Die Kirchlich-theologische Sozietät in Württemberg war ein theologischer Arbeitskreis, der 1930 aus dem Freundeskreis um die Pfarrer Hermann Diem, Heinrich Fausel, Paul Schempp und Richard Widmann entstand. Im »Dritten Reich« vertrat die Sozietät auf der Grundlage der Erklärungen der Bekenntnissynoden von Barmen und Berlin-Dahlem die Position der Bekennenden Kirche wider eine volks- bzw. nationalkirchliche Komprimittierung. Mit ihren theologischen Stellungnahmen geriet sie immer wieder in Konflikt zur württembergischen Kirchenleitung unter Landesbischof Theophil Wurm, so beispielsweise 1938 durch die Verweigerung des kirchlichen Treueeids auf Adolf Hitler. Martin Widmann, Sohn von Richard Widmann, hat die Geschichte der Sozietät chronologisch erzählt und kommentiert:
Die Geschichte der Kirchlich-theologischen Sozietät in Württemberg
Von Martin Widmann
Entscheidende Kursbestimmung Barmen – Dahlem
Die Sozietät hat für die Bekennende Kirche Jesu Christi in unserem Jahrhundert die fundamentale Bedeutung von Barmen und Dahlem behauptet. »Barmen ist ein kirchenbildendes Faktum.« Wahrhaft intakte Kirche Jesu Christi ist eine nach dem Taktschlag von Barmen und Dahlem geradeaus laufende evangelische Kirche. »Die heilige christliche Kirche, deren einziges Haupt Christus ist, ist aus dem Worte Gottes geboren, in demselben bleibt sie, und sie hört nicht auf die Stimme eines Fremden« (1. Berner These 1528, Vorbild für Barmen I).
Die Sozietät lebte, lernte und lehrte je und je in den Grundentscheidungen von Barmen und Dahlem. Sie hielt treu zu den von der Bekenntnissynode in Bad Oeynhausen 1936 eingesetzten kirchenleitenden Organen, der 2. Vorläufigen Leitung der Deutschen Evangelischen Kirche, sie hielt zur (staatsrechtlich) illegalen Bekennenden Kirche. In einem Buch, das sich mit der Geschichte und dem Schicksal der Illegalen in den nord- und westdeutschen Landeskirchen befaßt, hat deshalb die Erinnerung an die Württemberger Getreuen ihren Platz.
Einen weiteren Beitrag zum Thema »Entschiedene Kursbestimmung Barmen und Dahlem« lieferte die Sozietät nach 1945. Sie behauptete die bleibende Gültigkeit der wegweisenden Grundentscheidungen der Bekenntnissynoden auch für die sog. Nachkriegszeit und Nachnazizeit. In der Erklärung der Kirchlich-theologischen Sozietät in Württemberg vom 9. April 1946 heißt es:
»Wir richten nun aber auch unsere ernste Bitte an alle in der Evangelischen Kirche in Deutschland zusammengeschlossenen Kirchen evangelischen Glaubens, sie möchten uns helfen, in Lehre und Ordnung zu dem einen Wort und Auftrag des Herrn der Kirche zurückzukehren, nämlich zu verkündigen alles, was der Herr seinen Aposteln aufgetragen hat, und in der Liebe zu bezeugen, daß wir seine Jünger sind.
Wir sind ernstlich besorgt, man könnte und möchte die Erklärungen von Barmen und Dahlem heute nur noch als strategische Kampfmittel einer überwundenen Krise betrachten und nicht als aus der Schrift geschöpfte Einsichten von richtunggebender Bedeutung für die Verkündigung, für das Wesen und für das rechte Verhältnis gegenüber und in den Ordnungen der Staaten… Die das Verlorene suchende und findende Gnade des Herrn allein macht die Kirche groß und nicht der mühselige Versuch, sich selbst zu behaupten und zu stärken.«
In den Jahren 1946 bis 1950 brachte die Sozietät wichtige Beiträge zu einem Neuanfang im Sinne der Erklärung vom 9.4.1946: Hermann Diems Schrift »Restauration oder Neuanfang in der evangelischen Kirche?«, die Sozietäts-Denkschrift »Kirche und Entnazifizierung«, Paul Schempps Katechismus-Entwurf für bekennende Gemeinden »Christenlehre in Frage und Antwort«, die Mitarbeit am Darmstädter Wort des Bruderrats zu den politischen Irrwegen der deutschen Nation, der deutschen Kirchen und der C-Parteien.
Durch die Initiative von Ernst Wolf und Martin Niemöller kam es zur Gründung der »Gesellschaft für evangelische Theologie« und der »Kirchlich-theologischen Arbeitsgemeinschaft für Deutschland« (1946), worin die Sozietät nur mehr die schwäbische Sektion bildete. Die nötige kirchlich-theologische Arbeit wurde nun gemeinsam in den Bruderschaften und Sozietäten und KTAs der einzelnen Länder, in BRD und DDR, weitergeführt. »Die KTA glaubt sich berufen, den Kampf um den eigentlichen Sinn der Bekennenden Kirche zu führen«, schrieb Paul Schempp am 10. Juni 1949.
Seit 1950 nahm der Kampf gegen die Remilitarisierung und der Widerstand gegen das böse Mittun der Großkirchen im Kalten Krieg alle Kräfte in Anspruch. Für die Sozietät arbeitete Paul Schempp sofort mit an dem Manifest »An die Gewehre? Nein!«
Erzählende Geschichtsschreibung
Ich will der Geschichte der Sozietät von den Anfängen im Jahre 1930 an nachgehen. Und ich bemühe mich, erzählend zu schreiben. Ich halte mich möglichst an den chronologischen Faden. Es liegt mir daran, das persönliche und soziale Beziehungsgeflecht deutlich werden zu lassen.
Aus dem Nachlaß meines Vaters Richard Widmann, der von Anfang an dabei war, stehen mir viele ungedruckte Materialien, maschinenschriftliche Vervielfältigungen, Briefe, familiäre Zeugnisse zur Verfügung, gerade zur frühesten Zeit. Vor allem sind endlich die vier Hefte der Zeitschrift »Blätter zur kirchlichen Lage« für die Geschichtsschreibung der Jahre 1933/1934 auszuwerten.
Für die Zeit von 1934 bis 1944 sind alle wichtigen Sozietäts- Texte in dem sechsbändigen Dokumentenwerk »Die Evangelische Landeskirche in Württemberg und der Nationalsozialismus. Eine Dokumentation zum Kirchenkampf«, hg. von Gerhard Schäfer, Stuttgart 1971-1986 mustergültig veröffentlicht (künftig zitiert: G. Schäfer, Dokumente, mit Band- und Seitenzahl). Aber werden die Texte überhaupt noch gelesen? Ich hoffe, daß meine Erzählung, die die Texte in die persönlichen Beziehungen, in die genauen Umstände von Zeit und Ort, in die aktuellen Situationen einbettet, viele zu einer ausführlichen relecture veranlaßt. Ich mußte mich sehr beschränken und konnte oft nur den Tenor einer oft längeren Stellungnahme zitieren. Es gelang mir, die Abfolge der monatlichen Sozietätstagungen in den Jahren 1936 bis 1939 fast lückenlos zu rekonstruieren, und ich war selber überrascht, ein welch spannender Bericht bei einer Aneinanderreihung der aktuellen Erklärungen und Beschlüsse herauskommt.
Für die Kriegsjahre 1940 bis 1944 kann ich die Sozietätsgeschichte nur in einigen Stichworten skizzieren. Denn für diese Zeit fehlen mir noch manche Protokolle von den Sozietätstagungen und von den Alpirsbacher Wochen. Für die Zeit nach 1945 gibt es noch kein Dokumentenwerk, in dem die Sozietäts-Texte gesammelt sind. Daher möchte ich zur Ereignisgeschichte ab Mai 1945 nur die wichtigsten Daten darlegen, um dann mit der Sozietäts-Erklärung vom 9. April 1946, der einzigen programmatischen Erklärung in der 20jährigen Geschichte, zu schließen.
Persönliches zur Herkunft und zum Werdegang der »Säulen« der Sozietät
Paul Schempp, Richard Widmann und Hermann Diem, alle Jahrgang 1900 und schon als Schüler befreundet, kamen aus Stuttgarter Handwerkerfamilien. Beim Studium im Tübinger Stift gehörten sie als Bundesbrüder zur Studentenverbindung Nicaria, die als einzige nach dem Rathenaumord im demokratischen Protestzug mitging. Auch Heinrich Fausel, Wolfgang Metzger und Frieder Vorster waren Nicaren.[1] So fand eine theologische societas schon im Tübinger Stift zusammen. Seit 1922 erreichte sie Karl Barths Theologie; dankbar und kritisch hörten sie künftig auf seine Stimme. Nach dem Examen betrieben sie im Kirchendienst leidenschaftlich weiter Theologie. Hermann Diem widmete sich Kierkegaard-Studien, die anderen gruben sich immer tiefer in den originalen Luther der Weimarana hinein. Die dicken Bände der Weimarer Lutherausgabe wanderten ständig zwischen den Freunden hin und her.
Richard Widmann traf 1925 in Berlin im Seminar von Karl Holl mit Dietrich Bonhoeffer zusammen. Heinrich Fausel, inzwischen Schwager Diems, begann als Heimsheimer Pfarrer das umfassende Luther-Studium, das zu seiner theologischen Lutherbiographie führte. Wolfgang Metzger übernahm im Calwer Verlag die Herausgeberschaft für die ›Calwer Luther-Ausgabe‹. Paul Schempp, 1926 bis 1929 Repetent am Tübinger Stift, wollte Luther als den Theologen des Wortes Gottes verstehen. Aufgrund einer stupenden Kenntnis schrieb er die systematische Skizze »Luthers Stellung zur Heiligen Schrift«, mit der er jedem Studenten zeigen wollte, »wo die Theologie anfängt, welche Ordnung der Probleme ihr vorgeschrieben ist und wie aussichtslos, nein, wie deutlich lebensgefährlich ihre Arbeit ist, weil sie am meisten der remissio peccatorum bedarf und sie am wenigsten ihrer bedürfen soll.«[2]
Die Eingabe von Fausel, Schempp und Genossen« zum Kirchengebetbuch (1930)
Die erste kirchlich-theologische Arbeit der befreundeten jungen Pfarrer galt der Theologie des Gebets. Der Oberkirchenrat hatte 1929 einen Kommissionsentwurf zu einem neuen Kirchengebetbuch, dem sog. Kirchenbuch I, verschickt, 1930 folgte die Vorlage eines »Amtlichen Entwurfs« in der württembergischen Synode, dem sog. Landeskirchentag.[3] Fausel und Widmann maßen und prüften in gründlichen Referaten vor Pfarrkonventen diesen Entwurf an der reformatorischen Lehre vom Gebet nach dem Worte Gottes.
»Der Beter ist als solcher Hörer des Wortes Gottes, zu diesem Hören verpflichtet, und Gott ist ihm gegenwärig allein in seinem Wort. Das Gebet ist nicht mystische Meditation, nicht pietistischer Herzenserguß, nicht dichterische Selbstmitteilung… Das Gebet ist Bekenntnisakt. Gott, der Heilige, der Mensch, der Sünder. Christianus est justus et peccator simulque. Keine Beziehung Gottes zum Menschen und des Menschen zu Gott ohne Jesus Christus. Negativ heißt das: Bruch mit der religiösen Unmittelbarkeit. Keine Zerfällung des Lebens in die Momente der Nähe und der Ferne Gottes… Das Gebet ist Gnadenbitte. Damit ist dem Inhalt des Gebets die Grenze gesetzt. Es ist die Grenze gegen die fromme Unverschämtheit, gegen die Ichbezogenheit des Gebets.«[4]
Am 4. Mai 1930 schrieb Schempp auf einer Postkarte an Widmann:
»Wir, d.h. Hermann Diem und ich, planen eine Aktion des Protests gegen die neue Agende. Sei so gut und schick mir möglichst bald Dein Referat und Dein Versuchsexemplar der neuen Agende. Dein Referat möglichst lesbar.«
Einen Monat später wurde der Protest ins Werk gesetzt. Am 2. Juni 1930 wurde die »Eingabe zum neuen Kirchenbuch« von »Fausel, Schempp und Genossen« an den Präsidenten des Landeskirchentags, Gen.StA. Dr. Rocker, geschickt.[5]
»Die unterzeichneten Geistlichen bitten den Landeskirchentag, die amtliche Einführung des vorgelegten Entwurfs zu einem neuen Kirchengebetbuch abzulehnen. In dem Entwurf sind die reformatorischen Grundlagen des Kirchengebets völlig verlassen worden. Unsere Bedenken gegen den Entwurf sind, eingehend begründet, in einem Referat von Pfarrer Widmann, Wurmberg, der Kirchenbuchkommission vorgelegt worden… Wir haben den Eindruck, daß theologische Gesichtspunkte bei der Neubearbeitung überhaupt nicht maßgebend waren und man nur nach kirchenpolitischen, psychologischen und pädagogischen Maßstäben den angeblichen Bedürfnissen der Volkskirche Rechnung zu tragen versuchte… Der Landeskirchentag würde durch Hinnahme des Entwurfs der Grundlage unserer Kirche untreu werden.«
Der Eingabe wurden zwei Aufsätze von Fausel und Schempp beigelegt, die die Ablehnung im einzelnen begründeten. Paul Schempps hinreißende Kritik erschien 1930 in »Zwischen den Zeiten« (335-350): »Ein ›amtliches Gebetbuch« Zum Entwurf der württembergischen Gebetsagende.« Es heißt darin:
»Die Gebetbücher nehmen immer mehr enzyklopädischen Charakter an, man berücksichtigt wahllos alle nur möglichen Gemeindebedürfnisse. Wir beten eben drauflos, heute biblisch, morgen wie ein Mönch und übermorgen wie ein frommer Heide… Die Gebete dieses Buches plätschern wie fröhliche Gewässer in alle Gebiete von Kirche und Volk hinein, aber ob sie ihre Quelle in Glaube und Gehorsam der communio sanctorum haben oder in beliebiger frommer Literaturgeschichte und den Bedürfnissen volkskirchlicher Selbstbefriedigung, danach wird nicht einmal gefragt… Der Weg zu Gott führt nur über das Kreuz, und deshalb ist es unchristlich zu beten: Führe du unser deutsches Volk ›selbst empor zu neuer Kraft und Geltung, empor zu dir« Die häufige Aneinanderreihung von Vaterland und Kirche, Volk und Kirche, Heimat und Kirche – einmal heißt es sogar ›Glaube und Volkstum‹ – legt den Verdacht nahe, daß dem eine Verkennung beider Größen zugrunde liegt, eine Säkularisierung der Kirche und eine Christianisierung des ›Herrn Omnes‹… [Der Entwurf) entbehrt einer inneren Normierung an Schrift und Bekenntnis – und das im Jahr der Augustanafeiern! –, dafür aber weist er im Widerspruch zum reformatorischen Verständnis des Evangeliums folgende Merkmale auf: Tradition als Maßstab über der Schrift, Gesetzlichkeit in der Anweisung zum Gebrauch, Hemmungslosigkeit im Umfang und in der Aufnahme außerevangelischen Gebetsguts, Verkennung des Wesens der evangelischen Wortverkündigung, Verkennung der evangelischen Freiheit von Tagewählerei, Kirchenkult und Heldenverehrung, Verkennung der Ausschließlichkeit des ›allein aus Gnade‹ und damit der Erbsünde, der Buße und der evangelischen Ethik, Verkennung der evangelischen Unterscheidung von Gottesreich und Reich der Natur, Abschwächung der christlichen Furcht und Enderwartung und universalkirchlicher Optimismus mit mangelnder Selbstkritik.«
Dieser Fanfarenton konnte in Stuttgart nicht überhört werden. Der seit einem Jahr im Amt befindliche Kirchenpräsident Theophil Wurm und der Führer der Konservativen Gruppe I im Landeskirchentag, Stadtpfarrer Fritz Römer, drängten daraufhin, daß die Synodale Kommission sofort die von den Kritikern geforderte theologische Überprüfung der Gebete vornehme. Es wurde beschlossen, das Gebetbuch auf einen Kernbestand zu verkleinern. Die sieben Kritiker wurden beigezogen, sie sollten umgehend positive Vorschläge zu jedem einzelnen Gebet erarbeiten und einreichen.[6] Sie stellten sich der mühsamen Aufgabe, sie gewannen weitere sieben Freunde zur Mithilfe und konnten nach intensiver Arbeit in den Herbst- und Wintermonaten termingemäß ihre positiven Vorschläge bei der Kommission abliefern.
Bereits in der Synodensitzung vom 10. Februar 1931 wurde ein neuer Entwurf vorgelegt. Kirchenpräsident Wurm dankte den »Jüngern Karl Barths« ausdrücklich »für die lebhafte, eingehende, schriftliche Mitarbeit der Kritiker, die nicht bloß für ihre Anfechtung der einzelnen Gebete die Begründung lieferten, sondern auch Änderungsvorschläge ausarbeiteten«. Noch im Jahr 1931 konnte das neue Kirchenbuch I vom Landeskirchentag verabschiedet und zum gottesdienstlichen Gebrauch eingeführt werden.
Die Anfänge der kirchlich-theologischen Arbeitsgemeinschaft
Die Gruppe der vierzehn theologischen »Genossen« blieb nicht nur in Fühlung miteinander, sondern durch die Initiative Wolfgang Metzgers kam es hin und her in den Dekanatsbezirken bei den Pfarrern zur Bildung solcher »Arbeitsgemeinschaften«. Die KTA wollte keine neue kirchenpolitische Gruppe sein; hier sollte verbindliche theologische Erkenntnis für die Verkündigung erarbeitet werden. Vornehmlich die jüngeren Pfarrer, die in Tübingen zu Füßen Adolf Schlatters gesessen und dann durch Karl Barths Theologie des Wortes Gottes beeindruckt waren, machten in den Arbeitsgemeinschaften mit. Den Leiterkreis der KTA bildeten Wolfgang Metzger, Martin Haug, Heinrich Lang, Heinrich Fausel, Paul Schempp, Hermann Diem und Wilhelm Gohl. Auf der Jahrestagung der KTA 1932 hielt Paul Schempp das Grundsatzreferat über »Die Probleme der Kirche nach der Schrift«.[7] Ein flächendeckendes biblisch-kirchliches Themenprogramm wurde verabredet und den Arbeitsgemeinschaften in den Bezirken aufgegeben.[8]
Im Jahr 1933 stieß der Versuch einer ›Gleichschaltung‹ der Kirche bei den Pfarrern der KTA auf Widerstand. Aus der KTA entstand in Württemberg die »Evangelische Bekenntnisgemeinschaft«.
Das Manifest »Kirche und Staat. Ein Wort württembergischer Pfarrer zur kirchlichen Gleichschaltung«, Ende April 1933[9]
In den sieben Wochen zwischen dem 30. Januar (Ernennung zum Reichskanzler) und dem 23. März 1933 (Ermächtigungsgesetz) setzte Hitler die Diktatur der Nazipartei in Deutschland durch. Hitler gewann in einem zielbewußten »christlichen Vertrauensfeldzug«[10] die Zustimmung des katholischen Episkopats (Erklärung vom 28. März) und der evangelischen Kirchenleitungen (Osterbotschaft vom 11. April) zum Dritten Reich und seinem Führer.
Auf der ersten Reichstagung der »Glaubensbewegung Deutsche Christen« am 3.-5. April 1933 in Berlin forderten die Deutschen Christen (DC) lautstark die »Gleichschaltung von Kirche und Reich«. Dies löste hektische kirchenpolitische Bemühungen aus, und als Opposition zu den DC meldete sich die »Jungreformatorische Bewegung« zu Wort.
In Württemberg erschien in den letzten Apriltagen das Manifest »Kirche und Staat. Ein Wort württembergischer Pfarrer zur kirchlichen Gleichschaltung«. Wolfgang Metzger war der Verfasser, unterschrieben wurde es vom ganzen Leiterkreis der KTA: »Hermann Diem, Göppingen; Heinrich Fausel, Heimsheim; Wilhelm Gohl, Marbach/Neckar; Dr. Martin Haug, Urach; Heinrich Lang, Reutlingen; Wolfgang Metzger, Bronnweiler; Paul Schempp, Stuttgart«. 220 Pfarrer stimmten zu, d.h. etwa ein Fünftel der württembergischen Pfarrerschaft. Es hieß in dem Manifest u.a.:
»Gehorsam dem in der Schrift uns geoffenbarten Willen Gottes sind wir freudig gewillt, den Staat deutscher Nation als unsere Obrigkeit anzuerkennen. Darum fühlen wir uns in der Verantwortung gegen unser Amt gedrungen, ein Wort zur kirchlichen Lage zu sagen. Während auf dem Boden des Staates in heißem und zähem Ringen der Kanzler des Reiches um die legale Macht kämpfte und dem Geist der vergangenen Zeit leidenschaftlichen Kampf ansagte, hat die junge Generation der kirchlich Verantwortlichen gleichfalls einen geistigen Kampf begonnen, um das Leben der Kirche allein nach dem Worte Gottes zu ordnen und das Zeitalter des religiösen Individualismus, des liberalistischen Denkens, der Traditionslosigkeit, des kirchlichen Parlamentarismus zu überwinden.«
Die Gleichschaltung im neuen Staat wird gutgeheißen:
»Der deutsche Staat setzt seine ihm anvertrauten Machtmittel ein, um die artfremden Einflüsse auszuschalten, die widerstrebenden Kräfte zu beseitigen und einen falsch verstandenen Freiheitswillen des einzelnen zu begrenzen. So verstanden bedeutet die Gleichschaltung im Staate die Ausschaltung des nicht wesensmäßig Deutschen.«
Aber die Gleichschaltung in der Kirche ist strikt von der im Staate zu unterscheiden:
»Die christliche Kirche vollzieht diese Gleichschaltung der Kräfte in der Besinnung auf ihr eigenes Wesen, Gemeinschaft des Glaubens an das Evangelium zu sein… Die christliche Kirche kämpft aus der Kraft des ihr verheißenen und geschenkten Geistes darum, die ihrer evangelischen Art fremden Einflüsse auszuschalten, die widerstrebenden Kräfte zu beseitigen und einen falsch verstandenen Freiheitswillen des einzelnen zu begrenzen. So bedeutet die Gleichschaltung in der Kirche die Ausschaltung des nicht wesensmäßigen Evangelischen… Nur zu ihrem beiderseitigen Schaden und nur zum Unglück für unser deutsches christliches Volk würden die hier vom Wesen her gezogenen Grenzen überschritten.«
Obwohl dieses Manifest den totalitären Nazistaat samt seinen totalitären Ausschaltungsmaßnahmen bejaht, gilt es als eine erste Äußerung des ›Widerstands‹ der kirchlichen Opposition, weil es für die kirchliche Neuordnung zwar ebenso antiliberalistische Maßnahmen der Aus- und Gleichschaltung fordert, aber eben »eigenständig« kirchliche, aus dem innersten Wesen des Evangeliums und des Bekenntnisses kommende.
Kaum vierzehn Tage später trat am 9. Mai 1933 die Berliner »Jungreformatorische Bewegung« (Künneth, Lilje) mit einem Aufruf zu kirchenpolitischer Sammlung auf den Plan. »Der uns von Gott geschenkte neue Tag der deutschen Nation ruft unsere evangelische Kirche zu neuer Gestaltung«, nämlich zu einer echten, kirchlich eigenständigen, autoritären, antiliberalen, antidemokratischen, von den jüngeren Kräften der Frontgeneration getragenen, dem Dienst am deutschen Volk verpflichteten Kirchenreform.
Noch im Mai vollzog Wolfgang Metzger für die württembergische KTA den Schulterschluß mit der »Jungreformatorischen Bewegung«. Studienrat Dr. Martin Haug, Urach, wurde der Vertrauensmann für Württemberg. »Wir sehen in der Jungreformatorischen Bewegung den unbedingt notwendigen und hocherfreulichen Zusammenschluß gesinnungsverwandter Gruppen zu kirchenpolitischer Aktion«, schrieb Metzger im KTA-Rundschreiben zu Sonnwend 1933.[11] Doch hier machten Paul Schempp und Hermann Diem nicht mehr mit!
Karl Barths Ruf »Theologische Existenz heute!« »Heraus aus allen Fronten und Bewegungen!«
In der Nacht vom 24. auf 25. Juni 1933 schrieb Karl Barth in Bonn in einem Wurf die Schrift »Theologische Existenz heute!«. Gerade jetzt und heute komme es darauf an, »Theologie und nur Theologie« zu treiben – »als wäre nichts geschehen… Ich halte dafür, das sei auch eine Stellungnahme, indirekt sogar eine politische Stellungnahme.« Die Lehre der DC bezeichnete Barth unumwunden als »Irrlehre«. Die Kirche habe »nicht den Menschen und also auch nicht dem deutschen Volk zu dienen«, sie verkündige das Evangelium »auch im Dritten Reich, aber nicht unter ihm und nicht in seinem Geiste«. Besonders bissig wurde die kirchenpolitische Hektik der Jungreformatorischen Bewegung kritisiert.
Am Tage darauf rief Karl Barth in Elberfeld den Reformierten Predigern zu: »Heraus aus allen Fronten und Bewegungen! Marsch in die Gemeinde, in Unterricht, Predigt, Seelsorge. Da ist die Kirche. Hinein in die theologische Arbeit, von der die Deutschen Christen nichts verstehen.«[12]
Diesen ersten Trompetenstoß der Bekennenden Kirche vernahmen viele auch in Württemberg. Paul Schempp und Hermann Diem beherzigten auch Barths guten Rat. Zur kirchenpolitischen Aktion Wolfgang Metzgers gingen sie auf deutliche Distanz. Nie mehr werden sie solche fatalen Sätze wie im Manifest »Kirche und Staat« unterschreiben! Diese Trennung von der Jungreformatorischen Bewegung ist meines Ermessens die heimliche Geburtsstunde der Sozietät: Als einzelne theologische Existenzen wollten sie in und für die Gemeinde Theologie treiben, »als wäre nichts geschehen«. Das geschichtliche Dokument für diesen Neuansatz im Frühjahr 1933 ist die merkwürdige Zeitschrift »Blätter zur kirchlichen Lage«, hg. von Ernst Bizer, in Verbindung mit Hermann Diem, Heinrich Fausel, Paul Schempp, erscheinend im Brücke-Verlag, Calw.
Die vier Hefte »Blätter zur kirchlichen Lage«
Heft 1 erschien im April 1933 und hatte das Thema: »Die Kirche der Geistlich-Armen«, Heft 2 erschien im August 1933 zum Thema: »Die Ordnung der Kirche«, Heft 3 im Dezember 1933 zum Thema: »Kirche und Recht«, Heft 4 im April 1934 zum Thema: »Die Kirche der Deutschen«.[13]
Die Initiative zu dieser kurzlebigen Zeitschrift ging von dem 29jährigen Ernst Bizer aus.[14] Außer Bizer nahmen in den »Blättern« das Wort Paul Schempp (1933-1934 Pfarrer in Iptingen), Heinrich Fausel (Pfarrer in Heimsheim), Richard Widmann (1933-1938 Pfarrer in Plieningen), Hermann Diem (1934-1955 Pfarrerin Ebersbach), Ernst Steinbach (1934-1948 Pfarrer in Reusten). Zur theologischen Ortsbestimmung schrieb der Herausgeber Ernst Bizer:
»Die Blätter wollen keiner Partei und keiner Schule verpflichtet sein, sondern den Einzelnen, die sich zur christlichen Gemeinde zusammengeschlossen wissen wollen… Sie dienen der besonders dringenden Aufgabe der Selbstbesinnung der Gemeinde, indem sie alle Fragen der kirchlichen Gestaltung von der Grundlage der Schrift und der reformatorischen Bekenntnisschriften aus zu behandeln suchen.«
Heft 1 begann mit einer tiefgründigen Meditation Paul Schempps zur ersten Seligpreisung (Mt 5,3). Danach behandelte Ernst Bizer, seit langem Religiöser Sozialist, in einem großen Aufsatz mit dem Titel »Kirche und Reichtum« (bzw. Armut) unbekümmert um den nationalistischen, antisozialistischen Zeitgeist die Fragen der Arbeiterbewegung und des sozialen Elends, der Massenarbeitslosigkeit in der Weltwirtschaftskrise, die Sorgen in den proletarischen und kleinbürgerlichen Familien. In dem Aufsatz »Kirche und Bildung« untersuchte Hermann Diem, ebenso unbekümmert um den autoritären, antiliberalen Zeitgeist, die angeblich überholten Probleme des vielgescholtenen Kulturprotestantismus; weitherzig suchte er das Gespräch mit den geistig verunsicherten Gebildeten, mit den Humanisten, mit den Natur- und Geisteswissenschaftlern. »Humanismus und Idealismus sind, zusammen mit ihrem Ausläufer, dem politischen Liberalismus, fast allgemeiner Verurteilung anheimgefallen. Und ebenso wie vor kurzem noch Humanität, Menschenwürde und freie Persönlichkeit, so wird jetzt Autorität und Macht, Gehorsam und Einordnung ebenfalls im Namen des Christentums gefordert. Die Kirche kann in diese Verurteilung des Humanismus nicht einstimmen.« In Heft 3 theologisierte und philosophierte Ernst Steinbach ungeniert in den Denkbahnen Schleiermachers und Richard Rothes über das Thema »Communio sanctorum«.
