Ungenießbar! – „Wer mein Fleisch isst …“ Predigt zu Johannes 6,55-65: „Beim Abendmahl mit Brot und Wein sagt sich Jesus Christus uns leibhaftig zu: Er verbindet sich mit unserem Leib, nimmt auch unser Leben in Leib und Blut für das ewige Leben bei Gott an. Die göttliche Lebensgemeinschaft ist eben keine Kopfgeburt, die uns in Fleisch und Blut der Vergänglichkeit überlässt.“

Harald Duwe – Abendmahl (1978, Öl auf Leinwand)

Ungenießbar! – „Wer mein Fleisch isst …“ Predigt zu Johannes 6,55-65

„Abendmahl“ heißt das großflächige Bild (1,60 mal 2 Meter), das der Maler Harald Duwe (1926-1984) 1977/78 gemalt hatte. Es ist seit 1981 als ständige Leihgabe der Familie Fincke an die Evangelische Akademie Tutzing im Foyer des dortigen Schlosses aufgehängt.

Zwölf Männern gruppieren sich um einen gedeckten Tisch. Auf den ersten Blick scheint es ein gemeinsames Abendessen zu sein – mit Weingläsern, Besteck, Brot und einer größeren Schüssel. Bis auf zwei blicken alle auf den Tisch – skeptisch, neugierig, angewidert, ratlos. Das Bild ist überwiegend in Grau und Braun gehalten und wirkt dadurch wie ein altes vergilbtes Familienfoto.

Der Titel „Abendmahl“ verweist auf das letzte gemeinsame Abendmahl Jesu mit seinen Jüngern, obwohl die dargestellten Männer in kein biblisches Jüngerbild passen. Auf dem Bild finden sich nämlich der Künstler selbst mit elf Freunden bzw. Kollegen der Fachhochschule Kiel. Hartmut Duwe steht hinter dem mittigen, unbesetzten Stuhl mit einer Gabel in der Hand, die sich auf die Schüssel hin zu bewegen scheint. Und auch der Auftraggeber des Bildes, Karl Fincke (mit Brille) steht hinter dem Rücken des Künstlers und zeigt mit einer Handgeste – die einen Kreis beschließenden Zeigefinger und Daumen – seine Zustimmung an.

Der leere Stuhl am Tisch ist es, der diesem Tafelbild eine ungeahnte und erschreckende Wendung gibt. Jesu Wort in unserem Ohr: „Wahrlich, wahrlich, ich sage euch: Wenn ihr nicht esst das Fleisch des Menschensohns und trinkt sein Blut, so habt ihr kein Leben in euch.  Wer mein Fleisch isst und mein Blut trinkt, der hat das ewige Leben, und ich werde ihn am Jüngsten Tage auferwecken. Denn mein Fleisch ist die wahre Speise, und mein Blut ist der wahre Trank. Wer mein Fleisch isst und trinkt mein Blut, der bleibt in mir und ich in ihm.“ (Johannes 6,53-56)

Der genauere Blick auf die Tafel enthüllt ein schreckliches Geschehen: In ziemlicher Unordnung finden sich auf dem Tisch Gläser, Schüsseln, Teller. Darin die zerstückelten Teile eines Leichnams: die rechte Hand sowie der linke Fuß mit den Wundmalen, ein mit anatomischer Akribie gemaltes Herz. In der Schüssel scheint das Haupt Christi zu liegen, offensichtlich eine Anspielung auf das Haupt Johannes des Täufers (vgl. Markus 6,24). Dazwischen Brot und Wein, eine geöffnete Ölsardinenbüchse mit zwei langen Kreuzesnägel; und selbst die beiden letzten Buchstaben des Kreuzestitels »RI«, Rex Iudaeorum (König der Juden) tauchen auf. Kein Zweifel, der zuvor auf dem nunmehr leeren Stuhl saß hat sich selbst zum Verzehr preisgegeben.

Wahrlich, wahrlich, ich sage euch: Wenn ihr nicht esst das Fleisch des Menschensohns und trinkt sein Blut, so habt ihr kein Leben in euch. Wer mein Fleisch isst und mein Blut trinkt, der hat das ewige Leben, und ich werde ihn am Jüngsten Tage auferwecken. Denn mein Fleisch ist die wahre Speise, und mein Blut ist der wahre Trank. Wer mein Fleisch isst und trinkt mein Blut, der bleibt in mir und ich in ihm.

