Karl Steinbauer Senden, am 12.Juni 1938
Senden / Iller Trinitatisfest
An den Evang.-luth. Landeskirchenrat
in München
Betreff: Vereidigung
Die am vergangenen Donnerstag in Nürnberg vor dem Herrn Landesbischof besprochene Eidessache läßt mich nicht zur Ruhe kommen, und ich möchte deshalb noch einmal auch schriftlich meine flehentlich warnende Stimme erhoben haben.
Mein letztes Wort am Donnerstag, als ich mich vom Herrn Landesbischof verabschiedet habe, war etwa: „Herr Landesbischof, ich möchte zum Schluß noch einmal in aller Form festgestellt haben: Mit den gleichen Gründen, wie Sie es heute versucht haben, uns die Notwendigkeit der Eidesleistung klar zu machen, wurde uns vor Jahren deutlich zu machen versucht, daß wir Ludwig Müller zum Reichsbischof wählen müßten.“ Auch damals wurde, wie in der Donnerstag-Besprechung (9.6.38), geredet von den Wünschen und Erwartungen des Staates; auch damals wurde davon geredet, wir dürften die Gelegenheit nicht ungenützt lassen zum Erweis unseres guten Willens und unserer Liebe gegenüber Volk und Staat; auch damals wurde davon geredet, daß wir es doch wirklich glauben und davon überzeugt sein könnten, daß doch die Kirchenleitung auch ein Gewissen habe, wobei auch damals keine überzeugenden theologisch sachlichen Gründe dafür angeführt werden konnten, denn sonst brauchte ja doch nicht so eine hilflose Bitte ausgesprochen werden; auch damals wurde uns gesagt, daß im Weigerungsfälle unabsehbar schwere Folgen zu erwarten seien, und daß die Kirche größten Schaden leiden müsse; auch damals wurde davon geredet, daß die Pfarrerschaft gerade in solchen Entscheidungsstunden einig sein müßte und nicht auseinanderbrechen dürfe, und daß jetzt unter allen Umständen Disziplin herrschen müsse; auch damals hat der Großteil der Pfarrerschaft weithin vollkommen gedankenlos mit dem Kopf genickt und kaum einer hat gemerkt, daß hier zwar viele Gründe vorgebracht wurden, aber auch nicht ein einziger, der vom Gehorsam gegen Schrift und Bekenntnis gesprochen hat, oder es auch nur versucht hätte, die Lage, die Situation usw. müßte Gründe liefern.
Man glaubte in früheren Entscheidungen und Fällen, wie auch im vorliegenden, seine Entscheidungen nach den Erwartungen und Wünschen von Staat und Partei, im „Blick aufs Volksganze“, nach der Melodie „um Schlimmeres zu verhüten“ treffen zu sollen und zu dürfen und ließ sich in der Dreiheit des Gehorsams gegen das Wort Gottes bannen von schriftverbotenem Stieren auf die vermeintlich zu erwartenden Folgen. Daß wir mit einem solchen „verantwortlichen“ und aus der „Liebe“ flutendem Handeln den Staat und uns selber betrogen und in größte Schwierigkeiten gebracht haben und noch weiter bringen werden, müßte ein jeder einigermaßen Einsichtige an den bösen Folgen unseres Verhaltens in der Reichsbischofswahl und unserer Stellung zum Reichskirchenausschuß wirklich erkennen können, um so mehr, als wir ja gerade heute diese bösen Folgen, besonders die, aus dem Verhalten dem staatlichen Reichskirchenausschuß gegenüber, erst recht zu spüren bekommen in den rein staatlichen Kirchenregierungen eines Herrn Klotsche oder Dr. Sohns usw., für deren Existenz Dr. Zöllner mit seiner staatlichen Vokation den Weg grundsätzlich frei gemacht hat, und in seinem Gefolge etwa das Musterbeispiel der Landeskirchenausschuß in Sachsen. Wohl haben etliche auch damals ihre warnende Stimme erhoben, sich in ein kirchliches Amt durch staatliche Vokation rufen zu lassen, aber alle möglichen Gründe, die keine legitimen Einwände waren, wurden vorgebracht, nur die von Schrift und Bekenntnis her dargelegten Einwände wegen des rite vocatus wurden überhört. Ja, man könnte nun unter dem Druck der Situation plötzlich sogar die Vokation Zöllners als doch im Sinne von rite vocatus begründen, in einer ärgerlichen und empörenden Weise jonglierte man die Worte auf der Zunge „als hätte man heißen Brei im Maul“ (Luther). Tatsache aber ist, daß wir durch unser Versagen damals grundsätzlich die Bahn frei gemacht haben für den Einbruch des Staates und der Partei in die Kirche.
