In der Diskussion um einen kirchlichen Arierparagraphen hat der Bochumer Pfarrer und Judenchrist Hans Ehrenberg (1883-1958), ein Vetter Franz Rosenzweigs, als einer der wenigen Pfarrer bzw. Theologen in der Bekennenden Kirche mit seinen 72 Leitsätzen konsequent israeltheologisch argumentiert:
72 Leitsätze zur judenchristlichen Frage (Juli/August 1933)
Von Hans Ehrenberg
Hebr. 11,26.
Im Namen des Vaters Jesu Christi, des Gottes Abrahams, Isaaks und Jakobs.
- Die Kirche im nationalsozialistischen Deutschland wünscht ihr Glaubensleben bluthaft zu binden, erdhaft zu verwurzeln, leibhaft zu verwirklichen, volkhaft zu gestalten. Dieses begründete Anliegen ist, richtig verstanden, kein Anliegen von Fleisch und Blut, stets aber eine ungeheure Versuchung für alles Fleisch und Blut.
- Das Zeitalter des Liberalismus brachte Gewissensschärfung und sachlichen Ernst, aber unterhöhlte das Gesetz und die Zucht bis zum marxistischen Grundsatz: alles ist erlaubt! So wurde es ein Zeitalter der „Sünden wider die Schöpfung“.
- Der völkische Mensch verdammt die Sünden wider die Schöpfung als Todsünden und verwirft die Weichlichkeit im Urteil über diese Sünden. Zur Hilfe dafür fordert er die sichtbare Kirche als seinen Partner an und bietet der kirchlichen Gesetzespredigt Schutz; der völkische Staat will volksorganisch planend im Kampf gegen die Mächte der Volkszersetzung vorangehen.
- Der völkische Mensch ist der erfolgreiche Gegenspieler des Liberalismus und Marxismus, aber nicht sein Überwinder. Anstatt Wort und Bekenntnis nennt er Volk und Rasse als Spitze der göttlichen Ordnung auf Erden. Solange er die richtige Rangordnung zwischen geistlich und weltlich noch nicht wiederhergestellt hat, bleibt er seinem Feinde, dem Liberalismus, verhaftet, fällt in zuchtlose Dogmenscheu zurück und schämt sich für den Menschen, den großen, gewaltigen und heldischen Herren der Erde, des Evangeliums von der reinen Gnade des Herren des Himmels.
- Den letzten Abschnitt im Kampf wider die Zuchtlosigkeit und Ehrlosigkeit der liberalistisch-marxistischen Zeit führt nicht der Staat, sondern die Kirche, auch wenn sie zuvor im Kampf um die weltliche Autorität in Volk und Staat die Führung der politischen Bewegung überlassen mußte; in dieser einen Richtung muß sich auch der nationalsozialistische Staat beugen lernen; dann ist das Vaterland wirklich durch ihn gerettet.
- Israel geht quer durch alle Völker der Erde hindurch; dies ist eine Tatsache; sie ist aus dem göttlichen Heilsratschluß zu deuten, der irgendein Volk – nach dem Willen Gottes ward es das geringe, nichtssagende Volk Israel – für seine Verwirklichung benutzt (auserwählt) (s. 27.).
- Die Querlagerung Israels durch die Völker der Erde gilt sowohl für die, welche Israel nur noch unter dem Fluche des Gerichts sehen wie für die, welche gemäß biblischer Offenbarung (Paulus, Römer 9) es sowohl unter dem Fluche wie unter der weiterwirkenden, erwählenden, grundlosen Gnade erblicken.
- Jude-Sein ist für die weltlich Denkenden und die Intellektuellen ein Nationalcharakter, für die geistlich Denkenden, die Kindlichen und die Wieder geborenen nur eine Funktion der erbsündigen Menschheit: Gottes einmaliges „Schulbeispiel“ („Anschauungsunterricht“) für gut und böse, heilig und heillos.
- Die Völker haben sich nicht gegen den Willen Gottes mit Israel zu wehren; denn dieser Wille mit Israel ist nie etwas anderes als Gottes Heilswille mit den Völkern selber, so sehr, daß sogar aus dem Fall und der Verwerfung Israels den Heiden das Heil widerfährt und Israels Schande der Welt Reichtum wird (Röm. 11,11 u. 12). Jeder Gnadenerweis Gottes an Israel ist ein Gnadenakt an den Völkern, und jedes Gottesgericht an Israel bedroht alle Völker mit dem gleichen Gericht: denn es haben Ihn alle gekreuzigt.
