Hans Joachim Iwand, Bekennende Kirche. Eine Osterbetrachtung (DIE ZEIT, 1946): „Die Oster­feier müsste die Siegesfeier der Christen sein, die sie erinnert an jenen Tag, da Gott Christus zum Herrn der Welt setzte und alle Mächte und Gewalten, alle Throne und Herrschaften, wie es in der Bibel heißt, ihm unterordnete. Wir müssen hier jene Freiheit des Christenmenschen geschenkt bekommen, die sich nicht beugt und fürchtet, die immun ist gegen die Waffe der Angst, mit der der Fürst dieser Welt, für den und dessen Gei­stesverwandte mit guten Gründen die Auferstehung eine schlechthin widervernünftige Ange­legenheit ist, seine Opfer blendet, gängelt und schließlich in den Abgrund stürzt.“

In den mir bekannten Iwand-Bibliographien ist Iwands Artikel „Bekennende Kirche. Eine Osterbetrachtung“ aus der ZEIT, Nr. 9 vom 18. April 1946 nicht verzeichnet. Aber er hat sich im ZEIT-online-Archiv gefunden. Ein schönes Fundstück, das noch immer zu denken gibt:

Bekennende Kirche. Eine Osterbetrachtung

Von Hans Joachim Iwand, Göttingen

Zu den bedeutsamen Erscheinungen, die uns die Erschütterungen der letzten Jahre gebracht haben, gehört der Kampf der Kirche um ihre Existenz. Es konnte ja gar nicht anders sein, als daß das Herrschaftsgebäude des totalen Staates und einer bis ins Ethos hinein tief antichristli­chen Weltanschauung die Kirche bedrohte und daß diese nur als Bekennende Kirche existie­ren konnte. Die Bekennende Kirche war nicht etwa nur ein radikaler oder oppositioneller Teil des Ganzen, sie war und verstand sich von vornherein als die Kirche schlechthin. In ihrem Zeugnis kam die Kirche zu Wort, in ihrem Leiden wurde die Kirche verfolgt, in ihrem Ver­stummen verstummte die Kirche. Das wußte niemand so gut wie ihre Gegner. Wenn viele Menschen in Deutschland das nicht sahen und nicht begriffen, dann liegt das nicht zum wenigsten daran, daß die nicht bekennende, die sich irgendwann gleichschaltende Kirche nach außen hin viel unangefochtener, sicherer und handgreiflicher existierte, während die Beken­nende Kirche nach anfänglich weithin vernehmbarem Zeugnis mehr und mehr in Verfolgung, in Haft und auferlegtem Schweigen aus dem Blickfeld der Öffentlichkeit verschwand. Und doch war sie da; sie war da in einer bestimmten Art der Verkündigung, in einer bestimmten Haltung und Mitwirkung der Gemeinde, in einer besonderen Fürbitte, in Zeugnissen, die uns von der Front her erreichten, in seltsamen Begegnungen mit den Christen in den okkupierten Ländern, vor allem in den Zeugnissen, die hin und wieder aus den Kerkern zu uns gelangten als letzter Gruß und stärkende Mahnung derer, die getreu waren bis in den Tod. Als Martin Niemöller nach achtjähriger Trennung zum erstenmal wieder unter uns trat und mit ihm Karl Barth, als wir uns trotz allem und trotz mancher schmerzlichen Lücke zum erstenmal in Frankfurt wieder zusammenfanden, wußten wir, daß die Existenz der Kirche unter einem besonderen Gesetz stand, daß diese Existenz nichts Selbstverständliches, Statisches, Gegebe­nes sein kann, daß vielmehr hierher nur ein Wort paßt, um zu beschreiben, was uns widerfah­ren war: „Siehe, wir leben.“ Wir können es schwer glauben, wir träumen lieber von der Ewig­keit irdischer Reiche, aber es dürfte eben doch wahr sein, daß Gottes Verheißung von der Ecclesia in perpetuum mansura, von der Kirche, die die Pforten der Hölle nicht überwältigen können, gilt.

Neue Brüderlichkeit

Es war merkwürdig, wie fließend in diesen Jahren der Anfechtung und des Bekennens die alten, überkommenen Grenzen wurden, die die Christen voneinander trennten. Auf einmal stand ein und derselbe Name über den Verschiedenheiten der Konfessionen. Ein Glaube verband Menschen, die längst vergessen hatten, daß sie Brüder sind. Es lief durch alle Kirchen und Sekten hindurch. Es war nichts Organisiertes, es war etwas Unmittelbares. Die neuen Entscheidungen, die aufbrachen, setzten neue Grenzen. So geschah es, daß in katholischen Gottesdiensten Fürbitte gehalten wurde für evangelische Glaubenszeugen und daß umgekehrt Predigten eines katholischen Bischofs evangelische Christen herausrissen aus der Schwach­heit ihres Glaubens und sie aufs neue aufrichteten zum Glauben an die Gerechtigkeit. Es geschah, daß Reformierte und Lutheraner, ungeachtet ihrer Lehrdifferenzen. gemeinsam das Abendmahl feierten und dessen gewiß wurden, daß die Gegenwart des Herrn und die Worte seiner Stiftung mächtiger sind als die Interpretationen über das Wie solcher wunderbaren Gegenwart. Denn es war nicht rationalistische Verflachung, die die Unterschiede verwischte. sondern es waren Begegnungen darum, weil der echte, lebendige Glaube die eine Wurzel wie­der entdeckte, die den weitverzweigten Baum christlicher Bekenntnisse trug.

