Walter Krecks Predigt über 1. Petrus 1,3 anlässlich der Trauerfeier für Hans Joachim Iwand 1960: „Warum drängt man aus den Zelten wieder in feste Häuser und Paläste, auch in der Kirche, warum diese Sucht nach Sicherheit, nach sichtbarer Anerkennung und Bestätigung, warum diese Selbstrechtfertigung landauf, landab, wo man vergißt, was nicht vergessen werden dürfte, und nicht vergessen will, was der andre uns tat?“

Lebendige Hoffnung. Predigt anlässlich der Trauerfeier für Prof. Hans Joachim Iwand (gestorben am 2. Mai 1960)

Von Walter Kreck

„Gelobt sei Gott und der Vater unsers Herrn Jesu Christi, der uns nach seiner großen Barmherzigkeit wiedergeboren hat zu einer leben­digen Hoffnung durch die Auferstehung Jesu Christi von den Toten“ (1. Petr. 1,3).

Gelobt sei Gott? Kann man so sprechen in dieser Stunde, wo wir er­schrocken und erschüttert dessen gedenken, der so plötzlich von uns ging? Können wir da nicht nur sagen: Herr, wie unbegreiflich sind deine Ge­richte und wie unerforschlich deine Wege? Unbegreiflich für uns, daß die­ser Mann mitten aus dem vollen Leben und Wirken herausgerissen wurde, er, den seine Familie noch so nötig hatte, der uns im Kreis der Kollegen unersetzlich erscheint, von Unzähligen verehrt und geliebt als theologischer Lehrer, unvergeßlich als Prediger des Evangeliums, er, dessen Name mit der jüngsten Geschichte unserer Kirche, vor allem der Bekennenden Kirche, unlöslich verbunden ist, der weit über sein Fach hinaus in den großen Fragen und Problemen unserer Kirche und unseres Volkes für viele eine aufrüttelnde und wegweisende Gestalt war, der eine schlechthin einzig­artige Bedeutung hatte für den Kontakt mit den christlichen Kirchen im Osten. Möchte man nicht hadern mit dem Gott, der so unbegreiflich han­delt? Und droht nicht unser Herz in eine namenlose Traurigkeit und Re­signation zu verfallen im Blick auf diesen Verlust?

Und doch, so unbegreiflich das alles für menschliches Denken ist — wir müßten Hans Iwand schlecht gekannt und sein Wirken unter uns nicht be­griffen haben, wenn das alles wäre in unserem Gedenken. Er, der bei aller menschlichen Wärme und persönlichen Hinwendung zu seinen Mitmen­schen so erfüllt war von der Sache, die ihn trieb, dessen ganzes Lehren und Wirken ein lebendiges Zeugnis war für den Gott, der aus dem Tod zum Leben führt, — seiner kann man nur recht gedenken, wenn man aller Verzagtheit und Traurigkeit zum Trotz dennoch bekennt: „Gelobt sei Gott … der uns wiedergeboren hat zu einer lebendigen Hoffnung!“

Lebendige Hoffnung! Vielleicht kann man nicht knapper und treffender das kennzeichnen, worum es ihm ging in Theologie und Verkündigung. Wir denken hier nicht an sein sprühendes Temperament, seine geistige Vi­talität, seine menschlichen Qualitäten, die ja auch bei dem Begabtesten und Unverwüstlichsten immer wieder ihre Grenze finden, was alles so leicht in Depression und Verzagtheit umschlagen kann, sondern hier ist von einer lebendigen Hoffnung die Rede, welche nicht von Haus aus auf dem Boden des menschlichen Herzens wächst, nicht im Bereich unserer Möglichkeiten liegt. Eine Hoffnung, die auch dann noch durchhält, wenn alles andere unter den Händen zerbricht, wenn draußen und drinnen alles uns sein Nein zuschreit, wenn aller Erfolg ausbleibt, wenn uns das Gewissen an­klagt, wenn der Tod seinen Raub nimmt. Theologie und Kirche sind nur dann ernsthafte Größen, ja, sie stehen und fallen damit, daß sie von einer Wirklichkeit zeugen, die nicht in der konstatierbaren und erfahrbaren Welt gründet, die nicht das Echo unseres Herzens ist, sondern die hereinbricht in unsre Welt mit der Vollmacht einer Wirklichkeit, die ihre Legitimation schlechthin in sich selber trägt. Das ist doch gemeint, wenn hier von der Auferstehung Jesu Christi von den Toten die Rede ist. Es muß wohl schon so gesagt werden, mit diesem Hinweis auf Ostern, und ich kann es nicht besser umschreiben, als es Hans Iwand selbst einmal tat, wenn er schrieb: „Indem Paulus so die ,Macht‘ des lebendigen Gottes mit der ,Todestat­sache‘ konfrontiert, indem er diese beiden, Gott und den Tod, ohne Zwi­schenglieder aufeinander bezieht, … erreicht er die letzte, äußerste Po­sition, um das Evangelium von Jesus Christus als den Sieg Gottes auf der ganzen Linie zu verkündigen. Von jenseits des Todes her, von außerhalb der durch den Tod bestimmten Menschheitsgeschichte stammt die Christusbotschaft. Wenn sie nicht untrennbar verbunden bleibt mit dem anderen, mit der unfaßlichen Wirklichkeit der Totenauferstehung als der Grenz­überschreitung dieses Äons und seiner Gesetze, dann ist sie sinnlos, dann ist unser Christentum mit allem, was zu ihm gehört, mit Sündenvergebung und Unsterblichkeit nichts anderes als eine der vielen, damals wie heute so zahlreichen ,Erlösungsreligionen‘, mit denen sich die Gefangenen über die Unzerbrechlichkeit ihres Gefängnisses hinwegtrösten.“

