Hans Bietenhard hat seinerzeit für das Theologische Begriffslexikon zum Neuen Testament einen Artikel zur Topologie von Himmel und Hölle geschrieben, der immer noch lesenswert ist:
Himmel/Hölle. Hermeneutische Überlegungen
Von Hans Bietenhard
»Himmel« und »Hölle« charakterisieren im Sprachgebrauch (nicht nur dem deutschen) einen absoluten, ja abgrundtiefen Gegensatz. »Himmel« ist Inbegriff für Glück und Seligkeit (»Der Himmel auf Erden«, »himmlisches Vergnügen«, »der siebente Himmel der Liebe«), während »Hölle« Ausdruck für die Erfahrung trost- und aussichtslosen, quälenden Grauens ist (»Das war die Hölle«). Aber was meinen die beiden Begriffe in den biblischen Schriften, und was können sie für den Glauben signalisieren und bedeuten? Dem ist in zwei getrennten Überlegungen nachzugehen.
1) Was die Menschen unter dem Himmel verstehen, wenn sie dies Wort gebrauchen, hängt natürlich zunächst von dem Weltbild ab, innerhalb dessen gesprochen wird. Für die Zeugen der Bibel ist dies nicht einheitlich; man braucht nur Gen 1 mit Ijob 26,7 (»Er spannt den Norden aus über der Leere und hängt die Erde über das Nichts«) zu vergleichen, um die Verschiedenartigkeit zu erkennen. Dennoch gibt es in den breit [968] verstreuten Aussagen Gemeinsamkeiten: Der Himmel gehört wie die Erde zur Schöpfung; er ist nicht ewig, sondern hat Anfang und Ende. Zwar ist er den Menschen überlegen, aber doch ebenso wie die Erde der Nichtigkeit preisgegeben und bedarf wie sie der Neuschöpfung.
Weil die biblischen Zeugen mit dem ganzen Altertum ein aus der unmittelbaren Anschauung gewonnenes Weltbild teilen, ist der Himmel für sie als Firmament »oben«, während der Mensch »unten« auf der Erde lebt, eine Redeweise, die auch dem heutigen Menschen, und zwar auf allen Bildungsstufen, vertraut ist: auch für ihn sind Wolken und Sterne »am Himmel«, und der Astronom kann in der Tageszeitung unter dem Titel: »Der Himmel im August« sich verbreiten über Sonnenaufgang und -untergang, Mondphasen, Sichtbarkeit von Sternen usw. Dies alles, obwohl jedermann seit der Schulzeit »weiß«, daß weder die Sonne »am Himmel aufgeht«, noch die Wolken »am Himmel« daherziehen. Man sieht daraus: Anschauungen aus einem alten, überwundenen Weltbild werden als bildhafte, poetische oder einfach allgemein verständliche Redeweise weiterverwendet.
In der alten Kirche und im Mittelalter wurde dann dieses antike Weltbild mit der Physik des Aristoteles und mit dem Weltbild des Ptolemäus verbunden. Indem man so das spätantike Weltbild als biblisch und verpflichtend ausgab, leistete die Kirche der Meinung Vorschub, daß Gott gewissermaßen der Bewohner des oberen Weltstockwerkes – des Himmels – sei, während der Mensch der Bewohner des unteren Stockwerkes, der Erde, ist. Bedenkt man dazu, welche Auswirkungen solches Reden und Denken auf den Glauben der Christen hatte, so wird verständlich, daß mit dem Wandel des Weltbildes solches Reden und Denken den Angriffen gegen die Kirche und ihre Botschaft immer neue Flächen bot – bis hin zu der törichten Rede, daß der biblische Glaube an Gott dadurch widerlegt sei, daß weder die Astronomen noch die heutigen Astronauten irgendein göttliches Wesen »dort oben« hätten entdecken können.
