Edmund Schlink über die Doxologie bzw. den Lobpreis in seiner Ökumenischen Dogmatik: „Sowohl in den alttestamentlichen Psalmen als auch in den neutestamentlichen Doxologien und in der Geschichte der kirchlichen Liturgie kommt der Lobpreis Gottes in einer immer neuen Plerophorie zum Ausdruck, in der die Uner­schöpflichkeit der göttlichen Vollkommenheit gepriesen wird. Die Unerschöpflichkeit des durch den Namen aussagbar gewordenen Gottes drängt zum Überschwang der Aussagen. Darum braucht es keineswegs eine Entartung des Lobpreises zu sein, wenn er z. B. in man­chen afrikanischen Gemeinden vom wortlosen Jubel und Tanz umgeben ist.“

Was Edmund Schlink 1983 in seiner Ökumenischen Dogmatik in Sachen Lobpreis und Doxologie geschrieben hat, ist immer noch lesenswert:

Der Lobpreis Gottes

Von Edmund Schlink

1. Die Danksagung für Gottes Taten

Wir haben Gott für seine großen Taten zu danken. So hat das alttestamentliche Bundesvolk in seinen Psalmen immer wieder für die Errettung aus Ägypten und für die Gabe des Berges Zion und des davidischen Königtums gedankt. Darüber hinaus galt dieser Dank Gottes Bund mit Abraham und Gottes Schöpfungstat am Anfang. In der Kirche ist die Erlösungstat Gottes durch Jesus Christus der zentrale Inhalt des immerwährenden Dankens. Auch diese Danksa­gung blieb nicht ohne Bezug auf die Schöpfungstat Gottes am Anfang, die er durch den prä­existenten Christus als den Schöpfungsmittler vollbracht hat. So ist auch das eucharistische Gebet im Herrenmahl nicht nur ein Gedenken an Jesu Tod, sondern ist in der liturgischen Entfaltung zu einem Dankgebet geworden, das alle Taten Gottes von der Erschaffung der Welt bis zur Wiederkunft Christi umfaßt.

Die großen Taten Gottes — wie die Schöpfung am Anfang und der alte und der neue Bundes­schluß — waren einmalige Taten, aber jede dieser Taten ist zugleich die Verheißung, daß Gott das Begonnene weiterführen und vollenden wird. Der Dank für die einmaligen Gottestaten ist daher zugleich der Dank für die Erhaltung der Schöpfung und für das Wachstum des Gottes­volkes und die verheißene Vollendung der neuen Schöpfung.

So erinnert der Betende in seiner Danksagung Gott an seine großen Taten. Er hält sie ihm vor. Sie sind der Grund für das Vertrauen darauf, daß Gott unsere Gebete und Fürbitten erhört, indem er an uns und den Nächsten ebenso weiterhandeln wird, wie er einst an den Vätern ge­handelt hat. So enthält der Psalter nicht nur Danksagungen für Gottes einst geschehene Taten sondern ist voll von Dank der Beter für die Errettungen, die ihnen durch denselben Gott, der einst Israel errettet hat, zuteil geworden sind. Auch die neutestamentlichen Briefe beginnen fast ausnahmslos mit dem Dank für die Gnade, die der angeredeten Gemeinde von demselben Gott geschenkt worden ist, der seinen Sohn ein für allemal für die Welt dahingegeben hat.

2. Die Doxologie

Wir würden Gott jedoch nicht in Wahrheit danksagen, wenn wir dabei nur auf das blicken würden, was wir durch sein Tun empfangen haben und was wir weiterhin für uns selbst und für die Mitmenschen von seinem Tun erwarten dürfen. Vielmehr erfolgt der Dank für Gottes Taten im Lobpreis Gottes. So hat die hebräische Sprache kein besonderes Wort für die Dank­sagung neben dem Lobpreis, sondern der Aufruf zum Dank ist im Aufruf zum Lobpreis ent­halten. In den neutestamentlichen Schriften sind für Dank und Lobpreis zwar verschiedene Worte verwendet, aber sie hängen auf das engste zusammen. Für Gottes Taten kann nicht gedankt werden, ohne daß Gott selbst gepriesen wird. [726]