Aber auch andere Unterscheidungslehren wurden auf ihr Gewicht hin gewogen und zu leicht befunden. Die Sache der Bekennenden kam nicht nur in spezifisch kirchlichen Entscheidun­gen ans Tageslicht, sie war auch im politischen Raum mächtig, wenn auch leider nur viel zu unerkannt und darum zu spät. Vielleicht ist es die altgewohnte, aus einer ganz, andern Fragestellung stammende Unterscheidung der „beiden Reiche“ gewesen, die uns den Blick getrübt hat, dies rechtzeitig zu sehen und tatkräftig zu bezeugen. Wir leben noch viel zu sehr im Grabensystem längst vergangener Religionskämpfe, – während die Strategie, nach der der Angriff auf die Christenheit geführt wurde, eine höchst moderne war, die traditionelle Vorur­teile nur zu ihren eigenen Gunsten verwertete. Darum sahen wir nicht, daß überall da, wo Menschen dafür kämpften, litten und starben, daß der Staat nicht zur „Räuberhöhle“ (Karl Barth) werden darf, daß die Obrigkeit kein Recht hat, den Menschen zur Nummer zu degra­dieren und über die Freiheit des Menschen zur Tagesordnung hinwegzugehen, daß darum das politische Geschäft nicht jenseits von Gut und Böse steht, sondern daß um der Aufrechterhal­tung dieser Grenze willen der Staat gesetzt ist, und daß es unser Versäumnis, das Versäumnis der Christen war, wenn wir, allein um unser Heil bekümmert, den Staat, die Öffentlichkeit, die Wirtschaft teilnahms- und verantwortungslos dem freien Spiel der „Kräfte“ und damit der – Hölle überließen. Wir sahen nicht und sehen es wohl auch heute noch kaum, daß auch die Sache Christi auf dem Spiel stand. Erst wenn jene dogmatische Trennung zwischen dem Rei­che Gottes und dem Reich der Welt uns einmal fraglich werden wird – und wir stehen sehr nahe davor –, werden uns die Augen aufgehen für die Versäumnisse einerseits, aber auch für die vorgreifenden Mahnungen und Erfüllungen anderseits, die in den letzten Jahren auf die­sem Felde inhaltreicher Entscheidungen zu verzeichnen sind. Es wird diese Erkenntnis da aufbrechen, wo neu begriffen wird – und auch gerade von der Seite des „politischen Men­schen“ her –, daß Jesus Christus der Herr der Kirche und der Herr der Welt ist.

Symbol der Auferstehung

Die abendländische Christenheit hat sich tief hineinversenkt in das Geheimnis von Golgatha, aber hat sie auch den vollen, den ganzen Schritt getan vom Kreuz zum offenen Grab? Die Auferstehung möchte ja nicht nur etwas sein, das uns im Blick auf unsere Toten oder auf unseren eigenen, noch ausstehenden Tod tröstet, sondern recht verstanden müßte die Oster­feier die Siegesfeier der Christen sein, die sie erinnert an jenen Tag, da Gott Christus zum Herrn der Welt setzte und alle Mächte und Gewalten, alle Throne und Herrschaften, wie es in der Bibel heißt, ihm unterordnete. Ostern müßte uns zum Anlaß werden, etwas davon zu begreifen, wie sekundär die Rolle ist, die diese Mächte vor Gott spielen. Wir müssen hier jene Freiheit des Christenmenschen geschenkt bekommen, die sich nicht beugt und fürchtet, die immun ist gegen die Waffe der Angst, mit der der Fürst dieser Welt, für den und dessen Gei­stesverwandte mit guten Gründen die Auferstehung eine schlechthin widervernünftige Ange­legenheit ist, seine Opfer blendet, gängelt und schließlich in den Abgrund stürzt. Wir machen uns heute manchen Vorwurf des mangelnden Mutes. Wir sollten begreifen, daß das Phäno­men, das wir damit meinen, nicht in der Skala der moralischen, auch nicht in der der militäri­schen Tugenden zu finden ist. Was wir damit meinen, wäre jenes Geschehen, das im Osterge­heimnis beschlossen liegt und darin zum Ausdruck kommt, wenn der Auferstandene zu den Seinen tritt mit den Worten: Fürchtet euch nicht! Dieser Anruf von jenseits dieser Todeswelt her hat uns gefehlt.

