„Tritt frisch auf, tu’s Maul auf, hör bald auf!“ Martin Luther über den rechten Prediger in seiner Auslegung der Bergpredigt (1532)

Bekannt ist der Lutherspruch „Tritt frisch auf, tu’s Maul auf, hör bald auf!“ Wörtlich hat das Luther selbst nicht gesagt, aber folgender Satz findet sich bei ihm gleich zu Beginn seiner Auslegungen der Bergpredigt mit Bezug auf Matthäus 5,1-2: „Denn das sind die drei Stücke, die – wie man sagt – zu einem guten Prediger gehören: Zum ersten, daß er auftritt, zum zwei­ten, daß er den Mund auftut und etwas sagt, zum dritten, daß er auch aufhören kann.“ In der verkürzten Form „Tritt frisch auf, tu’s Maul auf, hör bald auf!“ wurde diese Predigerermahnung häufig an Predigtkanzeln, besonders der Innenseite der Kanzeltür angebracht. Hier die vollständige Ermahnung Luthers an die Prediger:

Der rechte Prediger

Von Martin Luther

Während der Stadtpfarrer Johannes Bugenhagen (1485 bis 1558) vom Herbst 1530 bis zum Frühjahr 1532 in Lübeck die Reformation organisierte, vertrat ihn Luther und hielt mitt­wochs in der Wittenberger Stadtkirche Predigten über die Berg­predigt und Joh. 6,26-8,38. Die Pre­digten über Matth. 5-7 er­schienen 1532 in Wittenberg unter dem Titel ,,Das fünfte, sechste und siebente Kapitel Matthäi gepredigt und ausgelegt“ (WA 32,299-544), wovon hier ein Stück aus der Einlei­tung (WA 32,302,18-305,3) wiedergegeben wird.

Da er [Jesus] das Volk sah, ging er auf einen Berg und setzte sich, und seine Jünger traten zu ihm. Und er tat seinen Mund auf, lehrte sie und sprach“ (Matth. 5,1 f.).

Hier macht der Evangelist eine Vorrede und eine Beschrei­bung, wie sich Christus zu der Predigt, die er halten wollte, hin­gestellt hat, daß er auf einen Berg geht und sich setzt und seinen Mund auftut, damit man sieht, daß es ihm Ernst ist. Denn das sind die drei Stücke, die – wie man sagt – zu einem guten Prediger gehören: Zum ersten, daß er auftritt, zum zwei­ten, daß er den Mund auftut und etwas sagt, zum dritten, daß er auch aufhören kann.[1]

Auftreten heißt, daß er sich hinstellt wie ein Meister oder Pre­diger, der es kann und tun soll, der dazu berufen ist und nicht von sich selbst kommt, sondern dem es aus Pflicht und Gehor­sam gebührt, so daß er sagen kann: „Ich komme nicht auf­grund eigenen Vornehmens oder Gutdünkens, sondern ich muß es von Amts wegen tun.“ Das ist gegen die gesagt, die uns bisher und noch so viel plagen und martern, die Rottenbuben und Schwärmer, die hin und wieder im Land umherlaufen und -streichen und die Leute vergiften, ehe es die Pfarrer und die­jenigen, die im Amt oder der Obrigkeit sitzen, erfahren, und so ein Haus nach dem anderen anstecken, bis sie eine ganze Stadt und danach von der Stadt aus ein ganzes Land vergiften. [303]