Ich will und kann nicht auf alle Einzelheiten eingehen, möchte aber doch kurz an Vergangenes erinnern, ob wir vielleicht doch sehend werden und am Ende doch der und jener vor ungehorsamem Handeln mehr Angst bekommt als vor dem Drohen des Widerchristes.
In der ersten großen Pfarrvereinsversammlung im Sommer 1933, in der die Reichsbischofswahl zur Frage stand, hat der Herr Landesbischof ziemlich wörtlich gesagt, und ich war schon bei verschiedenen Gelegenheiten dem Herrn Landesbischof selbst gegenüber genötigt, darauf hinzuweisen, ohne daß mir je widersprochen werden konnte: „Es kommt jetzt nicht so sehr darauf an, den kirchlich geeignetsten Mann zum Reichsbischof zu wählen, sondern es kommt alles darauf an, den Vertrauensmann des Führers zu wählen.“ Wohlgemerkt war bei der Wahl die Sündentheorie – von Theologie konnte ja keine Rede mehr sein – des Herrn Ludwig Müller genau bekannt; dennoch glaubte man mit solchem offensichtlichen Ungehorsam geradezu wider besseres Wissen und Gewissen im Gegensatz zu Schrift und Bekenntnis handeln zu dürfen und zu müssen, ja scheute sich nicht und schämte sich nicht davon zu reden, die Erzeigung und der Erweis unseres guten Willens und unserer Liebe gegenüber dem Staat u. die hohe Verantwortung für die Zukunft der Kirche, die man andernfalls in große Schwierigkeiten bringen müßte, fordere und gebiete solches Handeln. Also „aus Liebe“ und „Verantwortung“ glaubte man ungehorsam sein zu müssen; nur Ungehorsam, glaubte man, könne die Kirche retten, ganzer Gehorsam müßte der Kirche zum Schaden sein. Auch diese „Liebe“ floß aus dem „Blick auf das Volksganze“ und diese „Verantwortung“ aus den zu erwartenden Folgen. Solche schriftverbotenen Überlegungen wurden damals noch durch Kirchenrat Langenfaß mit dem Hinweis auf Lukas 14,28ff sogar als biblisch geboten begründet, und kaum einer merkte es, daß jenes Gleichnis Jesu 100% gefälscht und unter der Hand zu einer Bauanweisung für einen babylonischen Turmbau gemacht worden ist, den wir mit menschlich kluger Berechnungskunst genau müßten überschauen können und mit den vorweisbaren Markstücken unserer klugen Kirchenpolitik zu garantieren hätten. Beim Hinausgehen aus der Versammlung sagte damals ein Pfarrer zu einem andern: „Jetzt klappt die Sache, denn der Langenfaß ist ein ganz gewiegter Diplomat, dem sind sie nicht gewachsen.“
Wer dachte darüber nach, daß jenem Gleichnis dort noch etliche Verse vorausgehen und etliche noch nachfolgen? Man war dabei beruhigt, daß sogar ein Bibelspruch den Weg wies. Der Herr Christus sagt aber dort eindeutig und unmißverständlich: Wer mir nachfolgen will, der darf nur noch mit mir und mit meinem Kreuz rechnen, sonst hat er sich gründlich verrechnet. Und er schließt dort mit der Feststellung, daß die Gemeinde, die dies vergißt, nicht Salz, sondern dummes Salz ist, das nicht einmal auf den Komposthaufen taugt, sondern auf die Straßen geworfen und zertreten wird. Wir haben allen Grund ernstlich zu fragen, ob nicht das Geschehen an unserer Kirche in unseren Tagen weithin ein Hinauswerfen des dummen Salzes auf die Straßen ist, daß es zertreten werde, und wir halten es am Ende gar noch für Kreuz, obgleich wir immer und immer wieder in unseren Entscheidungen im Tun und Lassen eben nicht allein Ihn und Sein Kreuz in Rechnung setzen.
Das nochmalige Zusagen zum Reichsbischof (Januar 1934) wurde wieder mit ähnlichen Pseudogründen untermauert. Man sollte ja freilich meinen, daß man wenigstens in der Kirche bei all unsern Begründungen für unser Tun und Lassen davon wüßte: „Einen andern Grund kann niemand legen außer dem der gelegt ist, welcher ist Jesus Christus.“ Aber für viele ist ja ein solcher Satz blasse Theorie oder nur für die unsichtbare Kirche verstanden, wer aber in actu und in concreto davon zu reden wagt, ist ein Schwärmer.
