
Im wahrsten Sinne sympathisch ist mir, was seinerzeit Helmut Tacke zur Seelsorge geschrieben hat: „Seelsorge im Namen Gottes eröffnet eine Perspektive, in der grundsätzlich dem um Hilfe ersuchenden Mitmenschen das Wort erteilt wird. Im Schutzbereich des Namens kommt der Seelsorgepartner zu Ehren. Die Struktur der Seelsorge zeigt die Umkehrung dessen, was im Gottesdienst geschieht. Seelsorge ist das Gegenstück der Predigt. Der redende Prediger wird zum hörenden Seelsorger.“ Hier der entsprechende Abschnitt aus seinem Buch „Glaubenshilfe als Lebenshilfe“:
Das seelsorgerliche Gespräch im Schutzbereich des Namens
Von Helmut Tacke
Evangelische Seelsorge geschieht im Namen Gottes. Vom Glanz und dem Schutz dieses Namens ist das Gespräch der Seelsorge von Anfang an umschlossen. Der Name ist die Vor-aussetzung dafür, daß es ohne Angst verläuft. Mitgebracht wird ja nicht nur die Angst des hilfesuchenden Menschen, sondern auch die Angst des Seelsorgers, der sich auf sein Hören und Reden nicht verlassen kann. Die Angst wird relativiert durch die Gegenwart des Namens. Dieser Name ermöglicht Gelassenheit und entkrampft die seelsorgerliche Begegnung. Kein missionarischer Erfolgszwang, kein Bekehrungsmethodismus wird von einer Seelsorge zugelassen, die unter dem Namen Gottes steht. Die Anwesenheit des Namens gibt dem Gespräch uneingeschränkte Freiheit.
Seelsorge im Namen Gottes wird auch Gelegenheit finden, im Gesprächsverlauf diesen Namen auszusprechen. Dann wird erkennbar, daß der Seelsorger nicht im eigenen Namen agiert, sondern die Interessen seines Herrn vertritt. Erkennbar wird zugleich, daß auch der Gesprächspartner kein Namenloser ist, denn Gott hat ihn« bei seinem Namen gerufen« (Jes 43,1). Es bedarf keiner künstlichen Transposition vom Weltlichen ins Geistliche, um diesen Namen Gottes ins Gespräch zu bringen. Er will genannt, aber nicht zum Gegenstand theologischer Belehrung gemacht werden. Weil Gott in seinem Namen gegenwärtig ist, bedarf es nicht des Aktes einer seelsorgerlichen Vergegenwärtigung. Wohl aber bedarf die Seelsorge des Namens, denn er verleiht ihr Geistesgegenwart. Wird der Name ausgesprochen, so kommuniziert er mit den Seelsorgepartnern. Er ist mitbestimmend im Gespräch, ohne es aufzulösen oder abzubrechen. Er wird genannt nicht proklamiert. K. H. Miskotte erinnert daran, daß im Alten Testament der Name Gottes nicht »gepredigt« oder »verkündigt« wird, sondern der Name wird »ergriffen, erkannt, erzählt, gefürchtet, gelobt, bekannt, auch wohl gesucht und erwartet«. Dieser Name ist nicht angewiesen auf die Kunst einer seelsorgerlichen Applikation. Er spricht für sich selbst. [77]
Es kann die Schwäche kirchlicher Seelsorge sein, daß sie gern stark sein will an eigener kerygmatischer Aktivität. Seelsorger fungieren oft als Exegeten und Interpreten einer Wirklichkeit, die sie für fein halten, so daß sie in der Anstrengung um ihre Vergegenwärtigung dogmatische Monologe führen. Im Namen aber ist Gott selber nahe. Seelsorge im Namen Gottes entlastet das Gespräch vom homiletischen oder katechetischen Leistungsdruck, läßt es aber auch nicht zum bloßen Beratungsgespräch im Sinne einer Konflikterhellung bei Assistenz von Welterfahrung und Lebenskunst entarten. Ist der Name mit im Gespräch, so gibt er die Freiheit zu einer Sorge um den Menschen, die keine Grenzen kennt. Zugleich wird dieser Name den Mut zum Glauben wecken.
Evangelische Seelsorge mag sich in ihrer methodischen Durchführung streckenweise nur wenig von ihren säkularen Parallelen unterscheiden, sie kann aber niemals eine namenlose Seelsorge sein. Die Gegenwart des Namens Gottes kann sich auf keinen Fall mit einer Praxis verbinden, die den Menschen manipuliert. Im Schutzbereich des Namens gilt dem sorgenden Menschen unerschütterliche Liebe und Geduld. Er hat ein Recht darauf, seine drückende Last abzulegen und auszubreiten.
Seelsorge im Namen Gottes eröffnet eine Perspektive, in der grundsätzlich dem um Hilfe ersuchenden Mitmenschen das Wort erteilt wird. Im Schutzbereich des Namens kommt der Seelsorgepartner zu Ehren. Die Struktur der Seelsorge zeigt die Umkehrung dessen, was im Gottesdienst geschieht. Seelsorge ist das Gegenstück der Predigt. Der redende Prediger wird zum hörenden Seelsorger. So befremdlich dem Predigthörer das Kanzelwort erscheinen mag, so befremdlich kann dem Seelsorger die Rede seines Partners klingen. Dann gilt es, sich dieser befremdlichen Rede auszusetzen. Nichts kann ihre Unterbrechung oder ihren Abbruch motivieren. Sogar die äußere Voraussetzung der Seelsorge ist zumeist konträr zu der des Gottesdienstes. Kommen die Menschen zum Prediger, so kommt zumeist der Seelsorger zu den Menschen. Darin schon gibt sich die spezifisch adressatenorientierte Gestalt der Seelsorge zu erkennen. Sie verweilt bei dem Menschen. Sie hat kein institutionelles Zuhause, sondern ist prinzipiell »unbehaust«, um. dem gefährdeten Menschen desto näher zu sein.