Um solchen Schleichern und Streichern[2] zu wehren, sollte man einfach niemanden zum Pre­digen zulassen, dem es nicht befohlen und dieser Dienst auferlegt ist. Auch soll sich nie­mand unterstehen, obgleich er auch ein Prediger ist, wenn er in einer päpstlichen oder einer anderen Kirche einen Lügenpredi­ger hört, der die Menschen verführt, gegen ihn zu predigen. Er soll auch nicht hin und wieder in die Häuser schleichen und be­sondere, nichtöffentliche Predigten einrichten, sondern daheim bleiben und seinen Dienst und seine Kanzel richtig versehen oder Stilleschweigen, wenn er nicht öffentlich auf der Kanzel treten kann oder will. Denn Gott will nicht, daß man mit seinem Wort umherirrt, als ob jemanden der Heilige Geist treibe und er predigen müsse und so Städte und verborgene Häuser oder Kanzeln aufsucht, wo er kein Amt hat. Denn auch der heilige Paulus selbst wollte nicht, obgleich er von Gott zum Apostel be­rufen war, an den Orten predigen, an denen die anderen Apostel vorher gepredigt hatten (Röm. 15,20; 2. Kor. 10,1 5 f.). Darum steht hier, daß Christus ganz öffentlich auf den Berg geht, als er seinen Predigtdienst anfängt. Und bald danach spricht er zu den Jüngern (Matth. 5,14 f.): „Ihr seid das Licht der Welt. Und man zündet kein Licht an und steckt es unter einen Scheffel, sondern setzt es auf einen Leuchter, damit es allen leuchtet, die im Hause sind.“ Denn das Predigtamt und Gottes Wort sol­len daher leuchten wie die Sonne, nicht im Dunkeln und mit bö­ser Absicht im Verborgenen schleichen, wie man blinde Kuh spielt, sondern frei am Tage handeln und sich gerne offen sehen lassen, damit sowohl der Prediger als auch die Zuhörer gewiß sind, daß es richtig gelehrt und das Amt befohlen ist, so daß sie es nicht zu verheimlichen brauchen. So tue du auch. Wenn du im Amt bist und den Auftrag zu predigen hast, dann tritt ganz öffentlich hervor und scheue niemanden, damit du dich mit Christus rüh­men kannst, Joh. 19,20: „Ich habe ganz öffentlich vor der Welt gelehrt und nichts im Verbor­genen ge­redet …

Sprichst du aber: „Wie? Soll denn niemand etwas lehren, es geschehe denn öffentlich? Soll ein Hausvater in seinem Haus seine Gehilfen nicht lehren oder einen Schüler oder einen an­deren bei sich halten, der ihnen vorliest?“ Antwort: Gewiß, das ist auch wohlgetan, dazu der rechte Ort. Denn ein jeder Haus­vater ist verpflichtet, daß er seine Kinder und seine Gehilfen er­zieht und belehrt oder belehren läßt. Denn er ist in seinem Haus wie ein Pfarrer oder Bischof überseine Gehilfen. Und er hat den Auftrag, darauf zu sehen, was sie lernen, und für sie die Verant­wortung zu übernehmen. Aber das gilt nicht, wenn du das außer deinem Haus tun willst und dich von dir selbst aus in andere Häuser oder bei Nachbarn eindringst. Du sollst auch nicht dul­den, daß irgendein Schleicher zu dir kommt und in deinem Haus eine besondere Predigt einrichte, wozu er nicht beauftragt ist. Kommt aber einer in ein Haus oder in eine Stadt, so gebiete man ihm, ein Zeugnis zu bringen, daß er bekannt ist, oder Brief und Siegel vorzuweisen, daß er einen Auftrag hat. Denn man darf nicht jedem Umherstreicherglauben, der sich des Heiligen Geistes rühmt [304] und sich damit in den Häusern hin und her bewegt. Kurzum: Es bedeutet, das Evangelium oder das Pre­digtamt soll nicht im Verborgenen, son­dern hoch oben auf dem Berg und ganz öffentlich im Hellen sich hören lassen. Das ist das eine, was Matthäus hier anzeigen will.