In Paul Schempps Aufsatz »Die Kirche in Familie und Volk« (Heft 2) lag zwischen biblischem und lutherischem Material viel Sprengstoff verborgen. »Die Bibel leistet tatsächlich einen sehr beachtenswerten Beitrag zu den Fragen nach Menschheit, Rasse, Volk, Familie und Blut, aber sie geht dabei ihren völlig eigenen Weg durch die Umklammerung all dieser Fragen durch die Lehren von Sündenfall und Weltgericht und indem sie diese Klammer von innen her deutlich macht durch die Lehren von der Erwählung Israels und der Gottessohnschaft des Juden Jesus.«
»Die Freiheit der göttlichen Autorität offenbarte sich in der Freiheit der prophetischen Autorität gegenüber dem Königtum, und diese Prophetie war staats- und volksfeindlich, gerade um die ganze Treue Gottes zu diesem Königtum und zu diesem Volk zu bezeugen.«
»›Kirchen-Politik‹ gibt es schlechterdings nicht. Eine Kirche, die Politik macht oder einer Politik dient, und wäre es die allerbeste, ist damit nicht mehr Kirche Christi…« »Die Reichskirche – die Seele des deutschen Volkes? Weiß man denn, was man da sagt?… Das deutsche Volk durchflutet, beseelt, geleitet von Gottes Geist? Merkt man denn nicht, daß das die Gleichsetzung von Gottes Reich und dem Dritten Reich wäre?«
Am Schluß ein Zitat aus Kierkegaard: »Nichts macht mich so bedenklich wie alles, was nach dieser unseligen Verwechslung von Politik und Christentum auch nur schmeckt, ach dieser Verwechslung, die so leicht eine neue Art Kirchenreformation auf- und in Mode bringen kann, die umgekehrte Reformation, die reformierend an Stelle des alten Besseren ein neues Schlechteres setzt, die aber doch unfehlbar von der ganzen Stadt durch eine Illumination gefeiert werden wird.«
Im Blick auf die späteren kirchlich-theologischen Stellungnahmen der Sozietät sind am wichtigsten die Aufsätze in Heft 2-4 zur alleine aus dem Worte lebenden Kirche: Heinrich Fausel, Die Ordnung der reformatorischen Kirchen; Richard Widmann, Kirche und Recht; Heinrich Fausel, Luther und die Deutsche Nation; Hermann Diem, Die Substanz der Kirche. Die intensiven Studien des originalen Luther, der lutherischen und reformierten Bekenntnisschriften, der neuzeitlichen Entwicklung des Kirchenrechts, der Kirchenverfassungen, des staatlichen Körperschaftsrechts tragen hier ihre Früchte. Es ist interessant zu sehen, wie sich Diem, bisher ganz Kierkegaard-Studien hingegeben, durch die Freunde Fausel und Widmann ins Studium neuzeitlichen Staatskirchentums einbeziehen läßt, wie er zu seinem Lieblingstext Confessio Augustana Art. VII findet: »Die heilige christliche Kirche ist die Versammlung der Gläubigen, bei welchen das Evangelium rein gepredigt und die heiligen Sakramente laut des Evangeliums gereicht werden.« Oft und oft wird Diem diesen Text zitieren und in bestechender Argumentation zur Klärung der verworrenen Situationen anwenden. »Die Sichtbarkeit der Kirche, welche zu ihrer Substanz gehört, besteht demnach darin, daß auf Grund der Schrift das Evangelium in Wort und Sakrament verkündigt wird und im Bekenntnis der Gemeinde die Antwort des Glaubens bekommt.« Zur Lage im April 1934 sagte Diem:
»Durch den totalen Staat wurde die Kirche mit ungleich größerem Nachdruck nach der ihr eigentümlichen Autorität gefragt als durch den liberalen Staat von Weimar… (Aber) man hatte keine bekennenden Gemeinden mehr, die dem Bekenntnisakt Autorität verliehen hätten… Man setzte an die Stelle der Kirchenparlamente die Kirchenführer, ohne damit mehr geistliche Autorität schaffen zu können, da das echte Ereignis des Hörens auf das Wort und des antwortenden Bekennens, was der Kirche allein Autorität gibt, hier wie dort gleichermaßen ausfiel.«
Für die ganze spätere Sozietäts-Theologie sind die »Blätter zur kirchlichen Lage« die Brunnenstube, sozusagen der Vier-Hefte-Kanon.
Das Selbstverständnis der Ur-Sozietät
Ernst Bizer formulierte sehr Erhellendes zum Selbstverständnis der Ur-Sozietät[15]:
»Wir wollten in aller Ruhe längst vorhandene und dringende Probleme verhandeln. Karl Barth hat in seinem dankenswerten und überaus trostvollen Schriftehen ›Theologische Existenz heute!‹ gesagt: ›Was wir in erster Linie brauchen, ist ein geistliches Widerstandszentrum, das einem kirchenpolitischen erst Sinn und Substanz geben würde.‹ … Es erschien uns unmöglich, uns einer der bestehenden Fronten anzugliedern und selbst Kirchenpolitik zu machen… So wurden wir von selbst gezwungen, uns wieder dem Einzelnen zuzuwenden, denn das einzige Problem, das überhaupt der Erwägung wert scheint, ist doch wohl dieses, wie und was zu predigen und wie zu leben ist… Der Weg dazu kann nur der sein, daß jeder Einzelne treue theologische Arbeit tut. Darüber hinaus, daß möglichst viele sie gemeinsam tun. Es gibt da und dort unter Pfarrern und Laien theologische Arbeitsgemeinschaften für dies und jenes. Uns will scheinen: Das einzige vernünftige Thema für solche Arbeitskreise wäre heutzutage – die Arbeit an der nächsten Sonntagspredigt. Sofern in der Tat etwas getan werden soll, fordern wir dazu auf, landauf, landab sich zu solchen Arbeitsgemeinschaften zusammenzuschließen und sich ausschließlich mit der Exegese des Textes für die nächste Predigt zu beschäftigen.«
In diesen Sätzen kommt zwar der Name Sozietät nicht vor, aber Idee und Sache der Prediger-Arbeitsgemeinschaft sind prägnant da. Es geht um treue theologische Arbeit in und für die Gemeinden. Als es dann zu regelmäßigen Treffen der Sozietät kam, stand die kritische Nacharbeit der letzten und die exegetische Vorarbeit der nächsten Gemeindepredigt im Mittelpunkt. Wenn man überhaupt ein ›Gründungsdatum‹ für die Sozietät angeben will, diese Sätze Ernst Bizers sind es!
Ernst Bizer: Die Pflicht zum Widerstand. Der Glaube an einen Juden als Gottessohn
Im Dezember 1933 in Heft 3 klärt Ernst Bizer die grundsätzliche Haltung zum Hitler-Staat und zum offiziellen Antisemitismus[16]:
»Wir schulden dem totalen Staat das totale Evangelium. Evangelium aber ruft immer zur Buße, ruft auch den Herrschenden zur Buße, ruft auch dann zur Buße, wenn für menschliche Augen alles in Ordnung sein sollte. Das aber heißt: Das Evangelium ist auch für den totalen Staat eine Begrenzung, und es ist nicht nur unser Recht, sondern unsere Pflicht, die Regierenden von der Reichsregierung bis zum kleinen Amtswalter auf diese Begrenzung hinzuweisen… Weh uns, wenn wir diesen Widerstand nicht leisten.«
In der Frage des »Arierparagraphen« hielten die Freunde klar zum Pfarrernotbund und unterschrieben die Erklärung vom 21.9.1933. Ernst Bizer gab dem Marburger Gutachten und dem Gutachten der Neutestamentler recht, gegen das Erlanger Gutachten und gegen Gerhard Kittels Schrift »Die Judenfrage«.
Denn nach wie vor ruft die Kirche
»zu dem Glauben an einen Juden als Gottes Sohn auf, sie anerkennt die Apostel als Vorbilder des Glaubens, und sie ist nach wie vor gezwungen, das jüdische Volk als das auserwählte Volk Gottes zu bezeichnen. Der Ausschluß des Juden vom Amt muß als Verweigerung eines Rechts erscheinen und als Verweigerung des vollen Heimatrechts in der Kirche enpfunden werden… Es handelt sich dabei wirklich nicht bloß um das Schicksal einiger Pfarrer, sondern um das Schicksal der Gemeindeglieder, denen wir diese Gemeinschaft bedingungslos schuldig sind.«
Ebenso thematisierte Paul Schempp die Judenfrage als Gottes- und Christusfrage in dem Ende April 1934 verfaßten Text »Die Kirche am Scheidewege«, wie er es schon im Aufsatz »Die Familie in Kirche und Volk« in Heft 2 der »Blätter« getan hatte.[17]
Die Vorgänge in Württemberg von Juli 1933 bis Februar 1934[18]
Bei den Kirchenwahlen am 23. Juli 1933 vereinbarte man im Oberkirchenrat eine »Einheitsliste« mit über 50% für die Deutschen Christen; damit garantierte man den DC die absolute Mehrheit im Landeskirchentag. Kirchenpräsident Wurm nahm den eher nach einem autoritären Kirchenführer klingenden Titel »Landesbischof« an. Schon am 15. Mai 1933 verschaffte er sich ein ›Ermächtigungsgesetz‹, mit dem er auch ohne Synode regieren konnte.
Theophil Wurm wählte von Anfang an den DC-Reichsbischof Ludwig Müller und unterstützte ihn. Vor dem neuen Landeskirchentag in Stuttgart sagte Wurm am 12. September 1933:
»Alte evangelisch-soziale und nationalsoziale Gedankengänge aus der Zeit Stöckers und Naumanns erleben im Nationalsozialismus, im nationalsozialistischen Staat ihre Rechtfertigung und Auferstehung… Die DC-Gruppe hat sich die enge Verbindung evangelischen Christentums mit nationalsozialistischem Denken zur Aufgabe gemacht. Ich kann in diesem Versuch nichts finden, was irgendwie vom Worte Gottes aus beanstandet werden könnte.«
Schon im September 1933, also vor dem Sportpalastskandal, setzte der Zerfall der DC ein. Während eine radikale Gruppe der DC (Schairer, Rehm) den Bischof heftig angriff, kam es zur sog. DC-Sezession (Pressel, Hutten, Gotthilf Weber). 330 Pfarrer traten aus den DC aus und geschlossen in den sog. »Württembergischen Pfarrernotbund« ein.
Eine ›Kampffront‹ von 1075 Pfarrern stellte sich am 27. November 1933 mit der Erklärung der doppelten Gefolgschaftstreue hinter Landesbischof Wurm und den ›Führer des deutschen Volkes‹ Adolf Hitler:
»1. Als Christ und Pfarrer weiß ich mich verpflichtet, mich in treuer Gefolgschaftstreue hinter meinen Landesbischof D. Wurm zu stellen und mit ihm zusammen am Aufbau und Ausbau der Deutschen geeinigten Reichskirche nach Kräften mitzuarbeiten.
2. Als Christ und Pfarrer … weiß ich mich verpflichtet, mich in treuer Gefolgschaft zu Adolf Hitler als dem Führer unseres deutschen Volkes zu stellen und sein Aufbauwerk im neuen Staat zu fördern.«
Am 29. September 1933 forderte der Präsident des Landeskirchentags, DC-Pfarrer Steger, den Landesbischof auf, auch in Württemberg den »Arierparagraphen« einzuführen; dieser Vorstoß versandete zwar in den Ausschüssen, aber faktisch führte die württembergische Kirchenleitung seit 1934 den »Arierparagraphen« für die sog. niederen Seminare und das Tübinger Stift ein.[19] In der Predigt in der Stuttgarter Stiftskirche am 28. Februar 1937 erklärte Wurm, der lebenslang ein Jünger Stöckers geblieben war, offenherzig:
»Unsere evangelische Kirche ist judenreiner als irgendeine andere Organisation. Auf 1000 Pfarrer in Deutschland kommen 3 Nichtarier. Die Württembergische Kirche gehört zu denen, deren Pfarrstand überhaupt keinen Semiten aufweist.«
Nach der Audienz der Kirchenführer bei Hitler am 25. Januar 1934 sicherte auch Landesbischof Wurm Reichsbischof Müller von neuem Gefolgschaft zu und versprach ihm überdies, in der nächsten Zeit den württembergischen Pfarrernotbund aufzulösen bzw. alle württembergischen Pfarrer en bloc in Berlin abzumelden. Beim sog. Dorotheenpakt[20] am 31. Januar 1934 wurde der dubiose württembergische Pfarrernotbund offiziell aufgelöst.
Im Rückblick fällt Theodor Dipper ein niederschmetterndes Urteil über die landeskirchliche Lage Anfang 1934:
»Der Landesbischof ging im Schlepptau des Reichsbischofs, und hinter ihm stand eine sog. Bekenntnisfront, die keine Front war. Alle Warnungen waren vergeblich, und er ließ sich vorläufig nicht von diesem Weg abbringen.«[21]
Der Anschluß der süddeutschen Bischöfe an die »Bekenntnisgemeinschaft der Deutschen Evangelischen Kirche«. Der Ulmer Tag und die Synode von Barmen
Im März 1934 begannen der Reichsbischof und sein Rechtswalter August Jäger ihre Eingliederungspolitik, d.h. alle Landeskirchen sollten seiner Alleinherrschaft unterstellt werden. Überfallartig griff er am 14. April in Württemberg ein, indem er den Landeskirchentag vertagte. Nun regte sich der Widerstand der süddeutschen Bischöfe, jetzt wehrten sie sich gegen die Gewalttätigkeiten der Reichskirchenregierung, die auf ihre Absetzung hinzielte.
Die bayerische und die württembergische Landeskirche schlossen sich der von einem Reichsbruderrat geleiteten »Bekenntnisgemeinschaft der Deutschen Evangelischen Kirche« an. Beim »Ulmer Bekenntnistag« am 24. April 1934[22] verlas der bayerische Landesbischof Meiser die »Kundgebung der bekennenden Deutschen Evangelischen Kirche«:
»Im Namen des Vaters, des Sohnes und des Heiligen Geistes! Wir versammelten Vertreter der württembergischen und bayerischen Landeskirchen, der freien Synoden im Rheinland, in Westfalen und in Brandenburg sowie vieler bekennender Gemeinden und Christen erklären als die rechtmäßige evangelische Kirche Deutschlands vor dieser Gemeinde und der ganzen Christenheit: … Wir gedenken mit Gottes Hilfe der Anwendung von Gewalt und übler Nachrede das Wort Gottes und das Bekenntnis unserer Kirche in Wort und Tat entgegenzusetzen… Das Bekenntnis ist in der Deutschen Evangelischen Kirche in Gefahr… Pfarrer und Gemeinden der württembergischen Landeskirche, schart euch um euren Landesbischof!«[23]
Nun ging es Schlag auf Schlag. Der Reichsbruderrat beschloß, eine Bekenntnissynode nach Barmen einzuberufen. Am 15./16. Mai traf sich in Frankfurt a.M. im Hotel Basler Hof der theologische Ausschuß der BK: Hans Asmussen, Altona, Thomas Breit, München, und Karl Barth, Bonn. Karl Barth arbeitete die berühmten theologischen Thesen aus, denen die beiden Lutheraner zustimmten. Bei der ersten »Bekenntnissynode der DEK« in Barmen vom 29.-31. Mai 1934 vollzog die einstimmig angenommene »Theologische Erklärung« die Abgrenzung gegenüber der Irrlehre der DC. In der synodalen Erklärung »Zur Rechtslage der DEK« hieß es:
»Das derzeitige Reichskirchenregiment hat diese unantastbare Grundlage verlassen und sich zahlreicher Rechts- und Verfassungsbrüche schuldig gemacht. Es hat dadurch den Anspruch verwirkt, rechtmäßige Leitung der DEK zu sein.« Für die Aufbauarbeit der Bekennenden Kirche wurde ein Reichsbruderrat bestellt, dem auch die Bischöfe Wurm und Meiser angehörten.[24]
Hermann Diem: »Wie können wir Kirche bleiben?« Ein Wort württembergischer Pfarrer, Mai 1934
Im Barmen-Monat Mai 1934 entwarf der eben Gemeindepfarrer in Ebersbach/Fils gewordene Hermann Diem einen schönen Gemeindevortrag mit klarer praktischer Wegweisung für Gemeindeglieder und Pfarrer.
»Ich hielt in verschiedenen Gemeinden meines Kirchenbezirks, zu denen alle Kirchengemeinderäte eingeladen waren, einen Vortrag: ›Wie können wir Kirche bleiben?‹, in dem ich erklärte, warum eine Kirche, die mit den deutschen Christen« Frieden schließen könne, aufgehört habe, Kirche Jesu Christi zu sein. Dem stimmten jetzt auch viele zu, die ursprünglich auf die «Deutschen Christen« hereingefallen waren. Weniger gern wurde allerdings, besonders bei der Kirchenleitung, gehört, was ich sonst noch sagte.«[25]
Der Vortrag wurde von den Sozietäts-Freunden übernommen. Er wurde in der »Jungen Kirche« (Heft 13, Juli 1934) abgedruckt als »Ein Wort württembergischer Pfarrer«, unterschrieben von Hermann Diem, Paul Schempp, Heinrich Fausel, Richard Widmann, Friedrich Vorster, Ernst Bizer, Ernst Steinbach, Helmut Goes, Adolf Sannwald, Georg Pfäfflin und Eberhard Weismann. Hektographien wurde dieses »Wort württembergischer Pfarrer« weit herum im Lande an Gemeindeglieder und Pfarrer verschickt und verteilt.[26]
Hermann Diem legte darin zuerst dar, worum es eigentlich im derzeitigen ›Kirchenkampf‹ geht: Es geht um die evangelisch-reformatorischen Grundlagen der Kirche. Es geht um das Evangelium von Jesus Christus als alleiniger Basis der Verkündigung. Es geht also um einen reformatorischen Entscheidungskampf: entweder Kirche des Wortes Gottes allein oder Un-Kirche der beliebigen Menschenmeinungen.[27]
Diem hielt deshalb die Losung des Ulmer Tages: »Schart euch um euren rechtmäßen Landesbischof!« für ungenügend. Er stellte der württembergischen Landeskirche eine kritische Diagnose: Schon lange, schon jahrhundertelang, war die württembergische Kirche keineswegs eine »intakte«, vielmehr eine arg verwahrloste Kirche. »Schon lange haben unsere Gemeinden nicht mehr gewußt, daß sie von ihren Pfarrern die Predigt des reinen Evangeliums zu fordern haben… Die Pfarrer konnten predigen, was sie wollten, und folgerichtig konnten auch die Gemeinden glauben, was sie wollten.«
Was ist also zu tun? Diem gab die Antwort und Wegweisung: Da in den einzelnen Gemeinden, da in der theologischen Verantwortung jeder Predigt ist der Kirchenkampf zu führen. So nur können wir hoffen, daß wir durch Gottes Wort und Geist wieder bekennende Gemeinden werden. Und in prophetischem Ernst formulierte er:
»Dieser Versuch der DC, der Kirche aufzuhelfen, konnte nicht gelingen, selbst wenn kein Mensch sich dagegen gewehrt hätte… Solange Gott noch durch sein Wort in seiner Kirche redet, sind alle Versuche, der Kirche einen anderen Grund zu geben oder auf dem richtigen Grund einen falschen Bau zu errichten, von vorneherein gerichtet. Nicht wir führen den Kampf gegen die Zerstörer der Kirche, sondern Gottes Wort selbst führt ihn.«
Gegen den DC-Versuch, dem zersplitterten deutschen Protestantismus durch eine einheitliche, nach dem Führerprinzip vom Reichsbischof regierte Reichskirche aufzuhelfen, führt Diem auch seinen Lieblingstext, Confessio Augustana Art. 7, ins Feld: Rechte Evangeliumsverkündigung ist genug zu wahrer Einigung der Kirche Jesu Christi:
»Der äußere Bau der Kirche läßt sich deshalb nicht von ihrem Evangelium trennen, weil Gottes Wort und menschliches (Herrschafts-)Recht nicht nebeneinander in der Kirche herrschen können. In der Kirche Christi ist jedes Amt nur Dienst an der Verkündigung des Evangeliums… Dieses Wächteramt über die richtige Verkündigung ist der Gemeinde selbst gegeben.«
So tauchen in diesem Text der Sache nach die Barmer Thesen 1, 3, 4 und 6 auf, insbesondere die 6. These: »Der Auftrag der Kirche, in welchem ihre Freiheit gründet, besteht darin, an Christi Statt und also im Dienst seines Wortes und Werkes durch Predigt und Sakrament die Botschaft von der freien Gnade Gottes auszurichten an alles Volk.«
Die zwiespältige Haltung Wurms. Die Bekenntnisgemeinschaft in Württemberg – eine hinkende Bekennende Kirche
Von Barmen heimgekehrt, dachte Landesbischof Wurm nicht daran, die Entscheidung von Barmen – im Sinne des Diem- Vortrags – in und vor die Gemeinden zu tragen. Die »Theologische Erklärung« erschien nicht im Amtsblatt, wurde nicht von den Kanzeln abgekündigt. Eine württembergische Bekenntnis-Synode wurde nie abgehalten. Bischof Wurm lehnte es ab, den Bruderrrat der BK als verbindliche Kirchenleitung anzuerkennen. Ihm war an Barmen (und Dahlem!) nur die kirchenpolitische Abfuhr wichtig, die der Reichskirchenregierung erteilt wurde. Den theologischen Inhalt der Barmen Thesen als für kirchliches Handeln normativ beherzigte er nicht.
Eine Landestagung der KTA in Bad Boll vom 16. bis 19. Juli 1934 behandelte die Frage: Welche Folgerungen ergeben sich aus der Zugehörigkeit der württembergischen Landeskirche zu der »Bekenntnisgemeinschaft der DEK«? Man beschloß, in Württemberg grundsätzlich innerhalb der bestehenden Rechtsordnung zu bleiben. Man wollte zur ›bekennenden‹ Kirche gehören. Man vermied aber die harte Bezeichnung »Bekennende Kirche« zugunsten der weicheren Formel »Bekenntnisgemeinschaft«. Die Entscheidungsfrage: Willst du zur Bekennenden Kirche gehören? sollte nicht an die einzelnen herangetragen werden. In den Gemeinden und bei den Pfarrern sollten keine persönlichen Unterschriften (»Rote Karte«) für die BK gesammelt werden. In den Bezirken sollte es aber »Vertrauensleute« der BK geben. Ein Landesbruderrat wurde gewählt. Vorsitzender des Landesbruderrats und Leiter der württembergischen Bekenntnisgemeinschaft wurde Pfarrer Theodor Dipper. Als solcher war er auch Mitglied im Reichsbruderrat und Synodaler bei allen Reichsbekenntnissynoden.
In seinem Buch »Die Evangelische Bekenntnisgemeinschaft in Württemberg 1933-1945« hat Dipper – aufgrund des persönlich Erlebten, Erkämpften und Erlittenen und unter Auswertung aller verfügbaren Dokumente – detailgenau, umfassend und zu Herzen gehend den Weg der Bekennenden Kirche in Württemberg beschrieben.[28] Es ist der Weg einer ›hinkenden‹ BK:
»Die Bekenntnisgemeinschaft verstand sich als eine Art Vortrupp einer württembergischen Bekenntnissynode… An eine Wahrnehmung der Rechte kirchlicher Organe kraft kirchlichen Notrechts war nicht gedacht; ebensowenig an eine ›Schattenregierung‹ neben dem Landesbischof. Es kam auch vom Ganzen der Bekenntnisgemeinschaft der DEK her gesehen alles darauf an, daß Landesbischof Wurm unter Berufung auf die Schrift und auf das Recht sich als der rechtmäßige Bischof unserer Landeskirche behauptete.«
Zugleich klagt Dipper über die Halbherzigkeiten des Landesbischofs und des OKR:
»Er vermied es, sich als Bischof seiner Landeskirche verbindlich in die Gemeinschaft der Bekennenden Kirche zu stellen. Die Botschaft des Ulmer Tages, die Theologische Erklärung von Barmen oder gar die Erklärung zur Rechtslage der Bekenntnissynode der DEK erschienen nie im Amtsblatt oder in einem Erlaß des Oberkirchenrats. Es gab keine Kanzelverkündigung, die die Gemeinde zum Bekenntnis und in die Gemeinschaft von Barmen rief. Diese schmerzliche Zurückhaltung ist im Blick auf die Verhältnisse in einer intakten Kirche zwar verständlich, war aber im Blick auf die Gesamtlage in der DEK, auf die bedrängten Brüder und nicht zuletzt auf die Synode selbst schwer erträglich. Denn eine Synode kann nicht ernst genommen werden, wenn ihre Mitglieder sich nicht verbindlich zu ihr bekennen und zu dem stehen, was die Synode sagt und tut.«
Der Anschlag auf die Landeskirche und den Landesbischof September-Oktober 1934.[29] Die Dahlemer Bekenntnissynode: Die Bestellung der Bruderräte als Kirchenleitung
Am 3. September wurden die bayerische und württembergische Landeskirche per Gesetz der Reichskirche in die DEK eingegliedert, am 14. September wurde per Verfügung des Reichsbischofs und seines Rechtswalters Jäger Landesbischof Wurm »beurlaubt« und abgesetzt. Als kommissarischer Landesbischof wurde Pfarrer Krauß von Ebingen eingesetzt. Der rechtmäßige Landesbischof aber erkannte keine der unrechtmäßigen Maßnahmen an. Er rief die Pfarrerschaft und die Gemeinden auf, an ihm als ihrem rechtmäßigen Bischof festzuhalten. Nur wenige der kirchlichen Beamten und der Dekane ließen sich auf die neue Kirchenleitung vereidigen. Es gab viele Bittgottesdienste in den Gemeinden. Am 4. Oktober hielt der Landesbischof einen Abendmahlsgottesdienst in der Stiftskirche mit 800 Pfarrern, zahlreichen Pfarrfrauen und Gemeindegliedern. Nach Verhängung des Hausarrests kam es zu Massenversammlungen vor seiner Wohnung in der Silberburgstraße.
Die 2. Bekenntnissynode der DEK tagte in Berlin-Dahlem am 19.-20. Oktober 1934. Sie stellte sich treu zu den widerrechtlich abgesetzten Bischöfen Wurm und Meiser. Sie exkommunizierte feierlich den Reichsbischof und seine Kirchenleitung:
»Wir stellen fest: Die Verfassung der DEK ist zerschlagen. Ihre rechtmäßigen Organe bestehen nicht mehr. Die Männer, die sich der Kirchenleitung im Reich und in den Ländern bemächtigten, haben sich durch ihr Handeln von der christlichen Kirche geschieden.«
Aufgrund des sog. kirchlichen Notrechts schuf die Dahlemer Synode neue Organe der Leitung, den Reichsbruderrat und aus seiner Mitte den »Rat der DEK«.
»Wir fordern die christlichen Gemeinden, ihre Pfarrer und Ältesten auf, von der bisherigen Reichskirchenregierung und ihren Behörden keine Weisungen entgegenzunehmen… Wir fordern sie auf, sich an die Anordnungen der Bekenntnissynode der DEK und der von ihr anerkannten Organe zu halten.« Die württembergische Delegation war in Dahlem noch stärker beteiligt als in Barmen. Heinrich Fausel hielt als Synodaler ein Grundsatzreferat. »Wir waren von dem Erlebnis von Dahlem viel stärker beeindruckt als Barth, der von Barmen her über das ›Menschlich-Allzumenschliche‹ auch solcher Synodalbeschlüsse viel nüchterner dachte als wir in unserem Kirchenkampfenthusiasmus.«[30] Die Bekenntnispfarrer von der Bekenntnisgemeinschaft in Württemberg bzw. von der Sozietät waren bereit, mit einem von der Reichskirche verstoßenen Bischof Wurm in die »illegale« Bekennende Kirche zu gehen.[31]
Der Kanzler-Empfang der Bischöfe 30. Oktober 1934. Die diplomatische 1. Vorläufige Leitung Marahrens. Der Verrat an die Staatslegalität
Hitler lud per Telegramm am 26. Oktober 1934 die arretierten Bischöfe Wurm und Meiser mit Marahrens nach Berlin ein. Am selben Tag trat August Jäger zurück. Am 30. Oktober 1934 war der fatale Kanzlerempfang der drei Bischöfe. Die sog. Kirchenführer gaben dabei die eben auf der Bekenntnissynode in Dahlem beschlossene bruderrätliche BK-Kirchenleitung, zu der auch Karl Barth gehörte, preis. Sie verhandelten mit dem Staat über eine »Vorläufige Reichskirchenregierung« Marahrens.[32]
In der tumultuarischen Sitzung des Reichsbruderrats im Berliner Michaelhospiz am 20./21. November 1934 wurde Karl Barth aus dem »Rat« abgewählt. Der kirchenpolitische Adlatus Wurms, OKR Pressel, hatte in der Nacht offen ausgesprochen, daß Barth in konfessioneller wie in politischer Hinsicht eine unerträgliche Belastung für die Bekennende Kirche sei. Am 2. November wählte der Rest-Reichsbruderrat die diplomatische Vorläufige Leitung der DEK mit Marahrens an der Spitze.
