
Am dritten Sonntag nach Ephiphanias ist im neuen Perikopenbuch – neben Rut 1 – die Naaman-Geschichte in 2. Könige 5 als alttestamentlicher Predigttext vorgesehen. Dazu eine Predigtmeditation von Gerhard von Rad:
Predigtmeditation zu 2. Könige 5,1-19
Von Gerhard von Rad
Die Erzählung — der Gattung der „Prophetenlegenden“ angehörig — ist ohne nähere thematische Verbindung in den Zusammenhang der Elisageschichten eingeordnet. Keine chronologische Fixierung des Geschehens. In ihrem Mittelpunkt steht Elisa, bzw. sein Handeln an einem Heiden. Elisa ist aber nicht relativiert als Glied eines bestimmten Kreises oder einer bestimmten Sukzession; er ist vielmehr, mindestens für diese seine Zeit, der allgenugsame Helfer (V. 3). Indessen führt die Erzählung wie von außen her erst langsam über Rätsel, Widrigkeiten und Mißverständnisse zu ihm und dem von ihm gewirkten Heil hin. Diesem vorgezeichneten Weg wird sich auch die Predigt in ihrer Anlage überlassen.
V. 1-2 bilden die Exposition: Naeman ist ein hochgestellter und rechtlicher Mann, also einer jener „feinen Heiden“, die der Gemeinde leicht zur Anfechtung werden. Tatsächlich enthält der Satz, daß Gott durch ihn den Aramäern „Heil“ gab (sie waren doch eine Art Erbfeind für Israel!), eine große Zumutung. Gott sieht also auf diese Rechtlichen, er läßt ihnen etwas gelingen, es geht eine wohltuende ordnende Wirkung von ihnen aus. Gott segnet um ihretwillen ganze Staaten. Das Besondere, das von Gott her an Naeman geschieht, das liegt alles weit jenseits dieses Tatbestandes, denn N. ist aussätzig. Es fehlt ihm nicht eine letzte Erfüllung, eine feine Vervollkommnung, sondern er schlägt sich mit etwas Entsetzlichem herum; er ist eine sichere Beute des Todes.
Das erste Werkzeug, das Gott zur Rettung dieses Mannes ansetzt, ist ein „kleines Mädchen“. (Es liegt nahe, hier ein Wort über die Bedeutung der sogen, kleinen Leute im inneren Haushalt einer Gemeinde zu sagen.) Aber die gegebene Anregung führt zu einer völlig verständnislosen Staatsaktion. Man weiß in Aram nicht, daß göttliche Gnadengaben jenseits der Hierarchie der menschlichen Gesellschaftsordnung verliehen werden; und auf die Frage „Bin ich denn Gott?“ ist zu sagen, daß die, die den lebendigen Gott nicht kennen, so etwas Ähnliches allen Ernstes glauben. Gott hatte einen Weg gewählt hinunter durchs Verborgene, die Menschen genau entgegengesetzt, einen über die höchsten Ämter, und auf ihm fährt die Angelegenheit hoffnungslos fest. Wieder muß Gott eingreifen und die Dinge lenken. Aber als der große, arme N. mit seiner ganzen Suite vor der Hütte Elisas vorfährt, wird er gar nicht persönlich empfangen.
Der Zusammenstoß der beiden Welten ist ein schonungsloser. N. hatte eine feierliche Szene erwartet mit allerlei mystischem Hokuspokus und war auf die (auch in der Moderne wieder aktuell gewordene!) Erkenntnis gestoßen: Mythus und numinose Mächtigkeiten gibt es auch in Damaskus; ja, was den Zauber dämmriger Geheimnisse und mythischer Entschleierungen anlangt, da ist Damaskus Israel überlegen. Sehe die Kirche zu, daß sie nicht versucht, auf diesem Gebiet zu einem Konkurrenzkampf mit dem Heidentum anzutreten!
Das gerade wollte Elisa dem N. zeigen: daß diese mystischen Lüsternheiten nicht der Weg sind, auf dem der Mensch zu Gott und zu seinem Heil kommt. Diese Sucht nach Magie wollte Elisa bis auf den Grund enttäuschen. Jordanwasser hat nirgends in der Bibel sakrale Qualität, ist Wasser, „so die Kuh trinkt“. Nicht ein Mythus soll durch einen anderen ersetzt oder überboten werden, sondern es geht um die Gehorsamsfrage. (Bei aller Sucht nach magischen Wundern wollte N. im Grunde doch verstehen und mit seinem Kopf darüber bleiben, um die Sache doch in der Hand zu behalten!) Nun soll er sich demütigen und einmal ausliefern, und solche Zumutung war noch nie an ihn herangetreten. Es ist ein Akt der Buße, den Elisa von N. verlangt. — Wieder schalten sich einfache Menschen ein. — Der Heilungsvorgang ist nüchtern und weniger mit einem Interesse an dem Wunderhaften als an seiner Vollständigkeit beschrieben.