- Israel hat das Recht auf die Freiheit seines Lebens unter den Völkern, die Völker haben das Recht zur Sonderrechtsbestimmung gegen Israel. Philosemitismus und Antisemitismus stehen beide nicht im Gehorsam gegen Gott.
- Das Verhältnis zwischen den Völkern und Israel ist wechselnd je nach den Volksepochen; in Zeiten der Volksexpansion neigt das Verhältnis der Völker zu Israel zur Freundschaft und Assimilation, in Zeiten der völkischen Autarkie zur Aussonderung und Feindschaft.
- Die Kirche Christi hätte in den Zeiten der Assimilation sich gegen übertriebene, unverfrorene Gleichheitsansprüche Israels stellen sollen, in Zeiten der Aussonderung hat sie Israel gegen übertriebene, zuchtlose Feindschaft von Seiten der Völker zu schützen. Warum schwieg und schweigt sie?
- Es ist nach Zeiten einer überaus schweren Versündigung gegen die Schöpfung, woran Israels übermäßige Assimilation mit schuld ist, zu einer so harten Reaktion der Volksautarkie gekommen, daß zum erstenmal seit Christus der getaufte christusgläubige Jude in die völkische Ablehnung und Aussonderung einbezogen wird: anstatt individualistischer Sünde wider die Schöpfung kollektivistische Sünde wider die Offenbarung!
- Der Christus Jesus ist kein nationaler Messias, deshalb haben ihn seine Stammesgenossen nach dem Fleische, die Juden, gekreuzigt; daß er der Sohn des lebendigen Gottes ist, kann auch einem Juden nicht Fleisch und Blut offenbaren: gleichwohl kommt das Heil von den Juden, nach Gottes Ratschluß, ein Ärgernis für die Juden selber und ein Ärgernis für alle Völker.
- Dieses Ärgernis wird dadurch festgehalten, daß Jude und Heide in Christo Jesu Eins sind – Eins wie Mann und Weib – seelisch und leibhaft in der Einheit des Leibes Christi, obwohl sie irdisch Heide und Jude bleiben. Die Einswerdung ist eine bedingungslose.
- Darum ist der Heidenchrist dem Judenchrist, der Judenchrist dem Heidenchrist als Nächster gesetzt und notwendig, damit keiner je aus dem Ärgernis des Gekreuzigten herauskommt.
- Der Judenchrist sowie der heilige Rest seiner ungetauften Stammesgenossen ist zum Zeugen dafür berufen, daß Gott seine Treue dadurch überschwänglich preist, daß er nicht nur trotz aller Untreue Israels seinen Sohn als Sohn Abrahams hat geboren werden lassen, sondern daß er auch, nachdem Israel als Ganzes den Messias verworfen hat, die Verheißung der kommenden Vollendung ganz an Israel nach dem Fleische gebunden sein läßt. Dieses Wunder der Treue Gottes darf niemals als religiöse Bedeutung des Volkstums gedeutet werden, weder des jüdischen noch eines anderen.
- Israels Auserwählung dient also einzig und allein der vollen Erhaltung. Die Existenz des Judenchristen verkörpert seit der Urgemeinde personell die Heilsgeschichte in den Volkskirchen.
- Insofern ist dem Judenchristen ein zwiefaches Leiden gesetzt: das Leiden an der Verstockung der Juden gegen die Gnade und Wahrheit in Christo (Paulus wünschte um seines Volkes willen, so er es zum Christus reizen könnte, von Christo verbannt zu sein) und das Leiden an der Verstockung der Völker und Volkskirchen gegen das Ärgernis der Heilsgeschichte.
- Die Verkörperung der Heilsgeschichte im Judenchristen ist nur in der Kirche unerläßlich, die auf der Schrift, dem Zeugnis der Heilsgeschichte, aufbaut, also in der Evangelischen Kirche. Nur in ihr wird die Existenz des Judenchristen zum Anlaß einer Parteiung.
- Die Heilsgeschichte und ihre Verkörperung im Judenchristen für das Reich der Gnade verbietet ebenso die liberalistische philosemitische Assimilationstechnik wie die blutsschwärmerische antisemitische Aussonderung Israels aus den Völkern.
- Will das Volk nicht unchristlich bleiben, so ist die Eingliederung des Judenchristen das Mindestmaß an voller Zugehörigkeit Israels zum Volkstum der Völker, in Zeiten starker Volksautarkie auch einmal das Höchstmaß.
- Der Liberalismus stellte sich in bezug auf die Schöpfung als Darwinismus dar: Leugnung der Arten. Die völkische Schwärmerei setzt dagegen auch die Unterart (Familie im biologischen Sinne) als eigene Art, ist also Darwinismus bzw. Liberalismus mit umgedrehtem Vorzeichen. Rasse und Volkstum sind Unterart, nicht Art.
