
Fast spielerisch nimmt Martin Luther in seiner Predigt über Lk 7,11-17 (Der Jüngling von Nain) sich den Tod zur Brust. Und er kann Christus seinen Zuhörern auf das Allergewisseste zusprechen:
»Ich sage dir: Stehe auf!« Predigt über Lk 7,11-17
Von Martin Luther
Und es begab sich danach, daß er in eine Stadt mit Namen Nain ging; und seine Jünger gingen mit ihm und viel Volks. Als er aber nahe an das Stadttor kam, siehe, da trug man einen Toten heraus, der der einzige Sohn war seiner Mutter, und sie war eine Witwe; und viel Volks aus der Stadt ging mit ihr. Und da sie der Herr sah, jammerte ihn derselben, und er sprach zu ihr: Weine nicht! Und trat hinzu und rührte den Sarg an, und die Träger standen. Und er sprach: Jüngling, ich sage dir, stehe auf! Und der Tote richtete sich auf und fing an zu reden; und er gab ihn seiner Mutter. Und es kam sie alle eine Furcht an, und sie priesen Gott und sprachen: Es ist ein großer Prophet unter uns aufgestanden, und: Gott hat sein Volk heimgesucht. Und diese Rede über ihn erscholl in das ganze jüdische Land und in alle umliegenden Länder. (Lukas 7,11-17)
In diesem Evangelium ist vieles enthalten, was gelehrt werden müßte; doch ich will nur die Hauptsache ins Auge fassen. Da ist eine arme Witwe, die ihren Mann und ihren Sohn verloren hat; und das war im Judentum eine besonders schwere Sache für eine Frau, Witwe zu sein und keinen Sohn mehr zu haben. Denn die öffentliche obrigkeitliche Ordnung war bei den Juden darauf eingestellt, daß man rechtsfähige männliches Erben haben sollte. Dessen muß nun die Frau entbehren; sie bleibt nun eine elende Witwe. Das läßt sie die Sache so ansehn, als habe Gott sie verlassen und sei ihr feind geworden. Da ist ein betrübtes Herz, das leicht an Gott hätte verzweifeln können, da es aussah, als hätte er sie im Stich gelassen, nachdem erst ihr Mann und nun auch noch ihr Sohn gestorben war. Diese Frau tröstet der Herr, indem er ihr den Sohn wiedergibt, und ihre Freude ist nun zehnmal größer als vorher der Schmerz war; ja es wäre kein Wunder gewesen, wenn sie vor Freude gestorben wäre. So wollen wir also lernen, unsern Glauben an dieser Geschichten zu üben, zu stärken und fest zu fassen; und hiezu laßt uns sehen, wie Christus den Tod so ohnmächtig und verächtlich macht. Weil er uns ein solches Bild vom Tod vor Augen stellt, sollen wir vor ihm kein Grauen haben. Er möchte uns gerne ein Herz schaffen, das geduldig seines Weges ginge und des Todes nicht achtete. Das lernen die am meisten, die im Jammer sind wie diese Witwe. Sieh, wie schnell und leicht es zugeht: Der Jüngling ist gestorben, und da ist keine Hoffnung mehr vorhanden, daß er ins leibliche Leben zurückkehren werde; da mußte alle Welt verzagen. Aber nun kommt er, der Christus; er nimmt keine Apothekerarznei; er sagt nur: »Stehe auf!« Also ist vor seinen Augen der Tod wie das Leben; für ihn ist das eine soviel wie das andre, Tod soviel wie Leben. Wenn wir tot sind, so sind wir doch nicht tot vor ihm. Denn er ist nicht ein Gott der Toten, sondern der Gott Abrahams, Isaaks und Jakobs; und diese leben, wie es Matth 22,32 heißt, wo er sagen will: ›Sie sind nicht gestorben, sondern sie leben mir.‹
Daraus sollen wir etwas lernen: nämlich die große Macht, mit der Gott am Jüngsten Tag durch Christus an uns wirken wird. Mit einem einzigen Wort wird er uns aus dem Grabe hervorziehen; er wird rufen: ›Doktor Martinus, komm her!‹, und es wird in einem Augenblick geschehen. Darum sollen wir ja nicht daran zweifeln, daß bei ihm die Macht und der Wille dazu da ist. So hat dieser tote Jüngling kein Ohr, und doch hört er! Was für eine seltsame Geschichte ist das! Er, der nicht hört, hört; er, der nicht lebt, lebt; der Leichnam ist tot und lebt; es braucht nur ein Wort dazu! Wenn wir also sehen, daß Christus so leicht aus dem Tode reißen kann, und hören, er wolle es tun, und daß es ihn noch dazu jammere, wenn wir vor dem Tode so erschrecken, so sollten wir ein festes Vertrauen zu ihm fassen. Darum gibt er hier ein Beispiel und eine Probe seiner Macht. Er will uns damit sagen: ›Ängstet euch nicht! Was kann euch der Tod tun? Nichts, als daß er euch erschreckt. Aber schaut nicht auf euch, welche Gefühle ihr dabei habt, und laßt euch nicht von eurer Furcht leiten, sondern schaut auf das, was ich kann und will. Ich kann euch nämlich so leicht aufwecken, wie einer einen andern aus dem Bette aufwecken kann, und ich will es auch. Am Wollen und an der Kraft dazu soll es nicht fehlen.‹ So schlafen sie auf dem Kirchhof viel leiser als ich auf dem Bette; denn mich muß man wohl zehnmal rufen, und ich höre es doch nicht. Sie aber werden erweckt werden durch ein einziges Wort. Wir schlafen also viel fester als die auf dem Kirchhof; denn wenn da der Herr ruft: »Jüngling!« oder: »Lazarus!« oder: »Mägdlein!