Rechenschaft über die Hoffnung statt Rechtfertigung Gottes. Über die Theodizee-Frage

Rechenschaft über die Hoffnung statt Rechtfertigung Gottes. Über die Theodizee-Frage

Die Frage nach der Theodizee – die Rechtfertigung Gottes angesichts menschlichen Unglücks und Leidens (vgl. Römer 3,5)[1] – ist weithin eine theoretische. Wer sie stellt, sitzt am Schreib­tisch oder auf der Schulbank. Sind Menschen vom Leiden selbst eingeholt, klagen sie, verbit­tern, schweigen oder beten. So beispielsweise Hiob, der in seinem Leiden den Gott anklagt und zugleich sich vor dem Gott bloßstellt (vgl. Hiob 7,1-10,22). Hiob fragt nicht, warum das alles, sondern er befragt den Gott und befindet sich damit in einer Zwiesprache mit ihm. Und nur in dieser Zwiespra­che findet er am Ende sein Vertrauen zu dem Gott neu (Hiob 42,1-6).

Die philosophische Theodizee-Frage hingegen entstammt dem Denken des Einen als höchste Idee. Wenn der gedachte Gott allmächtig und allwissend zu sein hat, ist er zugleich allwirk­lich. Ist er allwirklich, muss alles Geschehen ihm zugeschrieben werden, auch das, was wir als ungut oder böswillig erfahren. Zumindest zugelassen hat der gedachte Gott das Unheil in sei­ner Allmacht bzw. in seiner Vorsehung. Hinter all dem, was geschieht, wird er als Erstursache (prima causa) gesehen, so dass menschliche Handlungen bzw. natürliche Geschehen als „Zweitursachen“ (causae secundae) auf ihn zurückgeführt werden. Damit entsteht ein grund­legender Konflikt zu einer weiteren „Gotteseigenschaft“, nämlich die Güte bzw. die Barm­herzigkeit. Alles, was der gedachte Gott will, hat gut zu sein, schließlich gilt er der menschli­chen Vernunft selbst als das „höchste Gut (summum bonum)“. Im Angesicht des Leidens kann jedoch die Güte menschlicherseits nicht erkannt werden. Klassisch ist das Problem vom christlichen Apologeten Lactantius (~ 250 – ~ 325 n.Chr.) benannt worden, der die Theodizee-Frage – irrtümlicherweise – durch den griechischen Philosophen Epikur (341-270 v. Chr.) gestellt sieht:

„Kann Gott das Übel nicht beseitigen, ist er ohnmächtig; will er es nicht beseitigen, ist er neidisch; will und kann er es nicht, ist er ohnmächtig und neidisch; dass er wolle und könne, widerspricht der allgemeinen Erfahrung“ (De ira Dei 13).

Die atheistische Antwort ist, dass die Idee des Allmächtig-Gütigen nicht wirklich gedacht werden kann, womit der Gottesgedanke selbst hinfällig wäre. Religionsphilosophen und Theologen hingegen versuchen sich an Theodizee-Antworten, die Gott denkbar sein lassen:

a) Das moralische Übel (malum moralum), also böswillige oder moralisch verfehlte Handlun­gen werden der menschlichen Willensfreiheit zugeschrieben, mit der der Mensch von Gott ge­schaffen worden ist. In der christlichen Lehre vom Sündenfall wird dies dahingehend erwei­tert, dass der Mensch nicht länger in paradiesischen Ver­hältnissen lebt, weil er sich selbst gegen Gott aufgelehnt (Genesis 3) und damit sich die Erbsünde zugezogen hat (non posse non peccare). Aber daran schließt sich die Frage an, warum Gott diesen Sündenfall zugelassen hat und warum durch moralisch verfehltes Handeln auch das Leben anderer in Mitleidenschaft gezogen wird.

b) Nicht erklärt ist damit außerdem, warum natürliche Katastrophen bzw. Krankheiten Men­schen in Mitlei­den­schaft ziehen (malum physicum). Hier wird mitunter eine göttliche Päda­gogik bemüht: Un­glück und Leidzufügung dienen als göttliche Erziehungs-, wenn nicht gar als Strafmaß­nah­men. Menschen soll vergolten werden, was sie selbst Sündiges bzw. Böswil­liges getan haben. Ein solches Gericht soll die Davongekommenen zur Umkehr zu Gott bewe­gen (vgl. dazu die prophetischen Bücher im Alten Testament). Aber auch da stellt sich die Frage, warum junge Kinder, die selbst keine „Fehlgeschichte“ haben (und nur eingeschränkt lern­fähig sind), in Mitleidenschaft gezogen werden. Immerhin können manche von sich sagen, dass sie aus einer lebensbedrohlichen Krank­heit etwas für sich gelernt haben und dass durch die überstandene Krankheit sich ihr eigenes Leben vertieft hat. Doch eine Fremddiagnose „Krank­heit als Lehre“ darf nicht Menschen in deren Leiden zugeschrieben werden, will man sie nicht in die hoffnungslose Selbstverzweiflung führen (vgl. dazu die Versuche der drei Freunde Hiobs, diesen von der Gottgewolltheit seines Leidens zu überzeugen, Hiob 4-27).

