Martin Luthers Rede vor Kaiser Karl V. am 18. April 1521 auf dem Reichstag zu Worms
Rede D. Martin Luthers[1]
vor Kaiser Karl und den Fürsten
zu Worms am Donnerstag nach Misericordia Domini.
IHESUS
»Erhabenster Herr und Kaiser, durchlauchtigste Fürsten, gnädigste Herren! Zu der mir gestern nachmittag festgesetzten Zeit erscheine ich gehorsam und bitte um der Barmherzigkeit Gottes willen, Eure Majestät und Eure Herrschaften wollen [59] geruhen, diese Sache der (wie ich hoffe) Gerechtigkeit und Wahrheit gnädig anzuhören, und es mir gütig nachsehen, wenn ich aus meiner Unerfahrenheit jemandem den gebührenden Titel nicht gebe oder auf irgendeine Weise gegen höfischen Brauch und Verhalten verstoße; ich habe bisher nicht an Höfen, sondern in Mönchswinkeln gelebt und kann von mir aus nur das bezeugen, daß ich bis jetzt in solcher Einfalt des Geistes gelehrt und geschrieben habe, daß ich allein Gottes Ehre und die rechte Unterweisung der Christgläubigen erstrebt habe.
Kaiser, durchlauchtigste Fürsten! Auf die erste jener zwei mir gestern durch Eure geheiligte Majestät vorgelegten Fragen – ob ich die verlesenen, unter meinem Namen verbreiteten Schriften als die meinigen anerkenne und ob ich sie weiter vertreten oder widerrufen wolle – habe ich sofort die klare Antwort gegeben, bei der ich auch bleibe und in Ewigkeit bleiben werde: Es sind meine von mir unter meinem Namen veröffentlichten Schriften, es sei denn, daß durch gegnerische List oder durch Besserwisserei etwas in ihnen verändert oder entstellt abgedruckt worden ist. Denn ich erkenne nur das an, was mir allein zueigen und von mir allein geschrieben worden ist, ohne jede bemüßigte Auslegung, wie sie auch gemeint sei. Auf die andere Frage bitte ich, Eure geheiligte Majestät und Eure Herrschaften wollen darauf achten, daß meine Schriften nicht alle von einerlei Art sind. In einigen von ihnen habe ich von Glauben und Sitten so einfältig und evangelisch gehandelt, daß selbst die Gegner zugeben müssen, daß sie nützlich, unschädlich und der Lektüre durch die Christen wert sind. Sogar die harte und grausame Bulle[2] hält einige meiner Schriften für unschädlich, wenngleich sie mit wahrhaft ungeheuerlichem Urteil auch diese verurteilt. Widerrufe ich also diese Schriften, so verurteile ich als einziger Sterblicher die Wahrheit, die Freunde und Feinde gleichermaßen bekennen, und widerstrebe als einziger dem einhelligen Bekenntnis aller. Eine zweite Art von Schriften bekämpft das Papsttum und die Dinge der Papisten als diejenigen, die mit ihren grundschlechten Lehren und Beispielen den christlichen Erdkreis an Geist und Leib verwüstet haben. Denn das kann niemand leugnen oder verbergen, da es die Erfahrung und die Klage aller bezeugen, daß die Gesetze des Papstes und die Menschenlehren die Gewissen der Gläubigen elend in Fesseln geschlagen, mißhandelt und zu Tode gefoltert haben und daß vor allem in dieser ruhmreichen deutschen Nation Hab und Gut von unglaublicher Tyrannei ohne Ende und auf unwürdige Weise verschlungen worden sind und noch verschlungen werden. Und in ihren [der Papisten] eigenen Dekreten [Dist. IX und XXV, qu. 1 und 2][3] heißt es, Gesetze und Lehren des Papstes, die dem Evangelium oder den Lehren der Väter widersprechen, hätten für irrig und ungültig zu gelten. Widerrufe ich daher diese Schriften, so stärke ich die Tyrannei und öffne solcher Gottlosigkeit [tanta impietas] nicht nur die Fenster, sondern auch die Pforten, so daß sie sich weiter und ungehinderter ausbreitet, als sie bis jetzt je gewagt hat. Und kraft dieses Widerrufes wird die Herrschaft ihrer hemmungslosen und straflosen Bosheit für das arme Volk noch viel unerträglicher und dabei noch gestärkt und befestigt werden, zumal wenn man sich brüsten kann, ich hätte das mit der Autorität Eurer geheiligten, durchlauchtigsten Majestät und des ganzen Römischen Reiches getan. Was für ein Schanddeckel, guter Gott, wäre ich da der Bosheit und Tyrannei!
