„Ihr gehört Euch nicht selbst, weil Ihr auch als Eheleute Christus gehört“ – Ernst Wolfs Trauansprache über Römer 14,7-9

Das ist sicherlich nicht die beredteste Traupredigt, die Ernst Wolf am 14. August 1971 – vier Wochen vor seinem Tode – zur Vermählung seines Sohnes gehalten hatte. Römer 14,7-9 lässt schwerlich eine hochzeitliche Euphorie aufkommen. Und doch zeigt Wolfs Trauansprache eine christliche Ehelehre, die es in sich hat. Wolf bringt damit zur Ansprache, was er in seiner Sozialethik zur Institution der Ehe entfaltet hat:

Trauansprache über Römer 14,7-9

Von Ernst Wolf

Ihr habt Euch, liebe Eheleute, zur Trauung ein Wort aus dem 14. Kap. des Römerbriefs gewählt. In diesem Kapitel redet der Apostel zu einer Gemeinde, in der über verschiedene Bräuche, über Fragen nach dem, was christlichem Leben geboten oder verboten ist, erhebliche Uneinigkeit herrscht, in der Zweifel unsicher machen, selbstgerechtes Urteilen über den anderen Raum zu gewinnen scheint – und der Apostel rückt nun diese ganze Wirrnis unter die Sicherung des Glaubens mit dem abschließenden Satz: „Was aber nicht aus dem Glauben gehet, das ist Sünde.“ Das schließt den Gegenschluß in sich: „Alles, was unter den Glauben gestellt wird, ist Heiligung, geschieht in der großen Freiheit, die im Glauben den Kindern Gottes verheißen und geschenkt ist.“ Mitten in diesem Zusammenhang stehen die Sätze, die Ihr Euch ausgesucht habt:

7. Denn unser keiner lebt ihm selber, und keiner stirbt ihm selber. 8. Leben wir, so leben wir dem Herrn; sterben wir, so sterben wir dem Herrn. Darum, wir leben oder sterben, so sind wir des Herrn. 9. Denn dazu ist Christus auch gestorben und auferstanden und wieder lebendig geworden, daß er über Tote und Lebendige Herr sei.

Wir sind hier, liebe Gemeinde und Ihr beiden Eheleute, zusammengekommen, nicht um Eure Ehe zu schließen. Das ist schon mit Eurer Verlobung und mit der standesamtlichen Feststellung und Beurkundung geschehen. Wir sind vielmehr zusammengekommen, weil Ihr Eure bereits geschlossene Ehe unter die Verheißung und den Segen des Wortes Gottes zu stellen begehrt.

Was aber heißt das? Wenn menschliche Entschließungen, gerade wenn sie so entscheidungsvoll und so ganz aus der Tiefe des Herzens geboren sind wie der Entschluß zur Ehe, wenn solche Entscheidungen unter Gottes Wort gerückt werden, dann stellen sie sich unter einen Befehl, [508] dem gegenüber es kein Wenn und Aber gibt, sondern schlechthin Gehorsam, einen Gehorsam freilich, der Leben bedeutet, der die Fülle des Lebens mit sich bringt, der unser Wollen und Tun, unser Handeln und Leiden im strengen Sinn des Wortes heiligt, d. h. für sich beschlag­ nahmt. Er ist dadurch ein Gehorsam, der uns in unserem irdischen Leben ganz für den in Anspruch nimmt, der der gnädige Herr dieses unseres Lebens und der barmherzige Vater unseres Seins ist, und der uns so, mit dieser Beschlagnahme, erst zu uns selbst macht. Das bedeutet Heiligung. – Nicht daß Euer Entschluß, Euch zu ehelichen, durch die Trauung auf eine höhere, etwa überweltliche Ebene gehoben würde. Es ist und bleibt die Ehe ein weltlich Ding, wie Luther sagt, und darin als Ehe eine irdische Heiligkeit. Und wenn im römischen Verständnis der Ehe als eines Sakraments Mann und Frau, Bräutigam und Braut als die wechselseitigen Spender dieses Sakraments gelten, so ist dies insofern gewiß nicht unrichtig, nämlich im Hinblick auf menschliches Handeln.

Von solchem Handeln gehen wir auch jetzt aus: vergeßt es nicht, menschliche Wege seid Ihr gegangen, als Ihr Euch kennenlerntet; menschliches Gefühl war im Spiel, als Ihr Euch zu lieben begannet; menschlicher Wille ist es, der Euch nun verbindet; menschliche Treue ist es, die Ihr Euch gegenseitig zusagt und deren öffentliche Bezeugung im Verspruch der Trauung geschehen ist und hier nochmals wiederholt werden soll. Solche Treue soll den gemeinsamen Lebensweg tragen, der auch über mancherlei Umwege führen mag, in Verstehen und Miß­ verstehen, in Freiheit und unter mancherlei Nötigungen, in heiteren Tagen und auch in weniger heiteren, unter den Pflichten und Freuden des Berufs und in den Freuden und auch Pflichten des Ehestandes, im menschlichen, irdischen Haus der Familie, das Ihr gründet.

