch die Predigt des Evangeliums und den Gebrauch der Sakramente wirkt der Heilige Geist in unseren Herzen den Glauben. Den Glauben.
Frage 21, durch den diese Versicherung (Frage 1) bei uns real wird.
Was hilft es, wenn du glaubst?
Frage 59 antwortet, daß ich in Christo vor Gott gerecht und ein Erbe des ewigen Lebens bin. Ich darf also meines Lebens als eines wirklichen Lebens froh werden. Warum das? Weil nach
Frage 60 der Glaube ein wirkliches An-Nehmen der Wohltat Gottes – der Vergebung der Sünden, der für uns eingesetzten Gerechtigkeit und Heiligkeit Christi – ist. Lasse ich mir diese Wohltat gefallen, dann bin ich so daran, wie
Frage 44 ausführt: «In meinen höchsten Anfechtungen versichert,mein Herr Christus habe mich … von der höllischen Angst und Pein erlöst.» Heimlich oder offen stehe ich immer in Anfechtung. Aber das ist nun der Sinn der Tröstung, daß das alles schon erledigt ist,
Fragen 57/52 und 58 nehmen das Stichwort Trost ausdrücklich auf. In ihnen allen geht es um die Zukunft, wie ich sie – mit Einschluß des Todes – hinzunehmen habe. Demgegenüber darf ich wissen, daß Jesus Christus dieser Zukunft gegenüber für mich einsteht.
Frage 52: Ich habe den Richter zum Freund.
Frage 58: Ich werde in dieser Zukunft Gott ewiglich preisen.
Aber Glauben ist ja nicht nur ein Mittel, um einmal zu etwas Anderem und Schönerem zu kommen. Sondern im Glauben ist ja das alles jetzt und hier gegenwärtig.
Frage 49: Wir haben Gottes Geist zum Gegenpfand. Weil der Glaube das Werk des Heiligen Geistes ist. ist im Glauben das ewige Leben bereits gegenwärtig.
Frage 53b, mächtig unterstrichen von 53a: Der Unterschied zwischen dem Jetzt und der Erwartung ist nicht ein Unterschied in der Sache, sondern lediglich in der Form: Jetzt gilt es zu glauben, was dann offenbar sein wird. So gewiß Gott einer und derselbe ist. ist es nichts anderes, was wir jetzt im Glauben leben und was uns bevorsteht. Der Heilige Geist, der uns des ewigen Lebens versichert, ist nicht irgendein Geistlein, sondern dieser eine und selbe Gott selber!
«Ihm forthin zu leben von Herzen willig und bereit macht».
Wir haben uns die beiden Linien des Heidelberger: Jesus Christus der Priester/Erlösung/Blut – und: Jesus Christus der König/Gerechtigkeit/Geist vor Augen gestellt. Was uns von der zweiten Linie noch trennen könnte, will nun auch noch durchschlagen werden: mich, willig, bereit, leben: Soviel Worte, soviel Zugriffe auf mich selber. Es gibt kein Beschauen dieses himmlisch-irdischen Schauspiels des Priester- und Königtums Christi. Ich bin vielmehr selber in die Sache hinein verwickelt. Diese Sache bloß betrachtet, wäre ganz einfach nicht diese Sache! Diese letzten Aussagen der Frage 1 machen es unzweideutig klar, wie unmittelbar wir da beteiligt sind.
In Fragen 88-90 haben wir schon anläßlich der Besinnung über die Frage: «Wer wird getröstet?» dieses unmittelbare Angegriffensein gespürt: Wenn es zu diesem Absterben und Auferstehen nun etwa nicht käme, dann hätten wir ganz einfach nicht die Botschaft vom einigen Trost gehört. Wenn wir damals alles zusammenfassen konnten in dem Begriff des Glaubens, so ist dabei zu bedenken, daß der Glaube ja immer mein Glaube oder dein Glaube ist; wir sind ja in der allerstärksten Weise dabei beim Glauben. So daß Frage 64 auf die Frage, ob solche Lehre nicht sorglose und verruchte Leute mache, mit einem glatten «Unmöglich!» antworten kann. Nicht etwa: man muß es recht verstehen; man muß noch dies und das ergänzen. Sondern einfach: Unmöglich!! Es wäre ganz einfach nicht diese Lehre, wenn die Getrösteten nicht Frucht der Dankbarkeit brächten. Es war ja bisher immer nur von den in Christo Eingepflanzten die Rede, von denen es wirklich unmöglich heißen kann, daß sie sorglos und verrucht seien.
