Eberhard Jüngels Vortrag „Alle sollen eins sein. Die Kirchen auf dem Weg zur Eucharistiegemeinschaft“ von 1999: „“Das Evangelium selbst muss der kirchlichen Lehre Beine machen.“

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Einen schönen Lehrvortrag über das evangelische Abendmahlsverständnis und die Schwierigkeiten einer ökumenischen Eucharistiegemeinschaft hatte Eberhard Jüngel 1999 als Rundfunkbeitrag für den Bayerischen Rundfunk gehalten. Darin hält er unter anderem fest:

Das Abendmahl als Ende des Opferkultes

Die Reformation ist nicht zuletzt deshalb entstan­den, weil sie in der damaligen gottesdienstlichen Praxis und insbesondere bei den Meßfeiern eine unerträgliche Vermi­schung menschlicher Opfertätigkeit mit dem Selbstopfer Jesu Christi erkannte und bekämpfte. Die Reformatoren haben den Kreuzestod Jesu Christi als das eine, ein für allemal geschehene, die Welt mit Gott ver­söhnende Opfer so hoch geschätzt, daß sie daneben keine weitere Op­ferhandlung zu akzeptieren vermochten. Der evangelische Oster­choral (von Michael Weiße aus dem Jahr 1531) bringt es jubelnd zum Aus­druck: „Gelobt sei Gott im höchsten Thron / samt seinem eingebornen Sohn, / der für uns hat genug getan. / Hal­leluja, Halleluja, Halleluja!“ Mit dem Selbstopfer Jesu Christi ist für uns genug und mehr als genug getan. Einmal und ein für allemal. Als das ein für allemal geschehene vollkommene Opfer hat der Tod Jesu Christi das kultische Opferinstitut grundsätzlich außer Kraft gesetzt: kein Opfer mehr für die Sünde – die­sen Grundsatz des Hebräerbriefes (Hebräer 10, 18) haben die Reforma­toren auch auf die Eucharistie bezogen und deshalb das Verständnis der Messe als Opfer entschieden abgelehnt.

Wenn nach dem ein für allemal vollbrachten Opfer Jesu Christi gleich­wohl noch von mensch­lichen Opferhandlungen die Rede ist, dann gera­de nicht im kultischen Sinne. Opfer ist nun­mehr ein metaphorischer Ausdruck für die das ganze Leben des Christen kennzeichnende Hinga­be. In diesem Sinne ermahnt Paulus die Christen, sich selbst als „leben­diges, heiliges, Gott wohlgefälliges Opfer“ darzubringen – und das be­zeichnenderweise gerade nicht im litur­gischen Gottesdienst, sondern in jenem „vernünftigen Gottesdienst“, der sich im Alltag der Welt vollzieht (Römer 12, 1 f.). Der Opferbegriff kann nun metaphorisch auf jeden Le­bensakt bezogen werden, mit dem der Christ Gott dient. Bei allen sol­chen „Opferhandlungen“ im – wie es 1 Petrus 2, 5 f. heißt – geistlichen Sinne handelt es sich aber um vom kultischen Opfer streng zu unter­scheidende Vollzüge des christlichen Lebens, handelt es sich um Voll­züge des allgemeinen Priestertums aller Gläubigen.

Die katholische Theologie hat auf die reformatorischen Einwände so reagiert, daß sie deutlich zu machen versuchte, die Messe sei nicht ein neues Opfer neben dem Kreuzesopfer, sondern dessen sakramentale Gegenwärtigsetzung. Nach Kardinal Cajetan (De missae sacnticio et ritu adversus Lutheranos, 1531) wird denn auch in der Messe „nicht das Op­fer [Christi] wieder­holt, sondern in wiederholter Feier wird das fortbe­stehende Opfer [Christi] Gegenwart… Im Neuen Testament gibt es, wie Cajetan betont, nur einen Priester: Christus. Er ist der eigentli­che Opferer in der Messe. Der Priester am Altar ist sein Diener. Er konsekriert… in persona Christi“, also an Christi Statt.

Mißlich bleibt freilich, daß die römisch-katholische Kirche im Gefolge des Tridentinums den­noch weiterhin von einem opfernden Handeln des Priesters bzw. der Kirche spricht. Doch Christi Selbstopfer ruft gerade nicht nach unserem Opfer, ruft überhaupt nicht nach unserem Tun, son­dern nach unserem Empfangen, aus dem dann allerdings das christliche Tun – wie aus der kreativen Passivität des Sabbats die neue Arbeitswo­che – hervorgeht. So belehrt uns das Neue Testament.