Ich habe zwar meine wörtlichen Aufzeichnungen nicht hier in Senden, erinnere mich aber dem Sinn nach genau. Damals führte der Herr Landesbischof, nachdem er die Fragen aufgeworfen hatte: Haben wir das Bekenntnis verraten, haben wir die Kirche verraten, haben wir die Brüder verraten? und diese Fragen alle mit einem glatten reinen „Nein“ beantworten zu können glaubte, obgleich sie eindeutig mit einem glatten runden „Ja“ hätten beantwortet werden müssen, unter anderem aus: „Wir konnten die gebotene Hand des Führers nicht ausschlagen“ – „Der Führer hat gesagt: Wenn Sie sich nicht fügen und vertragen, sind außerordentlich ernste Folgen zu erwarten!–“
Oder eine weitere Äußerung des Reichskanzlers: „Der Staat ist auf die Dauer nicht dazu da, kirchenpolitische Streitigkeiten zu finanzieren.“ – Der Herr Landesbischof sagte dann zusammenfassend und folgend etwa: „Im Hinblick auf die neuerlichen Versprechungen des Herrn Reichsbischof und im Hinblick auf die Inaussichtstellung der außerordentlich ernsten Folgen durch den Herrn Reichskanzler haben wir nochmals die Hand geboten.“
Es hat der Lauterkeit und Glaubwürdigkeit des kirchlichen Kampfes unabsehbaren Schaden getan, daß die Leitungen der bekenntnisgebundenen Bekennenden Kirche unter Druck und Drohung die Summe eines häretischen Reichsbischofs so bereitwillig auf den Tisch der Reichskanzlei gezahlt haben, die doch für die Bekennende Kirche unaufbringbar hätte sein müssen. Auch haben wir selber durch solches Nachgeben und Handeln, das freilich tatsächlich wider Schrift und Bekenntnis war, unser bisheriges Tun als „kirchenpolitische Streitigkeiten“, die zu finanzieren der Staat auf die Dauer nicht da ist, im Urteil des Staates gewertet und bestätigt.
Auf die Folgen schaut man und richtet darnach sein Handeln ein. „Das Ende und der Ausgang der Sachen zermartert Euch, darum, daß Ihr’s nicht begreifen könnt. Aber wenn Ihr es begreifen könntet, so wollte ich nicht dieser Sachen teilhaftig sein und noch viel weniger ihr Haupt sein. Gott hat sie an einen andern Ort gesetzt, den Ihr in Eurer Rhetorik nicht findet, auch nicht in Eurer Philosophia“; auch nicht, füge ich hinzu, in Eurer Psychologia. „Derselbe Ort heißt Glaube … Hätte Moses das Ende begreifen wollen, wie das Volk Israel dem Heer des Pharao entgehen möchte, so wären sie vielleicht noch heut diesen Tag in Ägypten. Der Herr mehre Euch und uns allen den Glauben. Wenn wir den haben, was will uns der Teufel mitsamt der ganzen Welt tun?“ (Luther, Coburgbriefe 1530, herausgegeben von Hopf, S. 41).
Daß aber unser Handeln nicht nur auf Erden Folgen hat, sondern auch im Himmel, das bedenken wir offenbar nicht. Wenn wir uns sogar respektvoll vor Menschen beugen und so tun, als verdanke die Kirche ihnen ihr Leben, dann schicken wir faktisch in der Zwischenzeit den lebendigen Herrn der Kirche in Pension, und er wird uns praktisch darüber belehren, wie die Kirche blüht, wächst, gedeiht und erhalten wird, wenn sie meint, von Menschengnaden leben und an Menschenungnaden zugrunde gehen zu müssen. Wir tun immer, als sähe der Herr im Himmel, der offenbar in höheren und in allzu hohen Sphären schwebt, nicht die „gegebenen Tatsachen“, das „Drohen“ und sei er nur zuständig für sterile und sterilisierte Weckglas-Dogmatik, die man ab und zu am Sonntag zum Nachtisch vorsetzt, und als müßten wir die konkreten Fragen und Aufgaben selber in die Hand nehmen. Da hat Luther eine andere Kirchenpolitik getrieben und seine Dogmatik war dogma in actu. „Soll’s denn erlogen sein, daß Gott seinen Sohn für uns gegeben hat, so sei der Teufel an meiner statt ein Mensch oder eine seiner Kreaturen. Ist’s aber wahr, was machen wir dann mit unserem leidigen Fürchten, Zagen, Sorgen, Trauern usw.? Gleich als wollt er uns in so geringen Sachen nicht beistehen, da er doch seinen Sohn für uns gegeben hat, oder gleich als sei der Teufel mächtiger denn er.