Am 26. November 1934 schrieb Karl Barth an seinen Freund Hermann Diem:
»Die Einsetzung des Notkirchenregiments Marahrens, für die sich gerade auch die württembergischen Vertreter und insbesondere auch Pressel sehr leidenschaftlich verwandten, ist in meinen Augen ein Schritt, der aufs tiefste zu bedauern ist und eine unabsehbare Gefahr für die ganze Bekenntnissache darstellt… Ich kann die Motive nur als ein Abweichen von dem einfältigen Weg des Glaubens bezeichnen und als einen Verrat an säkulare Gesichtspunkte (Rückkehr zum System der Orientierung am Staate – Verbreiterung der Front durch theologische Erweichung – lutherische Reichskirche!). Ich bin unter diesen Umständen freiwillig – und mit mir haben ohne vorherige Verständigung dasselbe … Niemöller, Hesse und Immer getan – aus dem Reichsbruderrat ausgeschieden.«[33]
Die Sozietät protestiert gegen die Unterschlagung der Dahlemer Botschaft
In Württemberg wurde die staatlich-offizielle Bestätigung des rechtmäßigen Landesbischofs Wurm als Sieg bejubelt. Nunmehr galt der »Kirchenkampf« in Württemberg als abgeschlossen. Bischof Wurm und der Oberkirchenrat konnten wieder ins Gebäude am Alten Postplatz einziehen, wo allerdings die kommissarische DC-Kirchenleitung erst herausgeklagt werden mußte.
Von Dahlem und den weitreichenden Beschlüssen der Bekenntnissynode verlautete in Württemberg gar nichts. In der Sicht der Sozietät war dies ein Skandal. Nach ihrer Meinung hätte nun erst der Bekenntnis-Kampf in den Gemeinden beginnen müssen.
Am 21. November 1934 schrieb Paul Schempp den ersten zornigen Brief an Landesbischof Wurm.[34] Der Brief wurde mitunterschrieben von Diem, Ebersbach, Fausel, Heimsheim, Fuchs, Winzerhausen, Goes, Ohmden, Link, Tübingen, Sannwald, Stuttgart und Widmann, Plieningen. Es hieß darin:
»Das Empörendste ist die Unterschlagung der Berliner Botschaft aus taktischen Gründen. Man kann das nicht anders als mit dem Ausdruck doppeltes Spiel‹ bezeichnen. Sich eingliedern in eine Kampffront des Reichs, dem Reichsbischof den Gehorsam kündigen, einer Botschaft an die Gemeinden seine Zustimmung durch die verantwortlichen Vertreter geben und nachher mit dem Vorwand der Unverständlichkeit für die Gemeinden die Kanzelabkündigung verweigern, das heißt mit dem Gegner, der den Glauben zerstört, aus Angst in Wirklichkeit halb paktieren und doch immer noch von einem Bekenntniskampf reden.
Entweder man führt einen Glaubenskampf, dann lehnt man das DC-Kirchenregiment bis in alle Gemeinden hinein schlicht und bestimmt ab und sagt: Nach Gottes Wort allein sollt ihr auf diese falschen Hirten nicht hören, oder man führt einen Rechtsstreit nach weltlichem Recht…
Der Staat und das profane Recht sind nicht die Grundlage der Kirche, beide haben nach Schrift und Reformation in der Kirche restlos keine Funktion! … Es ist eine Restauration der Kirche am Werk, die nicht ›vom Glauben allein‹, ›aus dem Worte Gottes allein‹, ›zur Ehre Gottes allein‹ anhebt und noch weniger dabei bleibt, sondern das Blendwerk einer ›machtvollen Kirche‹ erstrebt.«
Am Ende des Briefes machte Schempp dem Landesbischof den positiven Vorschlag, die Sache der Bekennenden Kirche in die Gemeinden zu tragen und dort den Streit um Lehre und Irrlehre auszufechten. So möge der Bischof geistliche Leitung ausüben in klarer Bindung an die Bekenntnissynoden von Barmen und Dahlem.
Wurm schob diesen Brief bloß verärgert auf die Seite, mit der Aktennotiz: »Ich habe dieses törichte und anmaßende Schreiben Herrn Pressel gegeben, der den Herrschaften wohl einiges gesagt haben wird, werde es aber auch künftig ignorieren. Wurm.«
Die nach dem Taktschlag von Barmen und Dahlem geradeaus laufende Bekennende Kirche
Das Jahr 1935 war in der BK Nord- und Westdeutschlands, d.h. in der Evangelischen Kirche der Altpreußischen Union (APU), gekennzeichnet durch den planmäßigen Aufbau der Bekennenden Kirche durch die Bruderräte und die Bekenntnissynoden. Der Kirchenkampf wurde in die Gemeinden hineingetragen, die einzelnen Gemeindeglieder wurden verbindlich gefragt, ob sie die Rote (bzw. Grüne) Mitgliedskarte der Bekennenden Kirche unterschreiben wollten. Die Bruderräte vollzogen den Bruch mit den DC-geführten Konsistorien. Sie bauten mutig die (staatsrechtlich) illegale Kirchenleitung der Bruderräte auf, die illegale BK-Theologenausbildung, die illegalen BK-Predigerseminare. In der Evangelischen Kirche der APU kam es von 1934 bis 1943 zu der beeindruckenden Abfolge von zwölf »Preußensynoden«.[35]
Damals kam der Sprachgebrauch auf, nach dem man von »zerstörten« Kirchen im Norden und von »intakten« Kirchen im Süden redete. Dem Württemberger Hermann Diem war dies immer zuwider: »Theologisch-kirchlich wäre natürlich die umgekehrte Bezeichnung richtig gewesen! Was war denn in der württembergischen Landeskirche noch ›intakt‹?«[36] Für ihn galt als wahrhaft intakte Kirche: eine aktuell bekennende Kirche, die nach dem Taktschlag der Bekenntnissynoden von Barmen und Dahlem geradeaus läuft.
Dieses Selbstverständnis der Bekennenden Kirche begründete Diem in einem schönen Aufsatz, der wieder den Titel »Die Substanz der Kirche« trug und im Märzheft 1935 der Zeitschrift »Evangelische Theologie« erschien.[37] Dort hieß es u.a.:
»Gegenüber den bloßen Versicherungen der Reichskirchenregierung, auf dem ›Boden des Bekenntnisses‹ zu stehen, trat das Bekennen als Ereignis. Im Westen des Reiches entstanden zuerst ›bekennende Gemeinden«. Der nächste Schritt der bekennenden Gemeinden« mußte das Bemühen um ihren Zusammenschluß und um die Aufrichtung eines neuen Kirchenregiments sein, das sich auf der geistlichen Vollmacht der Gemeinde aufbaut. Das geschah in der Bildung der Freien Synoden, die sich vereinigten zu der erstmals in Barmen-Gemarke tagenden Bekenntnissynode der Deutschen Evangelischen Kirche. Hier hatte die Kirche selbst zu ihrer eigentlichen Aufgabe zurückgefunden und wagte in gläubigem Handeln das zu sein, wozu sie ihr Bekenntnis verpflichtet – eben bekennende Kirche. Die Geltung von Schrift und Bekenntnis wurde Ereignis.
Auf der Bekenntnissynode in Dahlem geschah über Barmen hinaus der entscheidende Schritt in die ›Sichtbarkeit‹ der Kirche: um der Einheit des Leibes Christi willen wurde festgestellt, wer nicht mehr zu ihr gehörte. Die Synode begrenzte damit in geistlicher Autorität grundsätzlich die Geltung jenes Kirchenrechts, das seine Autorität nur aus der staatlichen Anerkennung ableitet.«
Paul Schempps »Offener Brief an den Herrn Reichsbischof«
Am 27. Juli 1935 verfaßte der Iptinger Pfarrer auf Bitten Landesbischof Wurms einen »Offenen Brief an den Herrn Reichsbischof auf sein Wort an die Pfarrer vom 28. Juni 1935«.[38]Darin hielt Schempp dem hohen Herrn in Berlin in der Jebensstraße eine glänzende Vorlesung in reformatorischer Theologie über die Alleinherrschaft Jesu Christi in der Kirche. Ubi evangelium, ibi ecclesia – dies galt und gilt unabhängig von staatlicher Anerkennung! »Herr Reichsbischof, man wünscht die Alleinherrschaft Christi in der Kirche durchaus nicht, wenn man noch daran denkt, dem andern auf die Pfoten zu hauen!« Gegenüber dem Vorwurf der angeblichen ›Engherzigkeit und Selbstsucht der Bekenntnisfront‹ sagte Schempp:
»Eben weil nach den einhelligen Botschaften von Bannen, Dahlem und Augsburg das unser Anliegen ist, daß nur Christus verkündigt werde und z.B. nicht auch noch politische Anschauungen der Gegenwart (denn ›non debent politica dicta trahi in ecclesiam‹, WA 40,1. 293,2), darum hört zwar nicht die Feindesliebe, wohl aber die christliche Bruderschaft auf, wo nicht mehr Christus allein verkündigt wird. Gerade Ihre Beteuerung, daß Sie nichts als Christus verkündigen (in Ihrer Weise), halten wir für eine verhängnisvolle Selbsttäuschung.« »Es geht uns nämlich um die Reinheit der Lehre (›de doctrina agere, das heißt der Gans an den Kragen greifend), weil Kirche und Theologie unter dem Totalitätsanspruch der geoffenbarten und zu verkündigenden Wahrheit stehen.«
Das BK-Dreieck Barmen/Elberfeld – Berlin/Dahlem – Bonn/Basel
Im Jahr 1935 knüpften die Theologen der Sozietät die persönlichen Verbindungen mit den Leuten der in der Linie Barmen-Dahlem »fröhlich gradaus laufenden« BK[39] immer fester – mit Karl Barth und Ernst Wolf, mit Karl Immer, Hermann A. Hesse und dem Coetus Reformierter Prediger, mit Martin Niemöller und Fritz Müller-Dahlem.[40]
Am 29. Juli und am 5. August 1935 trafen sich in Heimsheim die Lutherkenner der Sozietät, Paul Schempp, Heinrich Fausel, Hermann Diem, Harald Diem, Helmut Goes, Friedrich Elsäßer, Richard Widmann mit Professor Ernst Wolf, Halle, um einen theologischen Konvent der Bekennenden Kirche vorzubesprechen. Bei der Theologischen Woche in Barmen vom 7. bis 10. Oktober 1935 nahmen viele von der württembergischen Sozietät teil. Sie hörten das von Karl Immer verlesene Barth-Referat »Evangelium und Gesetz«, das bei ihnen, den »Lutheranissimi«, wie eine Bombe einschlug.
Paul Schempp wurde für das Wintersemester 1935/1936 als Dozent an die illegale Kirchliche Hochschule der Bekennenden Kirche in Wuppertal-Elberfeld geholt. Er war im Dozentenkollegium mit Heinrich Schlier, Alfred de Quervain, Hans Hell- bardt, Heinrich Graffmann, Klugkist Hesse und Harmannus Obendiek.
Hermann Diem erwies in mehreren Gutachten für den lutherischen Konvent der Bekenntnissynode die innere Konkordanz der Reformatorischen Bekenntnisschriften mit den sechs Thesen der Barmer Theologischen Erklärung, insbesondere der 3. und 4. These.
Harald Diem, der jüngere Bruder, suchte in seiner Tübinger Dissertation »Luthers Lehre von den zwei Reichen, untersucht von seinem Verständnis der Bergpredigt aus« das prophetische Predigtamt in und für alle Be-Reiche zu betonen. »Wer nicht mit Luther an den Ort dieses Predigtamts tritt, bekommt das unterschiedene Beieinander der zwei Reiche überhaupt nicht in den Blick.«[41] So suchte er die Lehrform Luthers dem Duktus der Barthschen Lehrform des Barmer Bekenntnisses anzunähern.
Kritik am Pseudo-Luthertum und Pseudo-Konfessionalismus des Lutherischen Paktes
Die Sozietät beklagte das diplomatische Abrücken der Bischöfe Marahrens, Meiser und Wurm von der geraden Linie Barmen-Dahlem. Am 12. Februar 1935 hatten die Landeskirchen Hannovers, Bayerns und Württembergs den Lutherischen Pakt geschlossen, der später zur Bildung des Lutherischen Rates führte.
Am 1. März 1935 verfaßte die Sozietät eine von den württembergischen Geistlichen Hermann Diem, Ernst Fuchs, Helmut Goes, Wilhelm Gohl, Adolf Sannwald und Paul Schempp unterschriebene Erklärung, die dem Landesbruderrat übergeben wurde.[42] »Auf Grund einer sorgfältigen Prüfung der vorliegenden Vereinbarung an Hand der Bekenntnisschriften unserer Kirche haben wir Folgendes zu erklären.« Es wurde argumentiert mit Confessio Augustana 7 und 28.
»Es ist wohl kein Zufall, wenn in der Vereinbarung von den Synoden von Barmen und Dahlem völlig geschwiegen wird… Es ist nicht einzusehen, warum der Kampf gegen Reichskirche und DC unter Berufung auf das Bekenntnis geführt worden ist, wenn die Einheit nun doch auf dem Wege erreicht werden soll, der sich von dem bekämpften lediglich durch Methode und Tempo unterscheidet. Wir sehen auch hier eine Preisgabe des Bekenntnisses unserer Kirche und des Anliegens der Bekenntnisgemeinschaften… Die Confessio Augustana ist kein Bekenntnis, das man hat, sondern ein Bekenntnis, das man vollzieht… In der Teilnahme des Herrn Landesbischofs sehen wir eine völlige Preisgabe der Anliegen der bekennenden Gemeinden im Reich und in Württemberg.«
Der Brief an Zöllner
Was die Sozietät reichsweit so berühmt machte, waren die ausgezeichneten theologischen Gutachten zur aktuellen Lage der Bekennenden Kirche. Während andere wegen der undurchsichtigen Situation noch hin und her taktierten, hatte die Sozietät schon zusammen beraten, hatte an Hand von Confessio Augustana 7 und Barmen »geprüft« und hatte eine »Erklärung beschlossen«; sofort in der folgenden Nacht verfaßte Hermann Diem im Ebersbacher Pfarrhaus druckreif den Text.
Am 31. Oktober 1935 wurde der Offene Brief an den Vorsitzenden des Reichskirchenausschusses, Generalsuperintendent Zöllner, »im Namen eines Kreises württembergischer Pfarrer« verfaßt, von H. Diem, H. Fausel, P. Schempp unterschrieben, sofort reichsweit verbreitet, insbesondere von Pastor Karl Immer 1000fach vervielfältigt und in der evangelischen Kirche des Rheinlands verschickt.
»Sehr verehrter Herr Generalsuperintendent! Die Not, in welche uns die Bildung des Reichskirchenausschusses und insbesondere der von ihm erlassene Aufruf gebracht hat, zwingt uns zu reden… Sie haben zum »Gehorsam des Glaubens und der Liebe‹ aufgerufen. Und wir sind verpflichtet vor Gott, vor unserem in Gottes Wort gebundenen Gewissen und vor den uns anvertrauten Gemeinden, zu prüfen, ob wir uns Ihrem Kirchenregiment unterstellen dürfen, und wir legen Ihnen hier das Ergebnis unserer Prüfung vor… 1.) In Ihrem ›Aufruf‹ heißt es: »Wir haben durch staatlichen Auftrag als Männer der Kirche die Leitung und Vertretung der Kirche übernommen‹… Diese doppelseitige Beauftragung und Bevollmächtigung zwingt dieses Kirchenregiment, so doppeldeutig zu reden, wie es der Aufruf tut: einerseits durch staatlichen Auftrag, andrerseits als Männer der Kirche, einerseits die Bejahung der nationalsozialistischen Volkwerdung auf der Grundlage von Rasse, Blut und Boden, andererseits das Bekenntnis zum Heiland und Erlöser aller Völker und Rassen… 2.) Wir aber kämpften und kämpfen für die Reinheit der evangelischen Verkündigung, deshalb kann es keine zweite Offenbarungsquelle geben; wir kämpften für eine geistliche Leitung der Kirche und für das Schlüsselamt der Gemeinde, deshalb kann es kein Kirchenregiment aufgrund staatlich-weltlichen Rechts geben, keine Trennung von Bekenntnis und Ordnung der Kirche. 3.) In Ihrem Aufruf ist zudem das reformatorische ›Allein‹ um ein politisches Urteil erweitert, das nicht aus dem Evangelium stammt: das Ja zur nationalsozialistischen Volkswerdung auf der Grundlage von Rasse, Blut und Boden. Solche Vermischung des geistlichen und weltlichen Regiments hebt die Freiheit des Wortes auf. 4.) Sie waren »schon immer ein entschiedener Gegner des Staatskirchentums‹, und deshalb denken Sie sich Ihren staatlichen Auftrag als vorübergehendes Interim, aber in jedem Fall wird durch ein Interim eine endgültige unchristliche Lösung präjudiziert, in dieser Sache, wo es um Gottes Wort allein geht, kann es keine Übergangszeit geben, nach welcher die Kirche ›selbständig‹ wird, d.h. Gottes Wort wieder in Kraft treten darf… 5.-6.) Zu Ihrem Kirchenregiment können wir nur Nein sagen… Unser Ja zu Barmen und alles, was wir seither unseren Gemeinden öffentlich als Evangelium verkündigt haben, verpflichtet uns, dieses Nein vor unseren Gemeinden auszusprechen und es, falls unsere württembergische Kirchenregierung sich Ihnen unterstellen und Ihr Regiment bejahen sollte, auch dieser gegenüber zu wiederholen. Wo die geistliche Leitung fehlt, ist die ›Intaktheit‹ einer Kirche notwendig zu Ende. Da wir als Glieder der Bekennenden Kirche vor deren Gesamtheit verantwortlich handeln, werden wir ihren Organen diesen Brief in Abschrift mitteilen, ebenso dem Oberkirchenrat in Stuttgart.«[43]
Der volle Name »Kirchlich-theologische Sozietät in Württemberg«
Im Zöllner-Brief hieß es noch: »ein Kreis württembergischer Pfarrer«, im Briefkopf eines Rundschreibens vom 1. November 1935 hieß es: »An die Mitarbeiter der theologischen Sozietät«, aber zehn Wochen danach im Rundschreiben vom 19. Januar 1935 tauchte der volle Name als Selbstbezeichnung auf: »Kirchlich-theologische Sozietät in Württemberg«. Neun Namen stehen unter diesem Dokument: Diem, Ebersbach, Fausel, Heimsheim, Lic. Fuchs, Winzerhausen, Goes, Ohmden, Heintzeler, Plattenhardt, Höltzel, Hildrizhausen, Stadtvikar Lutz, Repetent Weismann, Tübingen, Widmann, Plieningen. Berichtet wurde von der Sozietäts-Tagung vom 2.-3. Januar. Es hatte sich also schon eingespielt, daß die monatliche Vollversammlung der Sozietät am 1. oder 2. Montag des Monats stattfand. Die Sozietätsmitglieder wurden über die Vorgänge im Reichsbruderrat vom 3. Januar 1936 informiert, bei denen die 1. VL Marahrens praktisch gestürzt wurde. Wiedergegeben wurden außerdem ein Brief von Karl Immer und ein Schreiben von Niemöller und Kloppenburg (Reichsbruderrat). »Inzwischen haben wir dem von der Mehrheit des Reichsbruderrates getragenen Vorbereitenden Ausschuß der Reichs-Bekenntnissynode unsere Zustimmung ausgesprochen… Wir bitten diese Erklärung samt den Nachrichten an solche weiterzugeben, die sich durch die in Barmen 1934 gefallene Entscheidung gebunden wissen.«
Seit dem Jahr 1936 gab es nun auch einen Geschäftsführer, der die Einladungen verschickte, die Mitgliederkartei führte, um einen Sozietätsbeitrag bat und die persönlichen Unterschriften sammelte und deponierte. Es war Pfarrer Willi Heintzeler, Plattenhardt, später Frau Ruth Ebermaier.
Wer war Sozietätsmitglied?[44]
Mehrere Frauen gehörten zur Sozietät: Else Gmelin, Elisabeth Braun, Erika Heyd, Margarete (Gretel) Hoffer, Gertrud Kim, Lina Renz, Ruth Ebermaier, Ilse Härter, Suse Schaal, Dora Pfeiffer, Hilde Vogt, Hanna Vosseler, Martha Hünlich, Brigitte Csaki, Helene Hauser.
Manche Laien(-Theologen) gehörten dazu, u.a. Harald Buchrucker, Kaufmann, Friedrich Buchholz, Dessau, der Kantor der Kirchlichen Arbeit Alpirsbach, Alfred Leikam, Korb bei Waiblingen, im Februar 1938 verhaftet, bis 9. November 1943 im KZ Buchenwald; er stand jahrelang als Notariatspraktikant Leikam auf der Fürbittenliste der BK gleich hinter Martin Niemöller; er starb am 8. Februar 1992 in Schwäbisch Hall; Heinrich Schempp.
Von der älteren Pfarrergeneration, d.h. den Geburtsjahrgängen 1877-1889, gehörten zur Sozietät: Christoph Schulz, Richard Gölz, spiritus rector der Kirchlichen Arbeit Alpirsbach, Eugen Stöffler und Wilhelm Gümbel; aus dem Geburtsjahrgang 1898/99: Friedrich Höltzel, Karl Jung, Willi Heintzeler, Paul Veil, Ludwig Schlaich; aus dem Jahrgang 1900: Paul Schempp, Richard Widmann, Hermann Diem, Heinrich Fausel, Karl Dieterich (Schwager von Paul Schneider), Gotthold Frik, Adolf Sannwald (gefallen), Gotthilf Weber, Otto Majer I; aus dem Jahrgang 1901-1903: Rudolf Richter, Wilhelm Gohl (1944 vermißt), Erich Haage, Frieder Vorster, Ernst Fuchs; aus dem Jahrgang 1904: Ernst Bizer, Hans Rücker, Hermann Heyl (gefallen), Martin Wasser, Fritz Kohlhaas, August Jäck, Karl Schumacher (Schwiegersohn von Theophil Wurm); aus dem Jahrgang 1905/1906: Helmut Goes, Hermann Knapp, Gerhard Kraft, Ernst Steinbach; aus dem Jahrgang 1907: Otto Majer II, Gerhard Lauffer (gefallen), Ottmar Schönhuth, Rudolf Hornikel, Gerhard Elsäßer, Gerhard Dinkelacker (gefallen); aus dem Jahrgang 1908: Georg Pfäfflin, Wilhelm Link (gest. 1938), Gerhard Holzapfel, Immanuel Kling, Wilhelm Leitner (gefallen), Albrecht Straub; aus dem Jahrgang 1909: Helmut Enßlin, Richard Bregenzer, Werner Kurz, Fritz Hahn (gefallen); aus dem Jahrgang 1910: Werner Lutz, Werner Rau, Siegfried Leube, Siegfried Kaul, Friedrich Epting, Winfried Feldmann (aus der Hannoverschen Landeskirche, gest. 1942); aus dem Jahrgang 1911: Walter Mack, Manfred Mezger, Walter Steinle, Gerhard Schmitthenner, Fritz Kallenberger (gefallen), Walter Vogel, Theodor Gölz (gefallen); aus dem Jahrgang 1912/13: Gebhard Kleinknecht, Harald Diem (1941 gefallen), Friedrich Elsäßer, Wolfgang Schlenker, Hermann Haller (gefallen), Georg Bechtle, Helmut Lamparter, Karl Eßlinger, Helmut Betsch, Immanuel Paulus, Hans Glaesser, Hans-Rudolf Hauth (zu ihm s. Hermle-Lächele, Arierparagraph, 199-207), Konrad Gottschick, Kurt Wagner, Wolfgang Zeller, Hans Jakober (gefallen), Werner Jetter, Friedrich Lang, Richard Glück, Siegfried Lauffer, Willi Lauk; aus dem Jahrgang 1914/15: Rudolf Pfisterer, Philipp Vielhauer, Fritz Mack, Otto Müllerschön, Hans Conzelmann, Karl Hagenmaier.
In der Tübinger Theologischen Fakultät hielt Prof. D. Otto Bauernfeind immer treu zur Sozietät und zur Bekennenden Kirche. Nach 1940 bzw. nach 1945 kamen nach Württemberg und arbeiteten in der Sozietät mit: Kurt Müller (Reformierte Gemeinde Stuttgart), Christian Berg, Günther Dehn (in Ravensburg 1942-1945, verbannt aus Berlin), Helmut Franz, Hellmut Traub, Hans Henrich, Heinz Schmidt (Brüdergemeinde), Dr. Kurt Emmerich, Dr. Herbert Werner, Gerhard Ebeling, Dr. jur. H. Wehrhahn.
Im Mittelpunkt der Sozietätstagungen: Arbeit an der Textpredigt
Bei den großen Vollversammlungen der Sozietät nahmen 50 bis 80 Personen teil. Die regelmäßigen Arbeitstagungen wurden möglichst am ersten oder zweiten Montag des Monats abgehalten. Dabei verlas zuerst einer der Teilnehmer seine am Tag zuvor gehaltene Gemeindepredigt, im Anschluß daran wurde sie kritisch besprochen. Sodann wurde die Predigt des nächsten Sonntags exegetisch vorbesprochen, ganz so, wie es Ernst Bizer in Heft 2 der »Blätter zur kirchlichen Lage« vorgeschlagen hatte (s.o.).
1939 erschien dann im Kaiser-Verlag das Buch »Warum Textpredigt? Predigten und Kritiken als Beitrag zur Lehre von der Predigt«, herausgegeben von Hermann Diem. Das Buch enthielt 17 Sonntagspredigten, 4 Trauergottesdienstpredigten, vier Traupredigten, sämtlich seit Ostern 1935 tatsächlich gehalten, dazu die bei den Sozietätstagungen ausgesprochenen Kritiken. Im Vorwort schrieb Hermann Diem:
»Dieses Buch will als Rechenschaft einer Arbeitsgemeinschaft von württembergischen Pfarrern verstanden werden. An Predigten, die in den letzten Jahren von uns gehalten wurden, haben wir in gemeinsamer Arbeit geprüft, wie es mit unserer Predigttätigkeit steht. Wenn wir diesen Rechenschaftsbericht nunmehr auch der Öffentlichkeit vorlegen, so tun wir dies in der Annahme, daß viele unserer Amtsbrüder in derselben Lage sind wie wir und ihnen deshalb durch unsere Arbeit ein Dienst getan wird.«
Dem Buch waren »Neun Sätze zur Lehre von der Predigt« vorangestellt; diese hatte Harald Diem vom Homiletischen Seminar Karl Barths 1934 an der Universität Bonn mitgebracht.
Die 4. Bekenntnissynode in Bad Oeynhausen 1936. Die 2. Vorläufige Leitung der DEK. Das schismatische Gebilde »Lutherrat«
Nach der 4. Bekenntnissynode der DEK in Bad Oeynhausen vom 17.-22. Februar 1936 wurde vom Reichsbruderrat die 2. Vorläufige Leitung der Deutschen Evangelischen Kirche gewählt: Fritz Müller (Berlin-Dahlem), Böhm, Albertz, Forck, Fricke. Der Reichsbruderrat bildete zugleich einen »Rat der DEK«, dem Martin Niemöller, Lücking, Kloppenburg, Asmussen, Middendorf, von Thadden-Trieglaff und von Arnim-Knöchlendorff angehörten.
Die Sozietät hielt von Anfang an treu zur 2. Vorläufigen Leitung, sie unterstellte sich den von der Bekennenden Kirche gewählten Organen.