Wo davon in aller Schwachheit und Fehlbarkeit etwas erkannt wird, da kommt ein Gefälle in Theologie und Verkündigung, das sie vor den plat­ten Selbstverständlichkeiten bewahrt, die wir so oft hören, da entsteht jene Wachsamkeit gegenüber einer Theologie, die sich als menschliche Weisheit beglaubigen möchte, gegenüber einem Versinken im historischen Relativis­mus und ebenso gegen eine tote Orthodoxie. Da kann man und muß man unter Umständen so zornig zufahren gegenüber einer theologischen und kirchlichen Restauration, welche die Fragen von gestern konserviert, aber den Blick dafür verliert, wo uns Gottes Verheißung und Gebot heute trifft. Da wird man der toten Hoffnungen überdrüssig, mit denen wir uns so gern betäu­ben, da weicht die Angst vor den Mächtigen dieser Erde, da wagt man es, sich auch als „Narr in Christo“ auslachen zu lassen und notfalls allein zu stehen. Da ist man aber unerbittlich, wo das Evangelium von der leben­digen Hoffnung zu einer christlichen Weltanschauung degradiert wird, die unsre Wünsche und Interessen rechtfertigt. Da findet man sich nicht so leicht ab mit den Fronten, die wir Menschen aufrichten, mit dem Freund-Feind-Denken, mit der Abschreibung der gottlosen Welt. Kurz, da wird etwas spürbar von dem fröhlichen und trotzigen Dennoch des Glaubens, der hier in dieser Welt, auf dieser Erde, im Bereich der sogenannten Wirklich­keit allen Ernstes damit rechnet, daß es hier keine letzte Eigengesetzlich­keit gibt, sondern der Stärkere unterwegs ist, der den Starken bindet.

Freilich, diese lebendige Hoffnung, die in der Auferstehung Christi von den Toten gründet, bleibt Hoffnung, deren Erfüllung man in dieser Welt nicht sieht. Wir kennen ja die unheimliche Versuchung, die darin liegt, vom Glauben zum Schauen eigenwillig vorzustoßen. Nichts hat den von uns Gegangenen bis in die letzten Wochen und Tage hinein so gequält wie diese Gefahr, von der er Kirche und Theologie heute besonders bedroht sah. Wie oft hat er schmerzlich darunter geseufzt, daß man mit aller Macht zu den Fleischtöpfen Ägyptens zurückdrängt, obwohl doch Gott seine Kirche in den vergangenen Jahren zu einem neuen Aufbruch ge­rufen hatte, obwohl uns schon einmal alle menschliche Sicherheit und bürgerliche Selbstzufriedenheit zerschlagen wurde. Wie kann man das so schnell vergessen, nicht nur die brennenden, zerstörten Städte, die Brüchig­keit aller menschlichen Ordnungen, sondern vor allem diesen Bankrott aller menschlichen Selbstherrlichkeit und diese Berge von Schuld! Warum drängt man aus den Zelten wieder in feste Häuser und Paläste, auch in der Kirche, warum diese Sucht nach Sicherheit, nach sichtbarer Anerkennung und Bestätigung, warum diese Selbstrechtfertigung landauf, landab, wo man vergißt, was nicht vergessen werden dürfte, und nicht vergessen will, was der andre uns tat? Warum auch in der Theologie dies Suchen nach einer Ausweisbarkeit, wie sie ihr nun gerade nicht verheißen ist? Und welch ein Wahn zu meinen, mit solchen fleischlichen Waffen als Christenheit ge­wappnet zu sein für die große Auseinandersetzung mit dem Unglauben und der Gottlosigkeit! Weil man des Hoffens müde ist, möch­te man schauen. Aber hier gilt, um es wieder mit Hans Iwands Worten zu sagen: „Es muß ohne Bestätigung in der Todeswelt bleiben. Es langt weit über diese Welt hinaus. Es ist bezogen auf das, ‚was nicht ist, damit es das Sei­ende aufhebe‘ (1. Kor. 1,28). Einmal wird aus der Theologie des ‚Es steht geschrieben‘ eine Ontologie des ‚Es ist geschehen‘ werden, einmal werden wir schauen. Einmal wird uns aus der uns umgebenden Wirklich­keit in Natur und Geschichte nicht mehr die Anfechtung, sondern die Be­stätigung dessen, was wir geglaubt haben, entgegenkommen. Einmal wird alles ‚stimmen‘! Aber bis dahin wird eben nichts ‚stimmen‘ und darf nichts mit dem, was jetzt ist, übereinstimmen!“ „Laßt alles an Euch vorü­bertreiben, was sich jetzt schon als erfüllte Zeit… ausgibt. In diesen Stürmen und Bewegungen ist der Herr nicht, und es lohnt sich darum nicht, aus der Höhle herauszutreten. Die Tage dieser Weltgeschichte kom­men und gehen. Es gibt aber einen Tag, der kommt, um nicht wieder zu gehen.“