- Art ist schöpfungsverordnet, »besamt sich jede nach ihrer Art« (Fortpflanzungseinheit); Unterart ist geschöpflich geworden, entwickelt sich durch Sprossung und Kreuzung. Jene ist vorgeschichtlich urtümlich, diese geschichtlich sich entfaltend im Werden und Vergehen, Sterben und Neuwerden.
- Gott erkennt auch des Menschen Unterart, die geworden ist, an und bestätigt ihr völkisches Eigenwesen, kleidet sie aber nie mit der Würde der Art. Jedes Volk steht an seinem Platze in Gottes Werkstatt.
- Gemäß Apostelgeschichte 17,26 und dem kirchlichen Taufformular gibt es nur Eine Menschenart.
- Die Eigenarten der Rassen und Völker bleiben durch die Querlagerung Israels ständig auf die Eine Art des Menschengeschlechts bezogen. Sowohl die Menschheitsträumer wie die Rasseschwärmer sind zuchtlose Rationalisten ohne heilsgeschichtliche biblische Bindung (s. 6.).
- Gott will, daß die Völker Nationalkirchen und volkhaft gestaltete Kirchen, aber nicht ein artgemäßes Christentum ausbilden.
- Der Judenchrist korrigiert durch sein bloßes Dabeisein innerhalb der Gemeinde die Verfälschung des Christenglaubens in der Richtung auf eine Nationalreligion in den Nationalkirchen.
- Kraft Eingliederung des Judenchristen in die Volkskirchen gewinnen diese die Erlaubnis, trotz der unbedingten Einheit der Einen Kirche Christi, Nationalkirchen zu bilden und ihre Volkstümer vollständig in ihren Kirchen zur Wirkung zu bringen.
- Die römische Kirche erhält diese Erlaubnis nicht, weil sie heilsgeschichtlich ebenso von den Heiden (Antike) wie von Israel ausgehen will, und erfährt daher die Eingliederung des Judenchristen nicht wesenshaft. Sie darf und kann keine echten Nationalkirchen bilden und kränkt die Eigenart jedes Volkstums, aber sie hat so lange in der Welt der Völker und Staaten dazustehen, bis die Kirchen der Reformation ihre Völker bekehrt haben, die echten Nationalkirchen entstanden sind.
- In der Kirche der deutschen Reformation ist das Musterbeispiel der echten Nationalkirche in die Erscheinung getreten; wenn sie Luthers Lehre von den beiden Regimentern treu bleibt, ist sie der römischen Weltkirche vollauf gewachsen.
- Bei der Stellung zum Judenchristen tut sich kund, wie man zur Kirchenfrage steht. Die Eingliederung des Judenchristen in die Nationalkirchen bejaht das Nationalkirchentum „als Kirche“, seine Ausgliederung verneint es „als Kirche“.
- Die von deutschchristlicher Seite gegebene Formulierung des Judenchristen als „Korrektur“ beruht auf seiner bloßen Existenz in der Nationalkirche.
- Führen und Bauen der Kirchen fällt seit dem Jahre 70 allein den Völkern zu; Judenchristentum gibt es hinter dem Jahr 70 nicht mehr. Bis zum Ende dieses Aeons hält Gott, um der Völker willen, Israel als Ganzes in der Verstockung; so lange gehen die Kinder Israels nur als Einzelne in die Kirche Christi ein, deren heilsgeschichtlichen Ausgangspunkt zu erneuern. Bildung eigener christlicher Gemeinden und Kirchen ist damit den Juden verwehrt.
- Ins Subjektive übertragen, gibt die Existenz des Judenchristen in der Volkskirche diesem den Auftrag, durch prophetische Nüchternheit die „Korrektur“, die er darstellt, auszuüben.
- Die Korrektur durch den Judenchristen in den Nationalkirchen des Evangeliums kann nicht ausgeübt werden, wenn zwischen ihm und dem Heidenchristen in der Kirche in irgendeiner Richtung ein Unterschied gemacht wird.
- Das Kirchenrecht bricht in dieser Beziehung völkisches Volks- und Staatsrecht, so Volk und Staat christlich bestimmt sein sollen.
- In Zeiten der Volksexpansion wird die Einheit zwischen Jude und Heide in Christo Jesu leicht getragen, in Zeiten der Volksautarkie wird sie sichtbar Problem und Aufgabe.
- Es ist einer völkisch orientierten Zeit der Kirchengeschichte Vorbehalten, sich der judenchristlichen Frage nicht länger zu schämen, sondern sie offen zu stellen, zu erörtern und zu lösen.