Das zweite ist, daß er seinen Mund auftut. Das gehört – wie gesagt – auch zu einem Prediger, daß er nicht den Mund zuhält und nicht nur das Amt öffentlich führt, damit jeder schweigen muß und ihn als den, der das göttliche Recht und den Auftrag hat, auftreten lasse. Vielmehr gehört dazu, daß er den Mund frisch und getrost auftut, um die Wahrheit und was ihm aufge­tragen ist zu predigen, nichts verschweigt oder nur murmelt, sondern ohne Scheu und uner­schrocken bekennt und klar her­aus sagt, auf niemanden Rücksicht nimmt noch jemanden schont, es treffe, wen oder was es wolle. Denn das hindert einen Prediger sehr, wenn er sich umsehen und darum küm­mern will, was man gerne oder was man nicht gerne hört oder was ihm Mißgunst, Schaden oder Gefahr bringen könnte. Viel­mehr soll er so, wie er hoch auf einem Berg an einem öffent­lichen Ort steht und frei um sich sieht, frei reden und nieman­den scheuen – obgleich er viele Menschen und Köpfe sieht – und kein Blatt vor dem Mund neh­men, weder auf gnädige noch auf zornige Herren und Jungherren, Gold, Reichtum, Ehre, Ge­walt noch Schande, Armut oder Schaden Rücksicht nehmen und an nichts weiter denken, als daß er rede, was sein Amt for­dert, um dessen willen er da steht.

Denn Christus hat das Predigtamt nicht dazu eingerichtet und eingesetzt, damit es dazu diene, Geld, Gut, Gunst, Ehre, Freundschaft zu erwerben oder seinen Vorteil damit zu suchen, son­dern damit man die Wahrheit ganz öffentlich an den Tag bringt, das Böse straft und sagt, was zum Nutzen, zum Heil und zur Seligkeit der Seelen gehört usw. Denn Gottes Wort ist nicht darum hier, damit es lehre, wie eine Magd oder ein Knecht im Hause arbeiten und ihr Brot verdienen oder ein Bürgermeister regieren, ein Ackermann pflügen oder Heu machen soll. Kurzum, weder gibt noch lehrt es zeitliche Güter, um dadurch dieses Leben zu erhalten, denn das hat die Vernunft ohnehin alles einem jeden gelehrt. Vielmehr will es lehren, wie wir zu jenem Leben kommen sollen, und fordert dich auf, dieses Le­ben zu nutzen und den Bauch hierzu nähren, so lange es währt, jedoch so, daß du weißt, wo du bleiben und leben sollst, wenn dieses aufhören muß. Wenn nun das beginnt, daß man von einem anderen Leben predi­gen soll, nach dem wir trachten und um dessen willen wir nicht denken sollen, als ob wir ewig hier bleiben wollten, so fängt der Zank und der Streit an, weil es die Welt nicht leiden will. Wenn dann einem Prediger der Bauch und das zeitliche Leben lieber ist, tut er es nicht. Er steht zwar und plaudert auf der Kanzel, aber er predigt nicht die Wahrheit und tut den Mund niemals auf. Wenn es böse gehen will, hält er inne und beißt den Fuchs nicht.[3] [305]

Siehe, darum hat Matthäus diese Beschreibung vorausge­schickt, daß Christus als ein rechter Prediger auf den Berg geht und den Mund frisch auftut, die Wahrheit lehrt und sowohl falsche Lehre als auch falsches Leben straft, wie wir hören werden.

Quelle: Martin Luther Taschenausgabe. Auswahl in fünf Bänden, hg. v. Horst Beintker, Hel­mar Junghans und Hubert Kirchner, Band 3: Sakramente, Gottesdienst, Gemeinde­ordnung, bearbeitet von Helmar Junghans, Berlin 1981, 175-178.


[1] Diese von Luther auf eine allgemeine Ansicht zurückgeführte Dreiteilung der Forderungen an einen Prediger wurde oft als Lutherwort an Kanzeln, besonders der Innenseite der Kanzeltür, in der folgenden Form angebracht: „Tritt frisch auf, tu’s Maul auf, hör bald auf!“

[2] Wanderprediger der Täufer.

[3] Hat er nicht den Mut, an gefährliche Dinge heranzugehen.

Hier der Text als pdf.

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