Geleitwort zu „Die 10 Gebote heute“ (1973)
Ich habe viele Jahre meines Lebens mit der Frage zugebracht: was glaube ich – warum glaube ich – an wen glaube ich? Es ist die Frage nach Gott, nach unserem Gott, nach meinem Gott. Es ist auch die Frage nach der Kirche, nach den Kirchen. In diesem Jahrhundert, soweit ich es als meine Lebenszeit überblicke, sind die Konfessionen einander nähergekommen. Gleichzeitig wuchs der Abstand der Menschen gegenüber den Kirchen. Gehen wir einem glaubenslosen Zeitalter entgegen? Das Gegenteil, meine ich, ist wahr. Überall sehe ich ein oftmals verzweifeltes Suchen nach Glaubensinhalt. Die Gefahr ist, daß religiöse Bedürfnisse sich in pseudo-religiöse Wahnideen verirren.
Können uns die Zehn Gebote helfen, die Glaubensfrage zunächst einmal wenigstens richtig zu stellen?
Dieses Werk hier ist ein bemerkenswert entschlossener Versuch, die alten Tafeln des Moses vom Staub der Jahrhunderte zu befreien. Was tritt zutage? Ich hoffe dies: Wir sollen unser persönliches Handeln, unsere täglichen Entscheidungen an den Geboten messen.
Das habe auch ich immer wieder versucht, in meinem persönlichen, beruflichen und politischen Handeln. Allmählich verstand ich. daß die urtümliche Sprache der Zehn Gebote uns nicht abschrecken sollte, im Wort den Geist der zehn Anrufe zu erkennen. Dazu gibt dieses Werk, scheint mir, nützliche Anstöße.
Besonders freue ich mich, daß der Herausgebererlös des Unternehmens einem Kinderhilfswerk zugute kommen soll. Glaube wird glaubwürdig nur durch die Tat.
Dr. Dr. Gustav Heinemann
Bundespräsident der Bundesrepublik Deutschland
Bonn, im Juli 1973