Und nun versprecht Ihr heute, hier vor dieser Gemeinde, einander herzliche Liebe und Treue und Beständigkeit, constantia, das Mit­Zusammen-Stehen – ein fast unheimliches Versprechen, und welches Wagnis! – und Ihr werdet nicht daran zweifeln, daß nicht nur die anderen hier, sondern daß Gott selber der Zeuge ist. Denn Ihr seid des Glaubens, daß er selbst einverstanden ist mit solchem Versprechen, daß das, was Euch hieher geführt hat, und das, was hier geschieht, daß das mit Gottes Wort und Willen durchaus in Einklang steht, daß herzliche Liebe und Treue nach Gottes Ordnung und mit seiner Hilf e bis zum Tod in der Ehe herrschen sollen, nicht bloß nach Eurer guten Absicht.

Das eben ist das kühne Wagnis des Eheversprechens, daß da ein Mensch dem anderen sich selbst rückhaltlos anvertraut, die Treue des anderen ganz ohne Zweifel oder Einschränkung in Anspruch nimmt, einfach weil es auf Gegenseitigkeit von Ich und Du hin geschieht. Warum eigentlich?, möchte man fragen. Aber gerade diese Frage ist uns verwehrt, so wie sie Euch selbst nicht anrühren, nicht in Frage stellen darf. Wir dürfen nicht Euch, und Ihr dürft Euch nicht nach vorweisbaren, verrechenbaren Gründen fragen wollen für die Gewißheit, daß [509] gerade Ihr zwei fürs Leben zusammengehört. Ihr könnt, wenn alles recht ist, im Blick darauf nur sagen: wir glauben es eben. Und wir dürfen auch nicht fragen, woher habt Ihr aus Euch die Gewißheit, daß Ihr Euer Versprechen auch halten werdet? Auch hier könnt Ihr nur sagen: wir glauben es eben. Denn weit mehr als wir alle ahnen ist menschliches Zusammenleben, und das in der Ehe ganz besonders, auf Treue und Glauben verwiesen und gebaut.

Wir glauben es eben – das ist nicht bloß unser Meinen, unser Wünschen, unser Hoffen, irgendein Überzeugtsein des Gefühls, die Verdichtung eines Sich-Verstehens. Wir glauben es – das weist über sich, über Euch und über uns hinaus auf den Grund des Glaubens, wofern er wirklich Glauben ist, auf den Grund der Liebe, der Treue, der Beständigkeit mitten in aller Anfechtung, der man, wie Erfahrungen lehren, oft nur schwer standhalten kann.

Das besagt jetzt, in dieser Stunde: die Trauung, die ja nun zunächst ein menschlich Ding ist, ist es als der Versuch, die neue Möglichkeit gemeinsamen Lebens in der Ehe zu ergreifen, eine Möglichkeit, die als unser Werk zugleich aufgehoben ist bei Gott und darin geheiligt. Von diesem Aufgehobensein bei Gott, von diesem Geborgensein im Grund des Glaubens, der Liebe und der Hoffnung, davon redet das Wort der Schrift, von dem wir ausgegangen sind. Es ist klar und in sich verständlich – für den Glauben – und zugleich voll unbegreiflicher Zusicherung.

Es beginnt mit einer zunächst befremdlichen Feststellung: „Unser keiner lebt ihm selber und unser keiner stirbt ihm selber“. Aber diese Feststellung entspricht vielleicht noch weithin den Möglichkeiten unserer eigenen Erfahrung. Wir haben uns eben selbst nicht schlechthin in der Hand. Wir sind nun einmal nicht einfachhin die Herren unseres Lebens oder auch unseres Sterbens. Es wäre verstiegener Hochmut, wenn wir das behaupten und praktizieren wollten. Wir sind, um wirklich zu leben, auf andere angewiesen, anderer bedürftig, aber auch für andere da. Das Neue aber, das über solche mögliche Erfahrung hinausführt und sie zugleich bestätigt, sagt der nächste, den ersten begründende Satz: „Leben wir, so leben wir dem Herrn, sterben wir, so sterben wir dem Herrn. Darum, wir leben oder sterben, so sind wir des Herrn.“ – Und wer dieser Herr ist, warum er es ist, sagt der dritte: „Denn dazu ist Christus auch gestorben und auferstanden und wieder lebendig geworden, daß er über Tote und Lebendige HERR sei.“

