
In seinen „Drei Vorbemerkungen“ als Einleitung zu seinem Aufsatzband „Unterwegs zur Sache“ hatte 1971 Eberhard Jüngel eingangs Folgendes geschrieben (S. 7):
Gott ist nicht notwendig. Gott ist mehr als notwendig. — Man möge diese beiden — keineswegs paradoxen — Sätze als Kurzformel dessen lesen, was mit den in diesem Band gesammelten Studien zur Sache der Theologie zu sagen versucht wird.
Daß Gott nicht notwendig ist, ist den Denkenden unserer Zeit wohl schmerzlicher und gründlicher bewußt als den Geistern früherer Zeiten, denen freilich die Ahnung, daß es so sein könnte, nicht einfach fremd gewesen sein dürfte. Aus der Erfahrung der Nichtnotwendigkeit Gottes läßt sich aber keineswegs folgern, daß Gott mehr als notwendig ist. Es versteht sich nicht von selbst, daß Gott mehr als notwendig ist, obwohl gerade dies, wenn es einmal verstanden worden ist, als das Allerselbstverständlichste erscheint. Wer sich an Gott freut, dem ist es selbstverständlich, daß Gott ein erfreuliches Wort ist, obwohl so etwas wie Freude an Gott sich ganz offensichtlich eben nicht von selbst versteht. Mehr als notwendig ist allemal nur, was kontingent geschieht. Daß Gott mehr als notwendig ist, kann man deshalb nicht unabhängig von Gott, nicht ohne das Ereignis des Wortes Gottes verstehen.
Wer diese These als ideologieverdächtig denunziert, muß jeden theologischen Gebrauch des Wortes »Gott« unter denselben Verdacht stellen und hat sich mit dem — dann allerdings auch schon falsch verstandenen — Satz abzufinden, daß Gott nicht notwendig ist. Daß und wie beide Sätze dennoch auf das genaueste zusammenstimmen, hat evangelische Theologie zu erarbeiten. Alles, was wir über Gott und die Welt zu sagen haben, ist meines Erachtens im Grunde nichts anderes als die Explikation des Sachverhaltes, der mit jenen beiden Sätzen in äußerster Knappheit formuliert worden ist. Man kann den ersten Satz auch einen Satz des Gesetzes und den zweiten einen Satz des Evangeliums, muß beide zusammen aber dann den Grundsatz evangelischer Theologie nennen.