Klaus Kochs Lexikonartikel über den Tun-Ergehen-Zusammenhang im Alten Testament: „Wenn Gott sich einzelnen Menschen oder Gruppen nähert, so setzt sich kraft göttlicher Heiligkeit die entsprechende Tathülle sofort in Ergehen um“

Wer der Gerechtigkeit und Güte nachjagt

Was Klaus Koch 1978 in Fortführung seines Aufsatzes „Gibt es ein Vergeltungsdogma im Alten Testament?“ (ZThK 52, 1955, 1-42) in Reclams Bibellexikon über den Tun-Ergehen-Zusammenhang geschrieben hat, ist immer noch lesenswert:

Tat-Ergehen-Zusammenhang im Alten Testament

Von Klaus Koch

  1. Grundsätzliches

Die abendländische Theologie und Philosophie stellen sich das Verhältnis zwischen sittlichem Tun und irdischem (oder jenseitigem) Schicksal eines Menschen so vor, daß über der Welt Gott als höchstes Wesen thront, alles menschli­che Verhalten ständig registriert und von Zeit zu Zeit entsprechend reagiert, indem der gute Mensch mit Lohn, der böse mit zeitlichen oder ewigen Strafen belegt wird. Diese Auffassung von Gott, der als Weltenrichter über alle menschlichen Wesen sein Urteil fällt, hat bereits in die alten Bibelübersetzungen, die griechi­schen und noch mehr die lateinischen, durch eine Vielzahl von Worten, die Gericht, Strafe, Vergeltung und ähnliches ausdrücken, Eingang gefunden. Vorausgesetzt wird eine Weltan­sicht, nach der neben einem Bereich von Natur, der ethisch neu­tral nach Ursache und Wir­kung verläuft, es einen gesonderten Bereich der Sittlichkeit und Wert­urteile gibt; nur mit dem zweiten hat es die Reli­gion insbesondere zu tun. Dagegen kennt altorientalisches Denken solche Scheidun­gen nicht. Sittli­che Größen wie Rechtschaffenheit oder Frevel sind natürlich wirkende Kräfte oder Schwächung von Naturkräften. Die Bibel hat zwar den altorientalischen Polytheismus beseitigt, nicht aber die Zusammenschau von Natur und Sittlichkeit, Na­tur und Geschichte. Sie hat vielmehr die Ver­flechtung in diesem Bereich noch verstärkt. Der biblische Gott ist gerade mit seiner Gestaltung menschlicher Schicksale entsprechend positivem oder negativem menschlichen Verhalten nicht als ein von außen auf die Welt einwirkendes hö­heres Wesen gedacht, sondern als der sittlich be­stimmte Grund alles Wirklichen und die positive Kraft des Wirklichkeitsprozesses. Sie wirkt durch menschliches Handeln hindurch, wenn­gleich sie in anderer Weise sich bei bösen Taten auswirkt als bei guten.

  1. Semantik und Anthropologie

Wie Gott seinen Weg beschreitet, indem er Geschichte gestaltet, so findet sich auch der Mensch auf einem individuellen (Lebens-)Weg vor, den er sich durch seine Taten bahnt oder den er verfehlt, so daß er strauchelt und fällt. Sämtli­che hebräische Wörter für sittlich positi­ves Handeln wie Rechtschaffenheit, Gerechtigkeit, Treue be­deuten zugleich auch Wohlfahrt, Heil, dauer­hafte Gesundheit; entsprechende Gegenbegriffe wie Bosheit, Sünde, Schuld be­greifen zugleich Krankheit, Unheil, Untergang in sich. Zugrunde liegt die Überzeugung vom Tun-Ergehen-Zusammenhang auf jedem menschlichen Weg. Jede sittlich qualifizierte Tat wirkt auf den Täter zurück, lässt um seine Person, besonders um sein Haupt, eine unsichtbare Hülle entstehen, die mit ihm wandert und eines Tages auf ihn in einem entsprechenden Ergeh­en zurückschlägt, also schicksalwirkende Tatsphäre darstellt. Grund­sätzlich formulieren das Aussa­gen wie Sprüche 21,21: »Wer Gerechtigkeit [d.h. Tat] und Treue nachjagt, der findet Leben, Ge­rechtigkeit [d. h. Heil] und Ehre.« Oder Sprüche 26,27: »Wer anderen eine Grube gräbt, fällt selbst hinein.« Häufig wird das Bild von Saat und Ernte gebraucht; das Aus­reifen des Tun-Ergehen-Zusammenhangs führt dazu. daß der Täter die Frucht seiner Taten genießt. Da solche Zusammenhänge in moder­nen Sprachen kaum ausdrückbar sind, geben die Bibel­übersetzungen einen nur unzureichenden Eindruck von einer Anthropologie, die für jeden Hebräer selbstverständlich war. Ihr Verkennen hat zu der irreführenden Meinung ge­führt, daß Gott insbesondere im Alten Testament der Gott einer schran­kenlosen oder gar gnadenlosen Vergeltung sei.