Den Dankbaren überkommt angesichts der Ganzheit und Strenge der Hingabe, die er an Elisa wahrnimmt, die Sorge, ob er auch im Dienst des Herrn würde bleiben können, und er spricht einen doppelten Dispenswunsch aus:
1. Die Bitte um eine Last „heiliger“ Erde hat auf viele Ausleger enttäuschend gewirkt. Ist er so wenig von seinen alten Vorstellungen geheilt? Soll das ein verheißungsvoller Anfang sein? Er ist’s! Das Motiv dieser Bitte ist die Sorge, ob draußen das übermächtige Heidentum seinen jungen Glauben nicht einfach erdrücken wird. So macht er — offenbar im Bewußtsein seiner Schwäche — noch eine Anleihe beim Sakralen; er sucht für seinen Glauben eine gewisse Geborgenheit, denn er will diese Erde gewissermaßen als eine Isolierschicht gegenüber der Penetranz des Heidentums (oder der Profanität?) haben. Es kommt natürlich viel darauf an, daß diese Bitte von der Gemeinde in ihrer Aktualität gesehen wird. Auch wir machen solche Anleihen beim Sakralen: der Stil unserer Kirchengebäude, unserer „geistlichen“ Lieder, die liturgische Sprache und die Gesten der Pfarrer — das und anderes nutzen wir (in Freiheit!) als eine solche Isolierschicht gegenüber der bedrängenden Außenwelt. Es müßte auch ohne das gehen, und es geht auch; aber wo wir es haben können, ist es unserem Glauben ein Schutz und Halt.
2. Viel bedenklicher ist die zweite Bitte: N.s hohe Stellung als Beamter wird ihm keine ganz reine Scheidung vom Heidentum gestatten. Bei bestimmten höfischen Gelegenheiten erfordert das höfische Zeremoniell, daß er am Kult des Gottes Rimmon teilnimmt.
Die mit Spannung erwartete Antwort Elisas ist schlechterdings der Höhepunkt der Erzählung. Der Prediger muß dabei verweilen und doch darauf achten, daß ihre einzigartige schlagende Kürze und Verhaltenheit — und Liebe nicht zerredet wird. („Und er sah ihn an und liebte ihn!“) Die Antwort ist kein Ja und kein Nein und doch kein Ausweichen. Ihr Hauptmerkmal ist, daß sie keinerlei Gesetz über N. aufrichtet. Wie streng hat er den Mann gedemütigt, hat ihm nichts geschenkt — und nun entläßt er ihn in vollkommener Großzügigkeit, ganz ohne Vorschriften, — mit einem Segenswunsch! („Solchen Glauben habe ich in Israel nicht gefunden.“) Er schickt ihn hinaus in die ganze Heillosigkeit des Heidentumes und überläßt ihn seinem Glauben.
So ist die Naemangeschichte weder eine billige Wundergeschichte noch eine billige Bekehrungsgeschichte. Es ist mit N. keineswegs alles schon im Reinen. Es sind Probleme angedeutet, die noch jenseits des Erzählten liegen. Aber N.s Anfang war ein verheißungsvoller.
Die Predigt kann schwerlich schließen, ohne in Kürze den Schluß (V. 19 b-27) als eine dunkle Kontrastparallele zu erwähnen. Gehasi ist kein Bösewicht, aber er kann der Versuchung nicht widerstehen; er will auch einmal vor der Welt groß und reich sein (V. 23 b!) und er weiß doch ganz genau, daß er seinem Herrn so nicht unter die Augen treten darf. Der Einherstolzierende wirkt so lächerlich, wie die Kirche, die sich so oft versuchen läßt, ein solches Doppelleben zu führen, und die doch genau weiß, daß sie so ihrem Herrn nicht unter die Augen treten darf.
Die Predigt wird diese der Gemeinde wohl weithin unbekannte biblische Geschichte zunächst einfach nacherzählen. Damit ist ihr Aufbau gegeben. Über das Verhältnis des alttestamentlich Vorläufigen zu dem neutestamentlich Endgültigen bedarf es bei diesem Text schwerlich gewichtiger theologischer Erklärungen. Das ganze Heilsgeschehen ist in typologischer Hinsicht so in die Augen springend (der Retter — der unmögliche menschliche Versuch der Anknüpfung — die Abweisung des magischen Verlangens als einer Zeichenforderung — das Heil und die erste Perspektive in das neue Leben), daß es wohl nur am Ende noch eines Wortes bedarf, das das alttestamentliche Zeugnis über seinen reinen Immanenzcharakter hinaushebt. Gegenüber einer typologischen Ausdeutung der dem N. anbefohlenen Waschung als eines Hinweises auf die Taufe, die Luthers Übersetzung von V. 14 nahelegt, empfiehlt sich Zurückhaltung.
Quelle: Gerhard von Rad, Predigtmeditationen, Göttingen 1973, 50-53.