Gott ist zu preisen als der Herr, der in Freiheit seine großen Taten vollbracht hat, vollbringt und vollbringen wird. In seiner Freiheit hat er das All geschaffen. In seiner grundlosen Geduld hat er die Menschheit erhalten, wenngleich sie sich von ihm abgewandt hat und dem Tode verfallen war. Allein aus freiem Erbarmen hat er die israelitischen Stämme befreit und zu seinem Bundesvolk gemacht, wenngleich Israel „das kleinste unter allen Völkern“ (Dtn 7,7) und ein „halsstarriges Volk“ (Dtn 9,5) war. In der Freiheit seiner Liebe hat Gott seinen Sohn gesandt, wenngleich Israel den alten Bund gebrochen hatte, und er hat den Heiligen Geist ausgegossen, wenngleich Juden und Heiden Jesus ans Kreuz geschlagen hatten. Keine dieser Taten ist begründet im Wohlverhalten der Menschen. Vielmehr hat Gott sie vollbracht trotz des menschlichen Widerspruchs. Keine dieser Taten ist zwingend aus der vorangegangenen abzuleiten. Mit jeder von ihnen durchkreuzt er die Konsequenzen der menschlichen Sünde und überbietet die durch seine Verheißungen erweckten menschlichen Erwartungen. Gott ist immer mehr als seine Taten.

Gott ist nicht erst dadurch der Herr geworden, daß er das von ihm unterschiedene All erschuf, erhält und regiert, sondern als der Herr, der er ist, hat er das All geschaffen, erhalten und re­giert. Er ist auch nicht erst dadurch Herr geworden, daß seine Herrschaft durch Jesu Botschaft in diese Welt hereinbrach und er Jesus zum Herrn über das All erhöhte, — vollends nicht erst dadurch, daß Menschen dieser Botschaft Glauben schenkten und Jesus als Herrn bekannten. Sondern als der Herr, der er ist, hat er sein Werk der Erlösung getan und wird es in der Kraft des Heiligen Geistes vollenden. Gott ist auch nicht erst dadurch zu einem Liebenden gewor­den, daß er Geschöpfe ins Leben rief, denen er sich in Liebe zuwandte, sondern als der, der die Liebe ist, hat er ihnen das Leben gegeben, sie erlöst und wird sie vollends erneuern. Die Geduld, in der Gott die Sünder erhalten, das Erbarmen, mit dem er sich Israels angenommen, und die Liebe, in der er seinen Sohn für die Welt dahingegeben hat, sind Entscheidungen ein und derselben Liebe, die Gott immer schon ist.

Aufgrund der großen Taten seiner Macht und Liebe ist Gott anzuerkennen als der Herr, der von Ewigkeit zu Ewigkeit die Allmacht und die Liebe ist. In allen Aussagen über Gottes Taten ist die Anerkennung Gottes selbst enthalten. Denn in der Anerkennung der Freiheit, in der Gott seine Taten vollbracht hat, vollbringt und vollbringen wird, ist die Anerkennung enthalten, daß er schon vor seinen Taten war und immer sein wird. Die Anerkennung Gottes selbst ist auch enthalten in jedem Gebet. Denn die Beter rufen Gott an als den Vater, der schon weiß, was sie bedürfen, bevor sie ihn bitten, — ja, der sie schon kannte, bevor sie geboren wurden.

Daß Gott selbst von seinen Taten zu unterscheiden ist, kommt am deutlichsten zum Ausdruck in der Doxologie. Die Doxologie gründet in Gottes geschichtlicher Heilstat. Aber aufgrund der Heilstat rühmt sie Gott selbst. In ihrer Grundform lautet sie: „Herrlichkeit ist Gott“ (indi­kativisch) oder auch „Herrlichkeit sei Gott“ (optativisch) — dies aber nicht in dem Sinn, als ob ihm erst durch die Doxologie die Herrlichkeit zuteil würde, vielmehr wird hier die Herr­lichkeit gepriesen, die er von Ewigkeit zu Ewigkeit ist und hat, und es wird darum gebetet, daß alle diese Herrlichkeit anbeten. Zwar sind in der Doxologie gelegentlich auch die Taten genannt, aufgrund derer Gott verherrlicht wird. Dies gilt besonders von der Anbetung Gottes und Christi in Eulogien und Hymnen, die im weiteren Sinn ebenfalls als doxologische Ant­worten des Glaubens bezeichnet werden können. Aber die Doxologie bleibt nicht bei dem Lobpreis der göttlichen Taten stehen, sondern rühmt den ewigen Herrn, der sie vollbracht hat. Die Taten sind weniger Inhalt als vielmehr Anlaß des Lobpreises. „Preis, Ehre und Dank“ wird dem entgegengebracht, „der da [727] lebt von Ewigkeit zu Ewigkeit“ (Apk 4,9 f.). Der­selbe Gott, der sich in seinen Taten offenbart hat, wird als der Ewige gepriesen.

