Auch wenn Dietrich Bonhoeffers Worte allgemeinbekömmlich zu sein scheinen, ist er ein lutherisch-orthodoxer Theologe, der sich nicht spirituell vereinnahmen lässt:
Von Dietrich Bonhoeffer
Vor uns steht die Zeit der häufigen und großen Abendmahlsfeiern, der letzten Konfirmandenstunden, in denen viele tausend junger Christen auf ihren 1. Gang zum Sakrament vorbereitet werden sollen. Dies und die Passionszeit selbst wird dem Pfarrer immer wieder zum Anlaß, über die letzte Gabe Jesu an seine Jünger nachzudenken. Über das Abendmahl nachdenken – ja, sollen wir das wirklich noch? Ist nicht gerade durch das Denken [549] über das Abendmahl seit 1000 Jahren mehr Zwiespalt als Klarheit in die Kirche getragen worden? Wurde das Mahl der Versöhnung und der Bruderliebe nicht gerade so zum Zeichen der Zerrissenheit und des Streites? Ist nicht schließlich im Laufe der Jahrhunderte alles gesagt worden, was überhaupt zu dieser Sache gesagt werden kann? Wäre es nicht besser, das Sakrament einfach zu brauchen und zu empfangen und sich aller Gedanken darüber zu entschlagen? Es ist gewiß wahr, daß die Hauptschäden in dieser ganzen Sache in dem mangelnden Gebrauch von Beichte und Abendmahl und in der mangelnden Predigt über diese Stücke liegen. Erst aus dem rechten Gebrauch kommen die rechten Gedanken. Aber was ist der rechte Gebrauch des Abendmahls? Was dürfen wir vom Empfang des Sakraments erwarten? Welches ist die Gabe, die uns zuteil wird? Was hat Jesus mit der Einsetzung des Abendmahls verheißen und welches ist die rechte Predigt, die zum Abendmahl einlädt? Wir kommen ja nicht darum herum, daß es im Abendmahl nicht um ein unklares mystisches Erlebnis, sondern um das klare, leibgewordene Wort Gottes, um Zuspruch und Anspruch Jesu Christi geht. Jesus selbst hat den Jüngern nicht stumm Brot und Wein gereicht, sondern er hat sein Wort dazu gesprochen. Um das rechte Nachsprechen dieses Wortes Jesu (das doch wie alle Predigt nicht einfach Wiederholung und Deklamation des Bibelwortes sein kann!), darum also, daß das Sakrament Jesu eigenes Sprechen und Handeln bleibe für alle Zeiten, ist es der lutherischen Kirche gegangen, wenn sie die Abendmahlslehre mit so großem Nachdruck und Ernst getrieben hat. Es soll in der Kirche nichts gelten und geschehen als Jesu Wort und Tat. Weil aber die lutherische Kirche in der römischen wie in der reformierten Abendmahlslehre eine Eintragung menschlicher Gedanken in das Abendmahl Jesu sah, stritt sie um die Sache Jesu Christi bis zur äußersten Konsequenz. Nicht um selbst tiefsinnige Gedanken über das Abendmahl auszusprechen, sondern im Gegenteil um alle eigenwilligen menschlichen Gedanken abzuwehren [550] und allein Wort und Handlung Jesu Christi in seiner ursprünglichen Reinheit stehen und gelten zu lassen, ging die lutherische Kirche in diesen Streit. Alles theologische Denken stand hier im Dienst des rechten und unverfälschten Gebrauches des Sakraments in der Kirche. Nur wo die Kirche – allem Spott und Entsetzen einer modernen Welt zum Trotz – auf dem lauteren Wort Gottes und den von Christus selbst eingesetzten Sakramenten ruht, gilt ihr die Verheißung, daß die Pforten der Hölle sie nicht überwältigen werden. Es gibt ein dogmatisches Pharisäertum, aber es gibt ebenso häufig und heute noch häufiger ein antidogmatisches Pharisäertum; es gibt intellektuelle Werkgerechtigkeit, aber es gibt ebenso eine intellektuelle Zuchtlosigkeit und Unaufrichtigkeit, die vor Gott gewiß nicht bestehen kann. Zwischen beiden ist die lutherische Kirche in ihrer Abendmahlslehre, geleitet vom Worte Gottes allein mit sicherem Schritt hindurchgegangen. Sie hat gedacht, wo gedacht werden mußte, und sie hat die Grenzen des Denkens doch streng gewahrt. Sie hat das vermocht, indem sie das einzige Ziel ihres Denkens sein ließ, das Wunder und das Geheimnis des Abendmahls Jesu Christi als solches stehen zu lassen und anzubeten.