Die Hülle des Tun-Ergehen-Zusammenhangs liegt nicht nur um den Täter selbst. Sie breitet sich über seine Angehö­rigen und Nachkommen, über sein Dorf und seine Äcker (die dadurch fruchtbar oder un­fruchtbar werden), in schwerwiegenden Fällen (insbesondere bei Taten des Königs) über Volk und Land aus. Die Unheilsweissagungen der Profeten gründen in der Überzeugung, daß Volk und Land ihrer Zeit unrettbar von bösen Taten eingehüllt sind. Auch das israelitische Recht wird nach diesen Grundsätzen praktiziert. Rechts­bruch bedeutet in jedem Fall Störung eines Ge­meinschaftsverhältnisses zwischen Dorf- und Volksgenossen. Dadurch liegt der Tatbestand eines negativen Tun-Ergehen-Zusammenhangs zutage. Die Öffentlichkeit als Rechtsgemeinde hat die schwärende Untat-Unheil-Hülle zu beseitigen. Sie tut es, in­dem sie dem Unheilstifter das Schicksal des ge­meinschaftswidrigen Frevlers angedei­hen lässt, d.h. den Frevler frevlerisch werden lässt, hinge­gen den unschuldigen, gemein­schafts­treuen, aber geschädigten Mitbürger als gerecht durch Freispruch oder Wiedergut­machung heraus­stellt, d.h. den Gerechten gerecht werden lässt (so 5 Mose 25,1 nach dem Urtext; vgl. auch das außerhalb des Tun-Ergehen-Zusammenhangs unbegreifliche Gottes­walten nach Psalm 18,27: »du verfährst verkehrt mit dem Verkehrten«). Ein besonderer Aus­druck dieses Zusam­menhangs ist der Brauch der Steinigung, mit dem die Rechtsgemeinde symbo­lisch die auf sie ausgebreitete Frevelhülle auf den eigentlichen Täter zurückwirft.

  1. Göttliche Einwirkung

Jeder Tun-Ergehen-Zusammenhang ist mit göttlichem Wirken verbunden. Gottes Verbindung mit gutem oder bö­sem Tun der Menschen weist verschiedene Ebe­nen auf:

a) Zunächst ist es Gott, der Menschen mit der Fähigkeit zum Tun des Guten und also zu ei­nem entsprechenden heilvollen Geschick begabt, in­dem er sakramental bei Kultbegehungen Ge­rechtigkeit übereignet (Psalm 24,5) oder zumindest durch sein Näherkommen Furcht Gottes er­zeugt, die handlungsleitend wirkt (1 Mose 20, besonders v. 11). Dazu treten Weisun­gen über das, was Gemeinschaft erhält und was ihr schadet in Ge- und Verboten, die als wirk­sames Wort Gottes gedacht sind.

b) Wo Menschen kraft eines anthropologischen Hanges zum Bösen in Schuldhüllen hinein­gera­ten, wirkt Gott unter Umständen Sühne, in­dem er durch einen Akt am Heiligtum dem Men­schen die Hülle endgültig abnimmt und ihn so zu neuem, heilvollem Weg befähigt.

c) Wenn Gott sich einzelnen Menschen oder Gruppen nähert (Heimsuchung), so setzt sich kraft göttlicher Heiligkeit die entsprechende Tathülle sofort in Ergehen um. Aber auch abge­sehen von solchen akuten Anlässen, sorgt Gott kraft seiner durchdringenden Anwesenheit in al­lem Wirklichen dafür, daß Taten sich vollenden, sich auf das Haupt des Täters zurückwen­den, in Kraft treten u. ä. (die Ausdrücke werden deutsche meist alle mit »vergelten« wiederge­geben). Bei hartnäckigen Frevlern ist Gott darauf aus, daß sich die Hülle der Untat alsbald in Krankheit und Tod bei ihnen materialisiert. Das Vernichten bö­ser Täter hat für ihre Umge­bung einen heilsamen Effekt, weil es weitere Ausbreitung unheilstif­tenden Schicksals verhin­dert.

4. Nachexilische Krise

Mit dem Zerbrechen der naturwüchsigen Gemeinschaftsbindungen in der Zeit des Exils wird die alte Auffassung für viele Israeliten fraglich. Ezechiel versucht einer skeptischen Kritik zu begegnen, indem er einen strikt individuellen, ja auf Lebensabschnitte begrenzten Tat-Erge­hen-Zusammenhang als göttliche Ordnung aufweisen will (Ez 18). Der Zwiespalt zwischen der Theorie des Tat-Ergehen-Zusammenhangs und der alltäglichen Erfahrung (wo es Unge­rechten oft besser ergeht als Anständigen) wird zum Grundproblem Ijobs, Kohäläts und man­cher Psalmen (z. B. Ps 73). Die Apokalyptik sucht eine Lösung in der Auffassung von einem Schatz im Himmel, in den alle positiven menschlichen Taten aufsteigen, um bei der eschatolo­gischen Auferstehung wieder herabzukommen, sich mit der Person des Täters zu ver­einigen und ihn zu verklären.

Hier der vollständige Artikel Koch-Roloff – Tat-Ergehen-Zusammenhang in der Bibel (RBL) als pdf.

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