Wie Gottes vollbrachte Taten zwar Voraussetzung, aber nicht der eigentliche Inhalt der Do­xologie sind, so sind es auch nicht Gottes zukünftige Taten. Gott wird vielmehr angebetet als der Herr, von dessen Selbigkeit Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft der Welt um­griffen und bestimmt sind. Dem entspricht es, daß in der Doxologie das Du der Anrede Gottes zu­rücktritt und Gott vor allem in der dritten Person, als Er, gepriesen wird. Denn es geht hier um den Lobpreis von Gott selbst, dessen Existenz nicht von uns als seinem Gegenüber ab­hängt, sondern der „von Ewigkeit zu Ewigkeit“ derselbe Heilige, Allmächtige und Liebende ist.

Die Bedeutung der Doxologie würde mißverstanden, wenn man die Aussagen über Gott selbst für ein Produkt der doxologischen Aussagestruktur halten würde. Dasselbe Mißverständnis wurde bereits oben jeweils am Ende der ersten drei Hauptteile dieser Dogmatik zurückge­wiesen, nämlich in den Ausführungen über den ewigen Vater, den ewigen Sohn und den ewigen Geist. In der Doxologie kommt das lediglich zur expliziten Aussage, was implizit in allen theologischen Aussagen vorausgesetzt und enthalten ist, gleich auch in welcher Aussa­gestruktur sie geschehen. Jedes Gebet, jedes Zeugnis, jedes Bekenntnis hat seine Wahrheit und Kraft von daher, daß Gott in seiner Freiheit sich der Welt zugewandt hat, ja in sie einge­gangen ist.

Der Lobpreis Gottes selbst und der Dank für seine großen Taten gehören engstens zusammen. Denn aufgrund seiner Taten erkennen wir Gottes ewige Macht und Liebe, und wiederum er­kennen wir seine Taten als Entscheidungen dieser liebenden Macht. Zugleich aber ist zwi­schen Gott selbst und seinen Taten zu unterscheiden. Denn er tut seine Taten in seiner Freiheit ohne äußere oder innere Notwendigkeit. Wird zwischen Gott selbst und seinen Taten nicht unterschieden, dann kann es nicht ausbleiben, daß seine Taten schließlich nicht mehr als Gottes Taten anerkannt werden, sondern sich in Aussagen über die Welt und die Menschen auflösen: In kosmischer Allgemeinheit geschieht dies im Pantheismus und im anthropologi­schen Bereich in der Verallgemeinerung mystischer Erfahrungen der Einheit von Gott und Ich. Die Auflösung kann auch dadurch geschehen, daß Gott als Korrelat der Welt und des Menschen verstanden wird, als ob er nur mit dem Geschaffenen zusammen existiere. In wie­der anderer Weise kommt es zur Aufhebung des Gegenübers von Gott und Mensch, wenn die Weltgeschichte als Selbstentfaltung Gottes, zum Beispiel als der Weg verstanden wird, auf dem die unbewußte Gottheit zum personalen Bewußtsein gelangt. Aber alle Kirchen unter­scheiden zwischen Gott selbst in seiner ewigen Unbedingtheit, Freiheit und Selbigkeit und seinen Taten der Schöpfung, Erlösung und Neuschöpfung. Keine Kirche hat auf Bekenntnis- und Lehraussagen über Gott selbst in seiner ewigen Identität verzichtet. Wenn die Aussagen über Gott selbst nicht mehr gewagt werden, das heißt zugleich, wenn die Doxologie in der Kirche verstummt, dann werden auch die Gebete, die Zeugnisse sowie die Lehre und das Bekenntnis kraftlos und in sich zusammenfallen.

3. Der Lobpreis Gottes als Lobopfer

In der Doxologie ist Gott ein und alles. Das Ich des Menschen, der die Doxologie anstimmt, tritt vor ihm ganz zurück. Zwar fehlt das „wir“ der Anbetenden im Wortlaut des Lobpreises nicht immer, aber dieses „wir“ ist von sich selbst weggerichtet auf Gott. Der Mensch bittet nichts für sich. Er blickt auch nicht auf den Akt seines [728] Lobpreises, indem er diesen Akt zum Gegenstand von doxologischen Aussagen machen würde. Die doxologische Grundform lautet nicht: Gott, ich verherrliche dich, sondern: Gott ist herrlich.