Fragen 31/32 lassen erkennen, wieso es in Frage 64 so getrost «unmöglich» heißen kann: der durch den Glauben bewirkte Zusammenhang des Christen mit Christus, worin seinem prophetischen Amt unser «Bekennen seines Namens», seinem priesterlichen Amt unser «Uns zu einem lebendigen Dankopfer darstellen», seinem königlichen Amt unser «Mit freiem Gewissen wider die Sünde und den Teufel streiten» entsprechen, läßt sich nicht trennen. Nicht: ich glaube an Jesus Christus und dann bekenne, danke und streite ich. Das sind nicht zwei Dinge. Der Glaube selber ist ja unser Teilhaben an Christus und also an seinem Tun. In dieses Tun sind wir im Glauben hineingestellt. Sind wir nicht in dieses Tun hineingestellt, so glauben wir nicht. Sobald man sich auf die Trennung von Glauben und Leben einläßt, hat man diese Lehre verfälscht. Es gibt kein Glauben, das nicht Bekennen, Danken, Streiten wäre! Es gibt kein Leben des Bekennens, Dankens und Streitens, das nicht das Leben des Glaubens wäre. In Jesus Christus gibt es diese Spaltung nicht, und von daher sagt der Heidelberger in Frage 64 sein getrostes: Unmöglich!
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Frage 86 fragt auf die Zusammenfassung des ersten und des zweiten Teils hin (aus unserem Elend erlöst): Warum sollen wir gute Werke tun? Die Antwort lautet ebenso schlicht wie bestimmt: weil uns gar nichts anderes übrig bleibt, als dankbar zu sein. Von unserer Existenz bleibt ja nur das übrig, was in Christus existiert. Das Alte ist vergangen. Das Neue zu realisieren, steht nicht in unserer Kraft. Also gibt es nichts anderes, als dankbar zu sein, womit gemeint ist:
Da wir von Gottes Gnade leben dürfen, so leben wir also davon. Dankbarkeit und Gnade entsprechen einander. Dankbarkeit ist die Haltung dessen, der aus Gnaden lebt und nicht noch einmal in den Abgrund springt, aus dem er gerettet ist.
Frage 87 sagt dasselbe negativ: «Können die nicht selig werden, die sich von ihrem undankbaren, unbußfertigen Wandel zu Gott nicht bekehren?» Keineswegs (entsprechend dem Unmöglich von Frage 64). Warum nicht? Weil Gott die Sünder nicht annimmt? Nein, denn für die Sünder ist Jesus Christus ja eben gestorben.
Aber eben: für die Sünder, die in ihrer Übertretung dankbar geworden sind, die nach Frage 89 sich die Sünde lassen leid sein, sie hassen und fliehen und nach Frage 90 herzliche Freude in Gott und Lust und Liebe haben, nach dem Willen Gottes zu leben. Lasse ich mir die Sünde nicht leid sein, so lasse ich mir ja den nicht lieb sein, der für mich in meiner Sünde gestorben ist.
Beachtenswert ist die vorsichtige und zurückhaltende Formulierung dieser Aussagen des Heidelberger. Es ist hier nur die Rede davon, daß ich mir die Sünde lasse leid sein. Es wird kein Tugendkatalog aufgestellt. Es bleibt dabei, daß es ums Werk der Gnade und allein von daher um gute Werke geht. Nur das wird verlangt, das wird aber allerdings verlangt. Die Frage, ob ich auch nur dieses Geringste könne, ist völlig gegenstandslos. Indem das von mir verlangt wird, wird ja nichts anderes von mir verlangt, als daß ich erlöst bin!
Freilich ist nach Frage 62 – «auch unsere besten Werke sind mit Sünden befleckt» – und Frage 114 – «auch die zu Gott bekehrt sind, können die Gebote nicht vollkömmlich halten» – der Stand der Dinge so. daß man seine Dankbarkeit nie unter Beweis stellen kann, daß man keine Werke der Dankbarkeit zu präsentieren hat. Wer hier etwas zu präsentieren haben wollte, der hätte ja nur – diesmal von der andern Seite aus! – nicht verstanden, daß es um Gnade geht. Aber gerade nach derselben Frage 114 soll es nun beim bloßen Nichterfüllen des Gesetzes nicht sein Bewenden haben. Von einem geringen Anfang des Gehorsams und von einem ernstlichen Vorsatz, nach allen Geboten Gottes zu leben, ist gerade da die Rede. Aber wiederum kann der Sinn dieser von uns ganz konkret verlangten Dankbarkeit ja nur der sein, daß nach Frage 128 «nicht wir, sondern Dein heiliger Name ewig soll gepriesen werden ». Es handelt sich zwar um Werke der Dankbarkeit. Aber wie es damit gemeint ist, sagt
Frage 91 deutlich genug: Aus Glauben, nach dem Gesetz Gottes, Ihm zu Ehren und nicht nach Menschensatzungen, unserem Gutdünken und zur Ehre des dankbaren Menschen geschehen die wirklichen Werke der Dankbarkeit.