c) Mitunter wird versucht, das Böse als eigenständige Wirklichkeit einer widergöttlichen Macht zuzuschreiben – der Teufel bzw. Satan als Versucher und Verursacher. Aber dies führt in letz­ter Konsequenz zu einem religiösen Dualismus, wo irdisches Gesche­hen in der Span­nung von Göttlichem und Widergöttlichem verstanden wird. Die gött­liche Allmacht bzw. All­wissenheit wird damit denkerisch preisgegeben.

d) Man könnte weiterhin das Übel in dem Gegensatz von metaphysi­schem Geist und physi­scher Materie zu verstehen suchen. Leibliches Leben hat in seiner Endlichkeit und Unvoll­kom­men­heit gegenüber der göttlichen Ewigkeit bzw. Vollkommenheit ein Seinsdefizit (malum metaphysicum, vgl. Leibniz). Je weiter das geschaffene Leben von Gott in seiner Sinnlichkeit und materiellen Gebun­denheit vom Göttlichen und damit vom wahren Sein entfernt ist, umso stär­ker ist es im Übel gefangen. In Bezug auf das wahre ewige Sein wird das temporäre Übel als vorübergehend und damit schlussendlich nichtig ange­sehen. So könnte man sich denkerisch aus dem Übel und dessen Vergänglichkeit lösen. Allerdings bliebe damit das eigene leibliche Leben sich selbst überlassen.

e) Schließlich könnte – mit Bezug auf die biblische Bildrede vom Töpfer und Ton (Jesaja 29,16; 45,9) – argumentiert werden, dass menschliches Urteilsvermögen göttliche Güte nicht zurei­chend zu beurteilen vermag. Dass hinter dem vordergründigen Leid und Unheil Gottes wahre „Güte“ nicht zu erkennen sei, gälte als menschliches Erkenntnisdefizit, das nicht gött­lich zu verantworten sei. Doch ließe sich wiederum biblisch einwenden, dass dem Gott nicht nur Güte zuzutrauen ist, wenn er von sich selbst spricht: „Ich bin der HERR, und sonst keiner mehr, der ich das Licht mache und schaffe die Finsternis, der ich Frieden gebe und schaffe Unheil. Ich bin der HERR, der dies alles tut.“ (Jesaja 45,6f; vgl. Amos 3,6; Klagelieder 3,37)

All diese Theodizee-Versuche überzeugen nicht wirklich. Sie suchen sich den Gott zurechtzu­denken und diesen kategorisch aus dem Leidgeschehen zu entfernen. Um seiner „Idealität“ willen hat der Gott vernünftigerweise „über den Dingen“ zu stehen. Mit solch einer apathischen Gottesvor­stellung kann jedoch die biblische Gnadenformel „Barmherzig und gnädig ist der HERR, geduldig und von großer Güte“ (Psalm 103,8) dem irdisch-menschlichen Geschehen nicht länger zugesprochen werden.

Für eine christliche Rechenschaft über die Hoffnung (vgl. 1.Petrus 3,15) sehe ich fünf Argumentationslinien:

  1. Das Böse erschließt sich uns Menschen nicht in vernünftiger Weise.
  2. Menschen müssen mitunter den Gott in seiner Güte vermissen (deus absconditus) und erfahren stattdessen seinen (richterlichen) Zorn.
  3. Der Gott darf und muss im Gebet und in der Klage leidenschaftlich angegan­gen werden – warum, wo bist du, wie kannst du?
  4. Erfahrungswidriges Gottvertrauen kann im menschgewordenen Gottessohn mit dessen stellvertretenden Sühneleiden („Fürwahr, er trug unsre Krankheit und lud auf sich unsre Schmerzen …“, Jes 53,4f.) gefunden werden, ohne dass uns dies garantiert ist.
  5. Die Apokalypse ist die göttliche Ansage, dass das Weltgeschehen am Ende der Tage umfassend eingeholt wird und Menschen im Glauben an Christus zum Heil gebracht wird. „Wir warten aber auf einen neuen Himmel und eine neue Erde nach seiner Verheißung, in denen Gerechtigkeit wohnt.“ (2.Petrus 3,13)

[1] Der Begriff „Theodizee“ geht auf die gleichnamige Schrift „Theodizee“ (Originaltitel: Essais de Théodicée, Amsterdam 1710) von Gottfried Wilhelm Leibniz (1646-1716) zurück.

Hier mein Text als pdf.

1 Kommentar

  1. Lieber Bruder Teuffel, ich habe sechzehn Jahre RU an Gymnasien in NRW gegeben. Und von 2005 bis 2019 war ich als HP an den Unis Bielefeld und Paderborn tätig. Wie oft nur hätte ich Ihren elementaren Text brauchen können! Sie sagen ja nichts Neues. Aber sie sagen das Wahre und Notwendige im theologischen und didaktischen Sinne (eben) elementar. Nach meinem Verständnis kann man über einen theologischen Text recht eigentlich nichts Besseres sagen ….. rw

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