- Ausgangspunkt von allem sind die Worte Christi: Das ist mein Leib. Hier gibt es kein Deuteln. Das Brot, das wir im Sakrament essen, ist der Leib Jesu Christi. Das ist so kraft des allmächtigen Wortes Jesu, nicht etwa erst kraft unseres Glaubens (gegen das „respectu fidei“ der Reformierten). Das Wort allein macht das Sakrament, nicht der Glaube. Ob es unserer Vernunft eingeht oder nicht, ob die Welt sich empört, ist vor dem Wort Jesu belanglos, das keiner Bestätigung durch uns bedarf. Entweder gilt Jesu Wort durch sich selbst und in Ewigkeit oder es ist ein leerer Schall.
- Weil Jesu Wort aus eigener Mächtigkeit gilt, darum gilt es auch, ob wir gläubig oder ungläubig das Sakrament empfangen. Das Brot ist der Leib Christi auch für den ungläubig Essenden. [551] Das ist die lutherische Lehre von der manducatio impiorum, der die Reformierten widersprachen. Sie bringt zum Ausdruck, daß das Sakrament im Wort Christi allein begründet ist und besteht. Auch Judas empfing den Leib Christi, freilich sich zum Fluch. Wer unwürdig ißt, „der ißt sich selber das Gericht“ 1. Kor. 11, 29.
- Gilt Christi Wort, dann empfangen wir den Leib Christi nicht nur geistlich, sondern „mündlich“. Wo das geleugnet wird, ist Christi Wort nicht mehr ernstgenommen. So tief erniedrigt sich Christus, so innig ist seine Gemeinschaft mit uns, so unmittelbar bezeugt er sich einem jeden von uns, daß wir seinen Leib mit dem Munde empfangen und sein Blut trinken. Das ist die lutherische Lehre von der manducatio oralis, die von den Reformierten bestritten wurde. Sie will nichts anderes als Christus bei seinem Wort nehmen und wirken lassen allem Hochmut der menschlichen Vernunft zum Trotz.
- Der Leib Jesu Christi ist „in, mit und unter“ dem Brot „wahrhaftig und wesentlich“ im Sakrament gegenwärtig. Nicht verwandelt sich das Brot in den Leib (Transsubstantiation) – das wäre menschliche Deutung und Vergewaltigung des Allmachtswunders, das allein im Wort Christi begründet ist! – sondern das Brot ist der Leib. Nicht ist das Brot das „Zeichen für den abwesenden Leib Christi“ (gegen die Reformierten), sondern das Brot ist der Leib. So sagt und schafft es das Wort Christi.
- Der Leib Christi wird im Brot mündlich und geistlich (oraliter et spiritualiter) gegessen. Nicht nur mündlich („kapernaitisch“ – gegen Rom), so daß der Leib Jesu Christi ein „Ding“ geworden wäre, aber auch nicht nur geistlich (gegen die Reformierten) ‚so daß wiederum der Glaube und nicht das Wort Christi allein das Sakrament schüfe.
