Hans Joachim Iwand, Predigtmeditation zu Matthäus 28,16-20 (Trinitatis 1946): „Weithin lähmt die Erwartung des nahe bevorstehenden Endes das Heraustragen der Botschaft, darum die Bemühung, in frommen Kreisen zusammenzubleiben (in Jerusalem das Ende abzuwarten!), darum die Preisgabe der „Welt“ als einer endgültigen verlorenen, endgültig den Dämonen preisgegebenen Angelegenheit.“

Predigtmeditation zu Matthäus 28,16-20 (Trinitatis 1946)

Von Hans Joachim Iwand

Die Tauffe ist nichts anders denn eine Epiphania, Denn gott offenbaret sich allda mit dem Son und heyligen geist. (WA 46, 170, 36)

Vicit ergo veritas, ut homo, qui baptismum Christi desiderat, non in homine ministro spem ponat, sed ad ipsum Christum, tanquam ad originem quae non mutatur, ad radicem, quae non ebellitur, ad caput, quae non dejicitur, secures accedat. Augustin, contra lit. Pet. Migne IX, 383.

In der liberalen Theologie ist unsere Stelle immer wieder auf ihre „historische“ Echtheit hin in Zweifel gezogen worden, den Hauptanstoß bildeten der Missionsbefehl und die trinitarische Formel. Man fragte, hat die Urgemeinde in Fragen der Heidenmission nicht gerade umgekehrt gedacht? hat nicht darum Paulus seine spannungsvollen Auseinandersetzungen mit den Ur­aposteln gehabt? Man wies darauf hin, daß die trinitarische Formel bei der Taufe nicht auftritt, daß vielmehr durchweg ,,auf den Namen Jesu” getauft wird (Apg. 2,38; 8,16; 19,5), und man sah gerade in dem Ausgang des Ganzen, in der Verheißung des Naheseins bis an der Welt Ende einen Umschwung in der eschatologischen Erwartung. Hier schreibt ein Mann, der nicht mehr die Erwartung des nahen Endes mit dem ältesten Urchristentum teilt, sondern ein Glied der zweiten Generation, die schon einen lebhaften Eindruck davon hat, daß der Herr verzieht und wohl noch lange verziehen wird. Vielleicht muß die Kirche sich noch auf lange Zeit in der Welt einrichten” (J. Weiß). Wir könnten aber auch gerade umgekehrt argumentieren. Ist nicht die Erwartung des nahen Endes gerade die menschlich natürliche Stimmung der ersten Generation, Apg. 1,7f. Niemand weiß die „Stunde“ (Mt. 24,36), sie kommt wie ein Dieb in der Nacht (1.Thess. 5,1f.), gerade die Ausrichtung der Botschaft, die Mission der Welt ist Ausbruch ihrer Nähe (so schon bei Johannes dem Täufer, bei Jesus selbst Mt. 3,2; 4,17; 12,28) ist Ausdruck des Wissens, solange es Tag ist. Gerade in der Missionierung der Welt wird die Nähe der kommenden Gottesherrschaft aktuell. Insofern werden wir gerade umgekehrt unsere Stelle lesen müssen, nämlich so, daß der Auferstandene selbst die Seinen aus der träumerischen Spekulation über das Weltende herausreißt und unter seinen Befehl stellt. Das Wirken der Kirche erfolgt unter diesem, sie immer wieder von dem Absturz in diese Frage (Richtest du jetzt dein Reich auf? Apg. 1,7) zurückreißenden Befehlswort des Herrn. Die Weltmission der Kirche steht unter dem Zeichen der Tatsache, daß mächtiger als die Zeichen und Erwartungen des nahen Weltendes der Befehl des lebendigen und in ihr gegenwärtigen Herrn ist.