Daß das anbetende Ich und der Akt des Anbetens im Wortlaut der Doxologie im Allgemeinen fehlt, ist der extreme Ausdruck der Hingabe des Menschen an Gott, der ihm in seinen Taten begegnet ist. Der Mensch schweigt hier von sich, wenngleich er redet, weil er sich in der Doxologie Gott zum Opfer darbringt. War im alten Bund der Lobpreis ursprunghaft in beson­derer Weise mit der Darbringung des kultischen Opfers verbunden, so ist — seit der prophe­tischen Gerichtspredigt gegen das Vertrauen auf Tieropfer — die Selbsthingabe des Menschen im Lobpreis als das Gott wohlgefällige Opfer gefordert worden. Dieses Verständnis ist auch in der urchristlichen Gemeinde und durch die Kirchengeschichte hindurch lebendig geblieben. Weil der Lobpreisende sich Gott als Opfer darbringt, schweigt er von sich. Die doxologischen Aussagen klingen oft eigentümlich objektiv. Aber gerade in diesem Absehen des Menschen von sich sind sie im höchsten Maße existentiell. Es geht hier nicht um allgemeine, metaphysi­sche Sätze, sondern um Aussagen, in denen der Mensch sich an den preisgibt, dem er alles verdankt, und den er als den ewig lebendigen Herrn preist.

In diesem Lobopfer hat sich der ganze Mensch Gott hinzugeben: Sein Herz und seine Glieder, aber auch seine Vorstellungen von Gott und die Worte, in denen er von Gott spricht. Sie sind geprägt von der Anschaulichkeit dieser Welt. Gott aber ist unsichtbar. Er ist kein Bestandteil, sondern der Herr der Welt. Auch wenn unser Denken und Reden Raum und Zeit transzendiert, können wir dieses Transzendieren doch nur in räumlichen und zeitlichen Vorstellungen und Worten zum Ausdruck bringen. Gott aber ist der Herr über Raum und Zeit. Unser Vorstellen und Reden setzt Vergleiche und Abgrenzungen voraus. Gott aber ist unermeßlich. Er ist kein Gegenüber, das wir wie einen Gegenstand dieser Welt umschreiten, betrachten und beschrei­ben könnten. Wann auch immer er uns begegnet, ist er der uns umgreifende. Wenn wir mei­nen, Gott verstanden und in Worten erfaßt zu haben, werden unsere Gedanken und Worte überboten durch die Wirklichkeit Gottes selbst. Alle unsere Vorstellungen und Worte, die wir aufgrund unserer Welterfahrung gewonnen haben, erweisen sich angesichts Gottes als unzu­reichend, widerspruchsvoll, töricht und nichtig. Immer ist Gott größer.

Immer wieder aber versuchte die Theologie, von den Erfahrungen dieser Welt und den von ihr bestimmten Vorstellungen auszugehen und von daher zu Aussagen über Gottes Wesen zu gelangen. Dann bekommt die Negation ein großes Gewicht: Gott ist unkörperlich, unsichtbar, unbegrenzt, unendlich, unvorstellbar, unaussagbar usw. Derartige negative Aussagen finden sich schon im Alten Testament, z. B. in den Anrufungen Gottes: „dir ist nichts gleich“, „deine Wunder und deine Gedanken“ sind „nicht zu zählen“ (Ps 40,6). „Von allen Seiten umgibst du mich … diese Erkenntnis ist mir zu wunderbar und zu hoch, ich kann sie nicht begreifen“ (Ps 139,5 f.). Vollends haben sie beim Eintritt des alttestamentlichen Gottesglaubens und der palästinensischen Christusbotschaft in den Bereich des Hellenismus ein großes Gewicht bekommen.

Eine größere Rolle als die Negation der menschlichen Erkenntnismöglichkeiten hat im Alten Testament die Steigerung gespielt, in der Gott über alles dem Menschen Bekannte hinaus gepriesen wird: Er ist der Höchste und Mächtigste, der schlechthin Gerechte, der allein Be­ständige usw. Dem scheint zu entsprechen, wenn dann spätere christliche Theologen neben dem Weg der Verneinung (via negationis) den Weg der Steigerung (via eminentiae) lehrten, um von innerweltlichen Erfahrungen und Vor-[729]stellungen zu Aussagen über Gottes Wesen zu gelangen. Bei dieser neuplatonischen Methode ist freilich der Ausgangspunkt im Unterschied zum Alten Testament nicht Gottes geschichtliches Heilshandeln, sondern ein allgemeines, natürliches Wissen um das Gute, das für wert gehalten wird, auf dem Wege seiner Steigerung und Überbietung Gottes Wesen zu bezeichnen. Allerdings ist dieser Weg fragwürdiger, als dies in der christlichen Theologiegeschichte weithin bewußt war. Zwar ist das Wissen um gut und böse von Gott dem Erhalter allen Menschen ins Herz gegeben, aber diese Erkenntnis ist von der Begierde, dem Ungehorsam und der Selbstgerechtigkeit der Men­schen immer wieder unterdrückt und verdunkelt worden. Oft genug bezeichnen sie als gut und gerecht und als Liebe, was weder gut noch gerecht noch Liebe ist. Außerdem ist die via emi­nentiae dadurch fragwürdig geworden, daß der relative Konsens, der einst im Verständnis des Guten unter dem Einfluß der griechischen Philosophie in der Mittelmeerwelt bestand, in der die Kirche sich zunächst ausbreitete, heute nicht mehr besteht. Das Evangelium ist inzwi­schen in ganz andere Kulturbereiche in Afrika, Amerika und im fernen Osten vorge­stoßen, deren Vorstellungen von gut und böse zum Teil weit auseinandergehen.