… derhalben bin ich beinahe ein müßiger Zuschauer und wollt nicht ein Klipplin auf die Papisten und ihr Wüten und Dräuen geben. Fallen wir, so fällt Christus auch mit, der Regierer der Welt. Und ob er gleich fiele, so wollt ich doch lieber mit Christo fallen, denn mit dem Kaiser stehen.“ (a.a.O. S. 46 f)
„Ist die Sache unrecht, so laßt uns sie widerrufen. Ist sie aber recht, warum machen wir Gott in so großen Verheißungen zum Lügner, da er uns doch heißt, guter Dinge sein und ruhig schlafen? (Das ist Luther’s aktive Kirchenpolitik!) Wirf, sagt er, dein Sorg auf den Herrn. Der Herr ist nahe allen betrübten Herzen, die ihn anrufen. Meint ihr, daß er solches in den Wind redet oder vor die Türe wirft? Es kommt mich auch oft ein Grauen an, aber nicht allewege. Eure Philosophia plaget Euch also, nicht die Theologia … denn Ihr selbst seid Euer größter Feind, weil Ihr dem Teufel so viel Waffen wider Euch selbst reichet. Christus ist für die Sünde gestorben einmal, aber für die Gerechtigkeit und Wahrheit wird er nicht sterben, sondern er lebet und regiert. … Ich bitte wahrlich mit Fleiß für Euch und es tut mir wehe, daß Ihr die Sorgen, wie der Blutegel das Blut in Euch sauget, und meine Gebete so kraftlos macht …“ (a.a.O. S. 36 f)
„Philippum ficht seine Philosophie an, sonst nichts. Denn die Sache selbst ist in der Hand, der gar kühn zu sagen wagt: Niemand soll sie aus meiner Hand reißen. Ich wollte auch nicht, noch wäre zu raten, daß die Sache in unserer Hand stünde. Ich hab ihr viel in meiner Hand gehabt und alle verloren, nicht eine behalten. Nie Sachen aber, so ich bisher aus meinen Händen auf ihn habe werfen können, die habe ich noch alle heil und unverletzt. Denn es ist wahr: Gott ist unsere Zuversicht und Stärke.“ (a.a.O. S. 43 f.)
Da kann man lernen, aktive Kirchenpolitik zu treiben: Alles dem Herrn in die Hände geben und nicht in menschlicher Verantwortlichkeitstuerei töricht und anmaßend unverantwortlich zu werden und Gott ins Handwerk pfuschen zu wollen.
Von daher mag es verständlich sein, weshalb ich am Donnerstag nicht nur mit Worten, sondern tatsächlich auf den Tisch geschlagen habe, als der Herr Landesbischof unsere langen grundsätzlichen Bedenken gegen die Eidesleistung damit meinte entkräften zu können, daß er sagte: „Verehrte Herren und Brüder, Sie dürfen doch wirklich überzeugt sein, daß der Landeskirchenrat nichts Unpsychologisches von Ihnen verlangen wird.“ Ich habe mir solches Reden sofort eindeutig verbeten indem ich etwa sagte: „Es ist unerhört, uns nach ausführlichen grundsätzlichen theologischen Überlegungen mit Psychologie zu traktieren. Ich für meine Person verbitte mir das in aller Form. Ich habe nicht Psychologie studiert und gedenke es nicht zu studieren, und lasse mich nicht mit Psychologie traktieren, wo es um Theologie geht. Sie sind unser Bischof und haben zu solchen Reden kein Recht. Entweder Sie sind in der Lage, uns mit dem Wort Gottes von unserem Standpunkt zu lösen und für Ihren Weg im Gewissen zu binden, oder Sie haben sich, wenn Sie Ihrerseits nicht in der Lage sind, zu binden oder zu lösen, sich selbst vom Wort Gottes binden zu lassen. Psychologie jedenfalls scheidet hier völlig aus! Es geht um Theologie!
Ihr im Herrn Christus verbundener
Karl Steinbauer.
Quelle: Karl Steinbauer, Einander das Zeugnis gönnen, Bd. 3, Erlangen 1985, S. 125-132.