Leider wichen hier die sog. intakten Kirchen von der geraden Linie Barmen – Dahlem – Oeynhausen ab. Die Landeskirchen von Hannover, Bayern und Württemberg unterstellten sich nicht den von der Bekenntnissynode gewählten Organen. Die lutherischen Bischöfe Marahrens und Meiser, zu denen sich seltsamerweise der so ›unlutherische‹ Landesbischof Wurm gesellte, bildeten am 11. und 18. März 1936 den »Rat der Evangelisch-Lutherischen Kirche Deutschlands«. Sie erhoben den BK-spalterischen Anspruch: »Wir stellen eine gemeinsame geistliche Leitung für die lutherischen Kirchen und Gemeinden der BK.«[45]
Am 26. März 1936 lehnte der württembergische Landesbruderrat dieses schismatische Gebilde »Lutherrat« ab. »Wir können in dem Beschluß der lutherischen Kirchengebiete vom 11. und 18. März 1936 keine kirchlich begründete Notwendigkeit sehen und keine Mitverantwortung dafür übernehmen.«[46]
Am Sonntag, dem 29. März 1936, war Sozietätstagung in Stuttgart im Furtbachhaus. Pastor Hermann A. Hesse, Elberfeld, Mitglied des Reichsbruderrats, war anwesend und sprach abends in der Reformierten Kirche, Lange Str. 51, über die Lage der Bekennenden Kirche. Die Sozietät bekräftigte die Ablehnung des Lutherischen Rats:
»Die Einsetzung einer lutherischen geistlichen Leitung im ›Rat der Evang.-Lutherischen Kirche‹ ist im Gegensatz zum Beschluß des von der Synode beauftragten Reichsbruderrats erfolgt; wir können darum keine Verantwortung dafür übernehmen.« »Wir sehen in der von der Synode und dem Reichsbruderrat bestellten Vorläufigen Leitung die Leitung der Deutschen Evangelischen Kirche.«
In einem weiteren Beschluß ging die Sozietät eine Selbstverpflichtung ein: »Die Kirchlich-theologische Sozietät in Württemberg weiß sich verpflichtet, die Beschlüsse der Synode zu Oeynhausen in unserer Landeskirche zu wahren.« Dafür wurde von jedem einzelnen die Zustimmung erbeten, zu schicken an Pfarrer Heintzeler, Plattenhardt.[47]
Am 21. April 1936 fand die nächste große Sozietätstagung statt, wiederum in Stuttgart im Furtbachhaus. Diesmal war Pastor Martin Niemöller anwesend, der abends im Großen Saal des Furtbachhauses einen Vortrag hielt über die Spaltung der Bekennenden Kirche in zwei Lager. In der nachherigen Aussprache forderten die Pfarrer Hermann Diem, Paul Schempp und Alfred Dilger die Unterordnung der württembergischen Landeskirche unter die Mehrheitsbeschlüsse des Reichsbruderrats.[48]
Am 1. Mai 1936 tagte der Ausschuß der Sozietät. Anwesend waren Harald und Hermann Diem, Fausel, Fuchs, Goes, Heintzeler, Lutz, Sannwald, Schempp, Vorster, Weismann, Widmann. Ernst Fuchs hatte einen Entwurf zu einer Denkschrift mit dem Titel: »Gibt es Rechtshilfe für die evangelische Landeskirche in Württemberg?« vorgelegt. Die Sozietät verfaßte ein Gutachten mit Vorschlägen, wie auch in Württemberg eine Bekenntnissynode gebildet werden könne, die dann eine »kirchliche Bekenntnisordnung« schaffe.[49] Aber Landesbischof Wurm wollte diesen Weg der Bekenntnissynoden auf keinen Fall gehen. Er erklärte kategorisch[50]:
»Bengel, der sich dem Einfluß des damaligen norddeutschen Pietismus weit geöffnet hatte, mußte doch schließlich sagen: Die Hallesche Art ist mir zu kurz! So sagen auch wir: Die Dahlemer Art ist zu kurz, sie wird weder der Schrift noch der Kirche, weder dem Volk noch dem Staat gerecht.«
Bei der Sozietätstagung am 2.-3. Juni 1936 in Stuttgart im Kurhaus auf der Heid am Kräherwald referierten Hermann Diem und Friedrich Höltzel über das Schlüssel- und Predigtamt der Kirche nach dem Neuen Testament und den Bekenntnisschriften. Die Sozietät faßte einen Beschluß zur evangelischen Bekenntnisschule gemäß dem Wort der Oeynhauser Bekenntnissynode. Die Sozietät bedauerte, daß der Stuttgarter OKR den Bestrebungen des NS-Staates zur Errichtung einer Deutschen Gemeinschaftsschule kampflos nachgab.[51]
Die Denkschrift der Bekennenden Kirche an Hitler, Sommer 1936
Am 30.-31. Juli 1936 fand die berühmte Sozietätstagung in Basel statt. Die Luther-Theologen der Sozietät führten mit dem reformierten Theologen Karl Barth das Gespräch zum Thema »Evangelium und Gesetz oder Gesetz und Evangelium?«. Der Tagungsbericht, verfaßt von Hermann Diem, erschien in der Zeitschrift »Evangelische Theologie«, Heft September 1936:
»Die Frage war, ob wieder einmal gerade ein Reformierter gar nicht so unlutherisch ›Ansatz und Absicht« der reformatorischen Lehre erfaßt und dargestellt hat« und »ob man die eigene kirchlich-theologische Existenz auf der ganzen Linie nach dieser Regel ›Evangelium und Gesetz‹ neu auszurichten sich genötigt findet.« Intensiv nachgedacht würde über den hochaktuellen Fragenkomplex »Der Christ in der Gesellschaft« und über »das hinter allem verborgene Problem der humanitas Christi in der Christologie«.
In Basel muß die Sozietät mit Barth auch über die »Denkschrift der BK« an Hitler geredet haben, die die Unrechtstaten des NS-Regimes bis hin zu den Konzentrationslagern auflistete.[52] Der Text der Denkschrift war wörtlich am 23. Juli 1936 in den »Basler Nachrichten« abgedruckt worden. Leider distanzierte sich nun der Lutherische Rat öffentlich. Am 3. August beschloß der Reichsbruderrat mit der 2. VL die Kanzelabkündigung eines abgewandelten Textes der Denkschrift. Die Sozietät hielt auch in dieser Sache treu zur 2. VL. Reichskirchenminister Kerrl verbot der 2. VL, noch den Namen »Leitung« zu führen, und bedrohte alle die Kanzelabkündigung verlesenden Pfarrer mit disziplinarischen Maßnahmen und Amtsenthebung. Dennoch verlasen am Sonntag, dem 23. August, viele BK- Pfarrer in der Evangelischen Kirche der APU die Kanzelabkündigung zur Denkschrift. Am 26. August 1936 verschickte Heinrich Fausel ein Rundschreiben an die Sozietätsmitglieder: »Wir verlesen das Wort in einem Bekenntnisgottesdienst am Abend des 30. August (12. Sonntag nach Trinitatis).« Trotz Verbot durch den OKR wurde das Wort der 2. VL von württembergischen Kanzeln verlesen.[53]
Wider »den bischöflich-opportunistischen Weg der Halbheit«
Am 8. September 1936 schrieb Paul Schempp, Iptingen, einen zornerfüllten Brief an Landesbischof Wurm.[54]
»Ich möchte vor Gott das gute Gewissen haben, daß Sie nicht ungewarnt die Kirchenführung wieder in die alten Geleise weltlicher Herrschaftsformen zurücklenken… Der Reichskirchenausschuß ist eine vom Staat eingerichtete, an seine Weisung der Anerkennung der DC als kirchliche Gruppe gebunden und darum nichtkirchliche Behörde, von der ich nichts entgegennehme, was mein kirchliches Amt angeht. Die Synode von Oeynhausen verbietet mir, den Weg der Ausschüsse mitzugehen… Was den Lutherischen Rat angeht, so erkläre ich ihn für ein schismatisches Gebilde menschlicher Willkür und kirchlicher Diplomatie. Sie wissen ganz genau, daß sogar nach unserem Kirchenrecht Reformierte ohne besonderen Übertritt Glieder der Landeskirche sein können, … daß unsere Kirche ganze reformierte Waldensergemeinden eingegliedert hat, und Sie machen doch den papierenen sophistischen Konfessionalismus Bayerns mit. Es ist recht eigenartig, daß den Herren Breit und Genossen in dem Augenblick einfällt, die Vorläufige Leitung sei unionsverdächtig, da sie nicht den bischöflich-opportunistischen Weg der Halbheit geht. Wenn in Württemberg der Anspruch erhoben wird, Kirche lutherischer Konfession zu sein im Unterschied etwa zur Altpreußischen Union, so wird entweder bewußt gelogen oder vom Bekenntnis als einer leeren Rechtsformel ausgegangen.« »Ich kann den Verdacht nicht unausgesprochen lassen, daß es dem OKR im ganzen Kirchenkampf wesentlich um seine eigene Freiheit und seine Sorge für gesetzliche Ordnungen gegangen ist. Wie sollte man sich sonst die Wendigkeit erklären, mit der man zwischen Bekennender Kirche und Staat ständig laviert ist.« »Daß die Pfarrämter zu Sippenforschungsinstituten geworden sind, dagegen haben Sie noch kein ernstes Wort gefunden.«[55] »Der Arierparagraph ist faktisch auch bei uns bezüglich des Pfarrernachwuchses eingeführt.«[56] »Glauben Sie fröhlich und sorgen Sie nichts; reden Sie mutig und fürchten Sie nichts; handeln Sie kräftig und schonen Sie nichts. In Ehrerbietung gegen Ihre Person, aber leider immer noch in alter getreuer und feuriger Opposition grüße ich Sie. Paul Schempp.«
Die Antwort des OKR an Schempp bog alles ins Moralische und Pathologische um:
»Es ist Ihnen offenbar selbst nicht bewußt, daß Ihr Schreiben an Gehässigkeit und Überheblichkeit alles Maß übersteigt. Ein derartiges Verhalten kann vor Schrift und Bekenntnis nicht bestehen. Der OKR gewinnt aus Ihrem Schreiben den Eindruck, daß Sie sich zur Zeit in einer hochgradigen nervösen Überreiztheit befinden.«[57]
Bei den Sozietätstagungen am 28.-29. September 1936, am 14. Dezember 1936 und vom 11.-12. Januar 1937 wurde die Arbeit am Thema »Textpredigt« fortgesetzt. Sodann wurde das Thema »Ämter und Dienste in der Kirche« behandelt. Rudolf Pfisterer, Konrad Gottschick, Hermann Diem und Werner Lutz hielten Referate: Was heißt exusia und diakonia, charis und charisma im Neuen Testament? Wie ist das Verhältnis des »Predigtamts/Verkündigungsdienstes« von CA 5 zu dem »rite vocatus« CA 14? Was sind die Aufgaben des Bischofs = Pfarrers nach CA 28, was Recht der Gemeinde bzw. der Synode nach Barmen 4 und den Bekenntnisschriften?
Die Sozietät lehnte in einer Entschließung noch einmal die staatlich eingesetzten Kirchenausschüsse ab. Und sie ermutigte die von der Bekenntnissynode eingesetzten Organe, die 2. VL und den Reichsbruderrat, und versicherte sie der brüderlichen Verbundenheit.
Am 21. Dezember 1936 fand im Oberkirchenrat ein über dreistündiges Gespräch zwischen Landesbischof Wurm und OKR Pressel seitens der Landeskirche und Hermann Diem, Wilhelm Link und Gotthilf Weber seitens der Sozietät statt. Wie das von Diem erstellte ausführliche Gesprächsprotokoll zeigt, wurde über die wegweisende Bedeutung vom Barmen und Dahlem für eine Landeskirche, die Bekennende Kirche sein will, brüderlich und kontrovers diskutiert, und zwar so intensiv wie nie zuvor. Wurm sagte im Verlauf des Gesprächs: »Ich weiß, was Ihr Kreis in diesem Kampf geleistet hat, und bin Ihnen dankbar dafür. Der Weihnachtsfriede möge auch zwischen uns mächtig werden.«[58]
Das Jahr 1937: »Barmen ist ein kirchenbildendes Faktum«
Die Bekenntnisgemeinschaft der Tübinger Studenten bat die Sozietät, bei ihrer theologischen Arbeitsgemeinschaft mitzuhelfen. Im Wintersemester 1936/37 stellten sich Hermann Diem, Paul Schempp und Repetent Wilhelm Link zur Verfügung. Am 4. Februar 1937 sprach in Tübingen im großen Saal des Schlatterhauses Wilhelm Vischer, Basel, vor 450 Studierenden über das Thema »Das Christuszeugnis des Alten Testaments«.[59]
Im Juni-Heft 1936 der »Evangelischen Theologie« hatte Dietrich Bonhoeffer in seinem Aufsatz »Zur Frage der Kirchengemeinschaft« geschrieben: »Wer sich wissentlich von der Bekennenden Kirche in Deutschland trennt, trennt sich vom Heil.«[60] Ein Sturm der Entrüstung war losgebrochen – bei den Leuten von den Kirchenausschüssen, bei den Neutralen, bei den vornehmen Uni-Professoren, bei der breiten volkskirchlichen Mitte und nicht zuletzt beim »Lutherischen Rat«. Dieser hatte den ›dahlemitischen‹ Kurs als enthusiastische Irrlehre‹ eingestuft. Nun schrieb am 10. Februar 1937 Helmut Gollwitzer einen theologischen Brief an OKR Pressel, den kirchenpolitischen Adlatus von Wurm, und verteidigte sowohl Bonhoeffer, den damals geschmähtesten Mann der BK, als auch den konsequenten Barmen-Dahlem-Kurs der württembergischen Sozietät gegenüber dem Vorwurf »dahlemitischer Schwärmerei«.
Nachdem Hitler am 15. Februar 1937 kirchliche Wahlen angeordnet hatte, beschloß die Sozietät bei Sitzungen am 22. Februar und 22. März 1937, nur mit den sechs Thesen der Barmer Theologischen Erklärung in die Gemeinden zu gehen und alle vor die Entscheidung zu stellen: entweder Kirche Christi oder Nicht-Kirche.[61] Die Wahl wurde abgeblasen. Die Sozietät beriet nun in einer Sitzung am 26. April 1937, wie sie ohne den Zusammenhang mit einer Kirchenwahl die Sache der Bekennenden Kirche entschiedener in die Gemeinden tragen könne. Am 27. April sandte die Sozietät einen langen Brief an den Landesbruderrat.[62]
»Die Sammlung der Bekennenden Kirche in Württemberg ist unverzüglich in Angriff zu nehmen. Die Sammlung hat zuerst bei den Pfarrern einzusetzen mit dem Ziel, wieterhin die Gemeindeglieder und möglichst die geschlossenen Gemeindevertretungen zu erfassen, und zwar auf der Grundlage der Theologischen Erklärung von Barmen als der für uns maßgeblichen Auslegung der reformierten Bekenntnisse. Jedem württembergischen Pfarrer ist die Frage vorzulegen, ob er sich auf Barmen verpflichtet weiß. Diese Erklärung muß außerdem enthalten die Anerkennung der durch Bannen und die folgenden Synoden bestellten und legitimierten Organe der DEK, also der Bekenntnissynode, der Vorläufigen Leitung und des Rates der DEK… Barmen ist nicht eine allgemeine Wahrheit, sondern ein kirchenbildendes Faktum… Es kann deshalb keine Zustimmung zu Barmen geben, die nicht zugleich ein Eintritt in die Gemeinschaft der in Lehre, Ordnung und Amt sichtbaren Bekennenden Kirche wäre… Der Landesbruderrat ist als berufene Leitung der Bekennenden Kirche in Württemberg unseres Erachtens verpflichtet, die Sammlung in Angriff zu nehmen… Der Oberkirchenrat übt eine geistliche Leitung der Kirche faktisch nicht aus.«
Auf diesen letzten Satz reagierte der OKR unwirsch. Dies sei »ein Aufruf zur Auflehnung gegen die rechtmäßige Kirchenleitung«. Die Sozietät habe bloß die Zerstörung der ›intakten‹ Kirchen im Sinn, und sie störe bloß »in einem Augenblick, in dem sich die Kirchenleitung in ernsten Auseinandersetzungen um das Lebensrecht der Kirche mit VKBDC wie auch mit staatlichen Stellen« befinde.
»Die Sozietät macht sich in ihrer sichtlichen Freude darüber, daß ihre anscheinend längst gehegte Hoffnung auf Zerstörung der ›intakten‹ Kirchen in Erfüllung zu gehen scheint, zum Bundesgenossen derer, die staatliche Eingriffe in die Kirche wünschen und vollziehen. Sie hat dadurch das Recht verwirkt, im Namen des Bekenntnisses aufzutreten und die Sorge um eine wahrhaft geistliche Leitung für sich in Anspruch zu nehmen«.[63]
Am 14. Mai antwortete der Landesbruderrat der Sozietät vermittelnd und zurückweichend.[64]
»Der Landesbischof besitzt im Gegensatz zu der Behauptung der Kirchlich-theologischen Sozietät eine große geistliche Autorität in unserer württembergischen Landeskirche… Gewiß ist in vielen Einzelfragen, -äußerungen und -entscheidungen nicht das klare Wort und die durchgreifende Lösung im Sinne der Barmer Erklärung gefunden worden… Die Forderungen, welche die Kirchlich-theologische Sozietät an die Kirchenleitung stellt, überschreiten das Maß dessen, was heute kirchlich verantwortet und geleistet werden kann… Der Landesbruderrat sieht in der württembergischen Bekenntnisgemeinschaft eine freie Bewegung, die in Gemeinschaft mit der gesamten Bekennenden Kirche Deutschlands in ihrem Teil dazu beitragen will, daß dem verpflichtenden Anspruch des Bekenntnisses auch in unserer württembergischen Landeskirche Raum geschaffen wird… So möchte der Landesbruderrat die Sozietät bitten und mahnen, von ihren weitergehenden Schritten Abstand zu nehmen… Stehet ab von diesem Wege! LA. des LBR: Th. Dipper.«
Am 19. Juni bei einer gemeinsamen Sitzung von Sozietät und Landesbruderrat, bei der auch Pfarrer Fritz Müller (Dahlem) und Pfarrer Fricke von der 2. VL anwesend waren, blieb es zwar beim Dissens, aber man fand zusammen in dem Vorschlag, im Herbst die Vertrauensleute der BK und den Landesbruderrat neu zu wählen.[65]
Bei der Sozietätstagung am 18. Mai 1937 in Stuttgart, im Kurhaus auf der Heid, stand außer der Diskussion um den Antwortbrief des LBR auf der Tagesordnung: 1. Textpredigt und 2. Konfirmationsformular. Die Sozietät beschloß einen weiteren Brief an den Landesbruderrat.[66]
Vom 14. Juni bis 19. Juli 1937 hielten Harald und Hermann Diem, Friedrich Höltzel, Heinrich Fausel und Paul Schempp in der Reformierten Kirche in Stuttgart sechs Predigt-Vorträge zu den sechs Barmer Thesen. Denn der Sozietät kam alles darauf an, Barmen und Dahlem in und für die Gemeinden zu praktizieren.
700 evangelische Pfarrer verweigern den Religionslehrer-Eid, Juni 1937
Ende Juni 1937, als der Reichserziehungsminister von allen Geistlichen, die Religionsunterricht an den Schulen hielten, einen vorbehaltlosen Eid auf den Führer verlangte, kam es auf einmal in Württemberg zu einer wirklichen breiten »Bekenntnisfront«. 700 evangelische Pfarrer verweigerten den Religionslehrereid.[67] Ihnen wurde daraufhin das Recht zum Religionsunterricht in den Schulen entzogen.
Am 1. Juli 1937 wurde Martin Niemöller verhaftet. Die Gestapo überzog die Bekennende Kirche in der Evangelischen Kirche der Altpreußischen Union mit einer großen Verhaftungswelle. Die Aktionen des Reichsinnen- und Reichskirchenministers, der Himmler-Erlaß gegen die Ausbildung des theologischen Nachwuchses der BK und der massive Einsatz der Staatsgewalt gegen die »illegale« BK sollten die in der Linie von Barmen und Dahlem stehenden Gemeinden zermürben und zerstören.[68] Eine große Menge von BK-Geschwistern[69] wurde verhört, für längere oder kürzere Zeit verhaftet, gemaßregelt und mit Verboten belegt. Auf den Fürbittelisten der BK standen nunmehr über einhundert Namen.[70]
Diese Vorgänge führten die zerstrittene BK in Württemberg aufs neue eng zusammen. Die Vertrauensleute der BK sammelten 772 Unterschriften für Niemöller, die Pfarrer riefen auf zu Bekenntnis- und Bittgottesdiensten, der Oberkirchenrat bat um Fürbitte für die Inhaftierten und Ausgewiesenen im Gottesdienst.
Bei der Sozietätstagung am 20.-21. September 1937, während der die Arbeit zum Thema »Textpredigt« mit grundsätzlichen Thesen zur Kasualpredigt fortgesetzt wurde, wurde im Blick auf die Neuwahl der Vertrauensleute und des Landesbruderrats die gebotene positive Zusammenarbeit in der BK besprochen. Bei der Neuwahl des Landesbruderrats am 28. Oktober 1937 durch die Versammlung der Vertrauensleute wurden mehrere Mitglieder der Sozietät in den LBR gewählt: Hermann Diem, Heinrich Fausel, Dr. Adolf Sannwald. Theodor Dipper wurde zum Vorsitzenden gewählt, Hermann Diem zum stellvertretenden Vorsitzenden, Wolfgang Metzger zum Schriftführer.[71]Auch mit der Kirchenleitung wurde das Jahr 1937 versöhnlich abgeschlossen. Am 5. Dezember fand im Dienstzimmer des Landesbischofs eine Aussprache statt, an der Landesbischof Wurm, Prälat Schlatter, OKR Pressel, KR Eichele und von der Sozietät Hermann Diem, Heinrich Fausel und Eugen Stöffler teilnahmen.[72] Die Sozietät versicherte, mit dem Brief vom 27. April sei es ihr nicht um »Revolte« gegangen, sondern »um die Einbeziehung des OKR in die Sammlung von ›Barmen‹«. Der OKR seinerseits erklärte, er könne zwar die Auffassung der Sozietät von ›Barmen‹ nicht für die allein maßgebliche in der BK halten, aber die Aussage, die Sozietät habe das Recht verwirkt, im Namen des Bekenntnisses zu reden, nehme er zurück.
Bizer und Gollwitzer referieren zur Abendmahlsgemeinschaft
Die Sozietätstagungen vom 8. bis 9. November 1937 und vom 24. bis 25. Januar 1938 beschäftigten sich mit dem von der Bekenntnissynode der APU in Halle aufgegebenen Thema der Abendmahlsgemeinschaft zwischen Lutheranern, Reformierten und Unierten in der Bekennenden Kirche. Auf der Januartagung war Helmut Gollwitzer, der Verfasser des Buches »Coena Domini«, anwesend. Ernst Bizer trug seine »Studien zur Geschichte des Abendmahlsstreites im 16. Jahrhundert« (als Buch erschienen 1940), insbesondere zur Wittenberger Konkordie von 1536, vor. Mit Gollwitzer zusammen erstellte die Sozietät ein wegweisendes Thesenpapier zur Abendmahlsgemeinschaft:
»Die Gabe des Abendmahls ist der Herr Christus selbst mit allem, was er ist und hat, zur Vergebung der Sünden.«
Bis zu den Arnoldshainer Thesen 1957 und bis zur Leuenberger Konkordie 1971 sollte dies die zentrale These bleiben. Den erreichten Diskussionsstand in der Bekennenden Kirche faßte ein Aufsatz von Ernst Bizer in der »Evangelischen Theologie« zusammen. Darin hieß es:
»Abendmahlsgemeinschaft zwischen Lutheranern, Reformierten und Unierten ist möglich und nötig, sofern auf beiden Seiten denselben verlorenen und verdammten Menschen derselbe Trost angeboten und verkündigt wird.«[73]
Frühjahr 1938: Sozietät und Landesbruderrat stehen treu zur 2. VL-Absage an das schismatische Gebilde »Lutherischer Rat« und »Lutherische Synode«
Im Januar 1938 versandte die 2. VL ein Rundschreiben über die bedrängte Lage der ›illegalen‹, in der Linie von Barmen und Dahlem stehenden Bekennenden Kirche:
Der NS-Staat wolle durch die Verordnungen des Reichskirchenministers Kerrl und durch die ministeriell kontrollierte Bürokratie (Kanzlei der DEK, Präsident Dr. Werner) die evangelische Kirche unter seine Kontrolle bringen. »Die Ein-Mann-Diktatur, die Ludwig Müller vergeblich aufrichten wollte, wird ohne großes Aufsehen jetzt vom Reichsminister auf dem Wege der Verordnungen eingeführt, durch Übergabe der Leitungsbefugnis der DEK an den Leiter der Kirchenkanzlei, Dr. Werner, der als Vorsitzender der Finanzabteilung vom Minister abhängig ist.«
Hinzu komme der Himmler-Erlaß: »Ein Erlaß des Reichsführers SS und Chefs der Deutschen Polizei vom 29.8.1937 verbietet die Ausbildung der Studenten und ihre Prüfung durch die Bekennende Kirche. Auch die Ausbildung der Kandidaten, die im Himmlererlaß nicht berührt ist, wird durch staatspolizeiliche Schließung von Predigerseminaren und Sammelvikariaten gehindert.« Der RKM verbiete der 2. VL, irgendwelche Kirchenleitung auszuüben. »Die staatliche Kirchenpolitik richtet sich auf eine völlige Ausschaltung der Organisation« der BK.« – Dennoch wollten die Brüder von der 2. VL treu weiterarbeiten. Und sie bäten alle: »Die Treue und Festigung der BK muß mit Treue und Nachdruck gefördert werden.« Und damit »die Bekennende Evangelische Kirche in ihrer Gesamtheit der Gemeinde wie der Öffentlichkeit sichtbar wird«, werde die Abhaltung einer Reichsbekenntnissynode in Aussicht genommen. Vier Jahre nach Barmen und Dahlem wieder eine richtungweisende Synode der BK!
In Württemberg standen der Landesbruderrat, die Bekenntnisgemeinschaft und die Sozietät treu zu den so hart bedrängten norddeutschen Brüdern und Schwestern, treu zur 2. VL. Das Gegenunternehmen des »Lutherischen Rats«, nämlich eine »Lutherische Synode«, lehnte der Landesbruderrat in einem »Wort zur Lutherischen Synode« ab.
Oberkirchenrat Breit, der Leiter der Geschäftsstelle des »Lutherrats«, hatte in Stuttgart am 7. und 8. Februar 1938 bei der Dekanskonferenz und bei der Sitzung des Landesbruderrats in brutaler Offenheit erklärt:
Der Weg der Bekenntnissynoden sei zu Ende. Es werde nie wieder zu einer Bekenntnissynode der BK kommen. Vielmehr werde der »Lutherische Rat« ohne Rücksicht auf die Bruderräte seinen konfessionellen Weg gehen. Die »Lutherische Synode« habe, ohne sich um Barmen/Dahlem zu kümmern, die geeinte evangelisch-lutherische Kirche Deutschland in Amt und Ordnung darzustellen.[74]
Der württembergische Landesbruderrat verschloß sich dem Werben Breits. Hermann Diem schrieb nochmals warnend an den OKR:
»Der Lutherische Rat ist und bleibt ein schismatisches Gebilde kirchenpolitischer Taktik, für den der Begriff ›lutherisch‹ höchstens eine rein landschaftlich zu verstehende Größe ist.«[75]
Diese kompakte Ablehnung durch die Württemberger hatte wohl zur Folge, daß die geplante »Lutherische Synode« nie zustande kam. Jedoch blieb es bei dem engen kirchenpolitischen Schulterschluß von Landesbischof Wurm mit dem »Lutherischen Rat«. Es blieb leider weiter bei einer deutlichen Distanz zur ›dahlemitischen‹ BK, zur 2. VL, zu den Bruderräten. Eine von OKR Pressel erstellte Denkschrift »Unsere Zugehörigkeit zur bekennenden Kirche« (zu beachten ist die Kleinschreibung!) markierte das Selbstverständnis der württembergischen Landeskirche als einer ›lutherischen‹. OKR Pressel betonte: Barmen ist kein kirchenbildendes Faktum.
Diese kirchenpolitische Haltung Wurms sollte im Jahr 1938 noch verhängnisvolle Folgen haben.
Gottesdienst am 20. März 1938: Wer denkt an Niemöller? Wer dankt für Groß-Deutschland?