Dazu kam, daß an diesem spätantiken, vor allem gnostischen Weltbild in der Folgezeit auch die Lehre vom Menschen orientiert wurde: Der Leib gehört zur Erde – die unsterbliche Seele aber gehört ihrem Wesen nach zum Himmel, aus dem sie kommt und in den sie zurückkehrt. Diese dualistische Lehre verdrängte weithin die biblische Botschaft von der Auferstehung der Toten, und es ist keine Frage, daß gerade sie noch heute die volkstümliche Hoffnung wiedergibt – sofern überhaupt noch eine Ewigkeitshoffnung vorhanden ist. Auch wenn wir sagen dürfen, daß die Gemeinschaft mit Christus nach dem Tode nicht aufgehoben wird, sollten doch Aussagen etwa in Offb 21 von der neuen Schöpfung nicht einfach in die Gegenwart eines himmlischen Jenseits transponiert werden. Auch der Ausdruck »Himmelreich« bei Mt meint ja nicht die jenseitige Welt Gottes, sondern das zukünftige Gottesreich. Es ist die Aufgabe der Verkündigung, diese Begriffe zu klären und die Hörer durch die traditionellen Belastungen hindurch zum biblischen Gehalt zu führen.
Raumvorstellungen sind kein integrierender Bestandteil der biblischen Botschaft, sondern vielmehr haben die Zeugen sich der vorfindlichen Vorstellungen bedient, um in diesem Gewand ihre Botschaft auszudrücken. Daß z.B. Gott im Himmel »wohnt«, ist nur eine Aussage neben anderen, etwa der, daß er auf dem Sinai oder im Tempel von Jerusalem wohne. Zwar baut Salomo dem Herrn ein Haus auf Erden (1Kön 8,13), – aber doch wohnt Gott nicht in diesem Haus, da der Himmel und aller Himmel Himmel ihn nicht fassen können (1Kön 8,27)! Gott kann als allgegenwärtig bezeichnet werden (Ps 139), aber es kann auch heißen, daß er in einem Lichte wohnt, da niemand hinkommt (1Tim 6,16) – eine Aussage, bei der alle Raumvorstellungen überhaupt fehlen. So wird in der ganzen Bibel deutlich, daß die Raumvorstellungen nicht absolute Größen sind, sondern daß es sich bei ihnen um Hilfsvorstellungen handelt, mit denen die Erkenntnis weitergetrieben wird. Deshalb besteht für die Theologie und die Ver-[969]kündigung der Kirche weder ein Anlaß, irgendein gegenwärtiges Weltbild zu verabsolutieren und – gleichsam einen Galilei-Prozeß mit umgekehrten Vorzeichen führend –von da aus gegen das Weltbild der Bibel zu Felde zu ziehen, noch umgekehrt das Weltbild der Bibel im Zeitalter der Raumflüge zu repristinieren. Niemand wird solche Schizophrenie verlangen oder betreiben wollen, denn »der Himmel ist kein oberer Raum, in den wir aufblicken, sondern er ist der Hintergrund unseres Daseins. Und er ist die alles umgreifende Herrschaft Gottes, in der wir mitten inne stehen« (Thielicke, Ich glaube, 246).
Selbstverständlich treffen wir immer wieder auf räumliche, vom antiken Weltbild bestimmte Aussagen, in denen der Himmel und mit ihm Gott »oben« sind, wenn von Gott, und seinem Wirken die Rede ist. Dabei ist aber nicht die Raumanschauung wichtig, sondern die Aussage über Gott, die mit Hilfe der Raumanschauung gemacht wird. Dazu kommt, daß psychologisch gesehen »oben« auch das qualitativ Bessere meint: »oben« ist gedanklich und gefühlsmäßig verbunden mit dem Guten, Lichten und Reinen. So mag man ruhig auch heute noch in der Predigt das Wort »oben« brauchen, wenn von Gott und seinem Wirken die Rede ist, sofern dabei klar ist, daß dieses »oben« eine bildhafte Redeweise ist, die etwas als göttlich qualifiziert.
Aber wenn auch die biblischen Raumvorstellungen nicht mehr die unsrigen sind und wir die Erforschung des Alls der Naturwissenschaft überlassen können, werden wir um so sorgfältiger die theologischen Aussagen der Bibel festzuhalten haben, auch wenn sie in Raumvorstellungen eingekleidet sind. So hat schon Luther über die Himmelfahrt Jesu gesagt: »Was es aber ist: Christus gen Himmel fahren und sitzend zur Rechten Gottes, wissen wir nicht. Es gehet nicht also zu, wie du aufsteigest auf einer Leitern ins Haus, sondern das ist’s, daß er über allen Kreaturen und in allen Kreaturen und außer allen Kreaturen ist« (WA 19, 491, 25f, zitiert nach Thielicke, Ich glaube, 247).