Und noch ein Letztes: Von dieser lebendigen Hoffnung heißt es hier, daß wir zu ihr wiedergeboren sind durch die Barmherzigkeit Gottes. Man kann es sich nicht selber geben und selber erhalten. Es ist Gnade, wenn uns dafür die Augen aufgehen. Hier läßt sich nichts erzwingen und er­pressen. Es ist die frohe Botschaft, die man niemand aufnötigen kann, sondern die man nur bezeugen kann und die dann selbst aufleuchten muß in ihrem unaussprechlichen Licht. Wo man davon etwas ahnt, da herrscht der Geist der Freiheit. Da bekommt man langen Atem, da muß man nicht sofort Tischtücher zerschneiden, da kann man warten. Dann braucht man nicht eng und kleinlich zu sein in seinem Denken und im Umgang mit den Menschen, es weicht aller sektiererische Geist. Wir haben im Umgang mit Hans Iwand etwas von diesem Geist der Freiheit bei aller Festigkeit des eignen Standpunkts erfahren, von dieser großen menschlichen Herzlich­keit, von dieser geistigen Weite, die neben seinem so gut gekannten und so sehr geliebten Luther etwa auch den großen Idealisten des 19. Jahrhun­derts an ihrem Ort Raum ließ, von dieser Souveränität, mit der er Freund­schaft halten konnte über die Parteigrenzen hinweg. Vielleicht daß auch das ihn zutiefst vor einem solchen systematischen Denken bewahrte, das Gott einfangen möchte in unsere Prinzipien, und daß er darum lieber mit Paulus und Luther paradox redete als banal einlinig denkend die Freiheit der Gnade zu verdunkeln und das Geheimnis Gottes in Selbstverständlich­keiten aufzulösen.

Vor allem aber, meine ich, klang dieser Lobpreis der Barmherzigkeit Gottes uns in seinen Predigten entgegen. Gewiß, er konnte zürnen, konnte schneidend Nein sagen, aber wenn er das Wort Gottes verkündigte, dann kam es einem so vor, als würde ein Vorhang weggezogen und einfach Raum gegeben für das Hereinfluten dieses Lichtes aus einer anderen Welt, dann stand über allem Sollen und Müssen, an Stelle allen Eiferns und Drängens dies große kindliche Staunen vor dem Gott, dessen Barmherzig­keit größer ist als unser Herz.

Wie könnten wir bei aller Traurigkeit über diesen Verlust von Hans Iwand anders Abschied nehmen, als daß wir zutiefst doch Gott loben, den Gott, der uns wiedergeboren hat zu einer lebendigen Hoffnung und der nicht müde wird, unter uns Zeugen dieser Hoffnung zu erwecken. Dies Zeugnis in seiner Verheißung und seinem Entscheidungsernst soll noch ein­mal mit seinem eigenen Worten zum Schluß an unser Ohr und Herz dringen, wenn er uns zuruft: „Wenn der Glaube an Gott, der die Toten le­bendig macht, Verstiegenheit heißen soll, dann wollen wir lieber mit Pau­lus verstiegen sein — verstiegen auf dem Höhenzug des Osterglaubens —, als mit denen im Flachland zu sitzen, die ihr menschliches Begriffsvermö­gen zum Maßstabe dieser und jener Welt gemacht haben.“ „Weil diese Hoffnung damit rechnet, daß Gott nicht ein Gott der Toten, sondern ein Gott der Lebendigen ist, darum ist sie keine Illusion. Sie ist die einzige Hoffnung, die uns nicht wird zuschanden werden lassen!“ Amen.

Die Predigt wurde am 4. Mai 1960 in Bonn gehalten.

Quelle: Evangelische Theologie 20 (1960), S. 241-244.

Hier die Predigt als pdf.

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