Vom 7. Februar bis 2. März 1938 fand vor dem Sondergericht II beim Landgericht Berlin der Prozeß gegen Pastor Martin Niemöller statt. Er endete mit einem Urteil, das einem Freispruch gleichkam. Aber am 3. März wurde Niemöller unrechtmäßig von der Gestapo ins KZ Sachsenhausen verbracht. Am selben Tag gab die 2. VL der DEK eine Kanzelerklärung heraus:
»Was man gegen Niemöller unternimmt, geschieht, daß endlich die Stimme der Kirche in Deutschland zum Schweigen kommt und damit endlich der Widerstand gegen die Zerstörung und Auflösung der Kirche erlahmt. Wir wissen uns verpflichtet, daß wir nunmehr um so kühner in Gottes Namen sein Wort ohne Scheu reden.«
Am 11. März informierte Theodor Dipper die württembergische Bekenntnisgemeinschaft, die Pfarrer und Vertrauensleute der BK über das Schicksal Niemöllers, er bat um Verlesung der Kanzelerklärung und um Fürbitte für ihn im Gemeindegottesdienst. Dipper fügte hinzu: »Es ist unsere Pflicht, auch den verantwortlichen Männern in unserem Volk zu sagen, was sich uns in dieser Sache nahelegt.«[76]
Am 12. März 1938 marschierten deutsche Truppen in die Republik Österreich ein. Am 13. März wurde durch Reichsgesetz der Anschluß der Ostmark ans Deutsche Reich vollzogen. Am 14. März telegrafierte Marahrens:
»Den Führer und Reichskanzler grüßt die in Hannover versammelte Konferenz deutscher evangelischer Kirchenführer in Ehrerbietung und Dankbarkeit. Unter dem tiefsten Eindruck der weltgeschichtlichen Bedeutung dieser Tage erbittet sie für den Führer und das gesamte deutsche Volk den Segen des allmächtigen Gottes.«
Natürlich kein Wort zur »Sache Niemöller«! Am 16. März forderte der Stuttgarter OKR die Pfarrämter auf, den Gottesdienst am 20. März als national-religiöse Dankfeier zu gestalten:
»Es wird daher angeordnet, daß im Hauptgottesdienst des 20. März anstelle der Schriftlesung eine kurze Ansprache nach Art des früheren ›Auftritts‹ auf das Erleben der letzten Tage Bezug nimmt; hierfür wird beiliegender Entwurf angeboten… Wir freuen uns von Herzen, daß Gott es dem Führer des deutschen Volks geschenkt hat, seine Heimat zurückzugewinnen und mit dem Reich der Deutschen wieder zu vereinigen… Wir freuen uns, daß durch die Befreiungstat des Führers auch für unsere Glaubensgenossen in Österreich der Weg in die Deutsche Evangelische Kirche frei geworden ist… Liebe Gemeinde! Der Herr hat Großes getan am Deutschen Volk. Dafür laßt uns ihm danken und ihm die Ehre geben. Wir erheben uns und stimmen gemeinsam das Lied an: ›Nun danket alle Gott‹.«[77]
Lic. Ernst Fuchs, Pfarrer in Winzerhausen, schickte sofort ein Telegramm an den OKR in Stuttgart, Alter Postplatz: »PROTESTIERE GEGEN NEUE Offenbarung!« Die Sozietät kritisierte die OKR-Anordnung als »falsche Lehre« im Sinne von Barmen I:
»Zu der OKR-Ansprache für den 20. März fragen wir: 1. Hat die Kirche ein Recht, politisch günstige Ereignisse als solche als Gnadenerweise Gottes anzusehen und dafür in der Gemeinde zu danken, ohne Rücksicht auf die offenkundige Feindschaft der staatlichen Macht gegen die Freiheit der Verkündigung von Gottes Wort? 2. Es wurde verschwiegen, in welche Deutsche Evangelische Kirche ›für unsere Glaubensgenossen in Österreich der Weg frei geworden ist‹, ob in die Werners oder in die von Barmen… 4. Wie kann hier der Eindruck noch vermieden werden, als handle es sich bei dieser angeordneten Aktion um eine erneute und solenne Selbstrechtfertigung unserer nationalen Zuverlässigkeit gegenüber den politischen Stellen und der öffentlichen Meinung, mit der Erwartung, diese für die Belange der Kirche geneigter zu stimmen? … Zum Ganzen ist zu sagen, daß die vom OKR vorgelegte Erklärung in klarem Widerspruch zum ersten und grundlegenden Satz der Barmer Erklärung steht. Diese Erklärung ist normativ und regulativ für alles Reden der Kirche im Raum und zu den Ereignissen des heutigen Staates.«[78]
Der Landesbruderrat tadelte in seiner Sitzung am 21. März vehement den in die unselige Häresie des Deutsch-Christentums zurücksinkenden Landesbischof:
»Der LBR hat die seelsorgerliche Not zu bedenken, die durch solche oberkirchenrätlichen Äußerungen entstehen muß, die einen Rückfall in die Verirrungen von 1933 darstellen.«[79]
Am 20. März verlasen viele BK-Pfarrer nicht die national-religiös-häretische OKR-Ansprache, sie ließen nicht singen: »Nun danket alle Gott«, einige verlasen vielmehr die Kanzelerklärung der 2. VL zur Sache Niemöller. Prompt schleuderte die Stuttgarter Kirchenleitung nun auch gegen den württembergischen Landesbruderrat den Vorwurf, er wolle eine ›Nebenregierung‹ aufrichten. Pfarrer Dipper mußte die Stelle des Leiters des Gemeindedienstes aufgeben, er wurde als Pfarrverweser nach Neckartailfingen und dann als Gemeindepfarrer nach Reichenbach/Fils versetzt.[80]
Palmsonntag 10. April 1938 »Tag des Großdeutschen Reiches« und Volksabstimmung: In Württemberg sagen viele BK-Pfarrer und der katholische Bischof Sproll nein zu Hitler wegen Niemöller und der Bedrückung der Kirche
Auf katholischer Seite forderte die Mehrheit der Bischöfe um Kardinal Bertram, Breslau, Kardinal Schulte, Köln, Kardinal Faulhaber, München, und Kardinal Innitzer, Wien, ein freudiges Ja zum »Großdeutschen Reich« und zum »Führer«. Auf evangelischer Seite forderten die lutherischen Landesbischöfe, in einer Reihe mit den DC-Bischöfen und dem DC-Kirchenpräsidenten Dr. Werner, in einer »Kundgebung des Rates der Evangelisch-Lutherischen Kirche Deutschlands«: »Am kommenden Sonntag vereinen wir uns mit allen Deutschen, um unsere Treue zum neugeschaffenen Großdeutschen Reich und seinem Führer zu bekunden.«[81] Der Stuttgarter OKR ordnete besonderes Glockengeläut an.
Am 2. April protestierte Dipper, der Vorsitzende des LBR, beim OKR gegen das devote Wort des »Lutherischen Rates« und versandte ein Gebet der 2. VL:
»Lehre uns alle, daß wir allezeit unseres Landes Bestes suchen, daß wir unserem Volk alle Stunde im Gehorsam gegen Dich leben und jede von uns geforderte Entscheidung so treffen, daß wir heute und am Jüngsten Tage vor Dir bestehen können.«[82]
So stimmten am 10. April viele BK-Pfarrer mit Nein, manche BK-Gemeindemitglieder hatten den Mut zur Nein-Stimme »wegen Niemöller« selbst dort, wo offen abgestimmt werden mußte. Viele Pfarrer wie Hermann Diem unterließen das Glockengeläut; Ernst Fuchs beflaggte das Pfarrhaus nicht ordnungsgemäß und beteiligte sich nicht an der Wahl, die 21 Neinstimmen im Ort wurden ihm angelastet. Pfarrer Otto Mörike, Kirchheim/Teck, und seine Frau Gertrud begründeten das Nein in beigefügten Erklärungen:
»Deutschland bezeichnet sich als Rechtsstaat. Wie geht es damit zusammen, daß es immer noch Konzentrationslager gibt? Niemöller, der Vorkämpfer der Bekennenden Kirche, ist ins Konzentrationslager verfügt, damit zum klaren Volksschädling gestempelt. Das ist Rechtsbeugung und klares Unrecht. Die Inhaftierung von über 800 evangelischen Pfarrern im Jahre 1937 geschah meist ohne gerichtliche Handhabe.«
In der Nacht überfielen Polizei und SA das Pfarrhaus, Otto Mörike selbst wurde schwer mißhandelt und in »Schutzhaft« abgeführt.[83] [84]
Der katholische Bischof von Rottenburg, Johann Baptista Sproll, blieb vorsätzlich der Wahl fern; er scherte wie der Berliner Bischof Graf Preysing aus dem staatsloyalen Kurs der Kardinäle aus. SA und HJ randalierten tagelang in Rottenburg, bis in die Privatgemächer des Bischofs hinein. Auf Anweisung Hitlers vom 15. August 1938 wurde Bischof Sproll aus Rottenburg abtransportiert, der Verbannte mußte sich bis 1945 außerhalb seiner Diözese aufhalten.
Landesbischof Wurm beteiligt sich an der Pfarrereid-Kampagne. Fünfzig Sozietätspfarrer verweigern den Treueid auf Hitler^
Am 10. April 1938 schloß Landesbischof Wurm eine Denkschrift ab über »Möglichkeit und Notwendigkeit einer sofortigen Verständigung zwischen dem deutschen Staat und Evangelischer Kirche«.[85] In mehreren Gesprächen mit dem ›christentumsfreundlichen‹ Reichsstatthalter Murr in Stuttgart – unter Berufung auf Hermann Görings Wiener Rede vom 27. März 1938 – hoffte Wurm sein Friedensschlußkonzept mit dem ›prochristlichen‹ Nationalsozialismus durchzusetzen, gegen die ›christentumsfeindlichen‹ Parteileute wie Christian Mergentha- ler, württembergischer Ministerpräsident und Kultminister, Alfred Rosenberg oder Martin Bormann. Deshalb war Landesbischof Wurm auch an einem einigermaßen ordentlichen Verhältnis zum Reichskirchenminister Kerrl und seinem Helfershelfer Dr. Werner, Präsident des EOK in Berlin und in der Kirchenkanzlei der DEK, interessiert. Und in diesem Friedensschlußkonzept Wurms spielte die Vereidigung der evangelischen Pfarrer auf die Treue zum Führer und den Gehorsam gegen die Staatsgesetze eine zentrale Rolle.
Die DC-Landesbischöfe von Thüringen, Sachsen und Mecklenburg hatten schon im März im nationalen Jubelsturm mit der Treueid-Kampagne begonnen. Am 20. April 1938 erließ Werner für die Pfarrer der Evangelischen Kirche der Altpreußischen Union (APU) das Treueid-Gesetz. In der zugefügten Ansprache Werners hieß es:
»Dieser Treueid bedeutet innerste Verbundenheit mit dem Dritten Reich, der neuen Gemeinschaft des deutschen Volkes, in der die Evangelische Kirche leben will, und mit dem Manne, der diese Gemeinschaft geschaffen hat und verkörpert. Der Treueid bedeutet die persönliche Bindung an den Führer unter feierlicher Anrufung Gottes.«
Leider hatten sich die Bischöfe und Kirchenjuristen des »Lutherischen Rats« schon beim Treffen am 1. und 8. April verabredet, den Treueid auf Hitler »von sich aus« allen Pfarrern aufzuerlegen. So marschierten nun die Landesbischöfe Marahrens, Meiser und Wurm den DC-Bischöfen und DC-Präsidenten hinterdrein. Am 18. Mai 1938 erließ Landesbischof Meiser das Treueidgesetz für die bayerische Landeskirche, obwohl ihn Karl Steinbauer in herzandringenden Briefen gewarnt hatte. Am 20. Mai 1938 erließ Landesbischof Theophil Wurm das fürchterliche Gesetz über ein Gelöbnis an Eides Statt für alle Geistlichen und Beamten der württembergischen Landeskirche.[86]
Die Sozietät praktizierte in diesen Auseinandersetzungen um den Pfarrereid am eindrücklichsten das »Geradeauslaufen« in der Linie von Barmen, Dahlem und Bad Oeynhausen. Schon Ende April verfaßte Hermann Diem den weit herum verschickten »Hirtenbrief«:
»Liebe Brüder! Es ist Gefahr im Verzug: Unter dem Eindruck des österreichischen ›Wunders‹ droht der Kirche noch einmal dieselbe Katastrophe wie im Jahr 1933. Pfarrer und Gemeinden, und leider auch Kirchenleitungen, sind der Gefahr zum Teil schon erlegen… Wachsam und nüchtern haben wir vor allem in unserer Verkündigung zu sein, deren Glaubwürdigkeit wieder einmal in ganzem Umfang auf dem Spiel steht.«
Diem gab einige »Richtlinien« an, wie sie die 1. Barmer These aufzeigt.[87] Bei der Sitzung am 2. Mai 1938 erstellte die Sozietät ein theologisches Gutachten zur »Frage des Beamteneids in der Kirche«. Es ist ebenso klar und wahr, prägnant und praktisch, normativ und situativ wie der vorherige Brief an Zöllner. Die übergroße Hast wird beklagt, in der der »Lutherische Rat« die Pfarrervereidigung durchführen wolle ohne Rücksicht auf die Vergewaltigung vieler Pfarrergewissen, »und das um so mehr, als die Nichtbefolgung den Verlust des Amtes nach sich zieht«.
»Im Raum der Kirche herrscht das Evangelium, und darum darf hier nicht geschworen werden und kein Schwur verlangt werden.« Im Falle der Übernahme des staatlichen Beamteneides wäre »das Recht zur Ausübung des Predigtamtes nicht mehr gebunden allein an den Gehorsam gegen Gottes Wort, sondern an den Gehorsam gegen eine außerkirchliche Gewalt… Die Kirche liefert damit ihr Schlüsselamt in dieser Sache an den Staat aus, und das in einem Augenblick, in welchem in bezug auf den recht verstandenen Gehorsam gegen die Obrigkeit zwischen ihr und dem Staat alle Fragen offen sind… Aus all dem folgt, daß es uns in der Kirche verwehrt ist, und zwar durch Schrift und Bekenntnis verwehrt ist, den Körperschaftsbeamteneid zu fordern und zu leisten.«[88]
Am 9. Mai trug Hermann Diem Landesbischof Wurm persönlich die ›Barmer‹ Bedenken vor. Es kam zwar zu einer offenen und brüderlichen Aussprache, aber Wurm war durch biblischtheologische Argumente nicht zu beeindrucken. Er war vielmehr kirchenpolitisch eingebunden in den »Lutherischen Rat« und befangen in seinem Verständigungsprogramm mit dem ›prochristlichen‹ nationalsozialistischen Staat, zu dem nun einmal die Vereidigung als Kernelement gehörte. Am 11. Mai trug Wurm bei der Dekanskonferenz dieses Programm in zehn Punkten vor.[89] Am 14. Mai unterrichtete er den Reichsstatthalter Murr von der bevorstehenden Vereidigung. Am 20. Mai 1938 leistete Landesbischof Wurm die verhängnisvolle Unterschrift unter das Gesetz.
Die Kirchlich-theologische Sozietät in Württemberg tagte am 23. Mai. Auf dieser wohl bedeutendsten Sozietätstagung beschlossen sie, den geforderten Treueid auf Hitler zu verweigern und diese Verweigerung vor den Gemeinden öffentlich zu begründen. Hermann Diem verfaßte einen »Entwurf für eine Erklärung vor der Gemeinde«, wobei er die Argumente des theologischen Gutachtens vom 2. Mai verständlich in fünf Punkten zusammenfaßte, die jeweils mit einem Bibelwort eingeleitet wurden (Mt 5,34-37; 23,8; Joh 8,36; Gal 3,3f; 1Pt 2,13-17).[90]
Leider verlor der württembergische Landesbruderrat nach dem 20. Mai 1938 seine gerade Linie. Nach quälenden Auseinandersetzungen in den eigenen Reihen versandte die Bekenntnisgemeinschaft am 17. Juni 1938 ein von Pfarrer Wolfgang Metzger ausgearbeitetes Gutachten, das den Treueid der Pfarrer auf Hitler theologisch rechtfertigte.[91] Daraufhin beschlossen viele württembergische BK-Pfarrer, wenn auch schweren Herzens, das vom Oberkirchenrat und Landesbischof geforderte eidliche Gelöbnis auf Hitler zu leisten.[92]
Fünfzig Pfarrer der Sozietät hielten »die gerade Linie nach der Wahrheit des Evangeliums« (Gal 2,14) und verweigerten den Eid auf Hitler.[93] Wer und wie viele aus der Bekenntnisgemeinschaft sich vom Metzgergutachten nicht beeindrucken ließen, sondern von den Argumenten der Sozietätsgutachten überzeugt blieben und also nicht schworen, müßte in den einzelnen Dekanatsakten ermittelt werden.
In der zweiten Junihälfte begann die Durchführung der Vereidigung in den Räumen des Stuttgarter Oberkirchenrats. Der Landesbischof schwor vor dem Präsidenten des Oberkirchenrats, dann schwor dieser vor dem Bischof, dann die Oberkirchenräte und Prälaten und Beamten, dann die Dekane vor dem Bischof in Stuttgart (mindestens ein Dekan, nämlich Wilhelm Gümbel, verweigerte!). Dann schworen die Pfarrer vor den Dekanen an den einzelnen Dekanatsorten, immer in kirchlichen Räumen. Die Pfarrer der »Nationalkirchlichen Vereinigung Deutsche Christen« schworen extra in der Schloßkirche in Stuttgart.
Am 19. und 26. Juni 1938 verlasen die Pfarrer der Sozietät im Gottesdienst der Gemeinde eine Erklärung, warum sie den Eid auf Hitler verweigerten. Mein Vater Richard Widmann verlas einen persönlich verfaßten Text »Kanzelverkündigung in Plieningen am 19. Juni 1938«. In der vom Hermann Diem in Ebersbach am 26. Juni verlesenen Erklärung heißt es am Ende:
»Ich bitte die Gemeinde, meine Ablehnung als ein notwendiges Zeugnis für die Gültigkeit und Größe der Botschaft zu verstehen, in deren alleinigen Dienst ich durch das geistliche Amt gestellt bin. Was für Folgen das für meine Stellung zur Landeskirche haben wird, befehle ich Gott.«[94]
Paul Schempp schrieb im »Gemeindebrief« seinen Iptingern[95]:
»Zum Schluß möchte ich auch hier bekanntgeben, daß ich hinsichtlich der Eidesauflage, die der Oberkirchenrat neuerdings von sich aus, im Widerspruch zu seiner vor vier Jahren eingenommenen Haltung, dazu ohne daß eine ausdrückliche Forderung des Staates vorliegt, in völlig zweideutiger Weise unter Verleugnung des ganzen bisherigen Kampfes um das Bekenntnis und um die Freiheit des Wortes Gottes, den Pfarrern gemacht hat, selbstverständlich in meiner bisherigen Haltung verharre und das Amt der Predigt nicht durch Eid an politische Zielsetzungen oder Einschränkungen ausliefern werde. Daß ich meine Entlassung zu gewärtigen habe, dafür sind starke Anzeichen vorhanden, da ich der frivolen Willkür der Kirchenleitung mit Nachdruck entgegengetreten bin. Wenn auch in der evangelischen Kirche Jesuiten und Päpste Staat und Kirche an der Nase herumführen, um für sich Geld, Ehre und Macht zu sichern, mit der auf die Dummheit der Massen spekulierenden Parole, es gehe um die Erhaltung der Volkskirche, so ist es Zeit, mit diesem System der Lüge und Heuchelei zu brechen.«
Der »Fall Diem« und der »Fall Schempp«
Alle hätten gut daran getan, über den »Fall der den Hitler-Eid schwörenden Landeskirche« nachzudenken. Aber die Kirchenjuristen machten daraus im Handumdrehen einen »Fall Diem« und einen »Fall Schempp«. Am 28. Juni verbot der Oberkirchenrat in einem Erlaß Hermann Diem die Verlesung der »Erklärung vor der Gemeinde«, denn in ihr würden die schwurwilligen Amtsbrüder »in schwerster Weise diffamiert und ihr Treueversprechen durch einen Angriff auf seine Ehrlichkeit zu entwerten versucht«.[96] Am 30. Juni wurde ein Dienststrafverfahren gegen Diem »wegen der öffentlichen Verbreitung dieser Erklärung« eröffnet; Diem wurde beurlaubt. Doch die Gemeinde Ebersbach wehrte sich für ihren Pfarrer. Auf der Vollversammlung der Sozietät am 11. Juli 1938 wurde ein Beschluß gefaßt, der vom OKR verlangte, er solle mit allen Eidverweigerern in eine sachliche Auseinandersetzung eintreten.
»Wir bitten die Kirchenleitung dringend, eine Entscheidung darüber herbeizuführen, ob unser Nichtablegen des Gelöbnisses und die Begründung dafür einen Verstoß gegen unsere Amtspflichten darstellt. Für die Kirchl.-theol. Sozietät: i.V. Fausel.«[97]
Trotz der Gemeindeversammlung in Ebersbach am 16. Juli wurde Diem zwei Tage danach vorläufig seines Dienstes enthoben. Er amtete natürlich unverdrossen weiter, gestützt von seiner Gemeinde. Erst am 18. Oktober 1938 wurde nach einem Kollegialbeschluß des OKR das Verfahren eingestellt. Diem kam mit einer Verwarnung davon. Sein »Fall« verlief glimpflich.
Anders der »Fall Schempp«: Er wurde unerbittlich durchgezogen bis zur schmählichen Dienstentlassung des treuen Predigers des Evangeliums und Streiters für die Freiheit des Wortes Gottes. Ende Juli 1938, also direkt nach der Eidverweigerung Schempps, erstellte der OKR, in dem soeben alle geschworen hatten, eine Auflistung der »Dienstvergehen« Schempps seit 1928: wiederholt »grobe Ungebühr«, ein ungehöriger Bericht des Repetenten, der Brief an den Landesbischof vom 8. September 1936 mit »ungeheuerlichen Behauptungen und Mißdeutungen«, die »anstößigen Redewendungen« an die Rechnungsprüfer am 8. April 1938, der Text des Iptinger Gemeindebriefs vom 25. Juni 1938 zur Eidesverweigerung, schließlich der Brief an die Kasse des OKR wegen der Ordnungsstrafe von 200,- RM: »Ich bitte, den heuchlerischen Baalspfaffen und unfähigen Gewaltbonzen, die als gottlose Kirchenräuber entlarvt sind, auszurichten, daß Jesus gesagt hat: Mt. 23,25.« »Bei der fortschreitenden Verstockung dieser Lügenkurie wird freilich auch dieser Hinweis auf Schrift und Bekenntnis erfolglos sein, da sich diese feigen Giftschlangen noch nie auf eine inhaltliche Verantwortung vor Schrift und Bekenntnis eingelassen haben.«[98] Am 2. September 1938 wurde das förmliche Dienststrafverfahren eröffnet. Die Anklageschrift mit ihrer Zusammenstellung anstößiger Redewendungen wurde der ganzen Pfarrerschaft zur Kenntnis gebracht.
Im Brief an einen Amtsbruder[99] listete Schempp seine sieben Forderungen in dem Streit, »daß Christus der alleinige Herr der Kirche ist«, auf:
»1. Ehrlichkeit in Rede und Tun der Kirchenleitung. 2. Sorge für die Reinheit der Verkündigung. 3. Schluß mit der gottlosen Taufpraxis und Einführung kirchlicher Zucht. 4. Schluß mit der weltlichen Bürokratie und der oberkirchenrätlichen Willkür. 5. Verzicht auf die Lüge der Volkskirche, die faktisch bloß als Nichtkirche da ist. 6. Freiheit der Ordnung und Selbstverwaltung der Gemeinde. 7. Befreiung von den Rücksichten auf die Fesseln des Mammons und des formalen weltlichen Kirchenrechts.«
Vergeblich aber bat auch die Sozietät am 1. Oktober 1938 in einem Schreiben an den OKR, man möge sich endlich mit der von Schempp vertretenen Sache auseinandersetzen, denn alle seien hier »nach der geistlichen Substanz unserer Landeskirche gefragt«.[100] Wie man in Stuttgart alle Briefe Schempps seit dem 21. November 1934 ignoriert hatte, so fand auch jetzt die Bitte um theologische Erörterung der Sachfragen kein Gehör. Das formale Kirchenrecht des »kirchlichen Disziplinargerichts« nahm seinen unerbittlichen Verlauf.
Herbst 1938: Gebetsliturgie. Verrat der Bischöfe. Judenpogrom
Nach der Pfarrereidkatastrophe war die BK auf dem Tiefpunkt. Und Hitler wollte den Krieg. Am 12. September hielt er auf dem Nürnberger Reichsparteitag eine aggressive Rede. Er drohte der tschechischen Regierung in der Sudetenfrage. Der Krieg schien unmittelbar bevorzustehen. Da schrieb Karl Barth am 19. September einen Brief an Prof. Josef Hromádka in Prag: »Jeder tschechische Soldat, der dann kämpft und leidet, wird dies auch für uns – und ich sage es jetzt ohne Rückhalt – er wird es für die Kirche Jesu tun, die in dem Dunstkreis der Hitler und Mussolini nur entweder der Lächerlichkeit oder der Ausrottung verfallen kann.«[101]
Am 27. September gab die 2. VL (Müller/Dahlem, Böhm) eine von Hans Asmussen entworfene Gebetsliturgie heraus, nach der am Sonntag, dem 30. September, ein Buß- und Fürbittengottesdienst gehalten werden sollte. Der Text war das Zeugnis einer Gemeinde Jesu Christi, die in dem von der politischen Führung provozierten Krieg nur eine Geschichtskatastrophe mit Leid für unzählige Menschen erblicken konnte. Die Gebetsliturgie brauchte indes (jetzt) nicht gehalten zu werden, da das Münchener Abkommen vom 29./30. September die unmittelbare Kriegsgefahr noch einmal abwendete.
Am 27. Oktober 1938 druckte die SS-Zeitung »Das schwarze Korps« auf der ersten Seite den Text der Gebetsliturgie der BK ab und brandmarkte die Verfasser Fritz Müller/Dahlem, Al- bertz, Böhm und Forck als Landesverräter. Die NS-Presse veröffentlichte zugleich einige Sätze aus Barths Hromádka- Brief, mit großem Entrüstungsgeschrei über den »Deutschen-Feind« Barth, der endlich sein religiöses Mäntelchen habe fallen lassen.
Kirchenminister Kerrl nutzte die Gelegenheit, um die »Dahlemer« Bekennende Kirche, die 2. VL und die Bruderräte, vollends auszuschalten, ja auszumerzen. Den Armen half es auch nicht, daß sie sich in der Not von Karl Barth lossagten, »aus Barths Worten rede nicht mehr der Lehrer der Theologie, sondern der Politiker« (KJB 1933-1944, 259). Auf Weisung des Reichskirchenministers erhielten durch Dr. Werner, EOK Berlin, die Pfarrer Albertz, Böhm, Forck und Müller eine sofortige Gehaltssperre. Gegen sie wurde ein kirchliches Disziplinarverfahren mit dem Ziel der Amtsentlassung eingeleitet. Wie in Württemberg das kirchliche Disziplinarverfahren gegen Paul Schempp, so wurde durch das Konsistorium der Mark Brandenburg das kirchliche Disziplinarverfahren gegen Fritz Müller unerbittlich durchgezogen bis zum Urteil der Amtsentsetzung am 9. Februar 1939.
Am 29. Oktober 1938 geschah der Verrat der Bischöfe. Bei einem Gespräch in Berlin setzte Reichskirchenminister Kerrl die Landesbischöfe Marahrens, Meiser, Wurm und Kühlewein so unter Druck, daß sie eine Distanzierungserklärung von den bedrängten Brüdern der Bekennenden Kirche unterschrieben. In der deutschen Presse erschien unter der Überschrift »Einheitsfront gegen Volksschädlinge« folgende Erklärung der deutschen Kirchenregierung, verfaßt von Präsident Werner:
»Die Tage höchster außenpolitischer Spannung haben in der evangelischen Kirche gewisse religiös fanatisierte Kreise benutzt, um unter dem Vorwand von Bittgottesdiensten ihrer staatsfeindlichen Gesinnung Ausdruck zu geben und zu versuchen, die Geschlossenheit der deutschen Volksgemeinschaft zu stören. Die sogenannte Vorläufige Leitung der Deutschen Evangelischen Kirche, eine kirchen- und staatsrechtlich völlig illegale Organisation, hatte am 30. September eine Bittgottesdienstordnung für alle Kirchenregierungen und ›Bruderräte‹ empfohlen, die allerdings gegenstandslos wurde, weil an diesem Tag die Einigung von München bereits erfolgt war. In einmütiger Geschlossenheit haben sämtliche evangelischen Kirchenregierungen Deutschlands, von den Deutschen Christen bis zu den Landesbischöfen Marahrens, Meiser, Wurm und Kühlewein, dem Reichsminister mit ihrer Unterschrift versichert, daß sie ›das Rundschreiben aus religiösen und vaterländischen Gründen mißbilligen, die darin zum Ausdruck kommende Haltung aufs schärfste verurteilen und daß sie sich von den für diese Kundgebung verantwortlichen Persönlichkeiten trennen« Der Reichskirchenminister für die kirchlichen Angelegenheiten hat sofort unter Sperrung des gesamten Gehalts ein Disziplinarverfahren mit dem Ziel der Amtsentlassung gegen die Mitglieder der sogenannten Vorläufigen Leitung veranlaßt« (KJB 1933-1944, 260f).