Mit den Wegen der Verneinung und Steigerung hat Dionysius Areopagita den der Kausalität verbunden. Dieses dreifache Schema ist sowohl von der mittelalterlichen als auch von der altprotestantischen Scholastik viel verwendet worden. Aber sind über Gott als letzte Ursache, wenn man die Wege der Steigerung und der Negation konsequent zu Ende geht, überhaupt noch inhaltliche Aussagen möglich? Bleibt dann letztlich nicht nur die Anerkennung Gottes als eigenschaftsloser Ursache und unaussprechlichem Grund übrig?

Grundsätzlich dieselben Probleme sind in den abstrakten Wesensbestimmungen Gottes enthalten, die in der Theologiegeschichte in mannigfacher Weise unternommen worden sind, wie z.B. „höchstes Sein“ (summum ens), „reiner Akt“ (actus purus), „höchstes Gut“ (summum bonum) und auch „geistiges Sein“ (ens spirituale), „geistiges Wesen“ (essentia spiritualis), „unbedingter Geist“ (spiritus independens) usw. Wie aber verhalten sich das göttliche Sein und das Seiende der Welt, das göttliche Wirken und die innerweltlichen Wirkzusammen­hänge, sowie der Geist Gottes und der menschliche Geist zueinander? Auch hier ist die via negationis beschritten worden, und auch hier stellt die Negation die Anwendung der via emi­nentiae letztlich in Frage. Gott ist in einem ganz anderen Sinne „er selbst“ als der Mensch. Denn der Mensch hat sein Leben von Gott, und sein Selbst-sein-wollen bedeutet Abwendung von Gott. Gott aber ist der Freie. Er ist in sich die Fülle des Lebens. So stimmen alle Kirchen darin überein, daß eine Definition Gottes im strengen Sinn des Wortes unmöglich ist, und zwar vor allem deshalb, weil Gott unter keinen Allgemeinbegriff subsumiert werden kann. Wir sind von ihm umgriffen und definiert, aber wir können nicht ihn umgreifen und defi­nie­ren. Nimmt man den Ausgangspunkt bei der menschlichen Welt- und Selbsterfahrung und den von hier aus gewonnenen metaphysischen Spitzenbegriffen, dann ergibt sich, daß Gott nicht nur „über dem Wesen“ (hyperoúsios), sondern „wesenlos“ (anoúsios) ist.

Als einer von denen, die im Verlauf der Kirchengeschichte den neuplatonischen Weg der Gotteserkenntis zu Ende gegangen sind, sei Angelus Silesius (Johannes Scheffler, gest. 1677) zitiert: „Was Gott ist, weiß man nicht. Er ist nicht Licht, nicht Geist, nicht Wahrheit, Einheit, eins, nicht was man Gottheit heißt, nicht Weisheit, nicht Verstand, nicht Liebe, Willen, Güte, kein Ding, kein Unding auch, kein Wesen, kein Gemüte“ („Aus dem Cherubinischen Wan­dersmann” Inselverlag Leipzig o.J. S. 26). Gottes Sein ist hier so unbestimmbar geworden, daß es geradezu mit dem Nichts gleichgesetzt wird: „Gott ist ein lauter Nichts, ihn rührt kein nun noch [730] hier; je mehr du nach ihm greifst, je mehr entwird er dir“ (S. 6). Wenn es so wäre, müßte der Lobpreis Gottes verstummen.

4. Der Lobpreis des göttlichen Namens

Aber Gott ist in seinen Taten nicht schweigend geblieben. Er hat sie durch sein Wort voll­bracht und tut sie durch sein Wort kund. In unserem Reden zu Gott und von Gott bleiben wir nicht angewiesen auf die Vorstellungen und Worte, die wir aus unserer Welterfahrung gewin­nen. Der Lobpreis ist möglich, weil Gott in seiner Zuwendung zum Menschen menschliche Vorstellungen und Worte aufgenommen, in seinen Dienst gestellt, gewandelt und erneuert hat. Gott ist in seinem Reden in die menschliche Sprache eingegangen, ja, „das Wort ist Fleisch geworden“ (Joh 1,14). Weil Gott in Jesus Christus Mensch geworden ist, brauchen wir auch nicht an den anthropomorphen biblischen Aussagen über Gottes „starken Arm“, „helfende Hand“, „sehendes Auge“ usw. Anstoß zu nehmen.