Himmel muß also in der Verkündigung heute verstanden werden als die Sphäre (das Wort nicht im gnostischen Sinn verstanden!), die menschlichem Zugriff und Erkennen grundsätzlich entzogen ist und von der her sich Gottes Weltregierung ereignet in Gericht und Gnade. Das heißt dann, daß Gott den Kosmos in Raum und Zeit und alle Vorgänge und Abläufe in ihm beherrscht – vom »Urknall« bis zum »Kälte-« oder »Wärmetod« des Universums –, von denen moderne wissenschaftliche, kosmologische Hypothesen reden.
Wer so vom Himmel spricht, der spricht von einem dieser sichtbaren und erfahrbaren Schöpfung überlegenen Herrschaftsraum und von der Herrschaftszeit Gottes. Zwar vermag der Mensch oft genug Gottes Regiment über die Welt oder sein persönliches Leben nicht zu erkennen. Aber der Glaube an Gott den Schöpfer schließt in sich auch den Glauben an den Gott, der seine Welt erhält und regiert. Der Mensch braucht sich dann nicht verloren zu meinen als Staubkorn in der unendlichen Weite des Weltalls, sondern er kann sich von dem, der in Jesus Christus sein Vater ist, umsorgt und getragen wissen, und zwar in einer Haltung, wie sie wider allen äußeren Anschein etwa in Röm 8,35-39 beschrieben ist. Zugleich weist dieser Glaube über sich selbst und den gegenwärtigen Weltzustand hinaus auf die Vollendung des Reiches Gottes.
In Phil 3,20 redet Paulus davon, daß das Bürgerrecht der Christen im Himmel ist: Sie gehören ihrem Wesen nach nicht zu dieser sichtbaren, vergänglichen Welt; sondern zur Welt Gottes, in der die unvergänglichen Güter des Heils schon jetzt vorhanden sind und von wo sie beim Anbruch der Vollendung in Erscheinung treten werden. Auch von andern Heilsgütern wird gesagt, daß sie schon jetzt im Himmel vorhanden sind: der Auferstehungsleib, das obere Jerusalem, das Hoffnungsgut, das ewige Erbe (vgl. Kol 1,4; 1Petr 1,4). Entsprechend wird in Kol 3,1-4 ermahnt, das zu suchen, was droben ist, wo Christus ist: das eschatologische Heilsgut ist schon vorhanden in Gottes [970] Welt, es ist aber dem Christen nicht einfach verfügbar. Das Wesen des Glaubenden gründet in der Transzendenz der göttlichen Welt; es ist jetzt verborgen und wird sich einst offenbaren. Es wäre ein Mißverständnis, wollte man diese Bestimmtheit des Glaubenden gleichsetzen mit der Innerlichkeit des Glaubens; denn dann wäre die christliche Existenz doch etwas, das sich aufweisen und worüber sich verfügen ließe, und von einer so verstandenen Innerlichkeit würde auch kein Weg führen zur Welt und zum Mitmenschen.
Die große Frage beim Reden vom Himmel heute ist: Wie können die statischen Aussagen der Bibel – »Gott regiert vom Himmel her« – in das moderne Weltbild übertragen werden? Wie lassen sich die Aussagen über Gottes Transzendenz mit denjenigen über seine Allgegenwart vereinigen? Wie sind die in den Raumvorstellungen des antiken Weltbildes formulierten theologischen Aussagen festzuhalten und in unser neues Weltbild zu übersetzen? Dazu genügt es nicht, das antike Weltbild als überholt zu erkennen oder als mythisch zu erklären. Vielleicht darf man sagen: Vom Himmel ist überall da zu reden, wo eine Wirklichkeit aufleuchtet, die dem Willen Gottes schon jetzt und hier entspricht, wo gleichsam »Enklaven exterritorialer Art«, in denen Gottes Wille getan wird, in dieser Zeit und Welt entstehen. Es müßte dem freilich sofort beigefügt werden, daß solche Aussagen sich nur im Glauben machen lassen, und daß sie nicht die Beweiskraft haben, die dem Vorfindlichen innewohnt.
2) Das Wort Hölle lautete im Alt- und Mittelhochdeutschen »Hel« und bezeichnet den Ort und das Reich der Toten, auch die Todesgöttin (die im Märchen zur »Frau Holle« wurde). Das Wort hatte ungefähr dieselbe Bedeutung wie das hebräische šeōl oder das griechische hạdēs. Im christl. Sprachgebrauch verwendete man es für den ganzen nicht-himmlischen, gottfernen Bereich, in dem die nicht zur Seligkeit bestimmten Toten sich befinden. So wurde »Hel« zur Hölle im landläufigen Sinne.