Zehn Tage danach, am 9. November 1938, geschah die Reichspogromnacht.
Sozietät und Bekenntnisgemeinschaft in Württemberg: »Die Gebetsliturgie ist ein im Worte Gottes begründetes Zeugnis«
In Württemberg war am 24. Oktober bei der Vertrauensleutetagung der Bekenntnisgemeinschaft und bei der Neuwahl des Landesbruderrats der Gegensatz zwischen der Mehrheit der Schwurwilligen und der Sozietätsminderheit der Verweigerer wieder aufgebrochen, so daß Hermann Diem und Heinrich Fausel aus dem LBR ausschieden. Aber sofort im November erklärte sich die »Konferenz der Landesbruderräte« (Abkürzung »Kodlab«) »eins mit dem Zeugnis der Vorläufigen Leitung (Gebetsliturgie) und mit ihrer Liebe zum Volk«. Bestürzt über die Trennungserklärung der Bischöfe vom 29. Oktober, sandte eine Versammlung der Vertrauensleute der württembergischen Bekenntnisgemeinschaft am 7. November ein Telegramm an Landesbischof Wurm: »Die Vertrauensleute bitten einmütig, Gemeinschaft mit den Brüdern im Norden in vollem Umfang wiederherzustellen.« Sie faßten eine Entschließung:
»Wir können in dem Entwurf der VKL zu einem Gebetsgottesdienst nichts erblicken, was uns zu einer Scheidung berechtigen würde, sondern sehen darin ein im Worte Gottes begründetes Zeugnis. Wir müssen also unsererseits die Gemeinschaft mit diesen Brüdern festhalten… Wir bitten unseren Landesbischof herzlich und dringend, jene Erklärung zurückzunehmen. Th. Dipper.«[102]
Die Kirchlich-theologische Sozietät in Württemberg verfaßte auf der Sozietätstagung am 12. November 1938 eine vorzügliche theologische Stellungnahme zur Gebetsliturgie der BK.[103]Jetzt trug die Beschäftigung mit einer rechten Theologie des Gebets, mit der die Sozietät 1930 begonnen hatte, ihre Früchte.
»In der vorliegenden Gebetsordnung wird darin recht gebetet, daß die Besinnung, wie und wofür gebetet wird, ausschließlich im Blick auf den Herrn der Gemeinde und das Gebet für die Seinen geschieht: Es wird für alle Menschen gebetet, für die Christus gestorben ist… Daß die Gebetsordnung sich nicht durch die Rücksicht auf die nichtchristlichen Mithörer des Gebets der Gemeinde und ihre etwaigen Wünsche beeinflussen ließ, kann nicht beanstandet werden… Das Bekenntnis für die Sünden des Volkes durfte aus zwei Gründen nicht fehlen, weil die Gemeinde erstens ihren priesterlichen Dienst, den sie nach Gottes Auftrag an dem Volk hat, in dem sie lebt, verleugnet hätte und zweitens sich selbst von der Mitschuld an der Sünde des Volkes ausgeschlossen hätte.« »Als solche, die sich selbst oft genug solcher Verleugnung schuldig gemacht haben, bitten wir unsere Bischöfe, in die Gemeinschaft mit den angefochtenen Brüdern zurückzukehren und ihre Erklärung zurückzunehmen.«
Eine Solidaritätserklärung wurde verfaßt, von 63 Sozietätsmitgliedern unterschrieben und so dem Reichskirchenminister Kerrl übersandt:
»Die durch das DNB unter dem 10. November verbreitete Notiz über die Maßnahmen gegen die Vorläufige Leitung der Deutschen Evangelischen Kirche veranlaßt die unterzeichneten württembergischen Geistlichen, dem Herrn Reichskirchenminister Folgendes zu erklären: Wir können in dem beanstandeten Entwurf zu einem Gebetsgottesdienst nichts erblicken, was uns zu einer Aufhebung der Gemeinschaft mit den Verfassern veranlassen könnte, sondern sehen darin ein im Wort Gottes begründetes Zeugnis. Unseren Gemeinden haben wir im Sinne der beifolgenden Erklärung von unseren Stellungnahmen Kenntnis gegeben.«[104]
Die Predigt von Pfarrer Julius von Jan am 16. November 1938
Auf der Sozietätstagung am 12. November 1938, drei Tage nach dem Pogrom, muß auch besprochen worden sein, was Pfarrer und Gemeindeglieder zu den Unrechtstaten zu sagen hatten, was sie für die verfolgten Juden tun und wie sie vor den Gemeinden ein biblisch begründetes Zeugnis für Israel, für die Juden geben konnten.
Im Rückblick auf die Verfolgung und Ermordung der Juden hat die Sozietät in der Erklärung vom 9. April 1946 nur von der übergroßen Schuld gesprochen:
»Wir sind mutlos und tatenlos zurückgewichen, als die Glieder des Volkes Israel unter uns entehrt, beraubt, gepeinigt und getötet worden sind. Wir ließen den Ausschluß der Mitchristen, die nach dem Fleisch aus Israel stammten, von den Ämtern der Kirche, ja sogar die kirchliche Verweigerung der Taufe von Juden geschehen. Wir widersprachen nicht dem Verbot der Judenmission… Wir waren schwach im Glauben, träge in der Liebe und setzten nicht unsere Hoffnung allein auf die Gnade unseres allmächtigen Vaters… Wir bekennen unsere Schuld vor allen denen, die unschuldig leiden mußten. Wir bitten Gott um Jesu willen um Gnade und Vergebung für uns, für unsere Gemeinden.«[105]
Nur innerhalb der Klammer des Schuldbekenntnisses und der Vergebungsbitte kann berichtet werden, was positiv zu ermitteln ist. Wenige Tage später, am 16. November 1938, war der allgemeine deutsche Buß- und Bettag. Für diesen Tag war als Predigttext ausgegeben: »O Land, Land, Land, höre des Herrn Wort!« (Jer 22,29). Dipper schreibt als selbst Betroffener:
»Jeder Pfarrer war auf sich selbst gestellt und versuchte in seiner Weise, mit dieser Aufgabe fertig zu werden. Zweifellos wurde in nicht wenigen Gemeinden ein ernstes und mutiges Wort gesprochen. Pfarrer Julius von Jan – Oberlenningen aber, der Vertrauensmann der Bekenntnisgemeinschaft im Kirchheimer Dekanatsbezirk, sprach das hier notwendige Wort so unüberhörbar aus, daß noch heute jeder Pfarrer, der damals zu predigen hatte, gefragt ist, ob er seine Aufgabe recht erfüllt hat.«[106]
»O Land, liebes Heimatland, höre des Herrn Wort! Wo ist in Deutschland der Prophet, der in des Königs Haus geschickt wird, um des Herrn Wort zu sagen? Wo ist der Mann, der im Namen Gottes und der Gerechtigkeit ruft, wie Jeremia gerufen hat: Haltet Recht und Gerechtigkeit, errettet den Beraubten von des Frevlers Hand! Schindet nicht die Fremdlinge, Waisen und Witwen, und tut niemand Gewalt, und vergießt nicht unrecht Blut?
Gott hat uns solche Männer gesandt! Sie sind heute entweder im Konzentrationslager oder mundtot gemacht. Die aber, die in der Fürsten Häuser kommen, sind Lügenprediger … und können nur Heil und Sieg rufen, aber nicht des Herrn Wort verkündigen. Die Männer der Vorläufigen Kirchenleitung, von denen die Zeitungen in der letzten Woche berichteten, haben in einer Gottesdienstordnung das Gebot des Herrn klar ausgesprochen und sich wegen der erschreckenden Mißachtung der göttlichen Gebote durch unser Volk vor Gott gebeugt für Kirche und Volk. Jedermann weiß, wie sie dafür als Volksschädlinge angeprangert und außer Gehalt gesetzt worden sind – und schmerzlicherweise haben es unsere Bischöfe nicht als ihre Pflicht erkannt, sich auf die Seite derer zu stellen, die des Herrn Wort gesagt haben…
Dieses eine Verbrechen in Paris (hatte) bei uns in Deutschland so viele Verbrechen zur Folge… Die Leidenschaften sind entfesselt, die Gebote Gottes mißachtet, Gotteshäuser, die anderen heilig waren, sind ungestraft niedergebrannt worden, das Eigentum der Fremden geraubt oder zerstört, Männer, die unserem deutschen Volk treu gedient haben und ihre Pflicht gewissenhaft erfüllt haben, wurden ins KZ geworfen, bloß weil sie einer anderen Rasse angehören… So ist dies Bekennen der Schuld, von der man nicht sprechen zu dürfen glaubte, wenigstens für mich gewesen wie das Abwerfen einer großen Last. Gott Lob! Es ist herausgesprochen vor Gott und in Gottes Namen. Nun mag die Welt mit uns tun, was sie will…«
Am 25. November 1938 wurde Pfarrer Julius von Jan in Oberlenningen von SA und HJ brutal mißhandelt und dann inhaftiert. Ein Jahr später verurteilte ihn ein Stuttgarter Sondergericht wegen Vergehens gegen das Heimtückegesetz zu einem Jahr und vier Monaten Gefängnis.
Die Sozietät verteilt das Flugblatt »Das Heil kommt von den Juden« in den Gemeinden
Die Sozietät hatte guten Kontakt mit dem von Karl Barth, Paul Vogt, Gertrud Kurz und Wilhelm Vischer begründeten »Schweizerischen evangelischen Hilfswerk für die Bekennende Kirche in Deutschland«.[107] So erhielt die Sozietät aus der Schweiz das Schrifttum dieses Hilfswerks, vor allem Wilhelm Vischers »Memorandum zur Judenfrage« und Karl Barths Wipkinger Vortrag vom 5. Dezember 1938, in dem es hieß: »Wer ein prinzipieller Judenfeind ist, der gibt sich als prinzipieller Feind Jesu Christi zu erkennen. Antisemitismus ist Sünde wider den Heiligen Geist.«
Nun verteilten die Pfarrer der Sozietät und der Bekenntnisgemeinschaft die Schriften des Schweizerischen Hilfswerks in den Gemeinden, z.B. eine maschinenschriftliche Vervielfältigung von vier Seiten: Auszug aus einem ›Memorandum zur Judenfrage‹. Das Heil kommt von den Juden.“[108]
Die württembergische Gestapo bemerkte das wohl. Im »Geheimbericht des Sicherheitsdienstes Reichsführer-SS, Unterabschnitt Württemberg-Hohenzollern« für das 4. Vierteljahr 1938, erstattet am 1. Februar 1939, hieß es[109]:
»Die Vergeltungsmaßnahmen gegen die Juden wurden von konfessioneller Seite weitgehend abgelehnt. Beweggrund war auf evangelischer Seite menschliche Sympathie für das Judentum und religiöse Verbundenheit mit dem Judentum, auf katholischer Seite die Überlegung und Befürchtung, gegen den Katholizismus könnte ebenso vorgegangen werden wie gegen das Judentum. – Evangelische Kirche. Obwohl sich die offiziellen Stellen und Personen der Landeskirchen jeder Stellungnahme zur Judenfrage und Judenaktion enthielten, wurden doch die Vergeltungsmaßnahmen von dem Großteil der Geistlichkeit wie auch der evangelischen Bevölkerung mit Begründungen wie ›Die Juden sind auch Menschen und ›Man darf doch keine Gotteshäuser anzünden, das ist doch Gotteslästerung‹ usw. abgelehnt.
Die kirchlich-theologische Sozietät, der extremste Flügel der BK, gab an seine Anhänger und die zuverlässigen Glieder der Gemeinden eine Vervielfältigung einer scharf und grenzenlos prosemitischen Schrift ›Das Heil kommt von den Juden‹ heraus, die von dem berüchtigten Theologen Prof. Karl Barth, Basel, verfaßt worden war.«
Die Sozietät rezipiert Wilhelm Vischers Theologie »Jesus ist der wahre Jude«
Bisher wurde zuwenig beachtet, daß in diesen Jahren der schwersten Judenverfolgung eine neue Israeltheologie aufbrach, und zwar bei Wilhelm Vischer, Pfarrer an St. Alban, Basel. Der erste Beleg dafür ist das Heft »Esther«, Theologische Existenz heute, Heft 48, 1937.[110] Die Thesen lauteten: Die Heilige Schrift ist ein Judenbuch. Jesus Christus ist der wahre Jude. Die Judenfrage ist eine Christenfrage.
Das war auch für Karl Barth etwas Neues. Barth hatte in seiner Kirchlichen Dogmatik 1/2, 1937 erschienen, die Menschwerdung des Sohnes Gottes (noch) nicht am Jude-Sein Jesu festgemacht, sondern an der Jungfrauengeburt. Nun wandte sich Barth im Wipkinger Vortrag am 5. Dezember 1938 der »Judäo-Christologie« Vischers zu und konnte in Kirchliche Dogmatik II/1, 1940 erschienen, schreiben: »An der Wahrheit des Satzes, daß Gott Einer ist, wird das Dritte Reich Adolf Hitlers zuschanden werden« (500).
Die Sozietät lud Wilhelm Vischer zu ihrer Tagung am 12. Februar 1939 nach Stuttgart ein, um sich von ihm seine neue Israeltheologie erläutern zu lassen.[111] Von den Lutherkennern war das Thema »Juden« bisher ›rein‹ theologisch-christologisch und Luther-defensiv behandelt worden.[112] Luther sollte der Inanspruchnahme durch die Antisemiten entzogen werden; alle Aussagen der Bibel und der Reformatoren hinsichtlich der Juden sollten durch eine strikte Einordnung in die christozentrische Verkündigung der Kirche ›verteidigt‹ werden. In der gegenwärtigen Situation genügte das nicht mehr. Denn die leiblich in Deutschland lebenden und verfolgten Juden mußten ›verteidigt‹ werden! Dieser humanen Solidarität mit den Juden diente die »judäozentrische« Christologie Wilhelm Vischers. Vom 10. bis 12. Dezember 1938 war in Berlin-Steglitz ein Kirchentag der Bekennenden Kirche unter Vorsitz von Kurt Scharf zusammengetreten. Dieser Kirchentag fand wenigstens ein Wort der Solidarität mit den Judenchristen. Ein Sozietätsrundschreiben würdigte diesen Kirchentag als einen Neuanfang der im Jahr 1938 arg zerzausten BK. »Trotz der schweren Konflikte ist es gelungen, die BK auf diesem Kirchentag wieder zu verbindlichem Handeln zu sammeln. Wir bitten, daß der Wiederanfang, der der BK mit diesem Kirchentag gesetzt ist, sich vollenden darf.«
Kirchenminister Kerrl fordert Disziplinarverfahren unter Amtsenthebung gegen die 67 Pfarrer der Sozietät
Am 13. Januar 1939 richtete Kirchenminister Kerrl ein Schreiben an den Stuttgarter Oberkirchenrat:
»In der Anlage übersende ich beglaubigte Abschrift eines Schreibens dortiger Geistlicher, mit dem diese sich hinter die bekannte Gottesdienstordnung der sogenannten Vorläufigen Kirchenleitung‹ stellen, mit dem Ersuchen, gegen die Betreffenden sofort unter Amtsenthebung die Einleitung eines Disziplinarverfahrens und die Sperrung des Gehalts zu veranlassen, soweit sie nach dortigem Kirchenrecht möglich ist. Die Verpflichtung, sich von diesen Personen zu trennen, hat auch Herr Landesbischof Wurm in der bekannten Erklärung vom 29. Oktober vorigen Jahres anerkannt. Aus dieser Unterschrift sind die Folgerungen zu ziehen. Ich erwarte alsbald Vollzugsmeldung… Kerrl.«[113]
Der OKR antwortete dem Minister hinhaltend. Anfang Februar 1939 begann der OKR, 66 Mitglieder der Sozietät einzeln vorzuladen, gegen den 67., Paul Schempp, lief ja bereits ein Disziplinarverfahren. Die 66 wurden vom Justitiar des OKR, Kirchenrat Dr. Weeber, nacheinander vernommen.
Weil die Sozietät den Eindruck hatte, der OKR wolle von einigen die Zurücknahme ihrer Unterschrift erreichen, schickten am 6. Februar 1939 34 Pfarrer und Vikare der Sozietät dem OKR eine Protesterklärung:
»Auch mit dieser Erklärung bezeugen wir dem OKR, daß wir in keiner Weise gewillt sind, von dem Recht und der Pflicht der Kirche, das Gesetz im Evangelium aller Welt zu bezeugen und sie damit zur Buße zu rufen, zu weichen. Wir richten an den OKR die Frage, ob er gewillt ist, durch seine Mithilfe an einem gegen die Unterzeichner gerichteten Disziplinarverfahren die Möglichkeit solcher Verkündigung des Evangeliums und des Gesetzes vor aller Welt zu unterbinden und die Predigt evangelischer Buße in der Kirche zu verhindern… Vielmehr ist der OKR selbst gefragt, auf wessen Seite er stehen will, ob auf Seiten der Kirche oder ihrer Bedränger.«[114]
Diesen letzten Satz empfand nun wieder der Oberkirchenrat als »grobe Ungebühr«, und Kirchenrat Dr. Weeber verlangte in Einzelverhören seine Rücknahme.«[115]
Unbequeme Vikare und Repetenten werden diszipliniert
Damals wurde drei Vikaren, die zur Sozietät gehörten, die Zulassung zur 2. Theologischen Dienstprüfung verwehrt. Der OKR nannte als Begründung, man sei nicht gewillt, »Elemente in der Landeskirche anzustellen, die in ihrem Benehmen gegen den OKR die für das Amt des landeskirchlichen Pfarrers erforderliche Reife vermissen lassen und keine Gewähr dafür bieten, daß sie sich nachher in die landeskirchliche Ordnung einfügen werden.«[116]
Am 5. April 1939, mitten in der Karwoche, teilte ein OKR-Erlaß den Tübinger Stiftsrepetenten Werner Rau und Manfred Mezger, beide Mitglieder der Sozietät und Unterzeichner der Erklärung vom 12. November 1938 an Minister Kerrl, mit, sie seien mit sofortiger Wirkung wegversetzt. Das geschah auf Antrag des Stifts-Ephorus Prof. Karl Fezer, der dem OKR erklärte, diese beiden Unbequemen bildeten »mit ihrer Barthischen politischen Theologie das Ferment der Dekomposition im Stift«. Manfred Mezger konnte zwar für sich die Rücknahme des Erlasses erreichen, Werner Rau jedoch wurde strafversetzt.[117]
Die Sozietät beklagte alle diese Disziplinierungen als fatale Folgen der bischöflichen Distanzierungserklärung vom 29. Oktober 1939. Im Brief an den OKR vom 13. März 1939 gab die Sozietät den peinlichen Hinweis auf Konkordanz mit den Schandurteilen der Reichskirche:
»Wir dürfen darauf hinweisen, daß bei der inzwischen erfolgten Dienstentlassung von Bruder Müller (Fritz Müller, Dahlem, 2. VL der BK) durch das Disziplinargericht der Anklagevertreter sich ausdrücklich auf die Erklärung der Bischöfe bezog.«[118]
Die Dienstentlassung von Pfarrer Paul Schempp am 29. März 1939. Die Sozietät: Das Urteil des Disziplinargerichts gegen Paul Schempp kann in der Kirche Christi nicht rechtens sein.
Die inständigen Bitten der Sozietät und des Landesbruderrats und von Paul Schempp selber, der OKR möge endlich auf ein Gespräch um die entscheidenden Sachfragen hinsichtlich der Geltung der Herrschaft Jesu Christi in der empirischen Kirche eintreten, lehnte das Stuttgarter Evangelisch-Kirchliche Disziplinargericht ab. Der Anklagevertreter, Kirchenrat Dr. Weeber, stellte ungerührt den Antrag auf Dienstentlassung, mit der Begründung, daß Schempp »sich nicht in die landeskirchliche Ordnung einfüge«. In diesem Sinne entschied am 29. März 1939 auch das Disziplinargericht. Allen Pfarrern wurde am 21. April das Urteil samt Urteilsbegründung mitgeteilt. Der zentrale Satz darin lautete: »Ohne bestimmte Ordnungen kann eine Landeskirche nicht bestehen.«[119]
Am 30. April 1939 fand in Iptingen eine Gemeindeversammlung statt. Alle Gemeindeglieder wurden gefragt, ob sie Schempp weiterhin als ihren Pfarrer behalten wollten. Von 334 Gemeindegliedem stimmten 324 mit Ja:
»Pfarrer Schempp hat bisher sein Pfarramt im Einklang mit dem Glaubensbekenntnis der Evang. Kirche pflichtgemäß und zum Wohle der Kirchengemeinde verwaltet und wird von der Kirchengemeinde beauftragt, seine Tätigkeit hier ohne Rücksicht auf seine landeskirchliche Entlassung so lange fortzusetzen, als er nicht durch Gewalt daran gehindert wird.«
Am 5. Mai 1939 fand eine zweite Gemeindeversammlung in Iptingen zusammen mit der ganzen Sozietät statt. Zu der großen Gemeinde sprachen Pfarrer Diem, Pfarrer Richard Gölz, Dekan Wilhelm Gümbel und Kaufmann Harald Buchrucker. Die »Iptinger Erklärung« wurde beschlossen, von 45 Pfarrern der Sozietät unterschrieben und dem OKR mitgeteilt:
»I. Kor. 12,26-27. Als berufene Diener des Evangeliums in der Evangelischen Landeskirche Württembergs bezeugen wir unserem Amtsbruder, Pfarrer Paul Schempp, und seiner Gemeinde in Iptingen, daß das vom Disziplinargericht am 21.4.1939 über ihn gefällte Urteil der Dienstentlassung in der Kirche Christi nicht rechtens sein kann und dem Urteil deshalb nicht zu gehorchen ist… Das Urteil ist überhaupt nicht in Ausübung des Schlüsselamtes der Kirche und darum im Namen unseres Herrn Jesu Christi gefällt worden, sondern im Namen einer angeblich verletzten Ordnung, ohne daß dabei der Frage standgehalten wurde, was in der Kirche Christi geistlich Recht und Ordnung ist… Nachdem Pfarrer Schempp außer Gehalt gesetzt worden ist, müssen wir uns auch verpflichten, mit der Gemeinde Iptingen zusammen auch die Sorge für den Lebensunterhalt von Pfarrer Schempp zu übernehmen.«[120]
So führte Paul Schempp in der Gemeinde Iptingen den Pfarrdienst weiter. In einem bestimmten Sinne war er ein ›Illegaler‹ geworden, jedenfalls unabhängig vom Apparat der landeskirchlichen Behörden. Die evangelische Gemeinde Iptingen und ihr Pfarrer waren ›reichsunmittelbar‹ geworden.[121]
Anfang Juli 1939 erstattete der Sicherheitsdienst der Reichsführung SS, Unterabschnitt Württemberg-Hohenzollern, den Lagebericht für das zweite Vierteljahr 1939:
»Innerhalb der Bekennenden Kirche Württembergs ist es zu einem offenen Streit zwischen der Kirchlich-theologischen Sozietät einerseits, die als unbedingte Vertreterin der Ideen des Hochverräters Professor Karl Barth eine Richtung der Bekenntnisfront darstellt, und dem Oberkirchenrat andererseits gekommen, da die Sozietät die Haltung des Landesbischofs nicht bekennend genug findet. Trotz stärkster Vermittlungsversuche scheiterte die Beilegung des Streites an der sturen Haltung der Sozietät, die dem Nationalsozialismus keine Zugeständnisse machen will.«[122]
Die Godesberger Erklärung: Für ein antijüdisches Nazi-Christentum
Am 25. März 1939 verabschiedete eine Versammlung evangelischer Kirchenleute, Vertreter der breiten volkskirchlichen Mitte und der nationalkirchlichen »Deutschen Christen«, die sog. Godesberger Erklärung.[123] In der »Neuordnungspolitik« des NS-Kirchenministers Kerrl, die ein Versuch war, alle Gruppen und Kirchenführer von den DC über die ›Mitte‹ bis zu den lutherischen Bischöfen in einer Reichskirche, einer »Deutschkirche« unter dem Dach einer einheitlichen konsistorialen Verwaltung zu vereinigen, sollte die Godesberger Erklärung sozusagen die »religiöse Basis‹ sein. ›Godesberg‹ sollte das ›Anti-Barmen‹ werden. Kerrls Helfershelfer, der überzeugte Nationalsozialist Dr. Werner, Präsident der Kirchenkanzlei der DEK, druckte die Godesberger Erklärung bereits am 4. April 1939 im Gesetzblatt der DEK ab.
Die wichtigsten Godesberger ›Sätze‹ waren der 1. und der 3.:
»1. Mit allen Kräften des Glaubens und des tätigen Lebens dienen wir dem Manne, der unser Volk aus Knechtschaft und Not zu Freiheit und herrlicher Größe geführt hat. Wir bekämpfen unerbittlich alle Elemente, die politische Feindschaft religiös tarnen…
3. Indem der Nationalsozialismus jeden politischen Machtanspruch der Kirche bekämpft und die dem deutschen Volke artgemäße nationalsozialistische Weltanschauung für alle verbindlich macht, führt er das Werk Martin Luthers fort und verhilft uns wieder zu einem wahren Verständnis des christlichen Glaubens…
Der christliche Glaube ist der unüberbrückbare religiöse Gegensatz zum Judentum.
Überstaatliches und internationales Kirchentum römisch-katholischer oder weltprotestantischer Prägung ist politische Entartung des Christentums. Echter christlicher Glaube entfaltet sich nur innerhalb der gegebenen Schöpfungsordnungen.«
Kirchenminister Kerrl ließ in der Kirchenkanzlei der DEK den Text umarbeiten zu fünf »Grundsätzen« (Godesberger Variata vom 25. Mai 1939). Im 1. und 3. Grundsatz hieß es:[124]
»1. Die nationalsozialistische Weltanschauung ist die völkisch-politische Lehre, die den deutschen Menschen bestimmt und gestaltet. Sie ist als solche auch für den christlichen Deutschen verbindlich…
3. Die nationalsozialistische Weltanschauung bekämpft mit aller Unerbittlichkeit den politischen und geistigen Einfluß der jüdischen Rasse auf unser völkisches Leben. Im Gehorsam gegen die göttliche Schöpfungsordnung bejaht die Evangelische Kirche diese Verantwortung für die Reinerhaltung unseres Volkstums. Darüber hinaus gibt es im Bereich des Glaubens keinen schärferen Gegensatz als den zwischen der Botschaft Jesu Christi und der Religion der Gesetzlichkeit und der politischen Messiashoffnung.«
Die Konferenz der Landeskirchenführer beriet am 26. und 31. Mai die Godesberger »Grundsätze«. Sie konnte sich zur Annahme nicht entschließen. Die Bischöfe änderten die »Grundsätze« ab, formulierten sie mildernd um und faßten ihre »Stellungnahme« zu den Godesberger Kerrl-Werner-Grundsätzen wieder in fünf Sätze (»Kirchenführer-Variata«), die aber immer noch ungeheuerliche Formulierungen enthielten[125]:
»1. Die Evangelische Kirche hat von Luther gelernt, die Bereiche der Vernunft und des Glaubens, der Politik und der Religion, des Staates und der Kirche klar zu unterscheiden. Die Evangelische Kirche ehrt im Staate eine von Gott gesetzte Ordnung, fordert von ihren Gliedern treuen Dienst in dieser Ordnung und weist sie an, sich in das völkisch-politische Aufbauwerk des Führers mit voller Hingabe einzufügen…
3. Im Bereich des Glaubens besteht der scharfe Gegensatz zwischen der Botschaft Jesu Christi und seiner Apostel und der jüdischen Religion der Gesetzlichkeit und der politischen Messiashoffnung, die auch schon im Alten Testament mit allem Nachdruck bekämpft ist. Im Bereich des völkischen Lebens ist eine ernste und verantwortungsvolle Rassenpolitik zur Reinerhaltung unseres Volkstums erforderlich.«
Landesbischof Wurm befreit sich mit knapper Not aus der Umklammerung durch den Reichskirchenminister
Zum Glück (für Wurm!) lehnte Minister Kerrl diese abgeänderten »Grundsätze« der »Kirchenführer-Variata« ab. Er forderte eine schleunige Unterschrift unter ›seine‹ Godesberger Grundsätze. Nun ging Marahrens in die Knie und unterzeichnete am 27. Juni 1939. Aber die Bischöfe Wurm und Meiser zeigten Rückgrat und lehnten die Unterschrift ab. Sie entzogen sich damit endlich der sog. Neuordnungspolitik des Ministers. Sie befreiten sich aus der Umklammerung und Selbstfesselung, in die sie sich mit ihrer Unterschrift am 29. Oktober 1938 begeben hatten.