Wir stehen heute in einer ganz ähnlichen Situation. Weithin lähmt die Erwartung des nahe bevorstehenden Endes das Heraustragen der Botschaft, darum die Bemühung, in frommen Kreisen zusammenzubleiben (in Jerusalem das Ende abzuwarten!), darum die Preisgabe der „Welt“ als einer endgültigen verlorenen, endgültig den Dämonen preisgegebenen Angelegenheit. So war es ja schon in den letzten Jahren des Krieges und des überhandnehmenden Terrors. Dahinein trifft dieses Wort. Und es steht immer wieder da, in seiner stolzen, apodiktischen, nur noch Anbetung oder Zweifel auslösenden Autorität. Es ist in der Tat ,,letztes“ Wort. Es gibt darauf keine Antwort mehr. Es gibt nur noch Gehorsam oder Entweichen. Ende aller menschlichen „Einrede“ (Hebr. 6,16) ist die feierliche Verheißung des Herrn. Ich bin bei euch. Das ist es, woran sich die Apostel zu halten haben, nicht sein ,,Verziehen“. Wenn heute die Kirche in ähnlicher Lage steht, wenn immer wieder diese Frage auftaucht, ob es nicht besser sei, sich auf sich selbst zurückzuziehen, sich auf den kommenden Tag durch Sammlung des Restes zu rüsten, wenn dies sich andeutet in all den Bestrebungen, kultischer, liturgischer, ordensmäßiger Observanz, dann ist das genau so zu begreifen, wie jenes Haften an Jerusalem, aber der ausgestreckte Befehlsstab des Herrn weist an die „Enden der Welt“, weist nicht nach Israel zurück, sondern weist uns an die Völker“ und legt mit ,,Lehren“ und Taufe“ unser diesbezügliches Arbeiten eindeutig fest.

„Wohl zögert die Urgemeinde mit der Mission“ – schreibt Schniewind zur Stelle –, „weil die Botschaft an die Völkerwelt nach allen Erwartungen des AT zur Vollendung der Weltzeit gehört; und die Frage ist nur diese, ob die Vollendung der Weltzeit schon mit Jesu Auferstehung anhebt, oder ob die Gemeinde auf seine Wiederkunft vom Himmel her warten solle, bis die Botschaft über die ganze Erde hin ergeht. Und nun beschreibt die Apg., wie die Urgemeinde durch die Verfolgung und durch besondere Weisungen des Auferstandenen in die Weite gedrängt wird.“ Damit dürfte nun auch das fachliche Anliegen, das die liberale Kritik unserer Stelle gegenüber hatte, geklärt sein. Es geht nicht um die Einschränkung des Judentums zur Weltreligion (in der Eschatologie ist der Universalismus immer heimisch gewesen – Schlatter), sondern es geht darum, daß mit dem Kommen Jesu, mit seinem Tod und seiner Auferstehung nun tatsächlich der neue Aon anbricht und daß die Jünger Träger, Botschafter dieses Einbruchs der Gottesherrschaft sind. ,,In caelo autem et in terra potestas data est, ut qui ante reganat in caelo, per fidem credantium regnet in terris“ (Hieronymus). Zu V. 18 vgl. Dan. 7,14. Fast wörtliche Übernahme.

Wäre damit erst einmal das Daß der Weltmission deutlich, und zwar so, daß wir nicht in erster Linie heute an die Arbeit auf dem Missionsfeld bei dem Ausdruck „Völker“ zu deuten hätten, sondern an die Welt im Unterschied zu Israel, zu Jerusalem, zur „Kirche“, so wird ebenso wichtig sein, daß wir uns das Wie dieser Arbeit aus dem Text deutlich machen lassen. Jesus gibt eine bestimmte Marschroute mit. Zunächst steht da der Befehl des „Zum-Schüler Machens“, also unter den Ruf-des Herrn Stellens (vgl. Mt. 13,52). Hierzu müsste man eigentlich den Artikel von Rengstorf im Wörterbuch zum NT über ,,mathetes“ lesen können, der ausgezeichnet ist und an dem man lernen kann, worin dies zum Jünger machen“ besteht. Jedenfalls nicht mit Hilfe eines Traditionsprinzips“. Die erste christliche Generation und das Neue Testament stehen jeglichem Traditionsprinzip griechischer oder rabbinischer Prägung fern. Jesus ist für die Jünger nicht der Rabbi, sondern der Meister. Die verstünden ihn als den Herrn. Sie übermitteln nicht einen „Lehrstoff“, sondern sind ,,Augenzeugen“, die eine „Geschichte“, vornehmlich die „Leidensgeschichte“, berichten und benennen. Im christlichen Credo ist ihr „Zeugnis“ beschlossen, nicht in der Tradierung der Worte und Ideen“. So erscheinen in den Evangelien Jesu Jünger nicht als seine Tradenten, sondern als seine „Zeugen“ (Rengstorf). So ja auch Apg. 1,8. Das erste, was befohlen ist, ist also der Zeugendienst vor aller Welt (vgl. Joh. 14,8).