- Da die Blutsbezogenheit Israels im Glauben nur kraft grundloser Erwählung besteht, so kann Gott dem Abraham auch aus diesen Steinen Kinder erwecken, und zahllose Kinder Israel haben in der Emanzipationszeit als entartete Juden ihren Vater Abraham verraten.
- Die Blutsbezogenheit des Glaubens in Israel dient nur zum Erweis der Treue Gottes, zum Stachel der Buße für die Völker der Erde, Juda selbstredend eingeschlossen, und zum Zeichen dafür, daß Gottes Heilwille den ganzen Menschen, Seele und Leib, Geist und Blut, meint.
- Juda neigt dazu, seine Blutsbezogenheit im Glauben als eine Blutsgebundenheit des Glaubens anzusehen und verfällt dem Rühmen: Judaismus.
- Ebenso verfällt die Volkskirche, die den Judenchristen aus sich ganz oder teilweise aussondern will, dem Judaismus,
- Gemäß dem heils- und endgeschichtlichen Willen Gottes mit Israel und mit den Völkern hat das Israel nach dem Geiste – die Kirche – das Israel nach dem Fleische noch nie ganz aufgesogen und trägt außerdem in sich zu allen Zeiten solche, die dem Blut nach aus dem Volkstum der Jünger Jesu sind (s. 35).
- Paulus hat im Bild vom Christus-Baum in Römer 11 unterschieden zwischen dem judenchristlichen Stamm und den heidenchristlichen, aufgepfropften Zweigen.
- Die Edelfrüchte des Christus-Baumes wachsen also an den heidenchristlichen Zweigen des Heilsbaumes.
- Nur in der wurzelechten Unmittelbarkeit der Glaubenskraft des Judenchristen zeigt sich Israels Blutsbezogenheit im Glauben auch in der Kirche.
- Welchen Grund hat dann der Heidenchrist, sich gegen den Judenchristen zu rühmen oder zu verwahren?
- Im nationalsozialistischen Deutschland will die Volkskirche die Wurzelhaftigkeit des Glaubens auch für die Heidenchristen.
- Dieser Wille hieße Vollendung des Glaubens in der heidenchristlichen Kirche. Darum muß er auf allen vorherigen Grundlagen des Glaubens aufbauen.
- Jede Schwärmerei aber vergißt Vorstufen und Stationen des Glaubensweges; hochgeistliche (luthersche und reformierte) Schwärmer des dritten Artikels schließen sich heute zu einem schier unverständlichen Bunde mit nackten Naturalisten, Schwärmern des ersten Artikels, in einer „deutsch-christlichen Glaubensbewegung“ zusammen.
- Der Wille zur Blutsbezogenheit des Glaubens darf in den Heidenkirchen niemals aus einer Eifersucht dem Judenchristen gegenüber erwachsen, auch wenn diese Eifersucht ein Zeugnis der Liebe zu Israel ist.
- Der Wille zur Blutsbezogenheit droht Schwärmerei zu werden, sobald er sich gegen den Judenchristen rühmt oder verwahrt.
- Der völkische Christ mit seinem Willen zur Wurzelhaftigkeit und Blutsbezogenheit des Glaubens mündet in liberalistischer Ideologie, sobald er diesen Willen ohne Leiden und Opfer erkaufen will.
- Israel hat seine Blutsbezogenheit mit den Schrecken seiner Auserwählung erkaufen müssen, mit der Gerichtsnähe seiner Geschichte, mit der ständigen allseitigen Bedrohtheit seiner heimat- und ehrlosen Existenz.
- Der Heidenchrist hat das Gleiche nicht mit den gleichen Opfern zu erkaufen; er braucht nicht heimat- und ehrlos zu werden; sein Kaufpreis ist allein die volle kirchliche Gemeinschaft mit dem Judenchristen und die Ehrfurcht vor der heiligen Schar in Israel, auf daß er nicht selber sich ehrlos mache.
- Die Entscheidung in der judenchristlichen Frage lautet für eine Kirche mit völkischem Willen; entweder Rottenkirche (ohne Judenchristen) oder wahre Kirche (Heiden- und Judenchristen, beide aus der Kindschaft Abrahams).
- Die Kirche der Reformation in Deutschland steht oder fällt 1933 bei der Versuchung, die Judenchristen – ganz oder teilweise – aus sich auszusondern. Die judenchristliche Frage wird im letzten Teil des Kirchenstreites zu seinem Sinnbild und Kern.
- Das Völkische ist in Christo, d.h. innerhalb der Kirchen, lebendiges Material der Gestaltwerdung, wenn auch nie für den Glauben mitbestimmende Kraft; denn Glaube entsteht nur wider das Eigenvölkische in jedem Volk.