Gleichzeitig mit der Distanzierung zu Minister Kerrl und zu Präsident Werner suchte Bischof Wurm eine neue Verbindung mit den Bruderräten, mit der Bekennenden Kirche. Am 11. September 1940 erklärten Wurm und Meiser dem Reichskirchenminister persönlich, daß sie sich an die Erklärung vom 29. November 1938 nicht mehr gebunden fühlten und die Beziehung zu den Mitgliedern der Bekennenden Kirche, zur 2. VL und zur Konferenz der Landesbruderräte (Kodlab) wieder aufnähmen.[126]
Das theologische Gespräch mit der Sozietät beim OKR am 20. Juli 1939
So kam es noch vor Beginn des Zweiten Weltkriegs zu einer wesentlichen Entspannung im Verhältnis von Kirchenleitung und Sozietät. Das so oft geforderte Gespräch über die entscheidende Sachfrage: Wie geschieht das, daß Jesus Christus der alleinige Herr in dieser empirischen Kirche ist und bleibt? sollte doch stattfinden.
Landesbischof Wurm selber lud ein auf den 20. Juli 1939[127](das war zwei Tage nach dem Tod von Pfarrer Paul Schneider, Dickenschied, im KZ Buchenwald). Das Gespräch im Sitzungssaal des Oberkirchenrats, Stuttgart, Alter Postplatz, ging von morgens 10 Uhr bis abends 8 Uhr. Die Leitung hatte Bischof Wurm selber. Teilnehmer waren von Seiten des Oberkirchenrats: Prälat Schlatter, OKR Schaal, OKR Pressel, KR Haug, KR Eichele. Von Seiten der Sozietät nahmen teil: Hermann Diem, Dr. Harald Diem, Richard Gölz, Wilhelm Gohl, Heinrich Fausel. Als Vertreter der Tübinger Fakultät war Prof. Adolf Köberle anwesend, als Vertreter der Bekenntnisgemeinschaft Dekan Herrmann, Calw.
Dem Gespräch wurde zugrunde gelegt ein Thesenpapier, das Paul Schempp, Hermann Diem und Harald Buchrucker erstellt hatten[128]:
»1. Auszugehen ist von der durch die Reformation in der Hlg. Schrift wiederentdeckten Glaubenserkenntnis, daß Christus der alleinige Herr der Kirche ist. 2. Die Forderung der Alleinherrschaft Christi darf nicht auf die ›wahre‹ Kirche beschränkt werden. Es geht darum, daß er der alleinige Herr in der sichtbaren, empirischen Kirche, also in der Württembergischen Landeskirche bleibt. 3. Christus herrscht in der Einzelgemeinde ebenso wie in der Gesamtheit der Landeskirche.«
Es kam ein brüderliches und kontroverses Gespräch zustande. Die von Fall zu Fall schwankende Kirchenpolitik der ›intakten‹ Landeskirche seit November 1934 wurde verhandelt. Auch die Frage nach der eventuell gebotenen prophetischen, d.h. politischen Predigt und die Frage, ob die Kirche bzw. Christengemeinde über »rein kirchlichen Protest« hinaus auch »politischen Widerstand« (gegen den NS-Staat) üben dürfe und müsse, wurde nicht ausgeklammert. In keinem Punkt kam es zu einer schnellen Einigung. Darum sollte das Gespräch im September intensiv fortgeführt werden. Doch der Krieg zerstörte alle weiteren Planungen.
Die Geschichte der Sozietät in den Kriegsjahren 1940-1944
Anfangs waren fast alle eingezogen. Die Ableistung des soldatischen Eids wurde von keinem verweigert. Einige wurden auf Antrag der Landeskirche »uk« (unabkömmlich) gestellt. So konnte z.B. Hermann Diem von Frühjahr 1940 bis Herbst 1943 in Ebersbach weiter als Pfarrer tätig sein. Die Frauen der Sozietät und die Pfarrfrauen übernahmen viele pastorale Dienste in den Gemeinden. Wichtige Kommunikationszentren waren die Pfarrhäuser Eugen und Johanna Stöffler, Köngen, Hermann und Annelise Diem, Ebersbach, Richard und Hilde Gölz, Wankheim bei Tübingen, Kurt und Elisabeth Müller, Reformierte Gemeinde Stuttgart, Gotthilf Weber in Schwenningen und Frau Vikarin Dr. Margarete Hoffer, ebenfalls in Schwenningen. Diese – und viele andere – Häuser waren dann seit 1942/43 Anlaufstelle und Versteck für verfolgte Juden, die untertauchen konnten.[129]
Die monatlichen Sozietätstagungen wurden in kleinerem Kreis fortgeführt, möglichst immer mit einer Predigtbesprechung. Bei den Tagungen am 16. Januar und 26. Februar 1940 referierte Gotthilf Weber über Karl Barths (verbotene) Schrift »Rechtfertigung und Recht«.
Die Sozietät stand weiter treu zur 2. VL der DEK und zur ›illegalen‹ BK. Hermann Diem hielt durch Reisen und Schreiben die Verbindungen aufrecht. Er verfaßte für die Bekennende Kirche wichtige Gutachten zur Ordination von Theologinnen.[130] Er unterstützte die ›Illegalen‹. Für Gemeindeglieder und Amtsbrüder verfaßte er das Referat »Über das Problem des lebensunwerten Lebens«. Für den sog. Lemppschen Kreis in München schrieb er ein Wort zur »Judenfrage«.[131] Von Seiten der 2. VL, des Reichsbruderrats und des preußischen Bruderrats hielten Kurt Scharf, Wilhelm Rott, Helmut Gollwitzer, Oskar Hammelsbeck und Hans Böhm bei Besuchen in Stuttgart und Württemberg die Verbindung aufrecht.
Die Sozietät lehnte das sog. Einigungswerk Wurms ab, und zwar mit der Begründung, diesem Vorhaben liege ein »platonisierender Kirchenbegriff« zugrunde.[132] Die verbindlichen Grundentscheidungen der Bekenntnissynoden von Barmen und Dahlem waren ja in dem 13-Punkte-Papier nicht einmal erwähnt! Hermann Diem bedauerte die ›Kriegsmüdigkeit‹, die sich in der auf der Linie von Barmen und Dahlem arbeitenden Bekennenden Kirche breitmachte.
Ein neuer Streitpunkt mit dem Oberkirchenrat ergab sich seit April 1941 durch die Einführung eines Neuen Konfirmandenbuchs (Entwurf Wolfgang Metzger), das an die Stelle des alten württembergischen Konfirmandenbüchleins treten sollte. Die Sozietät lehnte das neue Buch, das sie pädagogisch und didaktisch für unbrauchbar und theologisch für öde hielt, ab.[133] Die Pfarrer der Sozietät, und nicht nur sie, hielten Konfirmandenunterricht weiter nach dem alten Büchlein. Ernst Fuchs legte auf Sozietätstagungen am 3. November 1941 und 10. Februar 1942 originelle Vorschläge für den biblischen Unterricht vor. Erst nach dem Krieg konnte Paul Schempp seinen Entwurf eines Katechismus für Bekennende Gemeinden »Christenlehre in Frage und Antwort« (1946) vorlegen.[134]
Grundfalsch ist freilich die Meinung, als hätte die Sozietät in allen Punkten im Gegensatz zum Landesbischof und zum OKR gestanden und die Pfarrer der Sozietät seien im Kreise der Amtsbrüder isoliert gewesen. Im kirchlichen Widerstand gegen das Euthanasieprogramm 1940/41 standen die Pfarrer, Gemeindeglieder, die Leiter der Anstalten und der Bischof zusammen. Der kirchliche Widerstand gegen den von Kultusminister Mergenthaler favorisierten Weltanschauungsunterricht, der Aufbau einer eigenen kirchlichen Unterweisung, die Seelsorge an den Soldaten, die intensive Jugendarbeit und der Aufbau von »Gemeindejugend«, überhaupt die mühselige Gemeindearbeit bei den vielfältigen Schikanen der Parteistellen – alles wurde von den Pfarrern und Vikarinnen und Mitgliedern der Sozietät entschieden mitgetragen. Das wenige, was in Württemberg für die verfolgten Juden getan werden konnte, geschah gemeinsam, von den Pfarrern, Pfarrfrauen, Vikarinnen – sei’s aus der Sozietät, sei’s aus der Bekenntnisgemeinschaft von Gemeindemitgliedern und von manchen, die den Kirchen fernstanden.
Die Kirchliche Arbeit Alpirsbach und die Gesellschaft für evangelische Theologie
Eine erstaunliche Aktivität entfaltete Pfarrer Richard Gölz, Wankheim, der spiritus rector der Kirchlichen Arbeit Alpirsbach, während der Kriegsjahre.[135] Jedes Jahr wurden sechs sogen. Alpirsbacher Wochen abgehalten. Viele Mitglieder der Sozietät und viele von der ›dahlemitischen‹ Bekennenden Kirche wie Ernst Wolf und Götz Harbsmeier machten in »Alpirsbach« mit. In diesen Jahren liefen die Alpirsbacher Wochen den Sozietätstagungen fast den Rang ab. Richard Gölz startete sogar zwei neue theologische Arbeitsgemeinschaften: die Bibeltext-Konferenz, an der u.a. Rudolf-Alexander Schröder und Dr. Friedrich Buchholz teilnahmen, und einen Ökumenischen Gesprächskreis mit katholischen Theologen im Tübinger katholischen Wilhelmsstift, u.a. mit Domkapitular Wilhelm Weitmann.
Ernst Wolf gründete (mit anderen) am 7. Februar 1940 die »Gesellschaft für evangelische Theologie«. In Württemberg war die Sozietät insgesamt Mitglied in der Gesellschaft. Die dreifache Mitgliedschaft in der Sozietät, in der Kirchlichen Arbeit Alpirsbach und in der Gesellschaft für evangelische Theologie wurde zur Regel. So wurden die ersten süddeutschen Gesamttagungen der Gesellschaft in Alpirsbach abgehalten, und zwar, während das gregorianische Singen der Stundengebete weiterging. Die erste Tagung fand vom 11. bis 14. Oktober 1940 mit Vorträgen von Rudolf Bultmann und Ernst Wolf statt. Die berühmte zweite Tagung war vom 4. bis 6. Juni 1941. Rudolf Bultmann hielt zwei Vorträge: »Neues Testament und Mythologie« und »Theologie als Wissenschaft«, der Philosoph und Platonforscher Gerhard Krüger sprach über »Menschliches Denken und christlicher Glaube«, Constantin von Dietze, Freiburg, sprach über »Nationalökonomie und Theologie«.[136] Im Pfarrhaus von Hermann Diem in Ebersbach fand dann vom 5. bis 7. August 1941 ein dreitägiges exegetisches Seminar mit Bultmann über den 1. Johannesbrief statt.[137]Im Briefwechsel zwischen Sozietätsmitgliedern kam es im Anschluß daran zu einer ersten ›Bultmann-Debatte‹.
Der Iptinger Streit um die Kirche Jesu Christi (bis 29. November 1943)
Im Jahr 1942 brach der Streit um die ›reichsunmittelbare‹ evangelische Gemeinde Iptingen und ihren Pfarrer Paul Schempp von neuem aus. Alle waren beteiligt, die Sozietät, die 2. VL der BK (Albertz, Böhm, Asmussen), die württembergische Bekenntnisgemeinschaft, Landesbischof Wurm, der Oberkirchenrat und die Kirchenjuristen der Landeskirche. Auf dem winzigen Raum einer dörflichen Kirchengemeinde wurde in größter Erbitterung der Bekenntniskampf um die Alleinherrschaft Jesu Christi mit dem landeskirchlichen Ordnungssystem ausgefochten.[138] Der betrübliche Ausgang war, daß Paul Schempp am 29. November 1943 sein Pfarramt in Iptingen aufgab.
Paul Schempps Schrift »Der Weg der Kirche« (29. Mai 1945). Eine Drucklegung wird zugunsten des Stuttgarter Worts des Rates der EKiD gestoppt
Die Sozietätsfreunde in und um Kirchheim/Teck waren sofort nach dem Tag der Befreiung und des Friedens aktiv. Am 10. Mai 1945 hielt Pfarrer Christian Berg einen Gemeindevortrag zum Thema »Der Weg der Kirche in der neuen Lage«. Darauf aufbauend schrieb Paul Schempp das Memorandum »Der Weg der Kirche«, abgeschlossen am 29. Mai 1945.[139] Hier kurz etwas zum Inhalt: Schempp fragt: Woher kommen wir? »Die Kirchen Deutschlands sind zuerst einmal hemmungslos auf den Nationalsozialismus hereingefallen.« Dann erwachte ein Teil der Kirche in der Bekennenden Kirche zur Erkenntnis ihres Wesens und ihrer Aufgabe. Aber »der Verrat kam von den ›intakten Landeskirchen‹. Die Bekennende Kirche ist durch die Schuld der Landeskirchenführer zur stummen Kirche geworden. Die alte religiöse Sitte repräsentieren, am laufenden Band Trost-, Hochzeits- und Gedächtnisreden halten, taufen und Bibelsprüche in die Häuser tragen, daneben Millionen von Nachweisen arischer Abstammung schreiben, die tausendfachen Verwaltungsgesetze gewissenhaft ausführen, das war die Aufgabe der Geistlichen, und es gab schließlich keinen Schrifttext, der nicht um seine Klarheit und Gefährlichkeit gebracht werden mußte, um nicht Unannehmlichkeiten zu riskieren, d.h. meist merkten schon die Prediger gar nicht mehr das offene Nein ihres Textes zum Totalitätsanspruch des ›Dritten Reichst« Scharf kritisierte Schempp den »Unfug der Selbstrechtfertigung«, den er in den ersten Kundgebungen von Bischof Wurm bemerkte.
Die Schrift wurde zu Richard Gölz gebracht, der eben aus dem KZ Welzheim ins französisch besetzte Wankheim heimgekehrt war. Als »Leiter der Kirchlichen Arbeit Alpirsbach« wollte Gölz, ohne Wissen und Willen Schempps, in einer Tübinger Druckerei den Text veröffentlichen:
»Paul Schempp ist für uns nicht (wie für die Leitung der evangelischen Kirche in Württemberg) ein im ›Ruhestand‹ befindlicher Geistlicher, sondern ein in der Vollmacht des Amtes redender und handelnder Prediger und Lehrer der Kirche… Die Freunde von der kirchlich-theologischen Sozietät in Württemberg und die ›Alpirsbacher‹ Mitarbeiter bitte und ermahne ich, daß wir uns nicht gleichfalls selbst zu rechtfertigen suchen, indem wir unser Verhalten vergleichen mit dem der Kirchengebilde, in deren Namen Männer wie Wurm und Asmussen gesprochen haben. Der Herr der Kirche wolle vielmehr geben, daß wir in der Solidarität der Schuld mit allen stehend und mit der ganzen Christenheit an die Vergebung der Schuld glaubend, ›ein Neues pflügen‹ und unbelastet durch das Vergangene in Treue den von der Kirche auf getragenen Dienst der Verkündigung und des Lobes Gottes ausrichten mittels der uns anvertrauten Gabe.«
Die Kirchenleitung war empört über diese neuerlichen ›böswilligen‹ Angriffe Schempps auf den Landesbischof. Man unterstellte Schempp sogar die Absicht, er wolle verhindern, daß der württembergische Landesbischof bei den Besatzungsmächten als Sprecher der evangelischen Kirche und als Anwalt des deutschen Volkes auftreten könne. Bischof Wurm schrieb an Pfarrer Eugen Stöffler, Köngen, den er für den derzeitigen Vorsitzenden der Sozietät hielt.
In einem Brief vom 14. August 1945 an den Landesbischof verteidigte Eugen Stöffler die Schemppsche Schrift als »Gewissensschärfung für uns alle« und als »uns alle treffenden Bußruf« und »letztlich befreienden Ruf unter die Gnade und den Trost Gottes«.
»Gewiß ist die Kritik an Ihren Kundgebungen scharf, und ich verstehe durchaus, daß sie Ihnen wehe getan haben mag. Aber muß sie deshalb auch schon ›böswillig‹ sein, wie Sie schreiben? Könnte sie nicht auch aus ganz ehrlicher – und nun freilich auch zorniger! – Trauer darüber kommen, daß Ihnen in dieser einzigartig wichtigen Stunde nicht auch ein ganz eindeutiges und von jedem falschen Nebenton freies evangelisch vollmächtiges Wort geschenkt wurde, das unser Volk ganz ernst zur Buße und dann aber auch – unter Warnung vor aller falschen Zuversicht – zu einem ganzen, auf Christus allein schauenden und in ihm getrosten Glauben ruft?« Und dann bat Stöffler den Bischof um einen vorurteilsfreien Neuanfang im Verhältnis Sozietät – Landeskirche: »Ist es nicht möglich, daß Sie uns glauben, daß es uns wahrhaftig nicht nur um Kritik zu tun ist, sondern einfach und ausschließlich darum, daß in der Kirche richtig gehandelt wird?«
Die Sozietät empfand dann die Stuttgarter Erklärung des Rates der EKiD vom 18. Oktober 1945 als das befreiende Wort zur Stunde. Im Einverständnis aller Beteiligten wurde die Drucklegung der Schempp-Schrift »Der Weg der Kirche« gestoppt.
Erklärung der Kirchlich-theologischen Sozietät in Württemberg vom 9. April 1946[140]
I
»Wie wir im Kampf gegen falsche Lehre den Erklärungen der Bekennenden Kirche in Barmen und Dahlem im Glauben zugestimmt haben, so stimmen wir auch in der Beugung unter Gottes Gericht der Erklärung des Rats der Evangelischen Kirche in Deutschland vom 18. Oktober 1945 (Stuttgarter Erklärung) einmütig zu und bekennen insonderheit unsere Schuld als Prediger und Glieder der Gemeinde Christi.
Wir sind mutlos und tatenlos zurückgewichen, als die Glieder des Volkes Israel unter uns entehrt, beraubt, gepeinigt und getötet worden sind. Wir ließen den Ausschluß der Mitchristen, die nach dem Fleisch aus Israel stammten, von den Ämtern der Kirche, ja sogar die kirchliche Verweigerung der Taufe von Juden geschehen. Wir widersprachen nicht dem Verbot der Judenmission. Wir wehrten nicht der militaristischen Verfälschung der Vaterlandsliebe. Wir haben indirekt dem Rassedünkel Vorschub geleistet durch die Ausstellung zahlloser Nachweise der arischen Abstammung und taten so dem Dienst am Worte der frohen Botschaft für alle Welt Abbruch. Wir haben zuwenig Widerspruch gewagt gegen die Vergötzung unseres Volkes und seiner Machthaber, gegen die Knechtung der Gewissen, gegen die Auflösung des Rechts, gegen die Vergiftung der Jugend, gegen die in Angst oder Unverstand erfolgte Selbstauslieferung der Christen einschließlich der Geistlichen an die Leib und Seele fordernde Diktatur eines irrenden Menschen, gegen die Massenermordung von Unschuldigen und gegen den Überfall und die Ausbeutung der Nachbarländer. Wir waren schwach im Glauben, träge in der Liebe und setzten nicht unsere Hoffnung allein auf die Gnade unseres allmächtigen Vaters.
Wir bekennen unsere Schuld vor allen denen, die unschuldig leiden mußten, vor allen denen, die ungewarnt Gottes Gebote mit verkehrtem Willen zertreten haben, und vor allen denen, die heute mehr als wir selber die furchtbare Last aller Folgen des gemeinsamen Irrwegs zu tragen haben. Wir bitten Gott um Jesu willen um Gnade und Vergebung für uns, für unsere Gemeinden, für die Kirchen, für die besiegten Völker und für alle Menschen.«
II
»Wir richten nun aber unsere ernste Bitte an alle in der Evangelischen Kirche in Deutschland zusammengeschlossenen Kirchen evangelischen Glaubens, sie möchten uns helfen, in Lehre und Ordnung zu dem einen Wort und Auftrag des Herrn der Kirche zurückzukehren.« Dabei sind die Erklärungen von Barmen und Dahlem zu betrachten »als aus der Schrift geschöpfte Einsichten von richtunggebender Bedeutung für die Verkündigung, für das Wesen und für die Ordnung der Kirchen in der Welt und für das rechte Verhalten gegenüber und in den Ordnungen der Staaten.« Gewarnt wird vor »dem Blendwerk einer äußerlichen Uniformierung und Bürokratisierung der Kirchen«, vor kirchlicher Machtpolitik in Ausnützung der Gunst der Stunde, »vor einer billigen Flucht in eine Volkskirche frommer Rhetorik, vor einer billigen Propaganda des Evangeliums als der bewährten Religion der Vorfahren und vor dem trügerischen Inflationsgewinn aus wohlmeinender Amnestierung der Masse aller jeweils zeitgerechten Mitläufer«. »Wir sind ernstlich besorgt, man könnte und möchte heute die evangelischen Kirchen bauen nach dem bestechenden Vorbild des Katholizismus, hierarchisch und volkstümlich zugleich, liturgisch-sakramental und politisch einflußreich, weltflüchtig nach innen und welterobernd nach außen, geistlich anmaßend und weltlich klug.«
III
»Wir fordern ein einmütiges kirchliches und geistliches Handeln in klarer Ausrichtung auf bestimmte Aufgaben, von denen wir nur einige, die uns die vordringlichsten zu sein scheinen, nennen:
- Konzentrierung aller Arbeit auf die lautere Wortverkündigung und zuchtvolle Sakramentsverwaltung;
- Verselbständigung der Gemeinden, der Gemeindevertretungen und des Pfarramts;
- Förderung der Kenntnis der Bibel als einer Einheit göttlichen Offenbarungszeugnisses und nicht einer Spruchsammlung oder weltanschaulichen Tradition;
- Schaffung-eines Katechismus als eines Bekenntnisbuches der heutigen Gemeinden…
Wir halten dafür, daß nur die evangelische Kirche imstande, daß sie deshalb aber auch verpflichtet ist, durch Erfüllung ihrer eigenen Aufgabe – abgesehen von der vorbildlich durchzuführenden Entnazifizierung gemäß den allgemein gültigen Verordnungen – über den Geist des Nationalsozialismus wirklich Herr zu werden.«
IV
»Wir erwarten von unseren Gliedern und Freunden den Einsatz aller Kraft zum willigen Dienst am Evangelium Jesu Christi in Wort und Tat, aber auch die Abkehr von aller knechtischen Berufserfüllung in bloßer Erledigung von Dienstobliegenheiten und Anweisungen. Wir erwarten von ihnen ehrliche Freiheit und Natürlichkeit des gewissenhaften Lebenswandels in Liebe und Dankbarkeit und die Abwehr aller Versuche, den Alltag durch angeblich christliche Lebensordnungen zu regulieren. Wir erwarten von ihnen auch ehrliche Teilnahme und entschlossene Mithilfe gegenüber den furchtbaren Nöten und Fragen des staatlichen Beisammenseins auf Grund nüchterner und selbstloser Prüfung der Tatsachen, und wir wehren uns gegen die Forderung der politischen Neutralität der Geistlichen. Wir kennen weder in der Schrift noch in der Reformation eine sich selbst dienende Christenheit und Kirche. Wir kennen kein Christentum, das nach Belieben sich seine Bindungen kirchlich diktieren läßt oder seine Freiheiten weltlich behaupten dürfte. Wir bestehen in der Freiheit, gerade weil die Liebe des Gesetzes Erfüllung ist, auch des Gesetzes der politischen Verantwortung.«
Die Sozietät behandelte in ihren Tagungen und Veröffentlichungen seit dem Frühjahr 1946 dieses dringliche Thema der politischen Verantwortung. Kurt Müller, der zeitweilig der Leiter des Stuttgarter Kohlhammer-Verlags war, startete für die Sozietät eine Schriftenreihe, die den programmatischen Titel »Kirche für die Welt« trug. Als Heft 1 erschien »Christentum und Sozialismus« von Ernst Fuchs, als Heft 3 »Kirche und politische Parteien« von Paul Schempp, als Heft 5 »Kirche und Entnazifizierung. Denkschrift der Kirchlich-theologischen Sozietät in Württemberg«, als Heft 7 »Christengemeinde und Bürgergemeinde« von Karl Barth, als Heft 8 »Unsere Predigt heute« von Günther Dehn, als Heft 14 »Kirche oder Christentum« von Hermann Diem, als Heft 16 »Das Evangelium als politische Weisheit« von Paul Schempp.
Quelle: Karl-Adolf Bauer (Hrsg.), Predigtamt ohne Pfarramt? Die „Illegalen“ im Kirchenkampf, Neukirchen-Vluyn, Neukirchener Verlag, 1993, S. 110-190.
[1] Zur Nicaria gehörten auch: Gotthilf Schenkel, Pfarrer in Zuffenhausen, Vorsitzender der Religiösen Sozialisten in Württemberg, 1933 strafversetzt, 1951-1955 SPD-Kultusminister; Karl Hartenstein, Direktor der Basler Mission, 1941 Prälat von Stuttgart; Heinrich Held, Pfarrer in Essen, Vorsitzender des Rheinischen Bruderrats, 1948 Präses der Evangelischen Kirche im Rheinland; Hermann Umfrid, Schüler von Leonhard Ragaz, Pfarrer im hohenlohischen Niederstetten; beim ersten Judenpogrom im März 1933 hielt Umfrid öffentlich zu den Juden; er starb Januar 1934; Rudi Daur, Pfarrer in Stuttgart, Mitglied des Versöhnungsbundes, Freund von Hermann Umfrid.
[2] Paul Schempp, Theologische Entwürfe, hg. von Richard Widmann (ThB 50), München 1973, 10-74; Calwer Luther-Ausgabe, hg. von Wolfgang Metzger, 6 Bände, Stuttgart 1933-1940; Cassette in 12 Bänden (GTB 400), Gütersloh 41983; Heinrich Fausel, D. Martin Luther. Der Reformator im Kampf um Evangelium und Kirche. Sein Werden und Wirken im Spiegel eigener Zeugnisse, Stuttgart 21955 (CLA 6, 11940); Hermann Diem, Philosophie und Christentum bei Sören Kierkegaard, München 1929.
[3] Wolfgang Metzger, Das Kirchengebetbuch des Jahres 1931 im Vorfeld des Kirchenkampfs, Blätter für württ. Kirchengeschichte 1983/1984, 180-200.
[4] Handschriftlicher Auszug aus dem Referat über den Entwurf zum Kirchenbuch I, 1929, gehalten vor dem Diözesanverein Knittlingen am 10. Juni 1929 von Pfr. Widmann. »Diese Arbeit ist in Zusammenarbeit mit Stadtpfr. Fausel, Heimsheim entstanden.«
[5] Nach meinen Unterlagen identifiziere ich die 7 »Genossen« als: H. Fausel, Heimsheim, P. Schempp, Religionslehrer in Cannstatt, R. Widmann, Pfr. in Wurmberg, Wolfgang Metzger, Pfr. in Bronnweiler, Hermann Diem, Religionslehrer in Göppingen, Wilhelm Gohl, Stadtpfr. in Marbach, Frieder Vorster, Pfr. der Reformierten Kirche in Stuttgart.
[6] In einem Brief vom 7. Juni 1930 von Schempp an Widmann erzählt er lebendig von einem ersten Zusammenprall der »Genossen« mit der Kommission und von sehr erregter Debatte im Ausschuß für Lehre und Kultus. In der Kommission plädierte dann Kirchenmusikdirektor Richard Gölz, Tübingen, unbekümmert auf Streichung in Dutzenden von Fällen. Die Kirchenmusiker Richard Gölz und Wilhelm Gohl waren von Anfang an an der theologischen Arbeit der Sozietät beteiligt.
[7] Paul Schempp, Gesammelte Aufsätze, hg. von E. Bizer (ThB 19), München 1960, 9-24.
[8] Theodor Dipper, Die Evangelische Bekenntnisgemeinschaft in Württemberg 1933-1945 (AGK 17), Göttingen 1966, 17-23: Die Vorgeschichte 1930-1933. Die Entstehung der kirchlich-theologischen Arbeitsgemeinschaften.
[9] Schäfer, Dokumente, Bd. 2, 70-76.
[10] So Klaus Scholder, Die Kirchen und das Dritte Reich, Bd. 1: Vorgeschichte und Zeit der Illusion 1918-1934, Frankfurt/M., Berlin, Wien 1977.
[11] Schäfer, Dokumente, Bd. 2, 207-215, hier: 215.
[12] Berthold Klappert, Günther van Norden (Hg.), Tut um Gottes willen etwas Tapferes! Karl Immer im Kirchenkampf, Neukirchen-Vluyn 1989, 11.