Gott hat den Menschen durch Mose und die Propheten nicht nur seine Taten, Verheißungen, Weisungen und Drohungen, sondern sich selbst kundgetan: „Ich bin Jahwe, dein Gott, der dich aus Ägyptenland, aus der Knechtschaft, geführt hat“ (Ex 20,2). Nehmen wir die Worte, die Gott durch Mose und die Propheten und vollends durch Jesus Christus über sich gespro­chen hat, als Offenbarung ernst, dann sind Antworten auf die Frage: wer ist Gott selbst? nicht nur möglich, sondern geboten. Der Mensch braucht nur die Worte aufzunehmen, mit denen Gott seine Herrlichkeit und Liebe kundgetan hat.

Alles Reden Gottes von sich ist konzentriert in der Offenbarung seines Namens. Gottes Name ist das Wort, das Gott angemessen ist, weil er selbst es den Menschen kundgetan hat. Gottes geoffenbarter Name ist das dem Menschen in den Mund gelegte Wort, durch das es ihm ermöglicht ist, Gott als „Du“ anzurufen und als „Er selbst“ zu preisen. Mit diesem Namen will Gott sich suchen und finden lassen. Auf diesen Namen will er antworten.

Die Offenbarung des göttlichen Namens ist eine geschichtliche Tat, in der Gott ein Wort menschlicher Sprache zu seiner Selbstbezeichnung macht. Das Wort braucht nicht neu zu sein. So ist es wahrscheinlich, daß dem alttestamentlichen Jahwenamen bereits ein älterer Wortstamm zugrunde lag (Keniterhypothese). Aber Gott hat das Wort mit seiner Verheißung und seinem Gebot verbunden und ihm dadurch eine neue Bedeutung gegeben: Jahwe, der Israel aus der Knechtschaft führen will und ihm verheißt, als eben dieser Erretter weiter für dieses Volk dazusein. Im alten Israel wurde der Jahwename geradezu als gegenwärtige Wirk­lichkeit Jahwes selbst verstanden. Später wurde Jahwe und sein Name häufig unterschieden, wobei der Name teils als Werkzeug des im Himmel wohnenden Gottes, teils als sein irdischer Stellvertreter verstanden wurde.

Noch weniger ist der Wortlaut des neutestamentlichen Gottesnamens neu. Als theós ist Gott auch in der griechischen Umwelt, und als Vater ist er in vielen Religionen bezeichnet worden. Die besondere Bedeutung des neutestamentlichen Vaternamens gründet darin, daß Jesus Gott in einzigartiger Weise als den Vater verkündigt und Gott Jesus in einzigartiger Weise als seinen Sohn bestätigt hat. Ähnlich wie der alttestamentliche Jahwename als mit Jahwe iden­tisch und zugleich als von ihm unterschieden verstanden worden war, ist Jesus der Sohn mit Gott dem Vater eins und zugleich von ihm als der Mittler unterschieden. Mit demselben Kyrios-Titel, mit dem die Septuaginta den alttestamentlichen Jahwenamen übersetzt hatte, wird nun [731] Jesus bekannt, und Gott wird als „der Vater unseres Herrn Jesus Christus“ angerufen.

Dabei ist zu bedenken, daß weder der Abba-Ruf noch das Bekenntnis Jesu als Herrn lediglich menschliche Worte, sondern Wirkung des Heiligen Geistes sind. Durch dieses heilsgeschicht­liche Handeln Gottes des Vaters in Jesus Christus durch den Heiligen Geist ist den Glauben­den „der Name des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes“ auf die Lippen gelegt. Dieser dreifache Name ist zuerst im Taufbefehl Mt 28,19 und auch in der Taufanweisung der Didache überliefert und hat dann über die Taufe hinaus in allen Kirchen weiteste Verbreitung gefunden, z. B. am Anfang jeder gottesdienstlichen Versammlung und als Lobpreis am Ende eines jeden Psalmgebetes. In diesem Namen ist der Lobpreis der Christenheit konzentriert.

Der Lobpreis Gottes geschah weder im alten Bund, noch geschieht er im neuen Bund in der bloßen Wiederholung des geoffenbarten Namens. Vielmehr hat das Gottesvolk durch die Offenbarung des Gottesnamens eine Spontaneität empfangen, Gott auch in eigenen Worten zu preisen.

