
Die Bibel – göttlicher Wortschatz unseres Glaubens
„Buch der Bücher“ – so wird die Bibel zu Recht bezeichnet. Genauer gesagt geht das deutsche Wort „Bibel“ auf die griechische Pluralform „Biblia“ zurück, meint also „Bücher“ und zwar die 39 (bzw. 46) Bücher des Alten Testaments sowie die 27 Bücher des Neuen Testaments, somit eine eigene Bibliothek. Sie enthält all diejenigen Schriften, die in einem christlichen Gottesdienst unter dem Anspruch „Wort Gottes“ laut vorgelesen werden und damit in der Kirche als „Heilige Schrift“ gelten.
Über Jahrhunderte hinweg war die Bibel das eine „Bücherbuch“, das Menschen in Europa präsent gewesen ist, zunächst durch Lesungen im Gottesdienst, später dann auch in gedruckten Bibelausgaben. Dort finden sich zwischen zwei Buchdeckeln die biblischen Bücher in eine zeitbestimmte Reihenfolge angeordnet, angefangen von den alttestamentlichen Geschichtsbüchern, den Lehrbüchern sowie den Prophetenbüchern hin zu den neutestamentlichen Evangelien, den Briefen und schließlich dem prophetischen Buch der Offenbarung, alles zusammen auf 1400 Buchseiten gedruckt. Ganz entscheidend war hierfür, dass Martin Luther die hebräische Buchsammlung des Alten Testaments (mit aramäischsprachigen Ergänzungen) sowie die griechischsprachige Buchsammlung des Neuen Testaments in ein eingängiges Deutsch übersetzt hatte, so dass 1534 seine Bibelübersetzung zum ersten Mal bei Hans Lufft in Wittenberg komplett im Druck erschien. Als dann Carl Hildebrand Freiherr von Canstein 1710 in Halle sein Vermögen in eine eigene Bibelanstalt mit einem „stehenden Satz“ investierte, ließ sich fortan die Luther-Bibel kostengünstig als „Handbuch“ im Oktavformat in hohen Auflagen drucken. Somit konnten auch weniger vermögende Menschen die Heilige Schrift Alten und Neuen Testaments in der eigenen Hand halten und zur eigenen Erbauung lesen.
Wie liest sich eigentlich die Bibel als Gottes Wort an uns Menschen? Mitunter scheint es, als wäre die Bibel eine Spruchsammlung oder Anthologie für unser Leben, aus der wir Bibelverse auswählen sollen, die uns persönlich zusagen. So handhaben wir es ja bei den biblischen Tauf-, Konfirmations- und Trausprüchen. In der Tat finden sich ganz starke Worte in der Bibel, die dem eigenen Leben zuzusprechen sind, man höre nur aus dem Hohelied der Liebe:
„Lege mich wie ein Siegel auf dein Herz,
wie ein Siegel auf deinen Arm.
Denn Liebe ist stark wie der Tod
und Leidenschaft unwiderstehlich wie das Totenreich.
Ihre Glut ist feurig
und eine Flamme des HERRN,
sodass auch viele Wasser die Liebe nicht auslöschen
und Ströme sie nicht ertränken können.
Wenn einer alles Gut in seinem Hause um die Liebe geben wollte,
so könnte das alles nicht genügen.“
(Hohelied 8,6-7)
Und dennoch können einzelne Bibelverse für sich gelesen nicht die ganze Botschaft enthalten. Ja, es gibt in der Bibel das Buch der Sprüche und auch das Buch der Weisheit. Aber diese Bücher sind im biblischen Kanon anderen gegenüber nachgeordnet. Die Bibel hat mehr zu bieten als Weisheiten und Weisungen für ein gelingendes Leben. Sie lädt uns vielmehr in ein Geschehen ein, das unermesslich größer ist als unser eigenes Leben. Wir sollen uns mit unserem eigenen Leben in die Bücher der Bibel hineinlesen, damit wir bei deren Geschehen mit dabei sind. Wo wir beim Lesen den roten Faden des Erzählgeschehens aufnehmen, finden wir uns selbst wieder in der Gegenwart Gottes, wird das Geschehen auch für uns verbindlich. Der katholische Bibelübersetzer Fridolin Stier (1902-1981) hat über solch „eindringliches“ Bibellesen Folgendes geschrieben:
„Wenn ich das Buch öffne, betrete ich geheiligte Stätten. Sinai und Zion, der Berg, darauf der Herr geredet, der Hügel, auf dem er gelitten, die Felsenkammer, daraus er sich lebend erhoben, sie nähern sich mir. Ich erfahre wundersame Gegenwart des zeit- und räumlich Fernen … Wenn ich das Buch öffne, wandelt sich mir, durch all mein entfernendes Wissen hin, das Dort in ein wahres Da, das Damals in ein wirkliches Jetzt. […] Ich bin am Ort, da er redet. Auch wenn er sehr still ist an der Stätte, auch wenn er mir schweigt in den Worten, die ich höre, so weiß ich doch: der Redende ist da. – Ich halte mich hörend ihm hin. Ich muss warten.“
Wer in der biblischen Geschichte entscheidend handelt, sind nicht Menschen, sondern der eine Gott, der Gott Israels und Vater unseres Herrn Jesus Christus. Gott hat getan, bevor Menschen zu tun bekommen. Schauen wir uns die Abfolge der biblischen Bücher im Alten und Neuen Testament an, geht göttliches Geschehen jeweils menschlichen Weisungen voraus.
Die Bibel enthält Gottes Geschichte mit den Menschen – seine Taten, seine Weisungen und seine Verheißungen. Das Besondere daran ist, dass diese allumfassende Geschichte als Geschichte eines Volks, nämlich Israel, und im Besonderen als Geschichte eines Menschen aus diesem Volk, nämlich der menschgewordene Gottessohn Jesus Christus, erzählt wird. Israel hat sich dieser Gott zu Beginn der Geschichte auserwählt. Es ist ihm Träger seiner Verheißung. Das auserwählte Volk ist nicht über alle Zweifel erhaben. Es wird vielmehr in Mitleidenschaft gezogen, kann seiner Berufung irrewerden, muss viel aushalten und immer wieder Unheil ertragen. So wird in der Bibel die Geschichte einer fordernden, erlittenen, bewährenden und erlösenden Erwählung erzählt. Und bei all dem was geschieht behält dieser Gott das erste und letzte Wort.