[13] Heft 4 erschien bereits im Chr.-Kaiser-Verlag, München. A. Lempp kündigte an: »Als Fortsetzung von ›Zwischen den Zeiten‹ und ›Blätter zur kirchlichen Lage‹ erscheint in meinem Verlag ab Mitte April die Monatsschrift Evangelische Theologie, hg. von Ernst Wolf, unter Mitwirkung von W. Niesel, P. Schempp, W. Trillhaas.«
[14] Ernst Bizer, geb. 1904, Vikar in Göppingen, dann Heilbronn, 1934-1945 Pfarrer in seinem Heimatort Tailfingen; seit 1942 Wehrdienst und Kriegsgefangenschaft, ab 1947 Professor für Kirchengeschichte in Bonn.
[15] Blätter zur kirchlichen Lage, Heft 2, 51-55 (Bemerkungen des Herausgebers).
[16] Ebd., Heft 3, Dezember 1933, 49-57 (Bemerkungen).
[17] Vgl. Siegfried Hermle, Die Kirche am Scheidewege. Eine Ausarbeitung Paul Schempps aus dem Jahre 1934, EvTheol 51, 1991, 183-197.
[18] Die Belege s. in: Schäfer, Dokumente, Bd. 2; Dipper, Bekenntnisgemein¬schaft (s.o. Anm. 8), 31-41.
[19] Siegfried Hermle, Rainer Lächele, Die Evangelische Landeskirche von Württemberg und der ›Arierparagraph‹, in: Siegfried Hermle, Rainer Lächele, Albrecht Nuding (Hg.), Im Dienst an Volk und Kirche. Theologiestudium im Nationalsozialismus. Erinnerungen, Darstellungen, Dokumente und Reflexionen zum Tübinger Stift 1930 bis 1950, Stuttgart 1988, 179-214.
[20] Zum Dorotheenpakt s. Schäfer, Dokumente, Bd. 2, 1065-1072 (der Name nach dem Ort des Treffens im Gebäude der Politischen Polizei, Gestapo, in Stuttgart, Dorotheenstraße). Teilnehmer waren: Landesbischof, Oberkirchenrat, Leitung des Notbundes, Leitung der DC, die Tübinger DC-Professoren Fezer, Kittel, Weiser, Vertreter der NSDAP-Gauleitung und der Landesregierung, Pressevertreter von EPD und NS-Kurier.
[21] Dipper, Bekenntnisgemeinschaft, 39. – Die Position der Sozietät im Spätjahr 1933 und Frühjahr 1934, wie sie in den »Blättern« in Bizers »Bemerkungen« zum Ausdruck kommt, bleibt in den Darstellungen von Dipper, Schäfer und Scholder (Kirchen, Bd. 1 [s.o. Anm. 10]) unerwähnt. Ihnen allen sind offenbar die »Blätter« unbekannt geblieben.
[22] Eberhard Mayer, Deutschkirche oder Bekenntniskirche. Der Ulmer Bekenntnistag 1934 und der Kampf um die rechtmäßige Evangelische Kirche Deutschlands, hg. von der Evangelischen Gesamtkirchengemeinde Ulm, Ulm 1984. Darin findet sich eine detailgenaue Darstellung der Vorgänge vor Ort.
[23] Unterzeichnet von: Meiser, Wurm, Flor (Leipzig), Hahn (Dresden), Asmussen (Altona), Niemöller (Berlin-Dahlem), Fiedler (Leipzig) und 27 anderen Kirchenvertretem aus allen Gauen Deutschlands.
[24] Vgl. Ernst Wolf, Bannen. Kirche zwischen Versuchung und Gnade (BEvTheol 27), München 1957; Hartmut Ludwig, »Ein Ruf nach vorwärts««. Zur Entstehungs- und Wirkungsgeschichte der Barmer Theologischen Erklärung, Diss. Berlin 1984; Alfred Burgsmüller, Rudolf Weth (Hg.), Die Banner Theologische Erklärung. Einführung und Dokumentation, Neukirchen-Vluyn ‚1984, ’1993; Eberhard Röhm, Jörg Thierfelder, Barmen, Entwurf 1984, H. 1-2, 50ff: Die württembergische Delegation in Barmen.
[25] Hermann Diem, Ja oder nein. 50 Jahre Theologe in Kirche und Staat, Stuttgart 1974, 51ff; Vgl. auch Schäfer, Dokumente, Bd. 3, 364-375.
[26] Hans Rücker, damals Assistent an der Universität Tübingen, verteilte das »Wort« in Tübingen. – Durch das »Wort württembergischer Pfarrer« wurden viele Theologen für die nun stetig größer werdende Sozietät gewonnen.
[27] Für die Sozietät ging der (Kirchen-)Kampf um die Freiheit des Wortes Gottes in der Kirche – zugunsten einer von Gott geliebten Welt. Angesichts einer kirchenpolitischen Umprägung des Wortes »Kirchenkampf« im Sinne eines Selbstbehauptungskampfes der Konfessionskirchen während des Dritten Reiches bzw. im Sinne eines »Kulturkampfes« gegen den christentumsfeindlichen Nationalsozialismus ist nachdrücklich an Diems theologisch-reformatorische Definition zu erinnern. Nach 1945 wurde »Kirchenkampf« sogar historiographisch eingeengt auf den Geschichtsabschnitt 1933 bis 1945. Doch wie der Begriff »Reformation« nicht auf den Zeitabschnitt von 1517 bis 1555 beschränkt werden darf, so der Begriff »Kirchenkampf« nicht auf die Jahre 1933 bis 1945.
[28] Dipper, Bekenntnisgemeinschaft, bes. 47-50. Die folg. Zitate finden sich 49f und 46f.
[29] Schäfer, Dokumente, Bd. 3, 524-672: Der Einbruch des Reichsbischofs in die württembergische Landeskirche 1934; Dipper, Bekenntnisgemeinschaft, 50ff; Diem, Ja oder nein, 58ff.
[30] Diem, ebd., 59f; Bekenntnissynode der Deutschen Evangelischen Kirche Dahlem 1934. Vorträge und Botschaft. Als Handschrift gedruckt, nur für Mitglieder der Bekennenden Kirche, Göttingen (Verlag der Jungen Kirche) 1935, 52-54: Verzeichnis der Synodalen.
[31] Tagebuch-Eintrag Richard Widmann, 27. Juli 1934: »Heintzeler meldet, daß die Eingliederung der Württemberg. Landeskirche durch Gesetz der Nationalsynode unmittelbar bevorsteht. Wurm wird Opposition leisten und in der Bekenntnisfront verharren und Landesbischof bleiben, wenn er das Vertrauen der Pfarrerschaft und der Gemeinden hat. – Das Schisma scheint unabwendbar. Die opponierende Kirche wird Kirche unter dem Kreuz werden. Menschliche Hilfe und weltliche Sicherungen werden dahinfallen. Gott allein kann helfen und sichern, und er will gebeten sein.«
[32] Hans Prolingheuer, Der Fall Karl Barth 1934-1935. Chronographie einer Vertreibung, Neukirchen-Vluyn 1977,21984, Kap. 2: Das Signal, 20. Oktober 1934 bis 26. November 1934, 27-46; vgl. 252-253: Kirchenpapier der Bischöfe Marahrens, Meiser und Wurm (Dokument).
[33] Zit. Prolingheuer, Karl Barth, 45f.
[34] Schäfer, Dokumente, Bd. 4, 23-30.
[35] Wilhelm Niesel, Kirche unter dem Wort. Der Kampf der Bekennenden Kirche der altpreußischen Union 1933-1945 (AGK 11), Göttingen 1978; Wolfgang Scherffig, Junge Theologen im »Dritten Reich‹. Dokumente, Briefe, Erfahrungen, Bd. 1: 1933-1935; Bd. 2: 1936-1937 (Bd. 3 in Vorb. 1993/94), Neukirchen-Vluyn 1989ff; Eberhard Bethge, Dietrich Bonhoeffer. Eine Biographie, München 1967; Günther Dehn, Die alte Zeit, die vorigen Jahre. Lebens- erinnerungen, München 1962, Kap. XIV: Kirchenkampf (286ff).
[36] Diem, Ja oder Nein, 56.
[37] Hermann Diem, Die Substanz der Kirche, EvTheol 1, 1933/34, 471-478 (= H. 12, März 1935). Es heißt dort: »Die folgenden Ausführungen bilden die Fortsetzung des in Heft 4 der »Blätter zur kirchlichen Lage‹ unter demselben Titel erschienenen Artikels.«
[38] Schäfer, Dokumente, Bd. 4, 228-237.
[39] Diese Redewendung gebrauchte Karl Barth, als er die Kursänderung der Kirchenleitung Marahrens seit November 1934 charakterisierte: Damals hat sich die BK »das Rückgrat verrenkt« und konnte seither »nie mehr fröhlich gradaus laufen, wie sie es zwischen Barmen und Dahlem getan hatte« (Eberhard Busch, Karl Barths Lebenslauf, München 1976, 267).
[40] Diem, Ja oder nein, 58: »Ich fuhr oft am Mittwoch nach der Bibelstunde noch nach Berlin, wo wir uns mit Niemöller in Dahlem trafen, solange er noch nicht verhaftet war, und in der anderen Nacht fuhr ich wieder zurück.«
[41] Neudruck München 1973 (ThB), 49; vgl. Hermann und Harald Diem, Zur Zweireichelehre Luthers, München 1973.
[42] Schäfer, Dokumente, Bd. 4, 187-196.
[43] Schäfer, Dokumente, Bd. 4, 442-450.
[44] Zusammenstellung aufgrund der alten Mitgliederkartei 1936-1944 und der Teilnehmerlisten 1946-1947. Beide sind unvollständig, viele Namen konnte ich also nicht ermitteln. Ich bitte um Korrekturen und Verbesserungen. – Manche waren nur zeitweilig Mitglied. Die Mitgliedschaft in der Sozietät, in der Gesellschaft für evangelische Theologie (gegründet 1940) und in der Kirchlichen Arbeit Alpirsbach läßt sich nicht mehr auseinanderhalten.
[45] Schäfer, Dokumente, Bd. 4, 570ff.
[46] Ebd., 574.
[47] Ebd., 582-589.
[48] Ebd., 614-616. Diem und Schempp wurden wegen ihrer Äußerungen in den OKR zitiert.
[49] Ebd., 595-598.
[50] Ebd., 600.
[51] Ebd., Bd. 5, 714f.
[52] Die Denkschrift wurde in der Kanzlei der 2. VL (Kanzleichef Dr. jur. Friedrich Weißler) im Frühjahr 1936 ausgearbeitet. Unterschrieben wurde sie von den Mitgliedern der 2. VL und einigen Mitgliedern des RBR und am 4. Juni 1936 von W. Jannasch in der Reichskanzlei persönlich abgegeben. Eine Veröffentlichung war nicht vorgesehen! Vgl. Bethge, Dietrich Bonhoeffer, 602-611. – Friedrich Weißler wurde am 6. Oktober 1936 verhaftet und am 19. Februar 1937 im KZ Sachsenhausen ermordet. Er war der erste Märtyrer der Bekennenden Kirche.
[53] Stadtvikar Helmut Lamparter, der das Wort in Ravensburg im Frühgottesdienst verlas, wurde deswegen zum OKR zitiert und verwarnt. Andere Geistliche wurden wegen ihrer Weigerung, das Wort Zöllners vom RKA zu verlesen, verwarnt. Vgl. Schäfer, Dokumente, Bd. 4, 829-832, die Namen 829.
[54] Ebd., 825-829.
[55] In der »Erklärung der Kirchlich-theologischen Sozietät vom 9. April 1946« wird als unsere Schuld bekannt: »Wir haben indirekt dem Rassedünkel Vorschub geleistet durch die Ausstellung zahlloser Nachweise der arischen Abstammung und taten so dem Dienst am Worte der frohen Botschaft für alle Welt Abbruch.« Vgl. Eberhard Röhm, Jörg Thierfelder, Juden – Christen – Deutsche 1933-1945, Bd. 2: 1935-1938, Teil I, Stuttgart 1992, 337ff: Die Pfarrämter als ›Sippenforschungsinstitute‹.
[56] Dieser Satz ist durch eine historische Untersuchung 1988 bestätigt worden, vgl. Siegfried Hermle, Rainer Lächele, Die Evangelische Landeskirche in Württemberg und der »Arierparagraph«, in: Hermle, Lächele-Nuding (Hg.), Im Dienst an Volk und Kirche, 179-214. Darin auch die Briefe der Pfarrer F. Elsäßer, G. Elsäßer und G. Laiblin vom 2.1. und 14.1.1936 an Landesbischof Wurm wegen der Forderung des ›arischen‹ Nachweises für Predigtamtsbewerber.
[57] Schäfer, Dokumente, Bd. 4, 829.
[58] Ebd., 877-893. Das Gesprächsprotokoll umfaßt 19 Druckseiten!
[59] Vgl. das hochinteressante Tübingen-Kapitel in: Scherffig, Junge Theologen, Bd. 2., 268-280. Der Obmann der rheinischen BK-Studenten schrieb: »Wir hatten einen trefflichen Rückhalt an den hervorragenden Theologen der Sozietät wie Harald und Hermann Diem, Paul Schempp, Repetent Link, der mir das Werden der Augustana aufschloß.«
[60] Bethge, Dietrich Bonhoeffer, 587-597.
[61] Schäfer, Dokumente, Bd. 5, 113-123 und 141f: »Um was geht es?«.
[62] Ebd., Bd. 5, 313-329.
[63] Ebd., 319-321.
[64] Ebd., Bd. 5, 327-332.
[65] Ebd., 383f.
[66] Ebd., 363-364.
[67] Ebd., 755-808. Die Beschlüsse der Sozietät im Juni und Juli 1937 s. in: ebd., 757f.771.783f.791ff. – Im Dekanat Kirchheim/Teck z.B. waren nur zwei DC-Pfarrer und der katholische Stadtpfarrer schwurwillig. Nur sie durften weiter Religionsunterricht in den Schulen halten. – Nun begann in Württemberg der Aufbau einer kirchlichen Unterweisung und Christenlehre, an dem sich die Bekenntnisgemeinschaft und die Sozietät rege beteiligten; vgl. Eberhard Röhm, Jörg Thierfelder, Kirche und Schule im 3. Reich, in: 450 Jahre Kirche und Schule in Württemberg, hg. vom PTZ Stuttgart, Stuttgart 1984, 238ff.
[68] Vgl. Niesel, Kirche (s.o. Anm. 35), 137ff.
[69] Zu den Frauen in der BK vgl. Wolfgang See, Rudolf Weckerling, Frauen im Kirchenkampf, Berlin 1984. Besonders ist hier an die vierzigmal von der Gestapo geladene und inhaftierte Senta Maria Klatt, tätig im Büro des Brandenburger Bruderrats bei Otto Dibelius und nach damaligen Maßstäben »Halbjüdin«, zu erinnern.
[70] Im Januar 1938 wurde Alfred Leikam verhaftet. Er war im KZ Buchenwald bis zur Freilassung am 9. November 1943. Viele aus der BK, einschließlich Landesbischof Wurm, schrieben Eingaben für Leikam.
[71] Vgl. Dipper, Bekenntnisgemeinschaft (s.o. Anm. 8), 186ff.
[72] Schäfer, Dokumente, Bd. 5, 392-394.
[73] Ernst Bizer, Abendmahlsstreit und Abendsmahlsgemeinschaft, EvTheol 5, 1938, 358-375.
[74] Schäfer, Dokumente, Bd. 5, 872-883. Da gingen manchen biederen Schwaben die Augen auf. Fabrikant Paul Lechler, Mitglied des LBR und Mitglied des Beirats der württembergischen Kirchenleitung, schrieb an OKR Pressel: »Ich muß Ihnen sagen, daß ich ziemlich stark mitgenommen war durch diese kalt-berechnende, diplomatisch und taktisch kluge Stellungnahme des Herrn Dr. Breit. Es ist auch anderen Mitgliedern des LBR, die absolut nicht im Fahrwasser der Sozietät schwimmen, genauso gegangen. Wir haben nichts gespürt von dem Wunsche einer Einigung, sondern nur dem Wunsche nach einem Machtblock« (ebd., 895-896).
[75] Wilhelm Niemöller, Die Evangelische Kirche im 3. Reich. Handbuch des Kirchenkampfes, Bielefeld 1956, 221 (Die Kirchlich-theologische Sozietät, ebd., 211-227).
[76] Schäfer, Dokumente, Bd. 5, 507-511.
[77] Ebd., 914-916.
[78] Ebd., 960f.
[79] Ebd., 960.
[80] Ebd., 981.
[81] Ebd., 916f.
[82] Ebd., 962.
[83] Ebd., 936f.
[84] Vgl. meinen Aufsatz: ›Wunder‹ Großdeutschland und Pfarrerseid – Kirchengeschichtliches aus dem Jahr 1938, Für Arbeit und Besinnung. Zeitschr. für die Evang. Landeskirche in Württemberg 42, 1988, 510-518.
[85] Schäfer, Dokumente, Bd. 5, 920-923.
[86] Ebd., 994.
[87] Ebd., 978-980.
[88] Ebd., 984-989.
[89] Ebd., 991-993.
[90] Ebd., 1052-1055.
[91] Ebd., 1006-1020.
[92] Dipper, Bekenntnisgemeinschaft, 240.
[93] Die Zahlenangabe »etwa 80 Pfarrer der Sozietät lehnten den Eid ab«, in: Niemöller, Kirche, 217 ist zu korrigieren.
[94] Schäfer, Dokumente, Bd. 5, 1052-1055.
[95] Ernst Bizer, Ein Kampf um die Kirche. Der »Fall Schempp« nach den Akten erzählt, Tübingen 1965, 75f.
[96] Schäfer, Dokumente, Bd. 5, 1055f.
[97] Ebd., 1061f.
[98] Ebd., Bd. 6, 526-530.
[99] Bizer, Kampf, 235-244.
[100] Schäfer, Dokumente, Bd. 6, 537-539.
[101] Vgl. Martin Rohkrämer, Karl Barth in der Herbstkrise 1938, EvTheol 48, 1988, 521-545.
[102] Dipper, Bekenntnisgemeinschaft (s.o. Anm. 8), 255.
[103] Schäfer, Dokumente, Bd. 6, 322-325.
[104] Ebd., 325.
[105] Erklärung der Kirchlich-theologischen Sozietät in Württemberg vom 9. April 1946, in: Paul Schempp, Der Weg der Kirche (29. Mai 1945), hg. von der Aktion Sühnezeichen/Friedensdienste u.a., Berlin 1985, 25-28.
[106] Dipper, Bekenntnisgemeinschaft, 262ff. Hier auch der Abdruck der ganzen Predigt Julius von Jans, ebenso in Heft 2/1978 der Zeitschrift »entwurf«, hg. von Eberhard Röhm. In Heft 3/88 des »entwurf« s. Eberhard Röhm, Jörg Thierfelder, Als die Synagogen brannten. Die Reichspogromnacht 1938 und die evangelischen Christen.
[107] Das Schweizerische Hilfswerk wurde im Advent 1937 gegründet und wandte sich an alle Pfarrer der Schweiz. Es sollte vor allem die Solidarität der Schweizer Gemeinden mit den Problemen des deutschen Kirchenkampfs und auch mit den politischen Ereignissen in Deutschland wecken. Die jährlichen Wipkinger Tagungen gaben der ganzen Arbeit ein besonderes theologisches Profil. Wilhelm Vischer leitete die theologische Subkommission des Hilfswerks (Mitteil. W. Scherffig, 10.12.91).
[108] Ein Exemplar, vergilbte Blätter, in den Sozietätsunterlagen im Nachlaß meines Vaters R. Widmann.
[109] Paul Sauer, Dokumente über die Verfolgung jüdischer Bürger in Baden- Württemberg durch das Nationalsozialistische Regime 1933-1945, Bd. 2, Stuttgart 1966, 53-56.
[110] Wilhelm Vischer, Esther, TEH 48, wurde Ende 1937 ausgeliefert. Es wurde von den Sozietätsmitgliedem intensiv studiert. Am 18.2.1938 verbot die Gestapo das Heft; vgl. Niemöller, Kirche, 290.
[111] Brief von Frieder Vorster an Richard Widmann, 23.2.1939: »Die Einladung (zur Sozietätstagung) wirst Du erhalten haben. W.V. [= Wilhelm Vischer] bat darum, daß unsere Lutherexperten, also vor allem Du, zu der Debatte, die den ganzen Dienstag in Anspruch nehmen soll, das beitragen soll, was von Luther her zur Judenfrage zu sagen wäre, da er selbst sich hier historisch nicht sicher fühlt. Du hast ja darüber gearbeitet. Aber es wird gut sein, wenn Du, falls möglich, auch Material mitbringst.«
[112] Richard Widmann, Pfarrer in Plieningen-Hohenheim, hielt am 2.11.1938 einen Gemeindevortrag zum Thema »Luther und die Juden«. Pfarrer Julius Eichler erbat ihn zur Veröffentlichung. Richard Widmann, »Luther und die Juden« erschien als sechsseitiges Blatt im Frühjahr 1939, hg. vom Evangelischen Gemeindedienst in Württemberg. Es heißt darin: »In Wahrheit ist Luthers Stellung zur Judenfrage von Anfang bis zu Ende innerlich völlig einheitlich und entspricht genau seinem Verhalten und Vorgehen gegenüber dem Papst, den Schwärmern, den Bauern usw. Er weiß sich berufen, jedermann – auch den Juden! – die Gnade Christi zu verkünden, aber ebenso weiß er sich verpflichtet, rücksichtslos gegen alle offenbaren Feinde Jesu Christi und seines Evangeliums zu streiten, um nicht durch Dulden und Schweigen mitschuldig zu werden. Wie er gegen die päpstliche Kirche nicht von Anfang an losgefahren ist, sondern erst von dem Augenblick an, als der Papst und die Seinen nicht hören wollten, so auch den Juden gegenüber …
Die Stellung Luthers zum Alten Testament kommt nirgends schärfer zum Ausdruck als in seinen Judenschriften. Luther hat gerade nicht auf das Alte Testament verzichtet, sondern es als schärfste Waffe gegen das Judentum, das Jesus Christus ablehnt, verwendet. Denn der Jude hätte in dem Augenblick gesiegt, wenn das Alte Testament nicht ein einziges Zeugnis für den christlichen Glauben, sondern nur ein ›Judenbuch‹ wäre.«
[113] Schäfer, Dokumente, Bd. 6, 352-354.
[114] Ebd., 363-364.
[115] Ebd., 381ff. Inzwischen solidarisierten sich viele Pfarrer und Vikare der württembergischen Bekenntnisgemeinschaft mit den 67 Pfarrern der Sozietät: Schreiben an RKM Kerrl mit 22 Unterschriften, u.a. von W. Metzger, Th. Dipper, O. Mörike, L. Gengnagel, Roller, Küenzlen, Th. Gölz, Pfeiffer, Kurtz.
[116] Ebd., 366.
[117] Vgl. Ulrich Rau, Der Fall Rau: Die Entfernung eines Unbequemen, in: Hermle, Lächele, Nuding (Hg.), Dienst, 230-254. Am 28.4.1939 wandte sich Dietrich Bonhoeffer an Hermann Diem mit der Bitte, ihm für die Zeit seiner Vortragsreise in die USA aus der württembergischen Sozietät einen Vertreter zu benennen. Diem dachte an den strafversetzten Werner Rau und fragte ihn. Doch am 19.5. sagte Rau ab. Zu Manfred Mezger s. ders., Repetent im Stift – Kontinuität und Widerspruch, in: F. Hertel (Hg.), In Wahrheit und Freiheit. 450 Jahre Evangelisches Stift in Tübingen, Stuttgart 1986, 242-255.
[118] Schäfer, Dokumente, Bd. 6, 367.
[119] Ebd., 545-550. Vgl. auch Bizer, Kampf.
[120] Schäfer, Dokumente, Bd. 6, 588f. 30 Namen von Sozietätsmitgliedern sind dort abgedruckt. Weitere unterschrieben später. – Ebd., 603ff ist die Stellungnahme des Landesbruderrats dokumentiert.
[121] So Bizer, Kampf, 120. Im September 1939 wurde Schempp eingezogen, fand aber Verwendung im Ersatzheer und blieb in der Nähe, in Rastatt, so daß er sonntags möglichst oft zum Predigen nach Iptingen fuhr. Die Familie durfte weiter im Pfarrhaus wohnen. Landesbischof Wurm bewilligte seiner Familie für die Zeit der Einberufung einen Unterhaltszuschuß von 200 Mark. »Dabei wird vorausgesetzt, daß der landeskirchlichen Versorgung der Gemeinde Iptingen keine Schwierigkeiten im Wege stehen.«
[122] Schäfer, Dokumente, Bd. 6, 370f.
[123] Ebd., 450-452.
[124] Ebd., 460-461. Vgl. hierzu Günther van Norden, Die evangelische Kirche am Vorabend des Zweiten Weltkriegs, in: ders., V. Wittmütz (Hg.), Evangelische Kirche im Zweiten Weltkrieg, Köln 1991, 11 ff.
[125] Ebd., 466f.
[126] Ebd., 550. Vgl. Niesel, Kirche (s.o. Anm. 35), 259.
[127] Schäfer, Dokumente, Bd. 6, 388f.
[128] Vgl. Diem, Ja oder nein, 115-119.
[129] Vgl. ebd., 122-134; Max Krakauer, Lichter im Dunkel. Flucht und Rettung eines jüdischen Ehepaars im Dritten Reich, hg. von O. Mörike, Stuttgart 1975 (darin 44 württembergische Versteckhäuser); Bericht von Pfr. Gerhard Holzapfel, Die Rettung des jüdischen Ehepaares Pineas, in: Paul Sauer (Hg.), Die Schicksale der jüdischen Bürger Baden-Württembergs 1933-1945, Stuttgart 1969, 440—442; Günther Harder, Wilhelm Niemöller (Hg.), Die Stunde der Versuchung. Gemeinden im Kirchenkampf 1933-1945, München 1963, 368-385: Schwenningen am Neckar.
[130] Vgl. Ilse Härter, Persönliche Erfahrungen mit der Ordination von Theologinnen in der Bekennenden Kirche des Rheinlands und in Berlin-Brandenburg, in: G. van Norden (Hg.), Zwischen Bekenntnis und Anpassung, Köln 1985, 193-209.
[131] Vgl. Walter Höchstädter, Der Lemppsche Kreis, EvTheol 48, 1988, 468-473; H. Diem, Sine vi – sed verbo. Aufsätze, Vorträge, Voten (ThB 25), München 1965.
[132] Schäfer, Dokumente, Bd. 6, 960-991. Vgl. Jörg Thierfelder, Die Kirchlich-theologische Sozietät und das Kirchliche Einigungswerk, JK (Beiheft) 1978 (Wilhelm Niemöller zum 80. Geburtstag), 29-34.
[133] Schäfer, Dokumente, Bd. 6, 1170-1173.
[134] Schriftenreihe der Kirchlich-theologischen Sozietät in Württemberg, H. 9, Bad Cannstatt 1958.
[135] Vgl. Karl Eßlinger, Eberhard Weismann (Hg.), Singen und Sagen. Richard Gölz zum Gedächtnis. Im Auftrag des Leitungskreises der kirchlichen Arbeit Alpirsbach, Horn-Bad Meinberg 1986; Friedrich Buchholz, Liturgie und Gemeinde, hg. von R. Widmann und J. Mehlhausen (ThB 45), München 1971.
[136] Vgl. dazu Harry Waßmann, Der ›Fall Bultmann‹ in Württemberg (1941-1953). Der Alpirsbacher Mythologievortrag im Spannungsfeld der Kirchenleitung und Universitätstheologie (Bausteine zur Tübinger Universitätsgeschichte, Folge 4 = Werkschriften des Universitäts-Archivs, Reihe 1, Heft 14), Tübingen 1987, 183-176.
[137] Auf Fotos sind folgende Teilnehmer zu erkennen: Ernst Wolf, Ernst Fuchs, Hermann und Annelise Diem, Margarete Hoffer, Erika Heyd, Heinrich Fausel, Karl Dieterich, Richard Widmann, Hans Rücker, Fritz Kohlhaas, Hermann Knapp, Walter Mack.
[138] Schäfer, Dokumente, Bd. 6, 1221-1322; Bizer, Kampf.
[139] Der Text wurde vierzig Jahre später veröffentlicht: Paul Schempp, Der Weg der Kirche (29. Mai 1945). Dokumentation über einen unerledigten Streit, hg. von der Aktion Sühnezeichen/Friedensdienste, Berlin 1985. Sören Widmann und Martin Widmann steuerten die historischen Erklärungen bei.
[140] Hg. unter Lizenz-Nr. US-W-1010. Druck von W. Kohlhammer, Stuttgart. Wiederabdruck in dem Heft: Schempp, Der Weg der Kirche, 25-28.
ich bitte ,wieder die anderen Themen einsehen zu können,(wie bisher) nach den Tagestexten.vielen Dank,e.mutzenbauer@googlemail.com
Ein deutlich unidyllischeres Bild als die herrschende Geschichtsschreibung.