Lebt keiner von uns sich selber, so eben nicht nur wegen des erfahrbaren Angewiesenseins aufeinander im Bereich empirischer Mitmenschlichkeit, sondern in der auch diese Mitmenschlichkeit zutiefst tragenden Unterstellung unter diesen Herrn. Er und er allein trägt und erhält unser Leben als wahrhaft menschliches Leben und Zusammenleben, indem er es vor der Überheblichkeit bewahrt, aus sich selber leben zu wollen, und gegen die Verzweiflung sichert, wenn wir, uns selbst überlassen, an uns und an unsere dem Eigenstolz entsprechende Verlorenheit preisgegeben sind. Zwischen praesumptio und [510] desperatio, Anmaßung und Verzweiflung verläuft menschliches Leben, das bindungslos gelebt wird, das keinen Herren hat und seinen Herrn, diesen einen Herrn Jesus Christus, nicht kennt, in dem Gott sein bedingungsloses gnädiges Ja zu seinem Menschen sagt, ihn in seinen Bund hineinnimmt und in diesen Bund dann auch den Bund der Ehe im besonderen.

Im Epheserbrief wird das Wesen der Ehe gedeutet durch das Verhältnis von Christus zu seiner Gemeinde als des Hauptes zu seinem Leib und zugleich als des Heilands für diesen. Das weist hin auf den Herrn, der auferstanden und wieder lebendig geworden ist, daß er sich eben als der Herr allen Lebens bezeuge und uns in der Gemeinschaft mit ihm Leben schenke, lebendiges Leben als Leben in Freiheit aus d er Freiheit, die Christus gegenüber allen Mächten und Zwängen dieses irdischen Lebens uns im Glauben zuspricht. Was Paulus in unserem Textwort den Römern schreibt, schrieb er in ähnlicher Weise den Korinthern (I, 3,27f.): „Alles ist Euer, … die Welt, … das Leben, … der Tod, … das Gegenwärtige und das Zukünftige, – alles ist Euer, Ihr aber seid Christi“ oder etwas später: „Ihr gehört Euch nicht selbst“ (6,19). Wieder ist beides zusammen eine auch der Ehe geltende Aussage, die Erfahrung und Glaube eigentümlich verbindet. „Ihr gehört Euch nicht selbst“ – das mag schon nach unserem menschlichen Verstand und Gefühl im wechselseitigen Sich-Anvertrauen der Eheleute eine tiefe Wahrheit sein. Aber wer sichert das vor mancherlei Vorbehalten und Einschränkungen? Es ist zwar dieses erfahrbare „Ihr gehört Euch nicht selbst“ Sache unseres Wollens, unseres Entschlusses, unserer, genauer jetzt: Eurer Vereinbarung, aber noch nicht eine Grundbestimmung Eures Seins. So aber gilt es im Neuen Testament: Ihr gehört Euch nicht selbst, weil Ihr auch als Eheleute Christus gehört, weil Ihr Euer Sein und Leben in ihm haben sollt. Dahinter steht die Verheißung: „So Ihr in mir bleibet, und meine Worte in Euch bleiben, werdet Ihr bitten, was Ihr wollt, und es wird Euch widerfahren“ (Joh. 15,7).

„Keiner lebt ihm selber und keiner stirbt ihm selber“ – das ist von hier aus die kräftige Zusage der Beständigkeit im Bestehen dessen, was die Möglichkeit gemeinsamen Lebens an Aufgaben und auch an Fährnissen zu überwinden hat, in kraft der dieser Möglichkeit zugleich gegebenen Verheißung der Einigkeit, des Friedens und der Freude.

Der eine Herr, dem wir leben, weil wir von ihm Leben um Leben empfangen, der Herr des Friedens und der Einigkeit, möge Euch, liebe Eheleute, in der Übung und Erprobung des Glaubens an seine Verheißungen festhalten und Euren Ehestand zum beharrlichen Erweis der Hilfe und Macht seines Wortes werden lassen, so daß das tröstliche Wort Eures Trauspruchs – „keiner lebt ihm selber“ – zu einem fröhlichen und zuversichtlichen Ja führt, wenn Ihr Euch nun nochmals vor dieser Trau-Gemeinde das Treuversprechen gebt, und die Zeugen dieses Verspruchs dazu ein ebenso zuversichtliches Amen sprechen.

Solchen Segen schenke Euch der barmherzige Gott.

Die Trauansprache hat Ernst Wolf vier Wochen vor seinem Tode zur Vermählung seines Sohnes am 14. August 1971 in der kleinen evangelischen Kirche in Walchensee/Oberbayern gehalten.

Quelle: Evangelische Theologie, Band 31, Heft 9-10, Seiten 507-510.

Hier die Predigt als pdf.

1 Kommentar

  1. Sicher eine ungewöhnliche Traupredigt. Die württ. Synode hätte sie lesen sollen, bevor sie die württ.-kirchliche Trauung Gleichgeschlechlicher Paare verbot.

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