Wie unermesslich ungleich sind Gottes Wort gegen alle Menschen Wort
Von Martin Luther
Luthers Schlusswort zu seiner Weihnachtspostille vom November 1521 ist eine heilsame Erinnerung für alle (wissenschaftliche) Schriftsauslegung, wenn er schreibt:
„Wie unermesslich ungleich sind Gottes Wort gegen alle Menschen Wort, wie gar kein Mensch mag ein einziges Gotteswort genugsam erreichen und erklären mit allein seinen Worten. Es ist ein unendlich Wort und will mit stillem Geist gefasst und betrachtet sein. […] Darum hinein, hinein, liebe Christen, lasst mein und aller Lehrer Auslegen nur ein Gerüst sein zum rechten Bau, dass wir das bloße, lautere Gotteswort selbst fassen, schmecken und dabei bleiben.“ (WA 10/I, 728, 11-15.18-21)
oder ausführlicher in der Originalfassung:
„Hie wollen wyr eyn weyle stillhallten, das nit werde das buch tzu groß unnd ubirdrussig tzu leßen; wiewol ich hoff, es sey ynn dißen tzwelffen Epistolln und Euangelien eyn Christlich leben ßo reychlich furgepildet, das eynem Christenmenschen ubrig gnug gesagt sey, was yhm tzur selickeytt nott ist. O das gott wollt, meyn und aller lerer außlegung untergiengen, unnd eyn iglicher Christenn selbs die blosse schrifft und lautter gottis wortt fur sich nehme! Du sihest yhe auß dissem meynen geschwetz, wie unmeßlich ungleych gottis wortt sind gegen aller menschen wortt, wie gar keyn mensch mag eyn eyniges gottis wortt gnugsam erreychen und vorkleren mit allen seynen wortten. Es ist eyn unendlich wort und will mit stillem geyst gefasset und betrachtet seyn, wie der 83. psalm [Ps. 85,9 (!)] sagt: Jch will horenn, was gott selb ynn myr redett. Es begreyfft auch sonst niemandt, denn eyn solcher stiller betrachtender geyst. Wer dahyn kund on glosiern und außlegen kommen, dem weren meyn und aller menschen glosiern gar keyn nott, ia, nur hynderlich. Darumb hyneyn, hyneyn, lieben Christen, und last meyn und aller lerer außlegen nur eyn gerust seyn zum rechten baw, das wyr das blosse, lautter gottis wort selbs fassen, schmecken unnd da bleyben; denn da wonet gott alleyn ynn Zion. AMEN.“ (Kirchenpostille 1522, WA 10/I, 728, 5-22)