Wie wichtig dieser Begriff der Dankbarkeit dem Heidelberger ist, zeigt sich darin, daß er durch seine ganzen Darlegungen hindurch dauernd anklingt (Fragen 28/32/43/64/86). Wie es mit ihm gemeint ist – nämlich als das Annehmen der Gnade, das dann von selber das neue Leben ist – zeigt
Frage 116, die nun ausgerechnet das Gebet das vornehmste Stück der Dankbarkeit nennt. Dadurch wird erneut der Zusammenhang deutlich zwischen Lehre und Leben, Theorie und Praxis. Bete ich wirklich, bewähre ich ja gerade so meine Furcht und Zuversicht Gott gegenüber. Indem ich
Frage 122 bete: Dein Name werde geheiligt, beginne ich die rechte Erkenntnis, die Heiligung, den Ruhm und Preis Gottes. Sonst wäre es nicht wirklich gebetet.
Frage 123: Indem ich bete: Dein Reich komme, bin ich willig und bereit, zur Kirche Jesu Christi als dem Anbruch seines Reiches ja zu sagen.
Frage 124: Indem ich bete: Dein Wille geschehe, unterwerfe ich mich dem Willen Gottes und sage meinem Willen ab.
Frage 125: Indem ich bete: Unser täglich Brot gib uns heute, sage ich ja zu Gott als dem einigen Ursprung alles Guten.
Frage 126: Indem ich bete: Vergib uns unsere Schuld, demütige ich mich vor Gott und stelle mich an den Ort, wo ich meinem Nächsten verzeihe.
Frage 127: Indem ich bete: Führe uns nicht in Versuchung, bin ich voll Zuversicht zur Hilfe Gottes.
Wer könnte angesichts dieses Gebetes noch von sorglosen und verruchten Leuten reden? Gerade dieses Beten ist ja ein einziger Streit- und Alarmruf, der den Menschen in die Arbeit hineinruft, an die es nun gerade vom Gebet her geht. Indem wir uns ganz auf die Gnade verlassen, indem wir sogar um sie beten, unterziehen wir uns den Geboten, in denen es erneut (Frage 94 ff.) nicht um den Menschen, sondern allein und ganz um Gott geht.
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Wie kommt es zu dieser Dankbarkeit? Warum gute Werke? Warum christliches Leben?
Frage 86 antwortet ganz deutlich! Nicht: weil wir …! Sondern: Weil Christus! Christus ist das Subjekt dieser Dankbarkeit, der guten Werke und des christlichen Lebens!
Frage 32 redet dann von mir! Aber von mir, sofern ich ein Glied Christi bin! In diesem geschlossenen Kreis Er/ich kommt es zu dieser Dankbarkeit, zu diesen guten Werken, zu christlichem Leben – indem ich dabei bin bei seinem prophetischen, priesterlichen und königlichen Amt und nun auch meinerseits seinen Namen bekenne, mein Leben zum Dankopfer gebe, mit freiem
Gewissen wider die Sünde und den Teufel streite. Aber ich bin dabei nicht anders, als es
Frage 81 sagt: So daß ich mir selbst um meiner Sünden willen mißfalle und doch vertraue, daß dieselben mir um Christi willen verziehen sind. Aus dieser Sache darf nicht – etwa im Namen eines christlichen Lebens! – eine ganz andere gemacht werden. Sonst wird Gnade Gericht (Frage 81b)!
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Nach Frage 115 werden die Zehn Gebote gepredigt erstlich zur Erkenntnis unserer Sünde, darnach, daß wir uns befleißigen und Gott um den Heiligen Geist bitten, der uns erneuere.
Dieses erstlich und darnach gehört zusammen. Sowohl ohne das erste wie ohne das zweite wären wir nicht glaubende Sünder, als die wir uns haben erkennen müssen und dürfen.
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Der Schluß des Heidelberger macht deutlich, worum es im Ganzen gegangen ist: daß Dein heiliger Name ewig soll gepriesen werden (Frage 128)! Und Frage 129: «Das soll wahr und gewiß sein, denn mein Gebet ist viel gewisser von Gott erhört, als ich in meinem Herzen fühle, daß ich solches von ihm begehre.»
Die Größe Gottes ist immer erhaben auch über das Beste – das Gebet was vom Menschen zu sagen ist!
Quelle: Karl Barth, Einführung in den Heidelberger Katechismus, Theologische Studien 63, Zürich: EVZ-Verlag, 1960.
[1] Die hier vorgelegte Arbeit ist am 4. Oktober 1938 auf der Schauenburg bei Liestal bei einem Kurs für Religionslehrer vorgetragen worden. Der mitgeteilte Text beruht auf einer stenographischen Nachschrift von Pfr. Rolf Eberhard (damals Bubendorf, Bld.).