Das zweite ist die Taufe auf den Dreieinigen Gott. Es dürfte darin deutlich werden, wie konstitutiv diese beiden Momente im Handeln Kirche sind, von Gott her die Offenbarung, vom Menschen her die neue Geburt. Das Bekenntnis zum Dreieinigen Gott, das ist die Scheidegrenze, die den Gottesbegriff der Christen von dem Gott und den Göttern der Heiden unterscheidet. Darin kommt nur begrifflich, also lehrmäßig und explizit, zum Vollzuge, was ja schon in der Taufe „auf den Namen Jesu“ drinliegt. Jede Taufe auf den Namen Jesu bedeutet, daß hier der Eine Sohn Gottes erschienen ist, der selbst Geist ist und den Geist Gottes schenkt, daß hier Gott selbst gegenwärtig ist, und wirft, tötet, lebendig macht“ (vgl. Taufe und Geist Mt. 3,11; Apg. 2,38; 10,44; 1.Kor. 6,11 etc.) (Schniewind). Hätte wohl die Christenheit einschl. bestimmter Theologen und Bischöfe sich je so irreführen lassen können von der Religion der nationalsozialistischen Ideologie, wenn sie das noch gewusst hätte. Es geht hier nicht um eine Formel, es ist wirklich die „Epiphanie“ (Luther) Gottes, aber es geht auch um eine Formel, besser um ein explizites Bekenntnis, und darum ist die Taufformel dogmatisch unabänderlicher Bestand. Gott ist das Subjekt der Offenbarung, und diese Offenbarung ist der sich über dem Täufling auftuende Himmel. „Denn hie ist Gott Vater, Son und heiliger Geist selbst, der das teuffet und badet. Darumb muß auch das wert so trefftig ſein, das es den Menschen ganz new mache“ (Luther in einer seiner vielen Taufpredigten WA 49, 131, 25) – Wäre es nicht sehr lehrreich, wenn man einmal die Hauptstücke aus diesen sonst nicht leicht zugänglichen Taufpredigten im Druck vereinigte?). Darum ist eben nicht der taufende Pfarrer, nicht das Amt der Rechtsgrund der Taufe, sondern, wie schon Augustin nicht müde wird, zu betonen, der, auf dessen Namen der Mensch getauft wird (vgl. 1. Kor. 1,13). „Der diener muß zwar da sein, seine hand und mund dazu reichen, Aber ich sol mich nicht lassen weisen auff den sichbarn, sondern auff den unsichtbarn Teuffer, der die Tauffe gestiftet und geordnet hat, Auff den sol ich sehen, Gott gebe, der Diener sey, wie er wölle“ (ebenda). Das Sakrament der Taufe hat sein Gewicht in dieser Einsetzung und in diesem Handeln Gottes mit dem Menschen. Gerade darum, weil gilt: opera trinitatis ad extra sunt indivisa, erfolgt die Taufe auf den Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Darin sind wir von Gott selbst umschlossen, aufgenommen in das Innen seiner Offenbarung. Ich kann das Eine – nämlich den einen Gott nicht denken, –  ohne von den Dreien umleuchtet zu sein. Ich kann die Drei nicht unterscheiden, ohne alsbald auf das Eine geführt zu werden“ (Gregor von Nazianz, aus Barth, KD 1. Aufl. S. 165). Freilich wird man auch das andere zu beachten haben, daß auszugehen ist bei dem Namen Jesus. Der ist die Mitte. Darum ist die trinitarische Formel nur die Entfaltung dessen, was mit der Taufe auf den Namen Jesu Christi sachlich und begrifflich gesagt ist: „In Christi enim nomine subsuditur qui unxit et ipse qui unctus est et ipsa unctio in qua unctus est“ (Irenäus, Barth S. 151). Das Bekenntnis zu Vater, Sohn und Geist ist von den ersten Anfängen an in der Christengemeinde lebendig“ (Schniewind). 2. Kor. 13,13; Eph. 4,4; 1.Petr. 1,2; 1.Kor. 12,4; Apg. 2,38ff. etc. Das Dogma von der Trinität ist also nicht etwa erst eine spätere Eintragung oder Verzeichnung in die im NT bezeugte Offenbarung, sondern es anerkennt die Wirklichkeit Gottes, so wie er selbst sie in seiner Offenbarung erweist und bestätigt“ (Barth).