Ökumenische Fortschritte sind nur durch einen unzweideutigen Rück­gang in die biblischen Abendmahlstexte zu erreichen. Dann wird sich allerdings auch zeigen, daß das Abendmahl selber eine die Differenzen im Abendmahlsverständnis überbietende Wirkung hat und insof­ern nicht nur Ausdruck der – irgendwann einmal – zu gewinnenden sichtbaren Einheit der Kirche ist, sondern diese Einheit selber bewirkt. Denn – so lehren mit Recht Vertreter der orthodoxen Christenheit – nicht nur da, wo die Kirche ist, kann die Eucharistie vollzogen werden. In gleicher Weise gilt vielmehr auch die Umkehrung: „wo die Eucharistie vollzogen wird, da ist die Kirche“. Und was lesen wir in der neuesten Ausgabe des Codex Iuris Cano­nici? Wir lesen auch dort, daß das eucharistische Opfer „die Einheit des Volkes Gottes“ nicht nur „bezeichnet“, sondern auch „bewirkt“. Das Abendmahl führt also die kirchliche Einheit, die es darstellt, auch selber herbei – behauptet der Codex des kanonischen Rechtes. Wer aber, der katholisch genannt zu werden ver­dient, wollte dem Codex Iuris Canonici widersprechen?

Der Herr am Tisch des Herrn und seine Diener

Die unterschiedliche Einschätzung des Op­fercharakters der Abendmahlsfeier schlägt aller­dings auch auf das Verständnis des Priester­tums und demgemäß auf die Bedeutung und Funktion, die dem Geistlichen bei der Euchari­stiefeier zuerkannt wird, durch. Der neue Codex Iuris Canonici verbietet es denn auch katho­lischen Priestern ausdrücklich, „zusammen mit Priestern oder Amtsträgem von Kirchen oder kirchlichen Gemeinschaften, die nicht in der vollen Gemeinschaft mit der katholischen Kirche stehen, die Eucha­ristie zu konzelebrieren“. Solche „Konzelebration“ ist freilich nicht die einzige Gestalt, in der Abendmahlsgemeinschaft zwi­schen den Kirchen möglich ist. Auf jeden Fall stellt sich jedoch die Fra­ge nach der Bedeutung der Amtsperson für die gültige Feier der Eucha­ristie.

Evangelische Lehre geht davon aus, daß Jesus Christus der eine und ein­zige Hohepriester ist, der sein priesterliches Werk der opfernden Selbst­hingabe zum Heile der Menschheit ohne jede menschliche Mitwirkung vollbracht hat und daraufhin sein priesterliches Amt so vollzieht, daß er alle an ihn Glaubenden zu (solchen) Priestern macht, die der Menschheit das vollbrach­te Werk Christi bezeugen und ihr das durch dieses Werk Christi bewirkte Heil zusprechen und darbieten. Wie das kultische Op­ferinstitut, so beendet Jesus Christus folglich auch das kultisch verstan­dene Priestertum und setzt an dessen Stelle das allgemeine Priestertum aller Gläubi­gen. Der Glaube selbst ist nun der rechte Gottesdienst. Innerhalb der christlichen Kirche ist deshalb die katego­riale Unterscheidung von Priestern und Laien zu verwerfen.

Damit jedoch die Bezeugung und Darbietung des durch Jesus Christus bewirkten Heils, zu der grundsätzlich alle Glaubenden befähigt sind, geordnet vollzogen wird, hat Gott auch nach evangelischer Lehre inner­halb des allgemeinen Priestertums aller Gläubigen das kirchliche Amt gestiftet, das vor allem das „Amt der Evangeliumsverkündigung und der Sakramentsver­waltung“ ist. Und deshalb soll „niemand öffentlich lehren oder predigen oder Sakra­ment reichen … ohne ordentliche Berufung in dieses Amt“.

Die Stiftung eines kirchlichen Amtes durch Gott soll aber nicht einem Mangel des allgemei­nen Priestertums aller Glaubenden abhelfen, son­dern umgekehrt den geistlichen Reichtum des allgemeinen Priestertums aller Glaubenden in geordnete Bahnen lenken und dadurch öffent­lich kommunikabel machen. Nicht weil das christliche Leben zu arm oder zu schwach ist, sondern weil es zu reich ist, braucht es ein es ordnendes kirchliches Amt. Die kirchlichen Amtsträger vollziehen stellvertretend den der ganzen Gemeinde anvertrauten und befohlenen Dienst. Indem sie diesen Dienst vollziehen, treten sie allerdings in der Gemeinde dieser gegen­über und verweisen damit auf das Gegenüber von Evangelium und Kir­che, das auch und gerade dann zur Geltung kommt, wenn das Evangeli­um in der Gemeinde verkündigt und gehört wird.

Für die Abendmahlsfeier folgt aus diesem Amtsverständnis, daß es zur Wohlordnung des kirchlichen Lebens gehört, diese Feier unter dem Vor­sitz eines ordinierten Christen zu voll­ziehen, daß aber die Gültigkeit der Abendmahlsfeier nicht in Frage gestellt wird, wenn aus zu verantwor­tenden Gründen ein nicht ordinierter Christ die Funktion der Amtsper­son über­nimmt. Aus demselben Grund wird die Gültigkeit der von ei­nem Amtsträger der römisch-katholischen Kirche geleiteten Eucharistie­feier von der evangelischen Kirche nicht in Frage gestellt. Trotz einiger gewichtiger Unterschiede in der Abendmahlslehre ist für die evangeli­sche Kirche schon jetzt Abendmahlsgemeinschaft möglich.

Hier der vollständige Vortrag als pdf.

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