
„Wo ist solch ein Gott, wie du bist, der die Sünde vergibt und erlässt die Schuld denen, die geblieben sind als Rest seines Erbteils; der an seinem Zorn nicht ewig festhält, denn er hat Gefallen an Gnade! Er wird sich unser wieder erbarmen, unsere Schuld unter die Füße treten und alle unsere Sünden in die Tiefen des Meeres werfen. Du wirst Jakob die Treue halten und Abraham Gnade erweisen, wie du unsern Vätern vorzeiten geschworen hast.“ (Micha 7,18-20).
Was für ein Gotteslob aus Prophetenmund! Wer will darin einstimmen und den Gott Israels und Vater Jesu Christi als Sündenverwerfer und Schuldzertreter preisen? Da müsste man ja zuvor selbstbetroffen sprechen: „Gott, sei mir Sünder gnädig!“ Schuld suchen bei anderen, in der Politik und Wirtschaft, ist das eine, aber sich eigene Schuld eingestehen – „meine Schuld, meine Schuld, meine große Schuld“? Leichter fällt es über Schuldgefühle zu sprechen. Mit eigenen Schuldgefühlen bleibe ich niemandem etwas schuldig, bin also nicht auf die Vergebung anderer angewiesen.
Ohne Schuldbekenntnis scheint es sich leichter zu leben. Und doch frage ich mich, ob wir uns selbsterklärtermaßen „schuldfrei“ einen Gefallen tun. Was in jedem Fall bleibt, ist nämlich die eigene Scham. Bei der Scham geht es um unser Ansehen. Wie wir gesehen werden (können), ist für das eigene Leben wesentlich. Die Schamfrage heißt: Wie stehe ich vor den anderen da? So wie ich mich selbst vor anderen sehen möchte, sollen die anderen mich sehen. Ich bin daher auf ein ansehnliches Ansehen bei anderen bedacht. Um mir dieses Ansehen selbst zu bewahren, dürfen die anderen jedoch bestimmte Dinge weder sehen noch wissen. Ich muss mich also bedeckt halten.
Wenn man das von mir wüsste, wäre mein Ansehen dahin. Wenn das ans Licht käme, müsste ich vor Scham in den Erdboden versinken. Zum Glück hat es bislang keiner gemerkt, aber wer weiß … Genug Geschichten sind uns aus den Medien bekannt, wie ein Mensch nach einer Skandalenthüllung über Nacht all sein öffentliches Ansehen verloren hat und zum „Niemand“ geworden ist. Mit einem Schlag steht er bloßgestellt und verachtet vor anderen da. Und er bzw. sie hat keine Möglichkeit, dieses verlorengegangene Ansehen selbst wieder zurückzugewinnen. Ja, „mancher, der in hohem Ansehen steht, fällt tief.“ (Sirach 20,11)
Das Beste was mir passieren kann ist vor Gott ein Sünder zu sein, der in das Gotteslob des Propheten einstimmt: „Wo ist solch ein Gott, wie du bist, der die Sünde vergibt und erlässt die Schuld; der an seinem Zorn nicht ewig festhält, denn er hat Gefallen an Gnade!“ Sünde ist nicht das moralisch Verwerfliche in den Augen der anderen, sondern das, womit ich vor Gott nicht zurechtkomme, was mich vor Gott nicht leben lässt. „Es gibt bei Gott kein Ansehen der Person.“ (Römer 2,11) „Gott sieht nämlich nicht auf das, worauf der Mensch sieht.“ (1.Samuel 16,7) Im Unterschied zu Menschen hält sich Gott nicht an meinem Ansehen fest. Er sieht mich vielmehr in der Unansehnlichkeit seines Sohnes am Kreuz: „Er hatte keine Gestalt und keine Pracht, dass wir ihn angesehen hätten, und sein Aussehen war nicht so, dass er uns gefallen hätte. Verachtet war er und von Menschen verlassen, ein Mann der Schmerzen und mit Krankheit vertraut und wie einer, vor dem man das Gesicht verhüllt, ein Verachteter, und wir haben ihn nicht geachtet. […] Nachdem er vieles ertrug, erblickt er das Licht. Er sättigt sich an Erkenntnis. Mein Knecht, der gerechte, macht die Vielen gerecht; er lädt ihre Schuld auf sich.“ (Jesaja 53,2-3.11)
Jesu unansehnliches Ansehen vor seinem Vater lässt mich als Sünder vor Gott bestehen. Im Anblick seines Sohnes ist Gott nicht länger auf sein eigenes Ansehen bedacht. Vielmehr findet er sein „Gefallen an Gnade! Er wird sich unser wieder erbarmen, unsere Schuld unter die Füße treten und alle unsere Sünden in die Tiefen des Meeres werfen.“ (Micha 7,19) Wer im Glauben an sein Wort den göttlichen Gnadenblick erfährt, ist nicht länger von seinem Ansehen bei anderen abhängig. Das Beste, was mir passieren kann, ist dieser Gnadenblick in Jesus Christus, der mein ganzes Leben einnimmt. Er lässt mich schuldbewusst und zugleich unverschämt zu Gott aufsehen. In diesem Aufsehen kann ich – durchaus selbstbewusst – vor anderen Menschen bestehen, egal wie sie mich ansehen.
So bete ich: Himmlischer Vater, im Anblick deines Sohnes Jesus Christus am Kreuz hast Du Gefallen an Gnade. Was wir uns selbst nicht eingestehen können, lass Deinen Geist vor Dir zur Sprache bringen. Dein Gnadenblick ruhe auf uns, dass wir nicht von unserem Ansehen bei anderen abhängig sind. Durch Jesus Christus, der mit Dir und dem Heiligen Geist lebt und regiert von Ewigkeit zu Ewigkeit. Amen.
was wir un selbst nicht eingestehen können,laß deinen Geist zur Srache bringen,geborgen um die Möglichkeit des immer neuen Anfangs.so daß wir nicht von andern abhängig sind—richtet nicht,damit ihr nicht gerichtet werdet—in dubio pro reo,Das Prinzip der Psychotherapie,aufbauen aus Ruinen,mit dem Ziel dieselbe Liebe weiter zu geben.