Uhsadel fordert eine Seelsorge, die den Menschen kirchlich in-[79]tegriert und in die Geborgenheit führte. Die Stunde der Seelsorge aber könnte eine ganz andere Bewegung notwendig machen. Es könnte die Stunde des »Exodus« sein, die Provokation einer Seelsorge, die dirigistisch Wege vorschreiben will, auf denen die Menschen der kirchlichen Regie unterstellt werden. Demgegenüber muß evangelische Seelsorge sich konsequent am Weg des Evangeliums orientieren. Er führt zu dem Armen in vielerlei Gestalt, in die Tiefe des profanen Geländes, wo die heimatlosen, ruhelosen und hilflosen Brüder Jesu Christi wohnen. Dort wird unter dem Schutz des Namens Gottes, der die Stunde der Seelsorge qualifiziert, Trost und Sinngebung erwachsen.
Aus diesen Überlegungen ergeben sich bestimmte Konsequenzen, die nicht zuletzt der zerbrechlichen Form des Gesprächs, das in jeder evangelischen Seelsorge das dominierende Element darstellt, eine erhöhte Aufmerksamkeit zuteil werden lassen. Es ist ein Gespräch unter ungewöhnlichen Voraussetzungen. Von Störungen bedroht, beweist es insgesamt eine Empfindlichkeit, die auf unberechenbaren, spontanen Reaktionen beruht. Die Geschichte des seelsorgerlichen Gesprächs ist weithin eine Leidensgeschichte. Die grundsätzliche Gleichberechtigung der Partner wird oft durch ein eingefrorenes Amtsbewußtsein des Seelsorgers unterdrückt. An Offenheit und Flexibilität, die nötig sind, um jeder Wendung des Gesprächs gerecht zu werden, ist großer Mangel. Das Gespräch ist bedroht von seiner Entartung zum bloßen Redewechsel. Begründetes Schweigen als konstitutives Gesprächselement weckt allzu leicht eine Nervosität, die keinen Atem hat zum Warten.
Ohne Frage stellt das seelsorgerliche Gespräch an seine Partner hohe Ansprüche. Sie liegen nicht nur in der dialogischen Kunst, alles Reden aus der Stille des Hörens hervorgehen zu lassen und wiederum das eigene Wort für den anderen hörfähig zu machen. Die hohen Ansprüche des seelsorgerlichen Gesprächs betreffen bereits den elementaren, vom Medium Gespräch notwendigerweise vorausgesetzten freien Umgang mit dem Wort. Zum Gelingen des Gesprächs bedarf es von vornherein einer gemeinsamen Ebene, die der erhofften verbalen Verständigung zur Basis dient. Es bedarf der Fähigkeit zum Ansprechen und Aussprechen der eigenen Erfahrungen und Gefühle, die original artikuliert werden müssen, weil es in der Seelsorge keine schematisch vorgeformten Ausdruckshilfen, keinen »Beichtspie-[80]gel« und keine Sprachmuster gibt, deren man sich bedienen könnte. Sogar ein biblischer Text ist zumeist darauf angewiesen, gesprächsgerecht vermittelt und also nicht nur ausgesprochen, sondern auch umgesprochen zu werden. Der Wille, das eigene Leid oder das Betroffensein vom Leid des anderen mitzuteilen, muß die Transformation von überwiegend emotionalen Inhalten in die sprachliche Äußerung vollziehen, – ein Vorgang, dessen Verwirklichung nur selten gelingt, so daß er auf die Assistenz des schöpferischen Hörens angewiesen ist, weil oft bloße Andeutungen für das Ganze stehen und Unausgesprochenes entschlüsselt werden muß. Es ist der hohe Anspruch an den Seelsorger, dieses Unaussprechliche zwischen den Worten seines Partners dennoch zu hören und zu verstehen. Andererseits besteht für diesen der Anspruch, dem er gerecht werden muß, darin, mit dem Schlüssel des Wortes das Gefängnis seiner seufzenden Gedanken aufzuschließen. Er muß sich äußern, also verbal nach außen bringen, wofür er doch im Grunde keine Worte hat. Ist schon jedes normale Gespräch, dem die Kommunikation gelingt, ein kunstvolles Ereignis, so steht die Sonderform des Seelsorgegesprächs unter noch größeren Erwartungen. Die Seelsorgepartner kommen einander mit ungewöhnlichen Zumutungen entgegen: um sich durch das Wort zu finden und zu helfen, fordert jeder den Mut des anderen heraus, den Mut, über Herz und Stimme eine Kommunikation zu schaffen, die als »Notgemeinschaft« unmittelbare Entlastung bringt.
Quelle: Helmut Tacke, Glaubenshilfe als Lebenshilfe. Probleme und Chancen heutiger Seelsorge, Neukirchen-Vluyn 21979, Seiten 77-80.