Eng zusammen mit der Ersetzung des Geheimnisses der Trinität und damit allererst der Möglichkeit von Offenbarung durch einen rationalen, mystischen, deistischen, jedenfalls heidnischen Gottesbegriff und der daraus resultierenden Unkräftigkeit des „Zeugnisses“ der Kirche an die Welt hängt nun auch das andere, die Verlegung der neuen Geburt aus der Taufe weg an irgendeine andere Stelle, in das Erleben, Erfahren, in die moralische Erneuerung etc. Die Tau­fe ist Sündenvergebung, und als solche Sterben und Auferstehen. Von der Taufe her habt ihr euch als Christen in eurer „Existenz“ zu verstehen, und zwar nur von hier her. In die Kirche wird man eben nicht „geboren“, sondern „getauft“. Geboren wird man höchstens in die „Landeskirche“, aber niemals in die Kirche Jesu Christi. Und hier liegt der zweite Punkt des Abweichens in den verflossenen Tagen. So wie der „natürliche“ Gott an die Stelle des „sich selbst offenbarenden“ trat, so der natürliche Mensch unter und hinter den „Christenmenschen“, der „deutsche Christ“, wobei man ganz deutlich heraushören konnte, was hier Substanz und was Akzidenz ist. Das Evangelium von Trinitatis sollte so verkündigt werden, daß deutlich würde, wo wir zur Umkehr gerufen sind, theologisch und christlich existenziell, beides in einem, sie müsste einschlagen wie ein Donnerschlag in diese unsere verkehrte Richtung des Deutens und Wesens.

Denn das ist doch wohl zu bedenken, daß Jesus das Wie, die Art und Weise unserer Zeugenschaft an diese beiden Punkte, an Offenbarung und Taufe, bindet und nicht will, daß wir unter Umgehung dieser Hauptposition, an der die Entscheidung nach seiner Weise zu fallen hat, die Welt mit anderen Mitteln zu missionieren bzw. zu ködern suchen. Nun sucht man nichts anderes an den Haushaltern über den Geheimnissen Gottes – und das auch unsere Wiedergeburt –, als daß sie treu erfunden werden. Hier steht und fällt die Kirche.

Erst danach kommt, als drittes, das „lehret sie halten, alles was ich euch aufgetragen habe“, die eigentliche Tauflehre von Hebr. 6, die Unterweisung! Und zwar Unterweisung im Sinne der echten Paraklese, des Halten-Lehrens, der ,,tertius usus legis“, dessen, was Luther meint, wenn er sagt, „der Christ macht neue Dekaloge“. Man kann das auch die Kampfordnungen des neuen Christenstandes nennen. Christentum in der politischen, wirtschaftlichen, geistigen Situation heute. Die Gemeinden haben einen Anspruch, ein Wort darüber von uns zu hören, Weisungen zu erhalten, aus denen deutlich wird, „der Herr ist noch und nimmer nicht von seinem Volk gewichen“. Aber so notwendig dieses Dritte ist, es muß immer drittes bleiben. Die Hauptpartie ist Röm. 1-11, erst dann kommt die Paraklese. Erst dann kommt die eigentliche „Überlieferung“ der Regeln und Weisungen Jesu. Und so gestellt, wird und muß sie denn auch kommen. Nicht als Ethik, sondern als „Lehre, zu halten, was der Herr seinen Aposteln aufgetragen hat“. Zum Begriff „halten” vgl. 1.Joh. 5,18; Joh. 8,51; 14,15; 21; 23 etc.

Quelle: Hans Joachim Iwand, Predigtmeditationen, Göttingen: Vandenhoeck und Ruprecht 1963, S. 27-30.

Hier der Text als pdf.

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