Die dritte Art Schriften sind die, die ich gegen einige private und einzelne (wie man sie nennt) Personen geschrieben habe, die es unternommen haben, für die römische Tyrannei einzutreten und den von mir gelehrten Glauben [pietatem a me doctam] zu erschüttern. Ich bekenne, daß ich gegen sie schroffer gewesen bin, als [60] es einem Christen und Mönch ansteht. Denn ich mache aus mir keinen Heiligen, disputiere auch nicht über mein Leben, sondern über die Lehre Christi. Auch diese Schriften kann ich nicht widerrufen, weil durch diesen Widerruf Tyrannei und Gottlosigkeit unter meinem Schutz gewalttätiger denn je herrschen und wider das Volk Gottes wüten würden.
Weil ich aber ein Mensch bin und nicht Gott, kann ich meinen Schriften nicht anders beistehen, als mein Herr Jesus Christus seiner Lehre beigestanden hat, der, als er vor Hannas über seine Lehre befragt wurde und ein Diener ihn ins Gesicht schlug, gesagt hat: Habe ich unrecht geredet, so beweise, daß es unrecht ist [Joh 18,23]. Wenn der Herr selbst, der wußte, daß er nicht irren könne, es nicht verschmäht, selbst von einem niedern Knecht ein Zeugnis gegen seine Lehre zu hören, wieviel mehr muß dann ich Nichts, der nur irren kann, darum bitten und es erwarten, ob jemand wider meine Lehre Zeugnis vorbringen will. Darum bitte ich um der Barmherzigkeit Gottes willen, Eure Majestät, Eure durchlauchtigsten Herrschaften oder wer auch immer es vermag, sei er der Höchste oder Geringste, so wolle er Zeugnis geben, die Irrtümer widerlegen, sie mit Propheten- und Evangelienzeugnissen überwinden; denn ich werde, wenn ich belehrt worden bin, begierig sein, jeden möglichen Irrtum zu widerrufen, und werde der erste sein, der meine Bücher ins Feuer wirft.
Daraus geht, so meine ich, hervor, daß ich die aus Anlaß meiner Lehre in der Welt entstandenen Gefahren, Zwietracht und Streitigkeiten, derentwegen ich gestern ernst und streng ermahnt worden bin, wohl im Auge gehabt und erwogen habe. Für mich ist es allerdings ein überaus erfreulicher Anblick zu sehen, daß um des Wortes Gottes willen Eifer und Zwietracht entstehen. Denn das ist der Lauf, Fall und Ausgang des Wortes Gottes, wie der Herr sagt: Ich bin nicht gekommen, Frieden zu bringen, sondern das Schwert; denn ich bin gekommen, einen Menschen mit seinem Vater zu entzweien usw. [Mt 10,34f.]. Darum müssen wir bedenken, wie wunderbar und schrecklich unser Herr in seinen Ratschlägen ist, damit nicht das, was zur Beilegung von Streitigkeiten unternommen wird – wenn wir damit anfangen, das Wort Gottes zu verurteilen –, zu einer Sintflut unerträglichen Übels führe und zu besorgen wäre, daß die Regierung dieses jungen edlen Fürsten Karl (auf den sich nächst Gott viel Hoffnung richtet) unheilvoll werden könnte. Ich könnte das an vielen Beispielen der Schrift vom Pharao, vom König von Babylon und von den Königen Israels zeigen, die sich dann am schlimmsten zugrundegerichtet haben, wenn sie mit den allerweisesten Ratschlüssen ihre Reiche befrieden und befestigen wollten. Denn Er ist es, der die Klugen in ihrer List fängt und Berge zu Fall bringt, ehe sie es merken [Hi 5,13; 9,5]. Darum bedarf es der Furcht Gottes. Ich sage das nicht, weil so erhabene Männer der Belehrung und Ermahnung durch mich bedürften, sondern weil ich meinem Deutschland den Gehorsam, den ich ihm schulde, nicht vorenthalten darf. Damit befehle ich mich Eurer Majestät und Euren Herrschaften. Ich bitte demütig, sie wollen mich nicht durch den Eifer meiner Gegner ohne Grund bei sich in Ungnade fallen lassen. Ich habe gesprochen.«