Mit diesem Wort Hölle wurden nun allerdings von den älteren Bibelübersetzern, bes. von Luther, mehrere Begriffe wiedergegeben, die sowohl im NT als auch z.B. in der Zürcher Bibel streng voneinander abgehoben sind: 1) die Unterwelt (šeōl; hạdēs), ein gottferner, von Gott verlassener und den Menschen feindlicher Bereich; 2) die Feuerhölle (gẹhenna), der endzeitlich-zukünftige Strafort; 3) der Abgrund (ạbyssos), ein Ort der Dämonen. Dadurch aber entstand, ganz abgesehen von der begrifflichen Unklarheit, die Gefahr, daß wesentliche Teile der neutestamentlichen Botschaft verändert werden, und daß Lehren und Anschauungen, die anderen religiösen Welten entstammen, für biblisch und christl. ausgegeben werden. Der unscharfe Sprachgebrauch bewirkte z.B., daß im Laufe der Zeit das Totenreich und der Abgrund entgegen dem neutestamentlichen Sinngehalt dieser Worte Merkmale der Hölle annahmen und umgekehrt.
Vom NT aus gesehen tritt die Hölle als Strafort erst nach dem jüngsten Gericht in Erscheinung (vgl. jedoch Lk 16). Aber durch das Einströmen außerbiblischer Gedanken in die christl. Lehre trat an die Stelle der Eschatologie die zeitlose Metaphysik: Aus dem zukünftigen Strafort wurde der jenseitige: die unsterbliche Seele empfängt sofort nach dem Tode ihr Gericht und muß, wenn sie für schuldig befunden wird, die Strafe antreten. Dieser jenseitige Strafort wurde zudem mit Hilfe außerbiblischer, u.a. altägyptische Vorstellungen phantasievoll ausgemalt (man denke etwa an Dantes Divina Commedia).
Vor allem war es die Feuerhölle, die eine große Faszination ausübte (in schweizerischen Alpensagen etwa gibt es die Vorstellung, daß die Hölle oder das Fegefeuer ein Gletscher sei [Aletschgletscher!], in dem die »armen Seelen« ihre Strafe erdulden müssen.). Bußprediger griffen diese Bilder auf und malten ihren Zuhörern die Schrecken der Hölle aus, um sie zur Umkehr zu bewegen – aus Höllenangst! – oder (und auch), um die verängstigten Schäflein fest in die Hand zu bekommen (vgl. die Exercicios espirituales des Ignatius von Loyola). Aber alle diese landläufigen Begriffe und [971] Vorstellungen, die sich mit dem Wort Hölle verbanden, sind heute weithin verblaßt und gehören für den erwachsenen und aufgeklärten Menschen in die Welt des Märchens.
Daher wird die Verkündigung allen traditionellen Wucherungen gegenüber den Gehalt der biblischen Begriffe zu klären haben und dazu v.a. zeigen müssen, daß in der Bibel »Totenreich« und »Hölle« verschiedene Dinge sind. Für viele wird es auch hilfreich sein zu hören, daß die landläufige, sadistische, phantastische und oft lächerliche Ausmalung der Höllenstrafen im NT keinen Anhalt hat.
Der Widerspruch gegen die kirchlich-traditionelle Rede von der Hölle geht aber noch tiefer. Für viele Christen ist diese Rede eine anstößige, weil sie sie nicht vereinbaren können mit der Botschaft vom liebenden und gnädigen Gott, der sich in Jesus Christus offenbart. Die Rede von der ewigen Höllenstrafe steht für sie im Widerspruch zur Botschaft vom Gott der Liebe. Muß also, um die Botschaft von der Liebe Gottes ausrichten zu können, die Rede von der Hölle als unchristlich aus der Predigt ausscheiden? Wer so überlegt, muß sich freilich klar machen, daß die Botschaft von der Liebe Gottes keine Verharmlosung Gottes bedeuten oder zur Folge haben kann: Gott ist und bleibt der heilige Gott. So wird auch in der Botschaft Jesu ein letzter Ernst sichtbar: Es geht um das zeitliche und ewige Heil. Annahme oder Verwerfung der Botschaft Jesu haben zeitliche und ewige Folgen, bringen in die Freude des Gottesreiches oder in die Gottferne. Das Lebensziel kann in einem letzten und tiefsten Sinne gewonnen oder verfehlt werden. Jesus kann diesen letzten Ernst der Entscheidung so beschreiben, daß er redet von der »Finsternis, die draußen ist, wo Heulen und Zähneknirschen herrscht« (Mt 8,12). In diesem Spruch kommt das Wort Hölle nicht vor, auch werden keinerlei Qualen beschrieben; das Furchtbare besteht im endgültigen Ausgeschlossensein vom Heil und von der Gottes- und Christusgemeinschaft, – das ist Hölle.