- Das Eigenvölkische als lebendiges Material für die Volkwerdung der Kirchen sollte nie als Nebensache gelten und wird zu einer Hauptsache in einer Zeit, in der die gekränkte Schöpfung – das gekränkte deutsche Volkstum – an die Kirchentür klopft und verlangt, in der Theologie der Erlösung und in der Liturgie der Kirche einen Platz zu erhalten, und sei es auch nur zu dem einen Ziele, daß die Sünden wider die Schöpfung, wider Blut und Volkstum, sowie wider die Ordnungen der Schöpfung, nicht wieder in der Kirche übersehen oder auch nur zu gering bewertet werden können.
- Der jetzige Kirchenstreit bewirkt kein Schisma. Die Streitenden wollen beide Nationalkirche. Der Kampf findet auf der innersten Linie statt, zwischen den vereinigten dereinstigen Gegnern des Reformators – Klerikalen und Schwärmern – und der reformatorischen Front; jene kämpfen als klerikale Himmelreichsstürmer, diese als Glaubensmenschen in der Nachfolge des Kreuzes; beider Kampfgegenstand und Kampfpreis ist das Erbe der Reformation („zuweilen dünkt mich, die Juristen bedürften wohl eines Luther, aber ich besorge, sie möchten einen Münzer kriegen“ [Luther]).
- Dieser kirchenpolitische und theologische Kampf kann nur zu Ende gehen, wenn der Kampf um die judenchristliche Frage in Offenheit als Kernfrage erkannt und behandelt wird. Klerikalen Blutsschwärmern begegnet das Ärgernis des Kreuzes nur noch in der Heilsgeschichte des Neuen Testamentes: beim Juden Jesus.
- Der Wille der deutschchristlichen Bewegung kann, soweit Gott dies einer Heidenkirche überhaupt gestattet, durch die Lösung der judenchristlichen Frage im Sinne des Evangeliums in Erfüllung gehen. Nur dann käme auch die Einheit der Deutschen Kirche zustande.
- Wenn aber der Wille zur Verwurzelung nur teilweise in Erfüllung gehen wird, so soll sich die Deutsche Kirche ihres einzigartigen Vorzuges, die angestammte Kirche der Reformation zu sein, trösten.
- Die Einigung gelingt daher nur auf dem Boden der eindeutig bestimmten reformatorischen Rechtfertigungstheologie, deren Erneuerung wir der theologischen Besinnung während der Zeit der Schande Deutschlands verdanken.
- Die Verdammung der Häresien und Rottungen kann während des theologischen Kampfes nicht unterbleiben.
- Die brüderliche Verbundenheit muß trotzdem gerade von denen angestrebt werden, denen das Amt der Verdammung und Verketzerung zufällt.
- Die reformatorische Gruppe hat die Aufgabe, den blutsschwärmerischen Ketzer nicht durch die Liebe, aber in der Liebe zu überwinden. Diese Aufgabe erfordert die höchsten Spannungen im christlichen Leben.
- Die kirchenrechtliche Stellung des Judenchristen in den Ämtern und den Gemeinden der völkischen Kirche bleibt unverkürzt. Halbe Christen gibt es nicht. Hospitantenchristentum läßt nicht leben noch sterben: religiöser Sadismus! Und der Versuch, die Judenmission der Heidenmission gleichzuschalten, bedeutet das letzte Kunststück des liberalistischen Zeitalters.
- Daß eine Judenmission sich weigert, überhaupt noch Judentaufen zu vollziehen, ist eine Schande für die Kirche, für die Judenmission aber auch heute eine unhaltbare Haltung. Wäre nicht gerade jetzt eine Judentaufe das für die Kirche Christi notwendige Zeichen?
- In der Geschichte des Reiches Gottes auf Erden sollte in der Apostolischen Zeit das Gesetz (die Thora) „des“ Volkes zum Gesetz der Völker gemacht werden; um der Kirche, d.h. um Christi willen, mußte dieser Anspruch aufgegeben werden (Apostelkonzil zu Jerusalem, Apg. 15). Heute soll das Gesetz (der Nomos) der Völker zum Gesetz „des“ Volkes gestempelt werden; wieder muß auf einen Anspruch um der Kirche, d.h. um Christi willen, Verzicht geleistet werden.
In statu confessionis.
Quelle: K.D. Schmidt (Hrsg.), Die Bekenntnisse und grundsätzlichen Äußerungen zur Kirchenfrage des Jahres 1933, Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht, 1934, S. 66-73.