- Die Vereinigung von Brot und Leib ist mit menschlichen Begriffen nicht zu erfassen. Sie darf weder magisch materialisiert (Rom) noch spiritualisiert (Reformierte) werden; in beiden Fällen würde das Wunder, das allein das Wort Christi vollbringt, [552] geleugnet, aufgelöst, rationalisiert werden; in beiden Fällen käme das Sakrament in die Gewalt des Menschen. Die Vereinigung ist etwas schlechthin Einzigartiges, Unvergleichliches und wird darum als unio sacramentalis bezeichnet. Ebenso ist das Essen des Leibes weder ein rein leiblicher noch ein rein geistlicher Akt, es ist etwas Einzigartiges, Unvergleichbares und wird darum als „sakramentales Essen“ bezeichnet. Hier ist die Grenze des Denkens, das nur dazu dient, das Wort Jesu in seiner Reinheit zu verteidigen, erreicht und in den nicht weiter aufzulösenden, sondern das unauflösliche Wunder selbst aussprechenden Begriffen der unio sacramentalis und des sakramentlichen Essens bezeugt. Es geht aber nicht um die Lehre vom Abendmahl, sondern um das Abendmahl Jesu Christi selbst.
- Wie der Logos ins Fleisch einging, so ist in Brot und Wein der ganze Christus gegenwärtig. Es ist seine Ehre, so tief und völlig in das menschliche Wesen einzugehen aus Liebe zu den Sündern (gegen das Extra-Calvinisticum). Christus will leiblich unter uns wohnen. Nur im Leib ist er unser Heiland. So ist uns im Abendmahl nicht nur „die Kraft, Wirkung und Verdienst Christi“, sondern Christus selbst leiblich, d. h. in seiner menschlichen Natur gegenwärtig. Auf die Aufforderung Oekolampads an Luther in Marburg 1529, doch nicht an der Menschheit Christi zu hängen, sondern sich zu seiner Gottheit zu erheben, antwortet Luther, er kenne und verehre keinen anderen Gott als den menschgewordenen, der auch im Sakrament gegenwärtig sei und allein seligmachen könne. Im Kampf der lutherischen Kirche gegen jeden Spiritualismus geht es um die echte Gegenwart des menschgewordenen Sohnes Gottes in seiner Gemeinde, um den Christus im Fleisch. [553]
- „Wenn man die Stiftung Christi nicht hält, wie er’s geordnet hat, ist es kein Sakrament.“ Nur wo die „ganze Aktion des Abendmahls“ gehalten wird, gemäß dem Befehl Christi: „Solches tut“, wo „man in einer christlichen Zusammenkunft Brot und Wein nehme, segne, austeile, empfange, esse, trinke und des Herrn Tod verkündige“, dort ist das Sakrament Jesu Christi. Damit wehrt die lutherische Kirche alle neugierigen Fragen nach Zeitpunkt und Dauer der unio sacramentalis ab. Sie bindet alles streng an Befehl und Einsetzung, an das Wort Christi; nur im „Gebrauch“ (usus) oder „Handlung“ (actio) gibt es Sakrament. Damit sind alle Fragen und Gedanken streng auf den gottesdienstlichen Gebrauch des Sakraments gerichtet und durch ihn begrenzt. So über das heilige Abendmahl nachzudenken und es vor Mißbrauch, Verweltlichung, Aberglauben, Vorwitz zu schützen, ist nicht nur erlaubt, sondern nötig, um das Abendmahl recht und dankbar brauchen zu können. So kommt das rechte Denken aus dem rechten Gebrauch und führt wieder zum rechten Gebrauch des Sakraments zurück.
Alles Gesagte ist von Luther im kleinen Katechismus zusammengefaßt: „Was ist das Sakrament des Altars? Es ist der wahre Leib und Blut unsers Herrn Jesu Christi, unter dem Brot und Wein uns Christen zu essen und zu trinken von Christo selbst eingesetzt.“
Im Februar 1940 versandt durch den Bruderrat der Bekennenden Kirche in Pommern an seine Pastoren.
Quelle: Dietrich Bonhoeffer Werke, Band 15: Illegale Theologenausbildung Sammelvikariate 1937-1940, hrsg. v. Dirk Schulz, München: Chr. Kaiser Verlag 1998, S. 548-553.