Aber: Fernsein vom Heil, keine Gottesgemeinschaft haben, – beginnt dies erst mit dem Tod oder nach dem jüngsten Gericht? Müssen wir nicht sagen: Wo immer Gottferne, Gottverlassenheit, Unglaube und Sünde herrschen, steht der Mensch im Bannkreis der Hölle, d.h. des göttlichen Gerichts (vgl. Joh 3,18)? Vielleicht ergibt sich von da aus ein Zugang zu einer gewissen modernen Art, von Hölle zu reden. Womöglich hat der moderne Mensch etwas Biblisches festgehalten, wenn er auf seine Weise auch von Hölle redet. Ihm werden zur Hölle der Krieg oder das Leben in einer zerrütteten Ehe, der Gewissenszwang und die haßerfüllten Intrigen seiner Umwelt, Gefängnisse, Arbeits- und Konzentrationslager, unerquickliche, trostlose Arbeitsverhältnisse in seelenlosen Massenbetrieben oder unter gesundheitsschädlichen Bedingungen, in unsozialen Lohnverhältnissen (vgl. den Tatsachenroman von Gilbert Cesbron über die französischen Arbeiterpriester: »Die Heiligen gehen in die Hölle«, 1951), kurz ein Leben ohne Heil und ohne Hoffnung. Ist solche Redeweise oft auch bildlich gemeint, – biblisch gesehen spricht sich in ihr etwas sachlich Richtiges aus: Hölle ist nicht einfach nur Zukunft (bzw. Jenseits mit der populären Sicht der Dinge), sondern sie ist der Ausdruck für die Erfahrung einer gottfernen, gottentfremdeten Wirklichkeit, in der Gnade, Güte, aber auch die Schönheit des Lebens fehlen. Der Mensch ist dabei auf sich selber gewiesen, allen bösen Mächten (der Sünde!) preisgegeben, auch allen Folgeerscheinungen, die die Sünde zeitigt: der Zerstörung der mitmenschlichen Beziehung, der Arbeitswelt, von Recht, Gerechtigkeit, Anstand und Moral, der Sinnentleerung des Daseins und dem gänzlichen Entbehren der Liebe (vgl. J.P. Sartre in »Geschlossene Gesellschaft«: »Die Hölle, das sind die anderen«. Es wäre auch zu erinnern an die Hauptfigur in F. Dürrenmatts »Der Meteor«, den Schriftsteller Schwitter, der an überhaupt nichts glaubt, sein Leben verludert und seine ganze Umgebung zerstört, der darum nicht einmal mehr in den Frieden des Todes eingehen darf, sondern dazu verurteilt ist, die Verdammnis eines ewigen [?] Lebens hienieden zu erleiden). [972]
Dies alles erinnert auch an die atl. Redeweise von der šeōl, die ihre Fangarme ins menschliche Leben hinein ausstreckt, und an die neutestamentliche Rede vom Zorn Gottes (vgl. Röm 1,18ff). Gottes Zorn und Gericht greifen schon jetzt ins Leben der Welt ein. Wo immer der Mensch sich von Gott löst, ist er »dahingegeben«, ist er ferne von Gott, – also in der Hölle. Das erfährt auch der Glaubende in Zweifel und Anfechtung. Nur können gegenwärtige irdische Zustände revidiert werden, nehmen so oder anders ein Ende, gerade auch solche, die die Menschen als Hölle bezeichnen. Die Hölle aber, von der die Bibel redet, ist Gottferne und -verlassenheit, die nicht mehr rückgängig gemacht werden kann.
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Quelle: Lothar Coenen/Klaus Haacker (Hrsg.), Theologisches Begriffslexikon zum Neuen Testament, Wuppertal: R. Brockhaus Verlag-Neukirchener Verlag, 1997, 967-972.