So hat Israel Hoheitstitel und Würdebezeichnungen von Göttern seiner semitischen und auch seiner besonderen kanaanäischen Umwelt in den Dienst des Lobpreises Jahwes gestellt. Dies gilt besonders von der Gottesbezeichnung El, auch mit den verschiedenen Zusätzen, wie z. B. El-Eljon (der Höchste) und El-Olam (der Ewige). Selbst solche in fremden Kulten behei­matete Namen wie Melek, Adon und gelegentlich sogar Baal sind zur Bezeichnung Jahwes verwendet worden. Darin braucht keine Verletzung des Verbotes der Verehrung fremder Göt­ter erblickt zu werden. Vielmehr wurden durch die Übertragung auf Jahwe die hinter diesen Namen stehenden Mythen zerstört. Die Namen dieser fremden Götter erfuhren im Lobpreis Jahwes ihre Entmächtigung und empfingen eine neue Bedeutung. Dabei sind, wie in der Christologie, so auch hier Namen, Hoheitstitel und Würdebezeichnungen zu unterschei­den. Etwas ähnliches wie mit dem semitischen El vollzog sich bei dem Übergang der christli­chen Gemeinden aus dem Judentum in den hellenistischen Bereich in der Übernahme des gemein­griechischen Theos-Titels zur Bezeichnung des Vaters Jesu Christi und zunehmend auch zur Bezeichnung Christi selbst. Auch dieser Titel erfuhr eine einschneidende Veränderung gegen­über der griechischen Mythologie und Philosophie. So vollzieht sich in der Indienst­nahme fremder Gottesbezeichnungen für die Bezeugung des geoffenbarten Gottesnamens die Befrei­ung der in den Religionen und Philosophien verborgenen göttlichen Wahrheit, die durch die Schöpfung allen Menschen bezeugt, aber von allen mehr oder weniger verkannt worden ist. Die fremden Götter werden im Lobpreis des geoffenbarten Gottesnamens gewissermaßen wie Gefangene in dem Triumphzug mitgeführt, durch den der wahre Gott, der Vater Jesu Christi, gepriesen wird.

Grundsätzlich dasselbe geschieht im Lobpreis der göttlichen Eigenschaften. Er bleibt nicht beschränkt auf diejenigen, die zusammen mit der Kundgabe seines Namens, sowie seiner Verheißungen und seiner Forderungen als Aussagen Gottes über sich selbst überliefert sind. Auch dieser Lobpreis geschieht darüber hinaus im Lobpreis weiterer Eigenschaften. Die Eigenschaften Gottes werden in der Lehre der Kirche auch als Vollkommenheiten bezeichnet. Ein seltsamer Plural! Aber Gottes Vollkommenheit ist unermeßlich, und unsere Aussagen über seine Vollkommenheit sind unvollkommen. Darum kann sie von uns nur mit einer Viel­zahl von Eigenschaftsaussagen gepriesen werden. Vorstellungen vom Vollkommenen, Guten, Gerechten, Erhabenen und Schönen haben alle Menschen aufgrund der Selbstbezeu­gung Gottes in der Schöpfung, auch wenn sie bei allen mehr oder weniger verdunkelt [732] sind. Auch die in diesen Vorstellungen entstellte Wahrheit wird durch Gottes Offenbarung freige­legt, und die Wege der Verneinung und der Steigerung führen nun nicht mehr zu einem leeren Begriff der Ursache oder gar zu dem des Nichts, sondern zu einer weiteren Entfaltung des Lobpreises.

Immer übertrifft Gott unsere Vorstellungen. Immer haben wir sie ihm zum Opfer zu bringen, — auch die Vorstellungen, die wir uns auf Grund von Gottes Wort von ihm machen.

Die Offenbarung seines Namens ist nicht das Ende von Gottes Unbegreiflichkeit. Aber durch diese Offenbarung hat Gott sich in seiner Unbegreiflichkeit anrufbar und aussagbar gemacht. Mit der Offenbarung seines Namens hat Gott nicht aufgehört, Geheimnis zu sein, aber dieses Geheimnis ist keine unaussprechliche Leere, sondern „kündlich groß“ (1.Tim 3,16). Gott kann weder definiert noch verschwiegen werden. Sowohl in den alttestamentlichen Psalmen als auch in den neutestamentlichen Doxologien und in der Geschichte der kirchlichen Liturgie kommt der Lobpreis Gottes in einer immer neuen Plerophorie zum Ausdruck, in der die Uner­schöpflichkeit der göttlichen Vollkommenheit gepriesen wird. Die Unerschöpflichkeit des durch den Namen aussagbar gewordenen Gottes drängt zum, Überschwang der Aussagen. Darum braucht es keineswegs eine Entartung des Lobpreises zu sein, wenn er z. B. in man­chen afrikanischen Gemeinden vom wortlosen Jubel und Tanz umgeben ist.