Hierauf erklärte der Sprecher des Reichstags in scheltendem Ton, ich hätte nicht auf die Frage geantwortet. Auch dürfe ich nicht Dinge in Erörterung ziehen, die längst auf den Konzilien beschlossen und verdammt seien. Deshalb verlangt man, ich solle einfach unumwunden antworten, ob ich widerrufen wolle oder nicht. Darauf entgegnete ich:
»Weil Eure geheiligte Majestät und Eure Herrschaften es verlangen, will ich eine schlichte Antwort geben, die weder Hörner noch [61] Zähne hat: wenn ich nicht durch das Zeugnis der Heiligen Schrift oder vernünftige Gründe überwunden werde [nisi convictus fuero testimoniis scripturarum aut ratione evidente] – denn weder dem Papst, noch den Konzilien allein vermag ich zu glauben, da es feststeht, daß sie wiederholt geirrt und sich selbst widersprochen haben –, so halte ich mich überwunden durch die Schrift, auf die ich mich gestützt habe, so ist mein Gewissen im Gotteswort gefangen, und darum kann und will ich nichts widerrufen, weil gegen das Gewissen zu handeln weder sicher noch lauter ist. Ich kann nicht anders, hier stehe ich, Gott helfe mir. Amen.«[4]
Quelle: WA 7, S. 831,16-838,9; vgl. Deutsche Reichstagsakten, hg. durch die Historische Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Gotha u.a. Jüngere Reihe 2, S. 547,10-555,22. Nr. 79; übers. nach: J. Kühn (Hg.), Luther und der Wormser Reichstag 1521. Aktenstücke und Briefe. Voigtländers Quellenbücher 73 o.J. (1914), S. 69-75; und: K.-V. Selge, in: Der Reichstag zu Worms von 1521. Reichspolitik und Luthersache. 1971, S. 184-186 (Luthers Antwort vor dem Reichstag am 18. April).
Quelle: Die Kirche im Zeitalter der Reformation, ausgewählt und kommentiert von Heiko A. Oberman, Kirchen-und Theologiegeschichte in Quellen, Bd. III, Neukirchen-Vluyn 1988, S. 58-61.
[1] Bei Luthers Rede, der Antwort des Offizials und der entsprechenden Erwiderung Luthers bis zum Ausruf »Gott helfe mir. Amen« handelt es sich um eine Einschiebung in den Bericht, die in mehreren Drucken auch gesondert vorliegt. Dieser Teil ist wohl zuerst veröffentlicht worden und dürfte auf Luther selbst zurückgehen.
[2] Nämlich die Bannandrohungsbulle »Exsurge Domine« vom 15. Juni 1520.
[3] Vgl. Corpus Iuris Canonici, hg. von Ae. Friedberg, 1879. Neudr. 1959, S. 16ff. und 1007ff.
[4] Nach DRTA.JR 2, S. 555f. Anm. 1 ist anstelle des »Ich kan nicht anderst, hie stehe ich, Gott helff mir, Amen« das kürzere »Gott helf mir. Amen« als historisch richtig anzunehmen.
Hier Luthers Rede auf Latein aus der Weimarer Ausgabe als pdf.
Hier Luthers Rede auf Deutsch aus der Weimarer Ausgabe als pdf.
Hier Luthers Rede auf Latein aus den Deutschen Reichstagsakten als pdf.
Hier Luthers Rede auf Deutsch aus den Deutschen Reichstagsakten als pdf.
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