Hans-Georg Gadamer über den Tod als menschliche Frage: „Die Unbegreiflichkeit des Todes ist der höchste Triumph des Lebens.“

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Anschaulich und hintergründig hatte sich Hans-Georg Gadamer 1975 in seinem Aufsatz „Der Tod als Frage“ mit dem Tod und dem menschlichen Lebensbewusstsein auseinandergesetzt.  So beschließt er seinen Text im Kerzenlicht:

Märchen sind wohl das früheste, was ein Kind berührt und an dem es zum erstenmal ahnt, was der Tod ist. Da ist das Märchen von dem Haus, in dem die Kerzen aller Lebenden brennen. Der Besucher dieses Hauses, der staunend und bang sich umblickt, fragt am Ende auch nach seiner eigenen Lebenskerze – und erschrickt. Was auch ein Märchen im einzelnen weiß – das Herabbrennen der Lebenskerze ist jedenfalls ein ehrwürdiges und treffendes Symbol für das menschliche Leben und seine Spanne, weil daran die Endlichkeit und Vergänglichkeit unseres Daseins symbolhaft gegenwärtig ist.  Das Erschrecken im Anblick der eigenen Lebens­kerze ist wie ein Aufflackern der innersten Angst, die mit der Lebensgewißheit gegeben ist.

Aber es ist noch etwas anderes, was das Symbol der Lebenskerze uns darstellt – und das ist eben das Flackern der Kerze. Während eine ruhig herabbrennende Kerze, von dem Wind der Zeit hin- und herbewegt, zwischen Verdunkelung und neu ansteigender Helligkeit hin- und herschwankt, scheint das Flackern der verlöschenden Kerze zuweilen noch ein klein wenig mehr Helligkeit zu verbreiten als das der ruhig abbrennenden: Die Unbegreiflichkeit des Todes ist der höchste Triumph des Lebens.

Hier der vollständige Aufsatz als pdf.

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