5. Der Lobpreis aus der Tiefe

Die Reflexion über den Lobpreis Gottes wäre unvollständig, wenn sie von dem Ort absehen würde, an dem wir ihn anstimmen. Wir sind noch unterwegs in dieser Welt — noch nicht am Ziel, noch nicht im verheißenen Vaterland. Wir befinden uns in den Anfechtungen des Glau­bens — wir schauen noch nicht Gottes Herrlichkeit. In diesem Sinn haben die Väter unter­schieden zwischen der theologia viatorum und der theologia comprehensorum, der theologia patriae. Vollends ist es uns unmöglich, in unserem theologischen Denken den Standort in Gott selbst einzunehmen und von seiner Selbsterkenntnis auszugehen. In diesem Sinn wird unterschieden zwischen der allein Gott zustehenden theologia archetypos und der uns von Gott ermöglichten theologia ektypos. Darum ist die Doxologie nicht möglich ohne den Ruf: Kyrie eleison!

Solange wir in dieser Welt leben, sind wir von Nöten bedrängt, seien es Hunger, Mißerfolge, Krankheit und Verfolgung. Aber auch Satte und Erfolgreiche, Gesunde und Beliebte kennen das zerstörende Gefühl der Vergeblichkeit und Sinnlosigkeit. Indessen kann keine Not über die Menschen kommen ohne Gott. Auch wenn Gott untätig zuzusehen scheint, geht es doch um sein Tun, da nichts geschieht, was er nicht auch verhindern könnte. Sein Tun ist aber nicht zu lösen von der Geltung seiner Gebote und von der Bestimmung des Menschen. Daher stellen alle Nöte den Menschen in die Frage nach seiner bewußten oder unbewußten Schuld.

Es kann ja auch nicht übersehen werden, daß die biblischen Schriften keineswegs nur Gottes Erbarmen, sondern auch Gottes Zorn, seinen Hass gegen die Sünde und seine todbringende Schrecklichkeit bezeugen. Immer wieder ist in der prophetischen Predigt Gottes Zorn ange­kündigt worden, und zwar nicht nur als Drohung der Propheten, sondern als Ankündigung Gottes selbst. Dem entspricht, daß die alttestamentlichen Klagepsalmen von Erfahrungen des göttlichen Zorns erfüllt sind. Aber auch die neutestamentlichen Schriften sind keineswegs nur Bezeugung von Gottes Liebe, sondern auch Zeugnisse von Gottes Zorn. So hat Paulus z. B. am Beginn des [733] Römerbriefes nicht nur die Offenbarung der heilbringenden Gerechtig­keit Gottes (1,17), sondern auch die Offenbarung des Zornes Gottes verkündigt (1,18) und das endgeschichtliche Gericht als „Tag des Zornes“ angekündigt (2,5 u.ö.).

Dies ist die Tiefe, aus der der Glaubende den Lobpreis Gottes anstimmt. Die Doxologie ist nicht zu trennen von dem Schrei: „Aus der Tiefe rufe ich Herr zu dir“ (Ps 130,1). Wir können Gottes Liebe nicht rühmen, ohne die Berechtigung von Gottes Zorn gegen den Sünder anzu­erkennen. Wir können seine schenkende Gerechtigkeit nicht preisen, ohne seinem Richten rechtzugeben. Wir können seine gnädige Gegenwart nicht verherrlichen, ohne seine Unent­rinnbarkeit anzuerkennen, und seine Wahrheit und Treue nicht bezeugen abgesehen von der Schrecklichkeit, mit der Gott die von uns erdachten Sinnzusammenhänge durchbricht, hinter denen wir uns vor ihm verstecken.

So wird die Lehre von Gott vor die Frage gestellt, in welchem Verhältnis Gottes Liebe und sein Zorn, Gottes gnädige Gegenwart und seine Unentrinnbarkeit, Gottes Wahrheit und seine irrationale Schrecklichkeit zueinander stehen. Diese Frage ist höchst existentiell: was gilt von diesen Gegensätzen für mich? Wird Gott durch diese Gegensätze nicht noch mehr ein Unbe­kannter als dies bereits durch die welthafte Prägung unserer Vorstellungen und Worte ge­schieht? Stellt sich Gott durch diese Gegensätze nicht selbst in Frage?

Quelle: Edmund Schlink, Ökumenische Dogmatik. Grundzüge, Göttingen 1983, S. 725-733.

Hier der Text als pdf.

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