„Evangelium ist Angriff“

Es wird mit diesen wenigen Andeutungen deutlich geworden sein, daß das, was in der Kirche – oder besser in den Kirchen – bisher geschehen ist und was bei uns in der evangelischen Kirche den Namen Bekennende Kirche erhalten hat, nur ein Anfang ist, ein schwacher, teils erhebender, teils aber auch beschämender Anfang, aber in alledem doch der Anfang zu einer Umkehr, deren Weite und Tiefe noch nicht zu ermessen ist. Wir haben gerade die allerersten Schritte gemacht. Wir haben jetzt, da die Schranken nach draußen gefallen sind, mit Freude und Dankbarkeit erkannt, daß ähnliche Schritte, in gleicher Richtung und in gleichen, teilwei­se noch viel härteren Bedrängnissen, in den andern christlichen Kirchen geschehen sind und daß hier eine Einheit am Wachsen ist, die alles andere als die Absicht jenes totalen Angriffs auf die christliche Religion war. Immerhin, indem wir die ersten Schritte auf diesem Wege machten, indem wir wieder nach der wahren Kirche fragen lernten und uns nicht vertrösten ließen mit dem billigen Verweis auf die unsichtbare Kirche, leuchtet ein Ziel vor uns auf, das uns so leicht nicht mehr zur Ruhe kommen lassen wird. Wie solltenwir dem Licht, nachdem es uns einmal mitten in tiefstem Dunkel so hell geleuchtet hat, wieder den Rücken zukehren?

Es ist das Kennzeichen der Bekennenden Kirche gewesen, daß sie Nein gesagt hat. Nein, als die Wunder des Antichrist unter uns mächtig wurden und als Christen und Heiden vermeinten, in ihnen Offenbarungen des lebendigen Gottes zu findet. Wir sagten Nein, als die vermessene Proklamation von der Eigengesetzlichkeit des Politischen erfolgte, die, von vielen als Wieder­entdeckung der „Autorität“ gefeiert, schließlich in der blanken Anarchie endete. Wir sagten Nein zu der Einordnung der Kirche und ihres Dienstes in die Schranken des kulturellen und nationalen Lebens, das in dieser seiner Abgeschlossenheit dann doch jäh dem Todesgesetz verfiel. Wir sagten Nein zu dem wahrscheinlich dies alles regierenden, in seiner letzten Tiefe noch keineswegs voll erfaßten Versuch, die Beziehung aufzulösen, die zwischen dem Volke Israel und der Kirche Jesu Christi besteht. Hier war ohne Frage unsre schwächste Stelle und ist sie noch. Die Frage aber zwischen denen, die als Christen den Entscheidungen und Schei­dungen der Bekennenden Kirche gegenüber neutral blieben, und uns war immer die, ob dies Nein notwendig sei; Aber das ist ja wohl leicht zu begreifen, daß hinter diesem Nein immer ein bestimmtes und klares Ja steht, das Ja zu alleinigen Offenbarung Gottes in Jesus Christus, wie ihn uns die Schrift bezeugt, das Ja dazu, daß wir allein aus Gnaden gerecht vor Gott sind, das Ja zu Wort und Sakrament als den Zeichen, an denen die Kirche erkannt wird, das schließ­lich zu Jesus von Nazareth, dem in Bethlehem geborenen und in Jerusalem gekreuzigten Messias.

War der Kirchenkampf eine Episode oder war er mehr? Gehen wir nun alle wieder dahin zurück, woher wir kamen, vergessen wir die Einheit, die aufgeleuchtet ist, vergessen wir die Schäden, die offenbar, wurden? Wer den Kirchenkampf nur von außen her erklärt, wer ihn nur als Abwehr der Angriffe, die von daher erfolgten, gesehen hat, wird heute leicht in Gefahr sein, sich wieder in die alten Formen zurückzuziehen. Aber lag die actio wirklich auf der anderen Seite, war unser Kampf wirklich nur re-actio? Oder könnte es nicht auch umgekehrt sein, daß nur in der Tat von Gott her, vom Evangelium her etwas im Werden ist, etwas wahr­haft Neues, Erneuendes und Erlösendes und daß darum die Geister der Tiefe, die wissen, daß es hier um ihre Macht und Herrschaft geht, solch einen Sturm erregen? Luther hat seinerzeit jedenfalls die Dinge so gesehen. Und es wird sie jeder so sehen müssen, der weiß, was uns Martin Niemöller einmal aus Moabit schrieb: „Evangelium ist Angriff“. Denn das Christen­tum, und das scheint mir in all diesen Kämpfen und Stürmen mehr und mehr deutlich zu wer­den, ist nicht eine Idee, die einmal wie ein leuchtender Stern aufging, um nun zu verblassen, es ist kein Mythus, der sich mit den Zeiten und Weltbildern wandelt, sondern das Christentum lebt vom Glauben an die Auferstehung, an die erste und an die zweite, zwischen denen, wie Reinhold Schneider es einmal gesagt hat, die Weltgeschichte beschlossen liegt.

DIE ZEIT, Nr. 9, 18. April 1946.

Hier der Artikel als pdf.

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