Martin Luthers fünfte Invokavitpredigt am Donnerstag, 13. März 1522
Wir haben gehört von denjenigen Dingen, die notwendig sind, wie die Abschaffung der als Opfer gehaltenen Messe, und von denen, die nicht notwendig sind, z. B. von Mönchen, die aus den Klöstern laufen, von der Priesterehe und von den Bildern: wie man sich in diesen so verhalten soll, daß man keinen Zwang und keine Verordnung daraus machen soll, auch keinen an den Haaren davon wegzwingen oder drängen, sondern alleine das Wort Gottes handeln lassen soll. Nun wollen wir sehen, wie man sich bei dem hochwürdigen Sakrament des Abendmahls verhalten soll.
Ihr habt gehört, wie ich gegen das närrische Gesetz des Papstes gepredigt habe und ihm Widerstand geleistet habe darin, daß er geboten hat, keine Frau solle das Altartuch waschen, auf dem der Leichnam Christi geweiht wird, und wenn es eine reine Nonne wäre, es wäre denn vorher von einem reinen Priester gewaschen. Auch wenn jemand den Leichnam Christi, die Hostie, angerührt hatte, fuhren die Priester zu und beschnitten ihm die Finger, und dergleichen mehr. Aber wenn ein Mädchen bei einem nackenden Pfaffen geschlafen hatte, da sieht der Papst durch die Finger und läßt’s geschehen. Wird sie schwanger und gebiert ein Kind, gibt er es auch zu. Aber das Altartuch und Sakrament anzurühren, gesteht er nicht zu. Aber wenn sie einen Priester oben und unten anfaßt, mag es geschehen. Gegen solche närrischen Gesetze haben wir gepredigt und sie offenbart und dadurch kund gemacht, daß hier, in Verstößen gegen des törichten Papstes Gesetz und Gebot, keine Sünde wäre. Und es sündigt ein Laie nicht, wenn er den Kelch oder den Leib Christi mit den Händen anrührt. Dafür solltet ihr doch Gott danken, daß ihr zu so großer Erkenntnis gekommen seid, die vielen großen Leuten gefehlt hat.
Nun fahrt ihr zu und seid ebenso närrisch wie der Papst, indem ihr meint, es »müsse« sein, daß man das Sakrament mit den Händen anfasse, und wollt damit gute Christen sein, daß ihr das Sakrament anrührt mit den Händen.[1] Ihr habt hierin mit dem Sakrament so gehandelt, welches unser höchster Schatz ist, daß es kein Wunder wäre, der Donner und Blitz hätte euch in die Erde geschlagen. Das andere hätte Gott alles noch leiden können, aber das kann er keineswegs leiden, daß ihr einen Zwang daraus gemacht habt. Und werdet ihr nicht davon abstehen, so braucht mich kein Kaiser oder sonst jemand von euch wegzujagen; ich wollte gewiß ungetrieben von euch gehen und darf sagen: Es hat mich kein Feind, obwohl sie mir viel Leid angetan haben, so getroffen, wie ihr mich getroffen habt.
Wollt ihr darin als gute Christen angesehen werden, daß ihr das Sakrament mit Händen anfaßt, und dadurch einen Ruhm vor der Welt haben, so sind Herodes und Pilatus die obersten, besten Christen. Ich meine, sie haben den Leichnam Christi gewiß angetastet, als sie ihn ans Kreuz schlagen und töten ließen. Nein, liebe Freunde, das Reich Gottes steht nicht in äußerlichen Dingen, so daß man es anfassen und empfinden kann, sondern im Glauben.
Ja, du kannst sagen: Wir leben und sollen auch leben nach der Schrift. Da hat es Gott eben so eingesetzt, daß wir’s mit den Händen zu uns nehmen sollen, denn er hat gesagt: »Nehmt hin und esset, das ist mein Leib.« (Matth. 26,26) Antwort: Obwohl ich’s für unbezweifelbar und gewiß halte, daß die Jünger des Herrn es mit den Händen angefaßt haben, und es zugebe, daß du es ohne Sünde tun kannst, so kann ich es doch nicht erzwingen oder behaupten, daß es so sein müßte. Grund: Wenn der Teufel, da er uns genau heimsucht, sagen wird: Wo hast du das in der Schrift gelesen, daß »nehmen« bedeute »mit den Händen anfassen«? – wie will ich’s beweisen und behaupten? Ja wie will ich ihm entgegnen, wenn er mir das Gegenteil aus der Schrift vorhält und bezeugt, daß »nehmen« nicht nur »mit den Händen empfangen« heißt, sondern »durch irgendeine Weise an uns bringen«, und spricht: Hörst du, Gesell, steht nicht oben das Wort »nehmen« so, wie es drei Evangelisten beschrieben haben, als der Herr Galle und Essig »genommen« hat? (Matth. 27,34; Mark. 15,23; Luk. 23,36) Du mußt ja bekennen, daß er’s nicht mit den Händen angetastet oder ergriffen habe, denn er war mit den Händen an das Kreuz genagelt. Der Spruch bedrängt mich hart. Weiter bringt er mir den Spruch vor: Es hatte sie alle die Furcht »genommen« (Luk. 7,16). Da muß man ja bekennen, daß die Furcht keine Hände hat. So bin ich eingeschlossen und muß es nun zulassen, obschon ich nicht will, daß »nehmen« nicht nur bedeutet »mit den Händen empfangen«, sondern auch »auf andere Weise an mich bringen«, wie es jeweils geschehen kann.
