Am Ostersonntag, 9. April 1950 predigt Hans Joachim Iwand in der Kapelle von Beienrode über 1. Petrus 1,3 und bringt darin die lebendige Hoffnung als Lichtbotschaft zur Sprache:
Warum sind denn alle unsere Hoffnungen so leer und eitel? Warum ist der Rand und das Ende aller Dinge, die wir aufgeklärt und erforscht haben, immer noch so dunkel? Warum enden alle unsere Hoffnungen in einer so tiefen, schweren Hoffnungslosigkeit, die über uns kommt, wie das Dunkel der Nacht? Warum fallen die Knaben und werden die Jünglinge matt? Warum sind unsere Hoffnungen, gerade wenn wir ihren Weg zu Ende gehen, unser eigenes Verderben? Es ist schon eine große Sache und ist der Anfang der Begegnung mit dem Auferstandenen, wenn wir den Mut haben, nach einer lebendigen Hoffnung zu fragen, wenn wir erkennen, daß wir Menschen ohne Hoffnung sind, wenn wir anfangen zu begreifen, daß es eine Hoffnung gibt, die nicht zu schanden wird, also eine Hoffnung, die den Menschen wirklich zum Ziel seiner Bestimmung bringt. Ja, wenn wir erst einmal dahin gekommen sind, daß wir unterscheiden lernen zwischen toter und lebendiger Hoffnung, dann haben wir etwas Entscheidendes verstanden von der Osterbotschaft, dann stehen wir dort, wo die Osterzeugen stehen, Maria von Magdala, und Thomas mit all seinen Zweifeln, und Saulus von Tarsus. Ganz nahe sind wir dann der großen, göttlichen Barmherzigkeit oder besser gesagt: sie ist uns ganz nahe; ganz nahe sind wir an Ostern, ganz nahe an Damaskus, ganz nahe an dem hellen, reinen Licht, das uns erst blind machen muß, damit wir alle Dinge mit neuen Augen sehen lernen. Denn das Hoffnungslose an all jenen Hoffnungen, die aus uns, d. h. eben nicht aus Gott stammen, ist dies, daß wir mit ihnen wie Gefangene im Lager leben, daß wir den dunklen Rand aller Dinge vermeiden, wie Gefangene den geladenen Draht. Wir wissen um die tödliche Grenze dieses Lebens, und wir respektieren diese Realität in all unseren sogenannten Hoffnungen, wir bleiben innerhalb dieses furchtbaren, von einer gewaltigen Hand um unser Dasein gezogenen Kreises. Wir lassen dem Tod also doch das letzte Wort, er ist das Geheimnis aller Gewalt, er ist das Letzte, was wir wissen, er ist die geheime Macht aller Gemeinschaft. Wir meinen, weil ihm der erste Mensch gehörte, darum müsse ihm auch der letzte gehören. Das Erbärmliche unserer Hoffnung ist – das sehen wir jetzt, wenn wir von der Auferstehung Jesu Christi zurückschauen auf diesen nutzlosen Kreislauf unseres Lebens – daß wir dem Tod alles überlassen.
Nun erst können wir die volle, die große Barmherzigkeit Gottes begreifen. Gott weiß, daß wir Hoffnungslose sind und daß wir dies bleiben müssen, solange nicht die Todesgrenze für uns aufgehoben wird. Er weiß, daß wir ihm nicht gehören können, solange wir nicht frei sind von der Furcht Gottes. Er weiß, daß wir nicht seine Kinder sein können, solange unser Erbe nicht das Ewige ist, ein unwandelbares, ein unbeflecktes und unverwelkliches Erbe. Er weiß, daß wir uns heimisch fühlen müssen in dieser Todeswelt, solange wir kein Bürgerrecht haben in jener Stadt, von der das Leuchten ausgeht, das uns getroffen hat. Darum ist die Barmherzigkeit Gottes nicht an ihrem Ziel bis auf Erden mitten unter uns durch einen Menschen wie wir diese Grenze durchbrochen wird. Es darf nicht nur im Himmel das Leben siegreich sein, der Ruhm Gottes muß auch auf der Erde in Erscheinung treten, die Hoffnung des Menschen muß sich hier erfüllen. Die Gefangenen müssen hier, gerade hier spüren, daß das Gefängnis gefangen genommen ist. Es muß durch alle diese dunklen Zellen der Jubelruf gehen: Tod, wo ist dein Stachel, Hölle, wo ist dein Sieg? Das ist Ostern, das ist Jesus Christus der Auferstandene, mit dem wir selbst alle auferstanden sind aus dem Grab unserer leeren Hoffnungen, das ist Gottes großes Erbarmen mit uns hoffnungslosen Menschen, das ist, wenn anders wir uns ganz und gar diesem Erbarmen überlassen, der Geburtstag eines neuen, ganz und gar in Gott und seiner Macht liegenden Lebens.