Nein, keine gotteslästerliche, perverse Phantasie eines Künstlers zeigt sich. Hartmut Duwe hat mit seinem Bild „Abendmahl“ vielmehr in drastischer Weise Jesus selbst beim Wort genommen. In Jesu Worte sieht der Künstler selbst den Bezug zu unserer Gegenwart, wenn er schreibt:

Abendmahl zu Jesu Gedächtnis, nicht als Weltflucht. Er begegnet in allen leidenden Menschen, in den Opfern des Machtkampfes, in den Opfern von Ideologien. Und wir haben diese Opfer durch Fahrlässigkeit erst ermöglicht. […] Hätten wir nicht unsere Bedenken, unser Gewissen (christliche Ethik) zugeschüttet, wie sähe dann unsere Welt aus! […] Wir müssen beim Abendmahl der Menschen gedenken, die heute verraten, geopfert werden. Die drastische Darstellungsweise soll diese wichtigen Aussagen des christlichen Glaubens bewußt machen. Ich wollte kein Erbauungsbild machen, sondern Betroffenheit hervorrufen. In seinem Opfer für uns erschließt uns Gott eine neue Weise menschlicher Existenz. Durch Ihn erklärt sich Gott mit diesem Leben identisch. Das Abendmahl führt uns in die Nachfolge ein. Brot ist sein Fleisch und Wein ist sein Blut des neuen Testaments. Das sollte betroffen machen. Dürfen wir uns als Christi Nachfolger sehen?“

Wir mögen dies zu tiefst abstoßend und widerlich finden, wie ja auch Jesu Zuhörer, gar seine eigenen Jünger, wenn es bei Johannes heißt: „Das sagte er in der Synagoge, als er in Kapernaum lehrte. Viele nun seiner Jünger, die das hörten, sprachen: Das ist eine harte Rede; wer kann sie hören? Da Jesus aber bei sich selbst merkte, dass seine Jünger darüber murrten, sprach er zu ihnen: Nehmt ihr daran Anstoß? […] Von da an wandten sich viele seiner Jünger ab und gingen hinfort nicht mehr mit ihm. Da sprach Jesus zu den Zwölfen: Wollt ihr auch weggehen? Da antwortete ihm Simon Petrus: Herr, wohin sollen wir gehen? Du hast Worte des ewigen Lebens; und wir haben geglaubt und erkannt: Du bist der Heilige Gottes.“ (Johannes 6,59-61.66-69)

Du hast Worte des ewigen Lebens, die uns in Fleisch und Blut übergehen – Worte, die verstö­ren, kaum auszuhalten sind, wider unser eigenes Empfinden sind. Wie können uns diese unglaublichen Worte das Heil bringen?

„Christi Leib für dich gegeben“, „Christi Blut für dich vergossen“ – Zusprüche bei unserer Abendmahlsfeier, die ja manchem unter uns aufstoßen. Tun wir Jesus wirklich leiblich essen? Da klingt nach einem abstrusen Kannibalismus, also nach Menschenfresserei (Anthropophagie) und hat immer wieder für Unwillen gesorgt. Und für Juden kommt noch der todeswürdige Verstoß gegen die Tora hinzu, heißt es doch in 3Mose 17:

Und wer vom Haus Israel oder von den Fremdlingen unter euch irgendwelches Blut isst, gegen den will ich mein Antlitz kehren und will ihn aus seinem Volk ausrotten. Denn des Leibes Leben ist im Blut, und ich habe es euch für den Altar gegeben, dass ihr damit entsühnt werdet. Denn das Blut wirkt Entsühnung, weil das Leben in ihm ist. Darum habe ich den Israeliten gesagt: Keiner unter euch soll Blut essen, auch kein Fremdling, der unter euch wohnt.“ (vv 10-12)

Im Blut ist das Leben selbst. Es muss zur Sühne auf dem Altar vergossen und damit zu Gott zurückgebracht werden. Es darf niemals selbst genossen werden. Und jetzt sagt uns Jesus: „Mein Fleisch ist die wahre Speise, und mein Blut ist der wahre Trank. Wer mein Fleisch isst und trinkt mein Blut, der bleibt in mir und ich in ihm.

An diesen Worten scheiden sich die Geister, auch schon in der Zeit der Reformation. Da waren sich Martin Luther und Ulrich Zwingli, der Schweizer Reformator in Sachen der evangelischen Lehre in fast allen Dingen einig. Und doch mussten sie nach einem Streit­gespräch in Marburg 1529 in einem gemeinsamen Schlusskommuniqué festhalten: „Da wir uns aber zu dieser Zeit nicht geeinigt haben, ob der wahre Leib und das wahre Blut Christi leiblich in Brot und Wein seien, so soll doch ein Teil den anderen gegenüber christliche Liebe, sofern eines jeden Gewissen es immer ertragen kann, erzeigen.“ (Marburger Artikel, Artikel 15)

Im übertragenen Sinne ließe sich das ja verstehen: Brot und Wein symbolisieren Jesu Gegenwart unter uns, sind also als Zeichen zu verstehen, die man sich im eigenen Glauben und nicht etwa durch den eigenen Mund verinnerlicht. Aber leiblich gegenwärtig für den eigenen Verzehr für Gläubige wie auch für Ungläubige (manducatio oralis seu impiorum), so wie dies Martin Luther unerbittlich in seinem Kleinen Katechismus bekannt hat – „Was ist das Sakrament des Altars? Es ist der wahre Leib und Blut unsers Herrn Jesus Christus, unter dem Brot und Wein uns Christen zu essen und zu trinken von Christus selbst eingesetzt.“ – das bleibt für viele undenkbar.