Darum, liebe Freunde, müssen wir auf einem gewissen Grund stehen, damit wir vor des Teufels Anlaufen bestehen können. Obwohl ihr keine Sünde getan habt, indem ihr das Sakrament angefaßt habt – das bekenne ich -, sage ich aber dies: Ihr habt damit auch kein gutes Werk getan, weil sich nun die ganze Welt daran ärgert, bei der es Brauch ist, daß sie das hochwürdige Sakrament aus des Priesters Händen empfängt. Warum willst du denn den Schwachgläubigen auch hierin nicht dienen und dich deiner Freiheit enthalten, zumal es dir keinen Nutzen bringt, wenn du es tust, und keinen Schaden, wenn du es läßt?
Darum soll man keine Neuerung auferlegen, es sei denn das Evangelium durch und durch gepredigt und erkannt, wie es euch geschehen ist.[2] Deswegen, liebe Freunde, laßt uns sauber und weise in den Sachen handeln, da sie Gott angehen. Denn Gott kann keinen Schimpf leiden. Die Heiligen mögen ja Schimpferdulden, aber mit Gott ist es etwas ganz anderes. Deshalb laßt davon ab, das bitte ich euch.
VON BEIDERLEI GESTALT DES SAKRAMENTS
Nun wollen wir von den zwei Gestalten[3] reden. Obwohl ich dafür halte, es sollte nötig sein, daß man das Sakrament unter beiderlei Gestalt nach der Einsetzung des Herrn nehme, soll man doch keinen Zwang daraus machen noch eine allgemeine Ordnung dafür aufstellen, sondern das Wort treiben, üben und predigen und danach die Folge und Triebkraft dem Wort anheimgeben oder -stellen und jedermann hierin frei lassen. Wo das nicht geschieht, wird mir daraus ein äußerlich Werk und Gleisnerei. Das wollte der Teufel auch haben. Aber wenn man das Wort frei läßt und es an kein Werk bindet, so rührt es heute den einen und fällt ihm ins Herz, morgen den andern und so weiterhin. Dann geht es fein still und säuberlich zu, und es wird niemand gewahr, wie es denn angefangen wäre.
Und ich hörte es ganz gerne, als es mir geschrieben wurde, daß einige hier angefangen hätten, das Sakrament in beiderlei Gestalt zu nehmen. Bei dem Brauch hättet ihr’s bleiben lassen sollen und nicht zu einer Ordnung gezwungen haben. Nun fahrt ihr aber huschhusch herzu und wollt mit den Köpfen durch die Wand und jedermann dazu zwingen. Da werdet ihr fehlgehen, liebe Freunde. Denn wenn ihr schon deshalb als gute Christen vor allen andern angesehen sein wollt, weil ihr das Sakrament mit den Händen anfaßt und es dazu in beiderlei Gestalt nehmt, so seid ihr mir schlechte Christen: In der Weise könnte wohl auch eine Sau ein Christ sein; sie hätte ja einen so großen Rüssel, daß sie das Sakrament äußerlich nehmen könnte. Deshalb handelt gut und säuberlich in den hohen Sachen.
Liebe Freunde, hier ist kein Scherzen. Wollt ihr mir folgen, steht davon ab. Wollt ihr mir aber nicht folgen, so braucht mich niemand von euch zu treiben; ich will gewiß ungetrieben von euch ziehen, und es wäre mir leid, daß ich je allhier eine Predigt gehalten hätte. Die andern Stücke wären noch zu dulden. Aber hierin ist kein Dulden, denn ihr habt es zu grob getrieben, so daß man spricht: Ja, zu Wittenberg sind gute Christen, denn sie nehmen das Sakrament in die Hände und fassen den Kelch an, gehen danach zum Branntwein hin und saufen sich voll. So treibt es denn die schwachen, gutherzigen Menschen zurück, die wohl noch zu uns kämen, wenn sie solange und soviel gehört hätten wie wir.
Ist aber jemand so vorwitzig, daß er durchaus das Sakrament mit den Händen anfassen will, der lasse es sich heim in sein Haus bringen und fasse es an, daß er genug hätte. Aber vor jedermann, da enthalte er sich, weil es ihm keinen Schaden tut, damit auch das Ärgernis, das unsern Brüdern, Schwestern und Nachbarn um uns erwächst, vermieden werde, die jetzt auf uns zornig sind und uns gar totschlagen wollen. Das kann ich sagen, daß mir von allen meinen Feinden, die bisher gegen mich gewesen sind, nicht so wehgetan ist wie von euch.
Es ist heute genug. Morgen wollen wir weiter reden.
Quelle: Martin Luther, Ausgewählte Schriften, hrsg. v. Karin Bornkamm und Gerhard Ebeling, Bd. 1: Aufbruch zur Reformation, Frankfurt a. Main: Insel, 21983, 292-297.
[1] Der in der dritten Predigt erwähnte Karlstadt hatte Weihnachten 1521 Abendmahlsfeiern ohne Meßgewand gehalten und jedermann Brot und Kelch in die Hand gegeben.
[2] Dies ist Luthers knappste Formel für das Reformverfahren.
[3] Brot und Wein.