«, so hören sie es sofort. Vor unsrem Herrgott heißt ihr Zustand also nicht ›Tod‹, sondern nur für uns; vor Gott ist’s ein so leiser Schlaf, daß er nicht leiser sein könnte. Das will er uns einprägen. Denn wir sollen nicht erschrecken, daß wir, wenn die Pest oder der Tod herankommt, jammernd zum Tode sagen: ›Was kommst du denn? Du hast scheußliche Zähne, und wahrlich, ich fürchte mich und sterbe nicht gerne.‹ Vielmehr soll ich da nicht auf das hinsehen, was der Tod von sich aus tut, wie er also der Henker das Schwert zückt; sondern ich soll vielmehr an das denken, was unser Herrgott dazu tun kann und tun will. Er fürchtet ihn nämlich nicht; er fragt nicht nach seinem Zähneknirschen. Sondern er sagt so: ›Tod, ich will dir dein Tod sein, Hölle, ich will deine Pestilenz sein, deine Büchse und Pulverkugel, die dir dein Ende bereiten; ja, ich will deine Hölle sein! Du hast mir die Leute erschreckt, daß sie ungern gestorben sind. Hüte dicht! Dafür, daß du getötet hast, werde umgekehrt ich dich töten. Du sagst: Den habe ich gefressen, den Doktor Martinus habe ich umgebracht! Rühme dich nur, Tod! Sie sind mir aber nicht tot, die du mir getötet hast, sondern sie schlafen, und zwar so leise, daß ich sie mit einem Finger wecken kann.‹ Das wird den Tod zornig machen, daß er nicht mehr fertigbringen soll, als einen Menschen schlafen zu legen, so daß, wenn Christus einmal sagen wird: »Kommet, ihr Toten!‹, sie durch seine Stimme aus den Gräbern hervorgehen werden: die da Gutes getan haben, zum ewigen Leben, die aber Übles getan haben, zur Auferstehung des Gerichtes, wie es Joh 5,28f heißt.
So sollen wir’s machen; denn wir haben diesen Trost: die Mönche und die Türken haben ihn nicht. Daher nehmen sie ihre Zuflucht zu den Werken, weil sie aus Christus einen Richter machen. Sie wissen, daß sie sterben müssen und die Hölle vor sich haben. Darum wollen sie Christus mit Gebeten und Messen entgegenlaufen; sie halten ihn für einen Richter, der sagen werde: ›Du hast so viel gebetet, so viel gute Werke getan; komm, du sollst gerettet sein!‹ Auf diese Weise machen sie selber Christus zu einem Richter über die Christen, über ihr Leben; das ist aber der leidige Teufel. Sie machen aus Christus etwas Schlimmeres als aus dem Tod. Daher fürchten sie sich so vor dem Jüngsten Tag, weil sie böse, verzagte Herzen haben. Du aber sollst sagen, Christus sei ein Richter nur über die Ungläubigen, welche das Wort nicht hören und ihm nicht vertrauen. Ich aber, der ich getauft bin und an Christus glaube, daß er für mich gelitten hat, brauche mich nicht zu fürchten wegen des Gerichtes; denn er sitzt selber beim Vater und ist mein Verteidiger und Beistand. Darum wenn er am Jüngsten Tage kommen wird oder wenn du sterben mußt, so denke: ›Mein Herr Christus sieht dem Tode zu, wie er mich tötet, und wenn der mich erwürgt hat, so schlafe ich so leise, daß er mich mit einem Wort erwecken kann.‹ Und der Herr sagt: ›Der Mensch, der da tot ist, der sieht und hört für mich noch gut, obwohl die ganze Welt meint, er sehe und höre nichts.‹ Daraus sollen wir lernen, daß ein Christ sich nicht fürchten soll; denn Christus kommt nicht, um zu richten, sondern er kommt, wie er zum Sohn der Witwe (und zu den andern Glaubenden) kommt: er errettet ihn vom Tode und bewirkt, daß er sich aufrichtet, sieht, hört, spricht, obwohl er doch nicht sah, hörte und sprach. So wird er auch zu uns kommen, die wir glauben. Die andern, die Ungläubigen nämlich, wird er richten. Wir aber sollen das lernen, daß wir nach unsrem Erlöser uns sehnen und je länger, je besser an ihn glauben.
Daher sollen wir Christen froh sein, wenn wir vom Jüngsten Tage hören, oder wenn die Pest kommt und unser letztes Stündlein schlägt. Wenn wir aber uns schrecken lassen, so ist es die Schuld des alten Adam, nicht die Christi; denn es ist das Allergewisseste, daß er uns wieder auferwecken will. Wir sollen schlafen, bis er kommt, und an das Gräblein klopft und sagt: ›Doktor Martinus, stehe auf!‹ Dann werde ich in einem Augenblick aufstehen und werde ewig mit ihm fröhlich sein. So soll also ein Christ ein andres Herz haben als die Mönche und Türken, die so erschrecken, daß sie nicht aus noch ein wissen. Geschieht ihnen recht: denn warum lernen und glauben sie nicht, daß er ein Mann des Helfens ist für die Gläubigen, und ein Richter nur für die Ungläubigen? Für mich ist er ein Arzt, Helfer und Retter; aber für den Papst, für Herzog Georg und die Teufel ist er ein Richter. Denn diese sind des Teufels und des Todes Diener; sie wollen das vornehmen und ausrichten, was der Tod und der Teufel tun sollen. Da ist er der Richter, um den Frommen Frieden zu schaffen.
Soviel über die Geschichte von jener Witwe. Gott helfe, daß wir den Mann so erkennen lernen, wie ihn uns das Evangelium vor Augen malt.
Gehalten am 28. September 1533 (16. Sonntag nach Trinitatis) im eigenen Haus.
Quelle: WA 37,149-151.