Lasst mich doch noch einmal versuchen Jesu Worte wörtlich zur Geltung zu bringen: „Wahrlich, wahrlich, ich sage euch: Wenn ihr nicht esst das Fleisch des Menschensohns und trinkt sein Blut, so habt ihr kein Leben in euch. Wer mein Fleisch isst und mein Blut trinkt, der hat das ewige Leben, und ich werde ihn am Jüngsten Tage auferwecken. Denn mein Fleisch ist die wahre Speise, und mein Blut ist der wahre Trank. Wer mein Fleisch isst und trinkt mein Blut, der bleibt in mir und ich in ihm.

Harald Duwe, der Maler des Abendmahlbildes, ist sechs Jahre nach Fertigstellung des Bildes tödlich verunglückt – am Freitag, den 15. Juni 1984 auf der Rückfahrt von der Hochschule in Kiel nach Großensee, seinem Wohnort in der Nähe von Hamburg. Auf der B 404 zwischen Segeberg und Schwarzenbek in Höhe von Tremsbüttel kommt er von Fahrspur ab und reißt den Fahrer des entgegenkommenden Wagens mit in den Tod. Tragischer Tod mit 52 Lebensjahren auf der Höhe der eigenen Schaffenskraft mag es „nachruflich“ heißen. Wir Menschen aus Fleisch und Blut sterben nicht in Gedanken, sondern wirklich an unserem eigenen Leib, mitunter auf erschreckende Weise. Die Gewalt des Todes trifft uns ins eigene Fleisch. Da helfen keine eigenen Gedanken und auch kein Glauben an ein unbestimmtes Weiterleben weiter. Der Tod nimmt sich unser mit Haut und Haar an, lässt unserem sterblichen Leib keine Chance – Aus, Amen.

Zu schnell verabschiedet man sich in Sachen Christentum in ein Jenseits, wo sich alles Verlorene und Vergebliche scheinbar geistig und seelisch zurechtdenken lässt. Aber Jesu Worte lassen keine Ausflüchte zu, sie sind zudringlich für unser eigenes Leben: „Wer mein Fleisch isst und mein Blut trinkt, der hat das ewige Leben, und ich werde ihn am Jüngsten Tage auferwecken. […] Wer mein Fleisch isst und trinkt mein Blut, der bleibt in mir und ich in ihm.

Im Unterschied zu Lebensmittel, die wir aufessen, deren Energie wir unserem eigenen Körper zuführen, verheißt uns Jesus in seinem Fleisch und Blut etwas ganz anderes – eine bleibende, leibliche Lebensverbindung: „Wer mein Fleisch isst und trinkt mein Blut, der bleibt in mir und ich in ihm.“ Das ist ja gerade das Entscheidende: Wir können Leib und Blut Jesu nicht aufessen und verdauen. Denn dann wäre ja Jesus uns nicht länger gegenwärtig. Beim Abendmahl mit Brot und Wein sagt sich Jesus Christus uns leibhaftig zu: Er verbindet sich mit unserem Leib, nimmt auch unser Leben in Leib und Blut für das ewige Leben bei Gott an. Die göttliche Lebensgemeinschaft ist eben keine Kopfgeburt, die uns in Fleisch und Blut der Vergänglichkeit überlässt.

Kommunion – ihr kennt das Wort, denkt vielleicht an den besonderen Gottesdienst für Neunjährige in der katholischen Kirche, wo diese zum ersten Mal die Hostie empfangen. Aber Kommunion heißt leibliche Gemeinschaft und Teilhabe, so wenn Paulus an die Korinther schreibt: „Der Kelch des Segens, den wir segnen, ist der nicht die Gemeinschaft des Blutes Christi? Das Brot, das wir brechen, ist das nicht die Gemeinschaft des Leibes Christi?“ (1Kor 10,16) Das Abendmahl macht uns zu Teilhabern am göttlichen Leben. Nicht in euren eigenen Gedanken seid ihr wirklich bei Gott, sondern am Tisch des Herrn, mit euren eigenen Händen dürft ihr begreifen, in eurem eigenen Mund dürft ihr es schmecken: Jesus Christus mit Leib und Seele für uns hingegeben.

Auf dem Bild „Abendmahl“ schaut der Künstler Harald Duwe dieser Wahrheit ins Auge, führt uns in drastischer Weise an das Geheimnis des Glaubens heran: Christus liefert sich mit Fleisch und Blut uns Menschen aus, damit wir in Fleisch und Blut zum ewigen Leben bei Gott bestimmt sind.

Und der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft, bewahre eure Herzen und Sinne in Christus Jesus.

Literatur: Alexandra Axtmann, Säkularisierte Abendmahlsdarstellungen als Skandal an Beispielen von Harald Duwe und Matthias Koeppel, in: Kunst und Politik. Jahrbuch der Guernica-Gesellschaft, Bd. 14: Kirche und Kunst. Kunstpolitik und Kunstförderung der Kirchen nach 1945, herausgegeben von Regine Hess, Martin Papenbrock und Norbert Schneider, Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht unipress 2012, S. 27-41.

Hier meine Predigt als pdf.

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